Bachblüten und generalisierte Angststörung: Was wirklich hilft

Viele Menschen erleben gelegentlich Ängste. Herzklopfen, schnellere Atmung, Schwitzen, der Blutdruck steigt - Angst versetzt den Körper in Alarmbereitschaft. Das ermöglicht uns, in Gefahrensituationen schnell zu reagieren. Angst ist vollkommen normal und hat oftmals gute Gründe.

Bei manchen Menschen jedoch verselbstständigt sich die Angst und wird so stark, dass sie das tägliche Leben einschränkt. Es ist manchmal eine Angst ohne greifbaren Auslöser, vielmehr ein ständiges Gefühl der Unruhe, Sorge und Anspannung. Fachleute sprechen dann von einer generalisierten Angststörung [5]. Angststörungen können jedoch auch andere Formen annehmen: Panikattacken zum Beispiel oder Phobien.

Menschen mit Phobien haben vor bestimmten Dingen oder Situationen derart starke Angst, dass sie dadurch im Alltag eingeschränkt sind. Ob die Passionsblume Menschen mit einer Angststörung helfen kann, ist unerforscht.

Passionsblume: Natürliches Mittel gegen Angst?

Die Passionsblume gilt als natürliches Mittel gegen Angst, Unruhe und Schlafprobleme. Der Passionsblume wurde schon vor zweihundert Jahre eine beruhigende Wirkung zugeschrieben. Aus diesem Grund ist das Extrakt aus Passiflora incarnata, wie die Pflanze auf Lateinisch heißt, in Österreich sogar als traditionelles Arzneimittel zugelassen.

Am bekanntesten sind in Österreich wohl die Medikamente Passedan und Pascoflair. Auch die Firma Dr. Böhm hat mit Passionsblume 450mg ein entsprechendes Präparat im Sortiment. Gemeinsam mit Homöopathika und anthroposophischen Mitteln bilden die traditionellen pflanzlichen Arzneimittel in Österreich eine kuriose Ausnahme im sonst so strengen Arzneimittelgesetz: Präparate, die in eine dieser drei Kategorien fallen, müssen - anders als herkömmliche Arzneimittel - ihre Wirksamkeit nicht in klinischen Studien unter Beweis stellen.

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Wissenschaftliche Studien zur Passionsblume

Wenn die Passionsblume schon so lange zum Einsatz kommt, müsste sie doch mittlerweile auch wissenschaftlich untersucht sein - oder? Bei unserer ausgiebigen Suche in drei wissenschaftlichen Datenbanken stießen wir auf vier prinzipiell geeignete Studien, in denen das Extrakt aus der Passionsblume untersucht wurde: In einer Studie [1] nahmen es die Teilnehmenden gegen Schlafstörungen ein, in den anderen drei [2-4] gegen Angst und Nervosität kurz vor chirurgischen Eingriffen.

Überzeugen könnten sie uns nicht: Alle Studien hatten gravierende Mängel und sind wenig vertrauenswürdig. Auch die Herstellerfirma des Medikaments Passedan bestätigte auf unsere Nachfrage: Studien, die eine Wirksamkeit der Passionsblume belegen können, gibt es nicht.

In zwei der vier von uns gefundenen Studien zeigte das Extrakt aus der Passionsblume nicht mehr Wirkung als ein Schein-Medikament (Placebo) [1,2]. In den anderen beiden berichten die Forschenden von weniger Angst durch Passionsblumen-Extrakt [3,4]. Die Ergebnisse sind also uneinheitlich. Gar keine Studien gefunden haben wir zu länger andauernder Unruhe und Angst. Unklar bleibt daher, ob die Passionsblume eine anhaltende Wirkung hat.

Etwa, ob es Menschen mit Angststörungen oder wiederkehrenden Panikattacken hilft, wenn sie es regelmäßig einnehmen. Der Beipacktext des Medikaments Passedan zum Beispiel weist darauf hin, dass eine Beeinträchtigung der Verskehrtüchtigkeit möglich ist. Auch Schwangeren im letzten Schwangerschaftsdrittel wird die Einnahme nicht empfohlen, weil das Extrakt unter Verdacht steht, wehenfördernd zu wirken [8]. Andere Nebenwirkungen dürften unwahrscheinlich sein [8]. Die Einnahme von Mitteln mit Passionsblume scheint also zumindest sicher.

