Der Geruch von Desinfektionsmittel allein kann ausreichen, um Personen mit Spritzenphobie zum Flüchten zu bringen. Ist dem nicht so, beginnt der Wunsch zur Flucht spätestens beim Anblick von Spritzen oder Nadeln. Bei manchen löst auch Blut, der Anblick von Adern, eine Berührung der Armbeuge oder die Wahrnehmung des eigenen oder eines fremden Herzschlages Angst und Ekel aus.
Die Spritzenphobie ist mit Blick auf die Entwicklung des Menschen in der Geschichte nicht sinnlos: Unser Gehirn ist darauf angelegt, unser Überleben zu sichern und somit Verletzungen und Blutverlust zu vermeiden. Ist eine Verletzung geschehen, kontert der Körper mit einem Überlebenstrick: der Ohnmacht. Dabei wird der Blutdruck gesenkt, der Puls verlangsamt und der Blutverlust dadurch minimiert.
Bei Blutabnahmen in der heutigen Zeit ist diese Schutzmaßnahme natürlich übertrieben, da wir keine lebensgefährlichen Verletzungen erleiden. Und doch reagieren manche automatisch so, als wäre ihr Leben in Gefahr.
Definition: Trypanophobie
Spritzenangst, auch als Trypanophobie bezeichnet, ist eine spezifische Phobie, die sich auf Angst vor Spritzen und Injektionen bezieht. Personen, die an Spritzenphobie leiden, haben eine übermäßige und unangemessene Angst vor Situationen, die mit Spritzen und Injektionen zusammenhängen, wie z.B. dem Anblick von Nadeln, dem Gedanken an Schmerzen, dem gefühlten Kontrollverlust oder dem Gedanken an eine mögliche Körperverletzung.
Symptome der Spritzenangst
Die Symptome von Spritzenangst können sehr unterschiedlich sein und reichen von leichtem Unwohlsein bis hin zu Panikattacken. Typische Symptome sind Herzklopfen, Schwitzen, Zittern, Übelkeit, Atemnot, Schwindel, Überforderung und Unruhe. Die Angst vor Spritzen kann sich sowohl auf medizinische Behandlungen als auch auf Impfungen beziehen und kann negative Auswirkungen auf die Gesundheit haben, da notwendige medizinische Behandlungen und Impfungen oft vermieden werden.
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In der ICD-10 (Internationale Klassifikation von Krankheiten) wird die Spritzenangst den spezifischen Phobien zugeordnet. Weiterhin wird unterschieden zwischen:
- Trypanophobie, der Angst vor Injektionen
- Belonophobie, der Angst vor der Spritzennadeln
- Aichmophobie, der Angst vor spitzen Gegenständen
- Vaccinophobie, der Angst vor der Impfung
Im weiteren Verlauf dieses Beitrages wird der Einfachheit halber des Überbegriffs „Spritzenangst“ verwendet.
Die Ausprägung der Spritzenangst kann sehr unterschiedlich sein. Manche Menschen haben nur ein leicht flaues Gefühl im Magen, wenn sie eine Spritze sehen, während sie sich die Angst bei anderen Betroffenen bis hin zu einer Ohnmacht steigern kann. Die Ursache dahinter ist die vasovagale Reaktion. So wird ein Reflex bezeichnet, der auftritt, wenn der Körper bei dem Anblick der Nadel oder des Blutes überreagiert. Es werden Nerven im Gehirn stimuliert, die den Herzschlag verlangsamen und den Blutdruck schnell absenken lassen.
Problematisch kann diese Form der Angst dann werden, wenn sie ein Gesundheitsrisiko darstellt. Es kommt regelmäßig vor, dass Patienten aufgrund ihrer Angst vor Spritzen den Besuch beim Arzt vermeiden, nicht zum Zahnarzt gehen oder auch Operationen aufschieben.
Wie entsteht eine Spritzenphobie?
Die genauen Ursachen von Spritzenphobie sind unklar, aber es wird angenommen, dass sowohl biologische als auch psychologische und soziale Faktoren eine Rolle spielen. Einige Faktoren, die zur Entstehung von Spritzenangst beitragen können, sind:
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- Biologische Faktoren: Einige Studien haben gezeigt, dass Menschen mit Spritzenangst möglicherweise eine erhöhte Aktivität in dem Bereich des Gehirns haben, der für Angst und Angstreaktionen verantwortlich ist. Eine erhöhte Empfindlichkeit gegenüber bestimmten Neurotransmittern, die Angstzustände regulieren, kann ebenfalls Einfluss auf die Entstehung haben.
- Erblichkeit: Spritzenphobie scheint in manchen Familien häufiger vorzukommen, was auf eine genetische Komponente hindeutet.
- Erfahrungen: Negative Erfahrungen, wie Schmerzen oder bei einer Injektion oder Spritze festgehalten worden zu sein, können dazu führen, dass eine Person Angst vor Spritzen entwickelt.
