Das Asperger-Syndrom (Asperger-Autismus) gehört zu den autistischen Entwicklungsstörungen. Nicht immer besitzt es Krankheitswert und muss behandelt werden. Oft verspüren Betroffene aber einen großen Leidensdruck, der sich durch passende Therapieangebote günstig beeinflussen lässt.
Was ist das Asperger-Syndrom?
Das Asperger-Syndrom ist eine Form des Autismus-Spektrums. Es zeichnet sich durch Schwierigkeiten in der sozialen Interaktion und durch eingeschränkte, repetitive Verhaltensmuster und Interessen aus. Das Asperger-Syndrom wurde nach dem österreichischen Kinderarzt Hans Asperger benannt, der die Störung in den 1940er Jahren erstmals beschrieb.
Personen mit Asperger-Syndrom zeigen häufig eine normale bis überdurchschnittliche Intelligenz und haben in der Regel keine signifikanten Sprachverzögerungen, was sie von anderen Formen des Autismus unterscheidet. Betroffene haben jedoch Schwierigkeiten, soziale Signale angemessen zu interpretieren und darauf zu reagieren. Ihre Kommunikationsweise kann als ungewöhnlich direkt und oft wenig empathisch wahrgenommen werden.
Trotz ihrer Herausforderungen im sozialen Umgang können viele Menschen mit Asperger-Syndrom erfolgreich Beziehungen aufbauen und pflegen, wenn sie entsprechende Unterstützung erhalten.
Ursachen und Risikofaktoren
Es gibt verschiedene Formen der tiefgreifenden Entwicklungsstörung Autismus - Asperger-Syndrom (Asperger-Autismus) ist eine davon. Wodurch es verursacht wird, ist bislang nicht bekannt. Experten vermuten, dass das Zusammenspiel mehrerer Faktoren dafür verantwortlich ist, wenn jemand das Asperger-Syndrom entwickelt.
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So geht man davon aus, dass bei der Entstehung des Asperger-Syndroms genetische Faktoren mitspielen. Viele Betroffene haben nämlich nahe Verwandte mit Asperger-Autismus oder ähnlichen Verhaltensweisen. Mittlerweile kennt man mehrere genetische Veränderungen, die das Risiko erhöhen, eine autistische Störung wie das Asperger-Syndrom zu entwickeln.
Untersuchungen deuten darauf hin, dass auch ein höheres Alter des Vaters oder der Mutter die Wahrscheinlichkeit für Asperger-Autismus und andere Autismus-Spektrum-Störungen erhöht.
Erwiesene Risikofaktoren sind mütterliche Infektionen während der Schwangerschaft (wie Röteln). Möglicherweise erhöhen auch (starke) Frühgeburtlichkeit, mütterlicher Diabetes sowie Unterzucker und Lungenfunktionsprobleme bei Neugeborenen das Risiko für autistische Störungen wie das Asperger-Syndrom.
Als Risikofaktor diskutiert wird zudem die Einnahme bestimmter Medikamente während der Schwangerschaft. Im Verdacht stehen zum Beispiel Mittel gegen Epilepsie (Antiepileptika, besonders Valproat).
Darüber hinaus scheinen auch neurologische und biochemische Auffälligkeiten eine Rolle zu spielen. Dazu zählen etwa Unregelmäßigkeiten der elektrischen Hirnströme, Abweichungen im Aufbau verschiedener Hirnregionen sowie eine veränderte anteilige Zusammensetzung der Nervenbotenstoffe (Neurotransmitter).
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Eltern und Impfstoffe sind nicht schuld!
Die alte Hypothese, wonach autistische Störungen wie das Asperger-Syndrom auf eine fehlende Liebe der Eltern zurückzuführen sind, ist falsch. Die Art der Erziehung und die Bindung zu den Eltern erhöhen das Autismus-Risiko ebenfalls nicht. Das Gleiche gilt für Alkoholkonsum und eine starke psychosoziale Belastung der Mutter in der Schwangerschaft.
Ebenso fanden sich keine Belege für die These, Autismus werde durch Impfstoffe oder deren Konservierungsstoffe hervorgerufen.
Untersuchungen und Diagnose
Das Asperger-Syndrom lässt sich oft nur schwer von anderen Auffälligkeiten abgrenzen, etwa von tiefgreifenden Entwicklungsstörungen, Zwangsstörungen, zwanghaften Persönlichkeitsstörungen, schizotypen oder schizophrenen Störungen. Für die Diagnosestellung ist daher eine ausführliche ärztliche Untersuchung notwendig.