Auch die Studienteilnehmenden berichteten ungefähr gleich häufig von unerwünschten Wirkungen - und zwar unabhängig davon, ob sie das Passionsblumen-Extrakt bekommen hatten oder ein Placebo. Erste Hinweise auf einen beruhigenden Effekt der Passionsblume lieferten Beobachtungen an Mäusen. Doch auch angesichts dieser Forschungsergebnisse sind Studien mit menschlichen Teilnehmenden notwendig, um eine Wirksamkeit eindeutig nachzuweisen. Immerhin funktionieren Mäuse-Körper nicht genauso wie menschliche Körper.

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Wie eine ideale Studie aussehen sollte

Die ideale Studie, die das beantworten könnte, sähe so aus: Eine möglichst große Anzahl von Menschen wird per Los auf zwei Gruppen aufgeteilt. Beispielsweise könnten alle Teilnehmenden ein Ereignis vor sich haben, vor dem sie Angst haben, etwa eine Prüfung oder eine Operation. Oder aber es nehmen Menschen teil, die unter Angststörungen leiden. Die eine Gruppe nimmt Passionsblumen-Extrakt ein, die andere ein Wirkstoff-freies Placebo. Niemand weiß, wer welcher Gruppe angehört - weder die Teilnehmenden noch die Forschenden.

Man sagt auch, die Studie ist „verblindet“. Zu Beginn der Studie und am Ende geben die Teilnehmenden an, wie ängstlich sie sich fühlen. Demselben Prinzip würden auch Studien zum schlaffördernden Effekt der Passionsblume folgen. Nur dass in diesem Fall Menschen mit Schlafproblemen daran teilnehmen und verglichen wird, welche Gruppe besser schläft.

Es fehlen teilweise wichtige Informationen und Daten, und das macht uns misstrauisch. Bei einer der Studien [2] können wir beispielsweise nicht nachvollziehen, wann die Teilnehmenden das Passionsblumen-Extrakt bekamen. Auch die Art, mit der die Forschenden die Intensität der Angst erfragten, halten wir für nicht verlässlich. In manchen der Studien hatten die Teilnehmenden der Passionsblumen-Gruppe zu Beginn mehr Angst als die Kontrollgruppe, oder diese wichtigen Informationen fehlten gänzlich.

Teilweise bleibt unklar, wie die Teilnehmenden den Gruppen zugeordnet wurden und ob das wirklich zufällig geschah. Bei einer Studie [3] sind wir außerdem unsicher, ob die Teilnehmenden wussten, dass sie das Placebo bekamen - es handelte sich dabei nämlich um reines Trinkwasser. Hinzu kommt, dass in den Studien unterschiedliche Dosierungen zum Einsatz kamen.

Bei unserer Recherche berücksichtigten wir ausschließlich Studien, die Passionsblumen-Extrakt mit einem Placebo verglichen. Wir fanden zwar auch Studien, die das Extrakt mit einem gängigen Beruhigungsmittel vergleichen. Diese Studien können allerdings nicht den Placeboeffekt ausschließen: Schließlich ist es denkbar, dass sowohl das Passionsblumen-Extrakt als auch das Beruhigungsmittel nur wirkte, weil die Teilnehmenden an eine Wirkung glauben. Deshalb halten wir solche Vergleiche für nicht geeignet, unsere Frage zu beantworten.

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Lavendelöl: Eine weitere Option?

Lavendel soll angstlösend wirken. Uns hat eine Anfrage erreicht, ob Kapseln mit Lavendelöl gegen belastende Angst helfen können. Dabei haben wir eine verlässliche Übersichtsarbeit gefunden, die die Ergebnisse bisheriger Studien zu Lavendel zusammenfasst [1]. Die Wirkung scheint jedoch winzig zu sein: In den Studien verminderten sich die Beschwerden durchschnittlich um 3 Punkte auf einer Skala, bei der 0 Punkte Angstfreiheit und 56 Punkte die schwerste vorstellbare Angst bedeuten würde. Die Angstsymptome zum Verschwinden bringen dürfte Lavendelöl eher nicht.

Unser Vertrauen in die Studienergebnisse ist jedoch eingeschränkt. Die Heterogenität unter den Studien war sehr hoch. Das heißt, sie waren generell sehr unterschiedlich und kamen auch zu widersprüchlichen Ergebnissen. Sie waren großteils von der Herstellerfirma von Lasea finanziert. Auch ein sogenannter Publication Bias ist zu vermuten.

In Studien fiel die Verbesserung allerdings sehr klein aus: Auf einer Angstskala mit insgesamt 56 Punkten verringerten sich die Beschwerden mit Lavendelöl um durchschnittlich 3 Punkte. Die Angstsymptome zum Verschwinden bringen dürfte Lavendelöl eher nicht.

