ADHS (Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung) und Autismus-Spektrum-Störung (ASS) sind neurologische Entwicklungsstörungen, die oft gemeinsam auftreten und ähnliche Symptome aufweisen können. Es ist jedoch wichtig, die Unterschiede zwischen diesen beiden Zuständen zu verstehen, um eine genaue Diagnose und angemessene Unterstützung zu gewährleisten.
Was ist ADHS?
Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung (ADHS) ist eine neurobiologische Störung, die sich durch Symptome von Unaufmerksamkeit, Hyperaktivität und Impulsivität äußert. Menschen mit ADHS können Schwierigkeiten haben, sich zu konzentrieren, Aufgaben zu organisieren und Impulse zu kontrollieren. Diese Symptome können sowohl das tägliche Leben als auch die soziale und berufliche Integration beeinflussen.
ADHS wird in verschiedene Subtypen unterteilt, je nachdem, ob Unaufmerksamkeit, Hyperaktivität-Impulsivität oder eine Kombination beider Hauptsymptome vorherrscht. Eine gezielte Unterstützung hilft dabei, die Symptome zu managen und die Lebensqualität zu verbessern.
ADHS-Typen
Die Symptome von ADHS können unterschiedlich stark ausgeprägt sein. Es treten auch nicht immer alle Anzeichen bei einem Patienten auf. Insgesamt gibt es drei Untergruppen von ADHS:
- Vorwiegend hyperaktiv-impulsiver Typ: "Zappelphilipp"
- Vorwiegend aufmerksamkeitsgestörter Typ: "Hans-guck-in-die-Luft" oder "Träumsuse" (Aufmerksamkeits-Defizit-Typ, ADS)
- Mischtyp: aufmerksamkeitsgestört und hyperaktiv
Was ist Autismus?
Autismus-Spektrum-Störung (ASS) ist eine komplexe Entwicklungsstörung, die sich auf die sozialen Interaktionen, die Kommunikation, die Emotionswahrnehmung und das Verhalten auswirkt. Die Symptome können sehr unterschiedlich sein und variieren stark in ihrer Intensität. Einige Menschen mit Autismus haben Schwierigkeiten in sozialen Interaktionen, da es ihnen schwer fällt die Emotionen anderer wahrzunehmen und einzuordnen und darauf zu reagieren. Einige haben auch spezielle Spezialinteressen. Wiederholende Verhaltensweisen (z. B. Stimming) sind ebenfalls häufig.
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Viele Erwachsene mit Autismus, insbesondere solche mit einer späten Diagnose, berichten von Schwierigkeiten in sozialen Beziehungen und im Berufsleben. Eine frühzeitige Diagnose ist entscheidend, um gezielte Unterstützung anzubieten.
Autismus ist ein Sammelbegriff für verschiedene tiefgreifende Entwicklungsstörungen - die genaue Bezeichnung lautet Autismus-Spektrum-Störungen (ASS). Darunter fallen drei verschiedene Hauptformen von Autismus:
Die Einteilung in diese Unterformen von Autismus wird es künftig nicht mehr geben: Die neue (11.) Version der Internationalen Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme (ICD) sieht nur noch den Oberbegriff "Autismus-Spektrum-Störungen" vor. Wann die ICD-11 die derzeitige Version ICD-10 (mit den Unterformen Frühkindlicher Autismus etc.) endgültig ablösen wird, steht noch nicht fest.
ADHS und Autismus: Überlappende und Unterscheidende Symptome
ADHS und Autismus können ähnliche Symptome aufweisen, was die Diagnose erschweren kann. Einige der überlappenden Symptome sind:
- Schwierigkeiten mit der Aufmerksamkeit und Konzentration
- Impulsivität
- Schwierigkeiten in sozialen Situationen
- Sensorische Empfindlichkeiten
Trotz dieser Überlappungen gibt es auch deutliche Unterschiede zwischen ADHS und Autismus:
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- Soziale Interaktion: Menschen mit Autismus haben oft Schwierigkeiten, soziale Signale zu verstehen und angemessen zu reagieren, während Menschen mit ADHS eher impulsiv in sozialen Situationen handeln.
- Wiederholende Verhaltensweisen: Wiederholende Verhaltensweisen und spezielle Interessen sind typischer für Autismus als für ADHS.
- Emotionale Wahrnehmung: Menschen mit Autismus können Schwierigkeiten haben, die Emotionen anderer zu erkennen und zu interpretieren, während Menschen mit ADHS oft sehr stark ausgeprägte Emotionen haben und ein besonderes Gespür für Gefühlszustände von anderen Personen zeigen.
