Melatonin bei Depressionen: Wirkung und Anwendung

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Melatonin ist ein körpereigenes Hormon, das den Tag-Nacht-Rhythmus steuert. Es wird umgangssprachlich auch als „Schlafhormon“ bezeichnet. Allerdings beeinflusst es nicht nur den Schlaf, sondern hat auch noch andere Funktionen im Körper.

Was ist Melatonin?

Melatonin ist ein Hormon, das in der Zirbeldrüse des Zwischenhirns gebildet wird. Die Herstellung des Hormons hängt davon ab, wie viel Licht auf unsere Augen trifft.

Natürlicherweise bildet der Körper Melatonin hauptsächlich in der Zirbeldrüse des Gehirns (Epiphyse). Geringe Mengen produzieren aber auch die Netzhaut des Auges und der Darm.

Wie viel Melatonin der Körper bildet und ausschüttet, hängt unter anderem von der Lichtintensität der Umgebung ab. Dunkelheit in der Nacht regt die Ausschüttung an. Tagsüber hingegen ist der Melatonin-Spiegel etwa drei- bis zwölfmal niedriger als nachts. Licht stoppt nämlich die Melatonin-Produktion.

Die körpereigene Melatonin-Produktion nimmt natürlicherweise mit zunehmendem Alter ab. Ein niedriger Melatonin-Spiegel beziehungsweise Melatonin-Mangel kann aber auch durch den übermäßigen Genuss koffeinhaltiger Getränke, Alkohol oder Nikotin bedingt sein.

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Sportliche Aktivität am Abend sowie dauerhafter Stress senken den Melatonin-Spiegel ebenfalls. Ein weiterer (sehr) seltener Grund ist ein Mangel an dem Nervenbotenstoff Serotonin.

Zudem können auch Medikamente den Melatonin-Spiegel senken, zum Beispiel Entzündungshemmer und Schmerzmittel aus der Gruppe der NSAR (wie Acetylsalicylsäure oder Ibuprofen) bei abendlicher Anwendung.

Umgekehrt kann ein (dauerhaft) erhöhter Melatonin-Spiegel die Folge langer Dunkelphasen in den Wintermonaten mit wenigen Sonnenstunden sein. Möglicherweise ist dieser Effekt am Phänomen des „Winterblues“ oder der „Winterdepression“ beteiligt, vermuten Experten.

Bestimmte Antidepressiva sowie Leberfunktionsstörungen können die Menge an Melatonin im Körper ebenfalls erhöhen.

Wie wirkt Melatonin?

Melatonin hat einen Einfluss auf den Schlaf-Wach-Rhythmus, indem es an die Melatonin-Rezeptoren 1 und 2 (MT1, MT2) bindet. Werden sie aktiviert, hat dies eine einschlaffördernde Wirkung. Die höchste Hormon-Konzentration liegt zwischen zwei und vier Uhr nachts vor, danach sinkt sie wieder.

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Eine weitere Eigenschaft des Melatonins ist sein anti-oxidativer Effekt.

Anwendungsgebiete von Melatonin

Ärzte verordnen Agomelatin bei erwachsenen Patienten mit schweren Depressionen, die über mindestens zwei Wochen bestehen. Mediziner sprechen auch von einer sogenannten Major Depression.

In der Schweiz erhalten Patienten, bei denen Agomelatin ausreichend gegen die Depression geholfen hat, den Wirkstoff zudem zur Erhaltungstherapie. Das bedeutet: Betroffene nehmen Agomelatin für weitere sechs bis zwölf Monate ein, um einen Rückfall in eine Depression zu verhindern.

Außerdem verordnen Ärzte in der Schweiz Agomelatin bei generalisierten Angststörungen bei Erwachsenen. Sprechen die Patienten gut auf die Behandlung an, sollten sie den Wirkstoff für mindestens sechs Monate weiter einnehmen, um einen Rückfall zu vermeiden.

Außerhalb der Zulassung (off-label) setzen Mediziner Agomelatin zur Behandlung von Schlafstörungen bei Erwachsenen ein.