Was wirklich hilft: Psychotherapie und mehr

Was aber helfen kann: Psychotherapie, besonders die Kognitive Verhaltenstherapie. Bei leichten Formen vielleicht auch Entspannungstechniken. Auch bestimmte Medikamente gegen Depression sind einen Versuch wert.

Im Gespräch mit ihrer Ärztin oder ihrem Arzt können Betroffene in einem ersten Schritt herausfinden, ob es sich tatsächlich um eine Angststörung handelt. Denn: Auch körperliche Erkrankungen, wie beispielsweise eine Schilddrüsenüberfunktion können Beschwerden wie Unruhe, Schlafstörungen und Herzrasen hervorrufen, die Angststörungen ähneln können [4,8]. Zu Benzodiazepinen raten Fachleute nur in Ausnahmefällen.

Mehr Informationen dazu, welche Angststörungen es gibt und wie sie behandelt werden, hat das Portal Gesundheit.gv.at. Verlässliche Informationen speziell zur generalisierten Angststörung bietet außerdem Gesundheitsinformation.de.

Weitere Informationen und Hilfen

Es gibt viele Aspekte, die bei der Bewältigung von Angstzuständen und Stress eine Rolle spielen. Hier sind einige zusätzliche Punkte, die hilfreich sein können:

  • Stress und Angst: Stress und Angst stehen in engem Zusammenhang. Alarmreaktionen bei zu viel Stress erklären (Erwartungsangst), was die allgemeine Anspannung erhöht. Hilflosigkeit im Umgang damit kann ebenfalls eine Rolle spielen.
  • Körperliche Reaktionen: Angst versetzt den Körper in Alarmbereitschaft, was zu körperlichen Reaktionen wie Herzklopfen, schnellerer Atmung und Schwitzen führt. Das vegetative Nervensystem steuert diese Reaktionen, oft ohne willentliches Zutun.
  • Medikamente: SSRI (Selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer) werden oft zur Behandlung von Angststörungen eingesetzt, können aber auch Nebenwirkungen haben. Benzodiazepine sollten nur in Ausnahmefällen verwendet werden.
  • Alternative Therapien: Neben Psychotherapie und Medikamenten können auch alternative Therapien wie Akupunktur, Entspannungsübungen und Naturprodukte wie Lavendelölkapseln eine unterstützende Rolle spielen.

Umgang mit Angst im Alltag

Es gibt verschiedene Strategien, um mit Angst im Alltag besser umzugehen:

  • Angst zulassen: Anstatt vor der Angst wegzulaufen, kann es hilfreich sein, sie zuzulassen und in den Schmerz hineinzufühlen.
  • Entspannungsübungen: Regelmäßige Entspannungsübungen können helfen, die Anspannung im Körper zu reduzieren.
  • Realitätsprüfung: Überprüfe die Realitätsgehalt deiner Ängste. Was ist das Schlimmste, was passieren kann? Wie wahrscheinlich ist es, dass es tatsächlich eintritt?
  • Sport und Bewegung: Körperliche Aktivität kann helfen, Stress abzubauen und die Stimmung zu verbessern.
  • Professionelle Hilfe: Scheue dich nicht, professionelle Hilfe in Anspruch zu nehmen, wenn du mit deiner Angst nicht mehr alleine zurechtkommst.

Referenzen

  1. Lee, J., et al. (2020). Effects of Passiflora incarnata Linnaeus on polysomnographic sleep parameters in subjects with insomnia disorder: a double-blind randomized placebo-controlled study. International clinical psychopharmacology 35(1): 29‐35.
  2. da Cunha RS, et al. (2021). Herbal medicines as anxiolytics prior to third molar surgical extraction. A randomized controlled clinical trial. Clin Oral Investig.;25(3):1579-1586.
  3. Aslanargun, P., et al. (2012). Passiflora incarnata Linneaus as an anxiolytic before spinal anesthesia. Journal of anesthesia 26(1): 39‐44.
  4. Movafegh, A et al. (2008). Preoperative Oral Passiflora Incarnata Reduces Anxiety in Ambulatory Surgery Patients: A Double-Blind, Placebo-Controlled Study. Anesthesia & Analgesia 106(6):p 1728-1732.
  5. Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (2021) Generalisierte Angststörung.
  6. Donelli et al. (2019) Effects of lavender on anxiety: A systematic review and meta-analysis,Phytomedicine, Volume 65, 2019.
  7. Gesundheit.gv.at (2021) Angststörung.

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