Zusammenfassend kann man sagen, dass Kinder und Jugendliche mit ADHS als auch jene mit Autismus Umweltreize sehr intensiv wahrnehmen. Ein Bereich, in dem sie sich jedoch stark unterscheiden, sind Gefühle: was bei Autismus zu wenig vorhanden ist (Einfühlungsvermögen in die Emotionen anderer Personen), ist bei ADHS oft sehr stark ausgeprägt. Beides kann zu Überforderungen in sozialen Situationen führen.
ADHS-Symptome nach Altersgruppen
ADHS gilt als angeborene Störung, die sich schon vor dem sechsten Lebensjahr bemerkbar macht. Oft bleibt sie ein Leben lang bestehen. Die ADHS-Symptome äußern sich allerdings bei Säuglingen, Kleinkindern, Jugendlichen und Erwachsenen unterschiedlich.
ADHS-Symptome im Kleinkindalter
Auch bei Kleinkindern ist ADHS nur schwer zu erkennen. Ein ADHS-Kleinkind schreit in der Regel sehr viel, hat keine Lust zu spielen und nur eine geringe Fähigkeit zur Aufmerksamkeit. Typische ADHS-Symptome sind in diesem Alter ausgeprägte motorische Unruhe und Rastlosigkeit.
- Soziale Probleme: ADHS belastet das Kind und seine Eltern oft gleichermaßen. Betroffene Kinder finden durch ihr störendes Verhalten nur schlecht Anschluss. Sie haben Probleme, sich mit anderen Kindern anzufreunden.
- Schlechte Konzentrationsfähigkeit: Kleinkinder mit ADHS haben große Schwierigkeiten, sich längere Zeit auf eine ruhige Aktivität zu konzentrieren. Nach kurzer Zeit wechseln sie von einem Spiel zum nächsten. Eine Folge ihres unberechenbaren Verhaltens können auch häufigere Unfälle sein.
- Ausgeprägte Trotzphase: Auch die Trotzphase verläuft bei ADHS-Kindern heftiger als bei anderen Kindern. Die Betroffenen platzen oft mitten in Gespräche hinein. Manche strapazieren auch die Geduld ihrer Eltern, indem sie ständig Geräusche produzieren.
- Auffälliger Spracherwerb: Der Spracherwerb bei Kleinkindern mit ADHS geschieht entweder auffallend früh oder aber verzögert.
- Mangelnde Bewegungskoordination: Der Umgang mit Bastelwerkzeugen ist für viele Kinder mit ADHS aufgrund ihrer mangelnden fein- und grobmotorischen Koordination schwierig.
ADHS-Symptome im Grundschulalter
Zu den häufigsten ADHS-Symptomen in diesem Alter zählen:
- geringe Frustrationstoleranz und Wutanfälle, wenn Dinge nicht nach dem eigenen Willen laufen
- unpassende Mimik und Gestik
- Übermäßig vieles Sprechen und anderen ins Wort Fallen
- Ungeschicklichkeit und häufige Unfälle beim Spielen
- geringes Selbstbewusstsein
- kann sich schwer an Regeln halten (in der Schule gelten betroffene Kinder daher oft als "Nervensägen" und "Spielverderber")
- langsames und unsystematisches Aufgabenlösen
- schnell Ablenkbarkeit
- Lese-Rechtschreib- oder Rechenschwäche
- oft schlecht leserliche Schrift und chaotisches Ordnungsverhalten
Alle diese Symptome machen Grundschulkinder mit ADHS oft zu Außenseitern. Für die Lehrer sind ADHS-Anzeichen wie das Stören im Unterricht und die starke Ablenkbarkeit eine Herausforderung. Nicht jedes betroffene Kind zappelt ständig, aber alle Kinder mit dem ADHS-Syndrom fallen aus dem Rahmen.
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ADHS-Symptome im Jugendalter
Jugendliche mit ADHS sind weiterhin unaufmerksam und entwickeln oft eine „Null-Bock-Mentalität“. Sie verweigern erforderliche Leistungen und flüchten sich in eine aggressive Anti-Haltung. Bis zu einem gewissen Grad sind solche Verhaltensweisen in der Pubertät zwar ohnehin nicht unüblich, bei ADHS sind diese jedoch deutlich ausgeprägter.
Darüber hinaus neigen Jugendliche mit ADHS zu risikoreichem Verhalten und fühlen sich häufig zu sozialen Randgruppen hingezogen. Oft spielen dabei Alkohol und Drogen eine Rolle. Viele leiden unter einem geringen Selbstbewusstsein, manche erleben starke Ängste und auch Depressionen.