Für das Asperger-Syndrom bei Kindern ist ein Arzt für Kinder- und Jugendpsychiatrie zuständig. Der Experte für Asperger-Syndrom bei Erwachsenen ist ein Facharzt für Psychiatrie oder Psychotherapie.
Zu einer ausführlichen Untersuchung bei Verdacht auf Asperger-Syndrom gehören:
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- Gespräch mit Patient und Angehörigen
- Informationen über frühere oder aktuelle Erkrankungen
- Berichte und Befunde anderer Ärzte
- Informationen von anderen Personen, die den Patienten kennen (Lehrer, Freunde, Erzieher, Therapeuten etc.)
- gründliche körperliche, psychiatrische, neurologische und labormedizinische Untersuchungen
Im Gespräch und während der Untersuchungen achtet der Arzt beim Patienten auf typische Anzeichen für Asperger-Autismus. So spielen Kinder mit Asperger-Syndrom oft weniger fantasievoll als Gleichaltrige. Mimik und Sprachmelodie sind monoton, der Sprachstil geschliffen und ausgefeilt. Die Kinder können sehr detailliert von Erlebnissen erzählen, trennen dabei aber nicht das Wichtige vom Unwichtigen. Auf ein Lächeln oder emotionale Bemerkungen reagieren Kinder mit Asperger-Autismus seltener. Direkten Blickkontakt und auch Körperkontakt vermeiden sie oftmals.
Asperger-Syndrom-Test
Verschiedene Screening-Fragebögen und Beurteilungsskalen unterstützen die Diagnose Asperger-Syndrom. Für Kinder gibt es zum Beispiel die "Australian Scale for Asperger's Syndrome" (ASAS) und die "Autism Diagnostic Observation Schedule" (ADOS). Die ASAS ist ein Fragebogen, der für Kindern im Grundschulalter gedacht ist. Er dient der Erfassung von Verhaltensweisen und Fertigkeiten, die typisch für das Asperger-Syndrom in diesem Alter sind. Bei der ADOS dagegen werden verschiedene Situationen für das Kind geschaffen, die zu einer sozialen Interaktion auffordern. Der Beurteiler schätzt ein, inwieweit das Kind dieser Aufforderung nachkommt.
Bei Erwachsenen werden etwa der "Autismus Spektrum Quotient" (AQ), der "Adult Asperger Assessment" (AAA) und der "Empathie-Quotient" (EQ) herangezogen, um die Diagnose von Asperger-Syndrom zu unterstützen. Es handelt sich dabei um Selbstbeurteilungsinstrumente - der Betroffene füllt die Fragebögen also selbst aus. Es gibt aber auch Fremdbeurteilungsinstrumente wie die "Marburger Beurteilungsskala zum Asperger-Syndrom" (MBAS).
Wichtig: Jeder Asperger-Syndrom-Test dient nur einer Grobeinschätzung. Allein auf Basis des Testergebnisses kann keine Diagnose gestellt werden!
Diagnose bei Erwachsenen schwierig
Asperger-Syndrom bei Erwachsenen zu diagnostizieren ist viel schwieriger als bei Kindern. Die problematischen Verhaltensweisen sind nämlich im Kindesalter meist ausgeprägter und verändern sich oftmals mit dem Heranwachsen. Zudem können sich viele Betroffene an die Schwierigkeiten im Kindesalter nicht mehr erinnern.
Darüber hinaus entwickeln viele Erwachsene mit Asperger-Syndrom Bewältigungsstrategien, um so "normal" wie möglich zu erscheinen. Dadurch können sie oft ein unauffälliges Leben führen, einen Beruf ausüben sowie einen Partner und Kinder haben. Meist gehen sie dann nur wegen Folgeerkrankungen zum Arzt, etwa wegen Depressionen, Angst, Zwangs- oder Essstörungen. Bei guter Kenntnis der Symptome kann der Arzt aber auch dann das Asperger-Syndrom bei Erwachsenen als ursächliche Grunderkrankung diagnostizieren.
Die Einteilung in Asperger-Syndrom und andere Formen von Autismus wird es künftig nicht mehr geben: Die neue (11.) Version der Internationalen Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme (ICD) sieht nur noch den Oberbegriff "Autismus-Spektrum-Störungen" vor. Wann die ICD-11 die derzeitige Version ICD-10 (mit den Unterformen Asperger-Syndrom, Frühkindlicher Autismus etc.) endgültig ablösen wird, steht noch nicht fest.