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Verschreibungspflichtige Melatonin-Präparate

In Deutschland, Österreich und der Schweiz sind verschreibungspflichtige Melatonin-Präparate zum Schlafen für folgende Anwendungsgebiete (Indikationen) erhältlich:

  • Schlafstörungen bei Menschen ab 55 Jahren: Zur Verbesserung einer schlechten Schlafqualität kann ein Arzt Melatonin verschreiben, wenn die Schlafstörung keine körperliche oder psychiatrische Ursache hat (primäre Insomnie). Die Anwendung erfolgt nur kurzfristig.
  • Schlafstörungen bei Minderjährigen: Ein Melatonin-Medikament ist für die Behandlung von Schlafstörungen bei Kindern (ab zwei Jahren) und Jugendlichen zugelassen, die eine Autismus-Spektrum-Störung und/oder das Smith-Magenis-Syndrom (eine seltene Erbkrankheit) haben. Das Präparat darf verschrieben werden, wenn zuvor andere Maßnahmen zur Schlafhygiene nicht geholfen haben (z.B. regelmäßige Schlafenszeiten).
  • Jetlag: In Deutschland (nicht aber in Österreich und der Schweiz) ist auch ein rezeptpflichtiges Melatonin-Medikament zur kurzzeitigen Behandlung von Jetlag bei Erwachsenen zugelassen. Seit März 2022 ist es als Lifestyle-Arzneimittel eingestuft und damit nicht mehr erstattungsfähig.

Neben diesen verschreibungspflichtigen Melatonin-Tabletten bieten Apotheken in Deutschland und Österreich auch frei verkäufliche Melatonin-Präparate als Einschlafhilfe an (z.B. als Kapseln, Spray oder ebenfalls in Tabletten-Form). In der Schweiz sind Melatonin-haltige Nahrungsergänzungsmittel dagegen nicht erlaubt.

Studien zufolge soll äußerlich angewendetes Melatonin bei Haarausfall (Alopezie) helfen können, etwa bei anlagebedingtem oder diffusem Haarausfall bei Frauen.

Agomelatin

Agomelatin ist ein Antidepressivum. Es ist ähnlich aufgebaut wie das körpereigene Hormon Melatonin und hilft bei schweren Depressionen, Angst- und Schlafstörungen. Der Wirkstoff ist im Vergleich zu anderen Antidepressiva gut verträglich.

Wirkungsweise von Agomelatin

Agomelatin hilft gegen Depressionen und Angst. Zudem erleichtert er das Einschlafen.

Agomelatin hemmt die Rezeptoren des körpereigenen Botenstoffs Serotonin, die sogenannten 5HT2-Rezeptoren. Infolgedessen setzt der Körper vermehrt die Botenstoffe Dopamin und Noradrenalin im Gehirn frei. So kann der Wirkstoff einen gestörten Dopamin- und Noradrenalin-Stoffwechsel im Gehirn verbessern, der möglicherweise mitverantwortlich für depressive Erkrankungen ist.

Auch bei Angststörungen vermuten Mediziner ein solches Ungleichgewicht der Nervenbotenstoffe. Agomelatin gleicht die Schwankungen der Botenstoffe im Gehirn wieder aus und wirkt so antidepressiv und angstlösend.

Agomelatin hat einen ähnlichen Aufbau wie das körpereigene Hormon Melatonin und kann daher an dessen Bindungsstellen andocken (MT1- und MT2-Rezeptoren). Im Vergleich zu Melatonin ist Agomelatin aber stabiler. So wirkt es länger an den Bindungsstellen als das Hormon selbst:

Die MT1- und MT2-Rezeptoren befinden sich unter anderem im sogenannten Nucleus suprachiasmaticus. Dieser Teil des Gehirns reguliert den Tagesrhythmus (circadianen Rhythmus) und ist bei Depressionen oft außer Balance. Durch Andocken an die Melatonin-Rezeptoren ahmt Agomelatin die Wirkung des Hormons nach. Auf diese Weise verkürzt es die Einschlafzeit, verbessert die Schlafqualität und bringt den gestörten Tagesrhythmus wieder ins Gleichgewicht.

Es ist wichtig, dass Patienten das Medikament regelmäßig über einen ausreichend langen Zeitraum einnehmen, um beschwerdefrei zu sein.

Anwendung von Agomelatin

In der Regel nehmen Patienten 25 Milligramm Agomelatin pro Tag zu sich. Sie schlucken die Tabletten abends kurz vor dem Schlafengehen mit etwas Flüssigkeit, zum Beispiel einem halben Glas Wasser. Bessern sich die Beschwerden nach zwei Wochen nicht, erhöht der Arzt die Tagesdosis auf 50 Milligramm Agomelatin.

Bei Patienten mit einer generalisierten Angststörung verordnen Schweizer Ärzte in der Regel 25 Milligramm Agomelatin pro Tag. Tritt nach vier Wochen keine Besserung ein, erhöhen sie die Dosis auf 50 Milligramm pro Tag. Patienten nehmen die gesamte Dosis einmal täglich abends ein.