Es gibt aber auch Jugendliche, bei denen sich die Symptome verbessern - Unruhe und Impulsivität nehmen ab.
ADHS-Symptome bei Erwachsenen
Die überschießende Motorik verliert sich ab der Pubertät meist. Hyperaktivität spielt bei ADHS im Erwachsenenalter also im Allgemeinen nur noch eine untergeordnete Rolle. Deshalb spricht man hier oft nur von ADS (Aufmerkamskeitsdefizit-Störung).
Im Vordergrund steht nun meist Schusseligkeit, Vergesslichkeit oder Unorganisiertheit. Auch Symptome wie impulsives Verhalten und unüberlegte Handlungen sind weiterhin vorhanden.
Problematisch ist, dass ADHS im Erwachsenenalter häufig nicht erkannt wird. Die Symptome bestehen dann schon so lange, dass sie als Teil der Persönlichkeit wahrgenommen werden.
Wird die Störung aber nicht behandelt, kann das für die Betroffenen gravierende Auswirkungen auf soziale Kontakte, berufliche Laufbahn und die Lebenszufriedenheit haben. Durch ihre Impulsivität und unüberlegtes Handeln gehen sie oft unnötige Risiken ein und schaden sich selbst.
Häufig entwickeln sich zusätzliche psychische Erkrankungen wie zum Beispiel Depressionen, Angststörungen, Substanzmissbrauch oder Suchterkrankungen.
Gelingt es ihnen, den ADHS-typischen Ideenreichtum zu steuern und zu nutzen, können Erwachsene mit ADHS im Leben aber auch ausgesprochen erfolgreich sein.
Autismus-Formen
Das Erscheinungsbild bei Autismus ist je nach Form und Schweregrad der Störung individuell sehr unterschiedlich. Manche Betroffene entwickeln nur einen leichten Autismus, der ihr Alltagsleben nur wenig beeinflusst. Andere sind schwer behindert.
Unter anderem sind Intelligenz und Sprachfähigkeiten sehr unterschiedlich ausgeprägt: Der größere Teil der Autisten ist geistig eingeschränkt. Es gibt aber auch normal und sogar hochbegabte Betroffene. Teilweise gehen die verschiedenen Autismusformen auch fließend ineinander über.
Frühkindlicher Autismus
Die drei wichtigsten bei frühkindlichem Autismus betroffenen Bereiche sind:
- Soziale Interaktion
- Eine qualitative Beeinträchtigung der sozialen Interaktion zeigt sich manchmal schon in den ersten Lebensmonaten durch fehlende Kontaktaufnahme zu den Eltern, insbesondere zur Mutter. Viele Kinder mit frühkindlichem Autismus strecken der Mutter nicht die Arme entgegen, um hochgehoben zu werden. Sie lächeln nicht zurück, wenn sie angelächelt werden, und nehmen zu den Eltern keinen angemessenen Blickkontakt auf.
- Kinder mit frühkindlichem Autismus zeigen zudem eine starke Objektbezogenheit, die häufig auf eine bestimmte Art von Gegenständen beschränkt ist. Ihre Aufmerksamkeit ist auf wenige Dinge, wie Wasserhähne, Türklinken, Fugen zwischen Steinplatten oder kariertes Papier gerichtet, die sie sehr stark anziehen, so dass alles andere sekundär wird und nicht oder kaum beachtet wird.
- Etwa jedes zweite Kind mit frühkindlichem Autismus entwickelt keine Lautsprache. Bei den anderen verzögert sich die Sprachentwicklung. Die Entwicklung der Lautsprache erfolgt oft über eine lange Phase der Echolalie, manche der betroffenen Personen kommen über diese Phase nicht hinaus.
- Die Probleme in der Kommunikation äußern sich in schwieriger Kontaktaufnahme zur Außenwelt und zu anderen Menschen. Manche Autisten scheinen die Außenwelt kaum wahrzunehmen und teilen sich ihrer Umwelt auf ihre ganz individuelle Art mit. Deshalb wurden autistische Kinder früher auch Muschelkinder oder Igelkinder genannt.
- Veränderungen ihrer Umwelt (wie zum Beispiel umgestellte Möbel oder ein anderer Schulweg) beunruhigen und verunsichern manche autistische Menschen. Manchmal geraten Betroffene auch in Panik, wenn sich Gegenstände nicht mehr an ihrem gewöhnlichen Platz oder in einer bestimmten Anordnung befinden, oder es bringt sie ein unangekündigter Besuch oder spontaner Ortswechsel völlig aus der Fassung.