Behandlung
Das Asperger-Syndrom lässt sich bislang nicht heilen. Man kann nur versuchen, die Betroffenen in ihrem Alltag mit der richtigen Förderung zu unterstützen und ihnen zum Beispiel bei der Verbesserung sozialer Kompetenzen zu helfen. Allerdings besitzt nicht jedes Asperger-Syndrom "Krankheitswert" und muss behandelt werden. Entscheidend hierfür sind das Ausmaß der Symptome und der Leidensdruck des Betroffenen.
Individueller Therapieplan
Die Asperger-Syndrom-Therapie setzt sich aus verschiedenen Bausteinen zusammen. Sie wird an die individuellen Bedürfnisse des Patienten angepasst. Eine Rolle spielen dabei vor allem das Alter des Betroffenen, der Schweregrad des Asperger-Autismus mit den individuellen Symptomen sowie eventuelle Begleiterkrankungen oder -störungen.
Allgemein anerkannt sind verhaltenstherapeutische Verfahren bei Asperger-Syndrom. Solche wurden vor allem für Kinder entwickelt. Ideal ist eine Frühförderung, also eine individuell angepasste Verhaltenstherapie schon in jungen Jahren.
Auch andere Therapiemaßnahmen können hilfreich sein, zum Beispiel das Trainieren sozialer und kommunikativer Fähigkeiten in der Gruppe. Die Betroffenen können dabei soziale Regeln trainieren, die Gesprächsführung üben und allgemein soziale Erfahrungen machen.
Gelegentlich können auch Verfahren wie Ergotherapie und Physiotherapie sinnvoll sein. Manche Eltern berichten auch, dass ihr Asperger-Syndrom-Kind von einer Reittherapie oder einer aktiven (eventuell unterstützten) Freizeitgestaltung profitiert. Letzteres kann zum Beispiel die Mitgliedschaft in einem Schachverein, Sporttraining, Musizieren oder Tanzen sein.
Eine Psychotherapie kann bei begleitenden Erkrankungen oder Störungen helfen, etwa bei Angst oder Zwangsstörung. Bei solchen Komorbiditäten kann manchmal auch die Gabe von Medikamenten angezeigt sein. Das können zum Beispiel antidepressive Wirkstoffe, Mittel gegen Hyperaktivität oder gegen Zwangshandlungen sein. Die Medikation muss aber immer Teil eines umfassenden Therapiekonzeptes sein.
Sonstige Maßnahmen
Für das Asperger-Syndrom und alle anderen autistischen Störungen gilt: Die Betroffenen brauchen ein überschaubares, vorhersagbares Umfeld, um sich sicher zu fühlen. Klare und bleibende Strukturen sowie Routinen im Alltagsleben sind deshalb wichtig.
Je älter ein Kind mit Asperger-Syndrom ist, desto wichtiger ist das Verstehen der eigenen Schwächen und Probleme: Das Kind sollte vom behandelnden Arzt oder Therapeuten über seine autistische Störung aufgeklärt werden (Psychoedukation).
Bei Jugendlichen und Erwachsenen mit Asperger-Syndrom ist auch die Berufsfindung oder berufliche Anpassung wichtig für den Therapieerfolg und die Lebensqualität. Berufe mit intensivem Sozialkontakt sind meist nicht ratsam. Angepasst an die individuellen Möglichkeiten lassen sich aber geeignete Berufe finden beziehungsweise die eigenen besonderen Fähigkeiten gezielt in einem Beruf einsetzen.
Krankheitsverlauf und Prognose
Es ist schwierig, vorherzusagen, wie sich das Asperger-Syndrom individuell entwickelt. Vorhandene Untersuchungen deuten darauf hin, dass die Erkrankung stabil verläuft. Bei den meisten Betroffen zeigen das Kontakt- und Sozialverhalten mit der Zeit eine leichte Verbesserung. Die grundlegenden Störungen bleiben aber erhalten. Manche Asperger-Autisten können kein eigenständiges Leben führen. Andere dagegen haben eine stabile Partnerschaft und einen Beruf, wo sie eventuell sogar ihr Spezialinteresse vorteilhaft einbringen können. Der Kontakt zu Kollegen bleibt aber mitunter schwierig.
Einen großen Einfluss auf die Prognose beim Asperger-Syndrom haben eventuelle Begleiterkrankungen oder -störungen. Sie können den weiteren Verlauf und die Entwicklungsmöglichkeiten des Betroffenen deutlich beeinträchtigen. Deshalb sollten sie frühzeitig und fachgerecht behandelt werden.
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