Üblicherweise nehmen Patienten Agomelatin für mindestens sechs Monate ein. Empfiehlt der Arzt die Therapie zu beenden, kann das Medikament abgesetzt werden. Die Agomelatin-Dosierung muss nicht langsam reduziert werden.

Informieren Sie Ihren Arzt, falls Sie zuvor andere Medikamente gegen Depressionen eingenommen haben und er nicht darüber Bescheid weiß. Nach dem Wechsel von bestimmten Antidepressiva (selektive-Serotonin-Wiederaufnahmehemmer, SSRI oder Serotonin-Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer, SNRI) auf Agomelatin, treten womöglich Absetzsymptome auf. Gegebenenfalls reduziert der Arzt die Dosis des SSRI bzw. SNRI schrittweise, während die Agomelatin-Therapie startet.

Wann sollte man Agomelatin nicht anwenden?

Demenz-Patienten sowie Patienten, die überempfindlich auf den Wirkstoff oder einen anderen Bestandteil des Medikaments reagieren, dürfen Agomelatin-Arzneimittel nicht einnehmen.

Das Antibiotikum Ciprofloxacin sowie das Antidepressivum Fluvoxamin hemmen das Enzym, das Agomelatin abbaut. Patienten dürfen dann Agomelatin nicht anwenden.

Der Wirkstoff schädigt möglicherweise die Leber. Leiden Betroffene bereits unter Lebererkrankungen und starken Leberfunktionsstörungen, dürfen sie Agomelatin nicht anwenden. Auch bei erhöhten Leberwerten (Transaminase-Werte wie zum Beispiel GPT) ist die Anwendung von Agomelatin zu vermeiden. Üblicherweise gilt: Überschreiten die gemessenen Leberwerte die Normalwerte um mehr als das Dreifache, darf Agomelatin nicht angewendet werden.

In bestimmten Fällen verordnen Mediziner den Wirkstoff nur in Ausnahmefällen, so zum Beispiel bei:

  • Diabetes mellitus (Zuckerkrankheit)
  • Übergewicht
  • Nicht-alkoholisch bedingter Fettleber
  • Alkoholmissbrauch oder häufigem Alkoholgenuss
  • Bipolaren Störungen

Wechselwirkungen von Melatonin

Vor der Einnahme von Melatonin-Präparaten sollten Sie mit Ihrer Ärztin oder Ihrem Arzt Rücksprache halten. Melatonin kann nämlich in Wechselwirkung mit anderen Arzneistoffen treten. In der Folge kann sich die Wirkung von Melatonin oder jene der anderen Arzneistoffe verringern oder verstärken. Eventuell treten auch vermehrt Nebenwirkungen auf.

Hier eine Übersicht über Wirkstoffe, die nicht und nur mit Vorsicht gleichzeitig mit Melatonin eingenommen werden sollten:

  • Fluvoxamin und Imipramin (Mittel gegen Depression)
  • Benzodiazepine (Schlafmittel wie Diazepam und Lorazepam)
  • Z-Drugs (Schlafmittel wie Zolpidem und Zopiclon)
  • Thioridazin (Mittel gegen Psychosen)
  • Methoxypsoralen (zur Phototherapie bei Psoriasis)
  • Cimetidin (Mittel gegen Sodbrennen)
  • Östrogene (z.B. in hormonellen Verhütungsmitteln oder Hormonersatzpräparaten)
  • Chinolon-Antibiotika (wie Ciprofloxacin)
  • Rifampicin (Antibiotikum)
  • Carbamazepin (Mittel gegen Epilepsie)

Außerdem sollten Sie die Einnahme von Melatonin nicht mit Alkohol kombinieren. Bier, Wein & Co. können nämlich die Wirksamkeit von Melatonin auf den Schlaf verringern.

Diese Liste ist nur eine Auswahl. Es sind auch Wechselwirkungen mit anderen Wirkstoffen (zumindest) denkbar. Halten Sie daher vor der Einnahme von Melatonin-Präparaten idealerweise Rücksprache mit Ihrem Arzt/Ihrer Ärztin.

Wechselwirkungen von Agomelatin

Die Leber baut Agomelatin über sogenannte CYP-Enzyme ab. Manche Medikamente hemmen diese Enzyme (CYP-Inhibitoren). Auf diese Weise verlangsamen sie den Abbau von Agomelatin - sein Blutspiegel steigt. Infolgedessen nehmen Wirkungen und Nebenwirkungen zu.

