Zwangsstörungen sind durch Zwangsgedanken oder Zwangshandlungen gekennzeichnet, die von Betroffenen ständig wiederholt werden müssen. Die Zwangsstörung (englisch obsessive-compulsive disorder bzw. OCD) gehört zu den psychischen Verhaltensstörungen. Zwei bis drei Prozent der Bevölkerung, also etwa 200.000 Österreicherinnen und Österreicher, erkranken einmal in ihrem Leben an einer Zwangsstörung. Dazu zählen Zwangshandlungen und Zwangsgedanken.
Was sind Zwangsstörungen?
Die Störung zeichnet sich durch wiederkehrende Zwangsgedanken und Zwangshandlungen aus. Dabei erleben Betroffene einen intensiven inneren Drang, bestimmte Gedanken wiederholt zu denken oder Handlungen immer wieder auszuführen. Die Betroffenen versuchen immer wieder gegen diesen Zwang anzukämpfen, können ihm willentlich jedoch meist nichts entgegensetzen. Die Zwänge werden als belastend wahrgenommen und sind in der Regel stark angstbesetzt. Wenn Zwangshandlungen unterdrückt werden, intensiviert sich die Angst massiv.
Sie können in jedem Alter auftreten, beginnen meist jedoch im Alter von 20 Jahren. Selten tritt die Störung nach 30 auf. Bei einem Drittel der Betroffenen tritt eine Zwangsstörung bereits in der Pubertät auf. Es wird davon ausgegangen, dass verschiedene Faktoren bei der Entstehung von Zwangserkrankungen eine Rolle spielen. Persönlichkeitsfaktoren können ebenso bestimmte Zwänge verursachen.
Bei einer Zwangsstörung kommt es zu zwanghaften Handlungen oder Gedanken, die Betroffene regelmäßig ausführen müssen. Es gibt verschiedene Formen von Zwangsstörungen. Bei Zwangsgedanken kommt es zu zwanghaften Gedanken, Vorstellungen oder Impulsen, die wiederholt und gegen den Willen der Betroffenen auftreten und sich nur schwer unterdrücken lassen. Am häufigsten Betreffen die Zwangsgedanken die Angst vor Schmutz oder Krankheitserregern (Kontamination) oder drohenden Gefahren.
Zwangshandlungen sind bestimmte zwanghafte Tätigkeiten, die ständig wiederholt werden müssen. Dabei entstehen häufig Rituale, welche Betroffene wiederholt nach dem gleichen Ablaufschema ausführen müssen. Oft werden diese Handlungen von starken Ängsten oder (Sicherheits-)Bedürfnissen begleitet. Manche Menschen verspüren einen starken Drang, bestimmte Dinge in großen Mengen zu sammeln. Beispielsweise können Betroffene immer wieder neue Schuhe kaufen, selbst wenn sie bereits viele in ihrem Schrank haben.
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Zwangsphänomene (Zwänge) können auch im Kleinkindalter und Jugendalter auftreten. Zwänge bei Kindern können von normalen, entwicklungsbedingten Verhaltensweisen bis zu schweren Zwangsstörungen reichen. Es ist wichtig, bei auffälligem Verhalten professionelle Hilfe zu suchen, um festzustellen, ob es sich um normale Entwicklungsphasen handelt oder eine psychotherapeutische Behandlung notwendig ist.
- 8. Kontrollzwänge zählen zu den häufigsten Zwangshandlungen.
- Die zweithäufigsten Zwangshandlungen sind Wasch- und Reinigungszwänge.
Ursachen und Diagnose
Es wird in Fachkreisen angenommen, dass Zwangsstörungen unterschiedliche Ursachen haben. Diese können auch zusammenwirken. Zum Beispiel eine erbliche Veranlagung, psychische Belastungen oder schwierige Lebensumstände bzw. Krisen. Auch Persönlichkeitsfaktoren können eine Rolle spielen (z.B. besonders gewissenhaft sein). Forschungsergebnisse deuten darauf hin, dass es bei einer Zwangsstörung zu Funktionsstörungen in manchen Teilen des Gehirns kommen kann (Frontalhirn, Basalganglien und limbisches System). Zudem dürfte es zu Störungen im Gehirnstoffwechsel bei dem Botenstoff Serotonin kommen.