- Medien: Negative Berichterstattung über Probleme oder Komplikationen im Zusammenhang mit Injektionen oder Spritzen kann dazu beitragen, dass Menschen Angst vor Spritzen entwickeln.
- Persönliche Einstellung: Eine generelle Angst vor dem Unbekannten oder vor Kontrollverlust kann dazu beitragen, dass eine Person Angst vor Spritzen entwickelt.
Es ist wichtig zu betonen, dass die Entstehung von Trypanophobie durch die Interaktion mehrerer Faktoren bestimmt wird und es für jeden Menschen unterschiedliche Gründe geben kann. Ohne einer Behandlung wird die Angst meist schlimmer und die Einschränkungen im Leben größer.
Was kann man gegen Spritzenangst tun?
Die psychologische Behandlung einer Spritzenphobie zielt darauf ab, die automatische Angstreaktion wieder zu verlernen. Die wissenschaftlich und medizinisch anerkannte S3 Leitlinie stellt dabei die Grundlage für unsere evidenzbasierte psychologische Therapie und Vorgehensweise dar. Dazu muss das Gehirn erfahren, dass wir die angstbesetzte Situation überleben „können“. Wir müssen uns der Angst also stellen - langsam und Schritt für Schritt.
Als Vorbereitung dafür möchten wir Ihnen die Grundlagen der Entstehung und Aufrechterhaltung einer Angststörung näherbringen. Wie funktioniert sie? Warum kommt und geht sie wieder? Warum kommt sie manchmal und manchmal nicht?
Gemeinsam ermitteln wir die Einflussfaktoren, die an der Angst beteiligt sind. Das ist wichtig, um den nachhaltigen Erfolg der Behandlung zu sichern. Die Angst zu verstehen, bedeutet gleichzeitig sie beherrschen zu können. Denn wie so häufig: Wissen ist Macht und genau die möchten wir in Ihre Hände übergeben.
Passende Entspannungsmethoden werden erlernt, um für den „Ernstfall“ vorbereitet zu sein. Denn sobald wir die körperliche Angstreaktion im Griff haben, fällt es bedeutend leichter sich auf die nächsten Schritte einzulassen.
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Hierbei wählen wir individuelle Techniken, also jene mit der größtmöglichen Wirksamkeit für Sie. Manche mögen körperliche Entspannungstechniken lieber, andere fühlen sich bei mentalen Techniken besser aufgehoben.
Gemeinsam erarbeiten wir schließlich ausgewählte Konfrontationsmöglichkeiten und begleiten Sie durch jede einzelne. Mit jeder erfolgreichen Konfrontation warnt uns das Gehirn etwas weniger, bis hin zu einem angstfreien Erleben der gefürchteten Situation. Zu Beginn klingt das wie eine unmögliche Aufgabe, doch dafür sind wir da.
Und noch eine gute Nachricht: Angst ist die am meisten erforschte psychische Störung und seit Jahrzehnten erzielen nachweislich hilfreiche Behandlungsformen große Erfolge.
Nach diesen Behandlungsformen arbeiten auch wir: auf Basis wissenschaftlicher Erkenntnisse, lösungs- und zielorientiert!
Therapeutische Ansätze
Therapeutisch bewährt haben sich Expositionsverfahren innerhalb der kognitiven Verhaltenstherapie. Das VR-Szenario zur Spritzenphobie im VR Coach smart system ermöglicht eine kontrollierte, realitätsnahe und schrittweise Konfrontation - angepasst an das individuelle Belastungsniveau der Patient:innen.
Die Szene beginnt in einem neutralen Behandlungsraum. Patient:innen bewegen sich zum Behandlungsstuhl. Die weiteren Schritte werden aktiv durch Therapeut:innen gesteuert:
- Die Ärztin kann per Knopfdruck erscheinen.
- Ein männlicher oder weiblicher Oberkörper wird eingeblendet, um einen sichtbaren Arm für die Blutabnahme oder Injektion zu simulieren.
- Die Ärztin nähert sich dem Patienten und führt auf Wunsch eine Blutabnahme oder Injektion durch.
- Zusätzlich können Patienten zu Beginn die Spritze betrachten und in die Hand nehmen - aus nächster Nähe und ohne Zeitdruck.
Diese graduell anpassbare Expositionstherapie bietet eine differenzierte therapeutische Begleitung. Die Therapie der Spritzenphobie stellt Kliniken und Praxen häufig vor die Herausforderung, eine realistische, aber zugleich kontrollierbare Konfrontation zu schaffen. Mit dem VR Coach Szenario wird genau diese Lücke geschlossen: Die immersive Technologie ermöglicht eine sichere, stufenweise Annäherung an die angstauslösende Situation - ohne reale Nadel, aber mit hoher therapeutischer Wirksamkeit.
Durch die interaktive Steuerung durch Therapeut:innen bleiben Behandelnde jederzeit in der aktiven Rolle.