Das Antidepressivum Fluvoxamin und das Antibiotikum Ciprofloxacin sind Beispiele für starke CYP-Inhibitoren. Auch Östrogene, wie sie zum Beispiel in oralen Verhütungsmitteln (Verhütungspille) enthalten sind, hemmen möglicherweise den Abbau von Agomelatin.

Umgekehrt aktivieren manche Wirkstoffe die CYP-Enzyme und beschleunigen so den Abbau von Agomelatin. Zu diesen Wirkstoffen gehört zum Beispiel das Antibiotikum Rifampicin (v.a. zur Behandlung von Tuberkulose eingesetzt). Als Folge reicht die eingenommene Dosis Agomelatin womöglich nicht mehr aus, um die zu behandelnden Beschwerden ausreichend zu lindern.

Zigarettenrauch kann die CYP-Enzyme ebenfalls aktivieren und so die Wirksamkeit von Agomelatin verringern. Insbesondere bei starken Rauchern (über 15 Zigaretten pro Tag) erhöht sich das Risiko für einen beschleunigten Abbau von Agomelatin.

Teilen Sie Ihrem Arzt und Apotheker alle weiteren Arznei- und Nahrungsergänzungsmittel mit, die Sie einnehmen. Dazu gehören auch pflanzliche sowie rezeptfreie Präparate.

Melatonin in der Schwangerschaft und Stillzeit

Es ist noch nicht hinreichend bekannt, welche Auswirkung Melatonin-Tabletten in der Schwangerschaft auf das ungeborene Kind haben könnten. Untersuchungen an Tieren zufolge kann das Hormon über die Plazenta zum Ungeborenen gelangen. Vorsichtshalber raten Experten Schwangeren von einer Melatonin-Anwendung ab.

Natürliches Melatonin kann in die Muttermilch übertreten. Das gilt wahrscheinlich auch für von außen zugeführtes Melatonin. Über die Muttermilch kann das Hormon in den Körper des Babys gelangen. Die möglichen Auswirkungen sind bislang nicht bekannt. Von einer gleichzeitigen Melatonin-Einnahme und Stillen raten Experten vorsichtshalber ab.

Agomelatin bei Kindern und Jugendlichen

Agomelatin darf nicht zur Behandlung von Kindern und Jugendlichen eingesetzt werden. Es liegen zu wenige Daten zur sicheren Anwendung bei dieser Patientengruppe vor.

Die Anwendung von Agomelatin in der Schwangerschaft und Stillzeit ist nur wenig untersucht. Schwangere und Stillende sollten Agomelatin vermeiden. Ist eine Anwendung in der Stillzeit medizinisch notwendig, entscheidet der behandelnde Arzt, ob die Frau das Stillen unterbrechen muss.

Nebenwirkungen von Melatonin und Agomelatin

Häufige Nebenwirkungen betreffen die Leber. Deshalb überprüfen Mediziner während der Behandlung regelmäßig die Leberfunktion.

Bis die stimmungsaufhellende (antidepressive) Wirkung von Agomelatin eintritt, dauert es in der Regel einige Tage bis Wochen. In dieser Zeit steigt womöglich das Risiko für suizidale Gedanken. Ärzte achten deshalb zu Beginn der Therapie besonders darauf, ob sich die Depression des Patienten verschlechtert.

Patienten klagen auch oft über Kopf- und Rückenschmerzen, sind müde oder ihnen ist schwindlig. Zudem können sie schlechter schlafen, entwickeln oft Ängste oder haben Albträume. Gelegentlich sehen sie verschwommen oder hören ein Rauschen oder Klingeln in den Ohren. Mediziner sprechen hier von einem Tinnitus.

Insbesondere zu Beginn der Agomelatin-Therapie treten diese Nebenwirkungen auf. Zudem reagieren Patienten unterschiedlich stark auf den Wirkstoff. Vermeiden Sie es, Maschinen zu bedienen oder Auto zu fahren, bis keine beeinträchtigenden Beschwerden (wie Schwindel) mehr auftreten.

Häufige Nebenwirkungen des Magen-Darm-Trakts sind Bauchschmerzen, Übelkeit, Durchfall oder Verstopfung. Oft verändert sich das Gewicht des Patienten: Meist beobachtet man eine Gewichtszunahme. Selten tritt während der Behandlung mit Agomelatin eine Gewichtsabnahme auf.

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