- Handlungen laufen meist ritualisiert ab, und Abweichungen von diesen Ritualen führen zu Chaos im Kopf, denn autistische Menschen haben bei unerwarteten Veränderungen von Situationen oder Abläufen in der Regel keine alternativen Strategien.
Atypischer Autismus
Atypischer Autismus unterscheidet sich vom frühkindlichen Autismus dadurch, dass Kinder nach dem dritten Lebensjahr autistisches Verhalten zeigen (atypisches Erkrankungsalter) oder nicht alle Symptome aufweisen (atypische Symptomatik).
Autistische Kinder mit atypischem Erkrankungsalter zeigen bei den Symptomen das Vollbild des frühkindlichen Autismus, der sich bei ihnen aber erst nach dem dritten Lebensjahr manifestiert.
Autistische Kinder mit atypischer Symptomatik legen Auffälligkeiten an den Tag, die für den frühkindlichen Autismus typisch sind, jedoch die Diagnosekriterien des frühkindlichen Autismus nicht vollständig erfüllen. Dabei können sich die Symptome sowohl vor als auch nach dem dritten Lebensjahr manifestieren.
Asperger-Syndrom
Im Mittelpunkt des Asperger-Syndroms stehen Schwierigkeiten im Umgang mit anderen Menschen. Anders als beim frühkindlichen Autismus verlaufen die intellektuelle und sprachliche Entwicklung in der Regel unauffällig.
Wird das Asperger-Syndrom frühzeitig erkannt, kann durch Fördermaßnahmen und Behandlung die Entwicklung deutlich unterstützt werden. Mögliche Folgeprobleme wie soziale Isolation, Belastung durch Mobbing oder Verhaltensauffälligkeiten können so deutlich reduziert werden.
Diagnose
Die Diagnose von ADHS und Autismus erfordert eine umfassende Beurteilung durch Fachleute. Der Prozess kann Folgendes umfassen:
- Klinische Interviews
- Verhaltensbeobachtungen
- Standardisierte Fragebögen und Tests
- Informationen von Eltern, Lehrern und anderen Bezugspersonen
Es ist wichtig, eine genaue Diagnose zu stellen, um sicherzustellen, dass die Betroffenen die richtige Unterstützung und Behandlung erhalten.
Behandlung
Die Behandlung von ADHS und Autismus ist individuell und kann Folgendes umfassen:
- Verhaltenstherapie
- Medikamente (bei ADHS)
- Ergotherapie
- Logopädie
- Soziale Kompetenztrainings
- Unterstützung für Familien und Bezugspersonen
Das Ziel der Behandlung ist es, die Symptome zu managen, die Lebensqualität zu verbessern und die Betroffenen in ihrer Entwicklung zu unterstützen.
Neurodiversität
Das Konzept der Neurodiversität betrachtet neurologische Unterschiede wie ADHS und Autismus als natürliche Variationen der menschlichen Gehirnfunktionen und -prozesse. Diese Perspektive erkennt an, dass neurologische Unterschiede nicht unbedingt Defizite darstellen, sondern Teil der Vielfalt menschlichen Erlebens sind.
Das Konzept der Neurodiversität entstand aus dem „Autism Rights Movement“ und wurde bereits vor etwa 25 Jahren geprägt. In Analogie zum Konzept der Biodiversität werden Menschen hier als natürlich unterschiedlich in ihrem kognitiven Set-up und ihren kognitiven Prozessen betrachtet, beispielsweise in den Bereichen Aufmerksamkeit, Lernen, Sensibilität und Stimmungsregulation sowie bei sozialen Kognitionen und Fertigkeiten.
Während das Konzept nicht unangefochten ist und es keinesfalls dazu verleiten sollte, das Leiden junger Betroffener zu relativieren, wirkt es oft bei der Suche nach einer Identität entstigmatisierend und identitätsstiftend.
Psychotherapie mit neurodivergenten Menschen
Wichtige Elemente einer Psychotherapie mit neurodivergenten Menschen:
- Autismus-Spektrum-Störung (ASS)
- Individuelle Anpassung der Therapieansätze an spezifische Bedürfnisse
- Unterstützung bei sozialen Interaktionen und Kommunikationsfähigkeiten
- Umgang mit sensorischen Überempfindlichkeiten und Überlastungen Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung (ADHS)
- Strategien zur Verbesserung der Konzentration und Selbstregulation
- Unterstützung bei der Organisation und Strukturierung des Alltags
- Umgang mit Impulsivität und emotionaler Reaktivität Allgemeine Ansätze in der neurodivergenten Psychotherapie
- Einsatz von integrativen und anpassungsfähigen Therapiemethoden
- Unterstützung bei der Entwicklung von Selbstakzeptanz und Resilienz
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