Weitere Strategien zur Bewältigung von Spritzenangst
Neben den genannten Therapieansätzen gibt es noch weitere Strategien, die Betroffenen helfen können, ihre Angst vor Spritzen zu bewältigen:
- Oberflächenbetäubung: Die bedeutendste Nadelphobiebehandlung ist die Oberflächenbetäubung, die verhindert, dass der Patient das Eindringen der Nadel spürt.
- Hypnosetherapie: Für zahlreiche Nadelphobiker ist allerdings eine Psychotherapie oder Hypnosetherapie der erste Schritt zur Eliminierung der Nadelphobie.
- Ablenkung: Während des Impfens beruhigt sie ihre Patienten zudem, indem sie sie ablenkt, sich mit ihnen unterhält. Ein mitgebrachtes Lieblingsbuch oder -Stofftier kann für Ablenkung sorgen.
- Belohnung: Kindern könnte man eine kleine Belohnung versprechen.
- Unterstützung: Wer Angst vorm Termin hätte, soll zudem "eine liebe Person mitnehmen, ob das die Mama ist, die Schwester, der Freund, der Mann, die Frau, die dürfen bei mir dann gerne auch mit ins Impfzimmer und mit meinem Patienten plaudern, ihn ablenken."
- Information und Kommunikation: Davon Betroffenen kann es helfen, vorher vertraulich mit dem Arzt genau über diese Befürchtungen zu sprechen. Es kann auch beruhigen, wenn sie deutlich machen, dass sie viel Erfahrung und Gelassenheit mitbringen. "Man sollte die Patienten abholen und deren Ängste ernstnehmen", sagt Maaß.
- Angewandte Anspannung: Praktisch können Betroffene die sogenannte angewandte Anspannung durchführen, und zwar vor dem Setzen der Spritze, währenddessen und auch eine Zeit danach. Dazu werden pumpend-rhythmisch die Muskeln des nicht-injizierten Armes und der Beine angespannt, so Maaß. So fällt der Blutdruck durch den Muskeldruck auf die Gefäße oft nicht so heftig ab, sodass eine Ohnmacht ausbleibt.
Es gibt keine „Universalmethode“ bezüglich der Nadelphobie. Die Wahl der geeigneten Strategie hängt von der individuellen Situation und der Art der Angst ab.
Spritzenangst bei Kindern
Furcht vor Spritzen hat ein Großteil der Kinder, doch verringert sich dieses ungute Gefühl und verschwindet oft sogar ganz, wenn die Kinder älter werden. Eine starke Angst bzw. Phobie zeigen etwa 19% der Vier- bis Sechsjährigen, während dies nur noch für 11% der Zehn- bis Elfjährigen zutrifft, so ein weiteres Ergebnis der finnischen Arbeit.
Eltern können ihren Kindern helfen, indem sie:
- eine positive Einstellung zu Impfungen vermitteln.
- die Anwesenheit der Eltern während der Impfung ermöglichen.
- einige Wochen vor dem Impftermin das Thema „Impfungen“ ansprechen.
- die Ängste der Kinder ernst nehmen und ehrlich beantworten.
- den Kindern verdeutlichen, wie wichtig Impfungen sind und dass sie sie davor bewahren, krank zu werden.
- den Kindern eine gewisse Kontrolle über die Situation geben, z.B. die Wahl der Seite für die Spritze oder ob sie hinsehen wollen oder nicht.
Ein mitgebrachtes Lieblingsbuch oder -Stofftier kann für Ablenkung sorgen.
Die Angst vor der Spritze ist mit zahlreichen Risiken verbunden
Es hält Menschen davon ab einen Zahnarzt in Ungarn aufzusuchen. "Man darf diese Angst deshalb wirklich nicht unterschätzen", so Retscher. Es handle sich dabei nicht um diffuse, unspezifische Ängste, sondern um eine Phobie.
Wie stark ist die Angst ausgeprägt?
Auch gibt es Unterschiede in den Ausprägungsgraden. Wenn schon die Vorstellung einer Impfung bei der Person Schweißausbrüche, Herzrasen und Panik auslöst, dann würde sie erst gar nicht beim Arzt sitzen, so Retscher. Die Phobie kann in diesem Fall ärztlich therapiert werden, etwa in einem Phobiezentrum, wo man sich direkt damit auseinandersetzt und sich langsam an die Spritze herantastet. Zum Beispiel zuerst nur über Bilder davon, dann mit Hilfe von über die 3D-Brille projizierten virtuellen Spritzen (>>> Mehr dazu). In der Verhaltenstherapie lernen Betroffene Strategien kennen, wie sie besser mit ihrer Angst umgehen können, etwa mit Atem- oder Entspannungstechniken.
"Das Problem ist, dass viele Menschen sie einfach hinnehmen, weil sie den Alltag nicht so massiv einschränkt, wie es etwa Platzangst tut oder die Angst, vor vielen Menschen zu sprechen oder die Angst, eingeschlossen zu werden. Deswegen leben viele Menschen mit Angst vor Spritzen - scheuen sich aber vor wichtigen Arztterminen."
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