Im Rahmen des Diagnoseprozesses werden zu Beginn die Krankengeschichte (Anamnese) und relevante Informationen zu den Beschwerden und der Lebensgeschichte erhoben, einschließlich belastender Krisen, anderer Erkrankungen und Medikamenteneinnahmen. Eine klinisch-psychologische Diagnostik ist ebenfalls von Bedeutung. Zusätzlich können Zwangsstörungen gemeinsam mit anderen psychischen Erkrankungen auftreten, beispielsweise Depressionen im Erwachsenenalter, Angststörungen, Essstörungen oder Schizophrenie. In Ausnahmefällen kann das zwanghafte Verhalten auf eine Persönlichkeitsstörung zurückgeführt werden, wie etwa die Zwanghafte Persönlichkeitsstörung.
Behandlung von Zwangsstörungen
Die Therapie von Zwangsstörungen zielt darauf ab, die Symptome zu verbessern und einen unbeschwerten Alltag für Betroffene zu ermöglichen. Psychotherapie oder klinisch psychologische Behandlung bietet die Möglichkeit, über Probleme, Ängste und Sorgen zu sprechen. Betroffene lernen, mit der Erkrankung besser umzugehen und ihr eigenes Verhalten zu kontrollieren.
Medikamente, wie sogenannte Antidepressiva, werden oft ergänzend zur Psychotherapie eingesetzt, insbesondere selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (SSRI) wie auch Clomipramin. Selbsthilfegruppe: Viele Betroffene nehmen als Ergänzung zum professionellen Gesundheitswesen (Therapie, Kliniken, Ärzt:innen) Selbsthilfegruppen in Anspruch. Stationärer Krankenhausaufenthalt/Rehabilitation: In Fällen, in denen die Erkrankung besonders stark ausgeprägt ist, kann auch ein stationärer Krankenhausaufenthalt oder eine Rehabilitation in Betracht gezogen werden.
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Medikamentöse Therapie
Als wirksame Medikamente zur Behandlung von Zwangsstörungen haben sich die so genannten selektiven Serotonin-Wiederaufnahme-Hemmer, kurz SSRIs erwiesen. Etwa 90 Prozent aller von einer Zwangserkrankung Betroffenen profitieren von einer Behandlung mit SSRIs - ihre Zwangssymptomatik reduziert sich in der Regel um bis zu 50 Prozent.
Antidepressiva sind Medikamente, die zur Behandlung einer Depression eingesetzt werden. Einige Antidepressiva haben auch eine angstlösende Wirkung und werden daher bei Angst- oder Zwangsstörungen angewandt. Antidepressiva werden anhand ihres Wirkprinzips eingeteilt:
- Klassische Antidepressiva Sie hemmen die Wiederaufnahme von Serotonin, Noradrenalin und Dopamin.
- Trizyklische Antidepressiva Monoamin-Wiederaufnahme-Hemmer (MRI): Amitriptylin Monoaminoxidase-Hemmer (MAO): Moclobemid Tetrazyklische Antidepressiva: Mianserin
- Neuere Antidepressiva Sie hemmen hauptsächlich die Wiederaufnahme von Noradrenalin oder Serotonin.
Fluoxetin
Fluoxetin ist ein Wirkstoff aus der Gruppe der Selektiven-Serotonin-Wiederaufnahme-Hemmer (SSRI) mit antidepressiven (stimmungsaufhellenden) Eigenschaften. Als Antidepressivum greift Fluoxetin direkt in den Hirnstoffwechsel ein.
Im Gehirn übermitteln Botenstoffe, sogenannte Neurotransmitter, Signale zwischen den einzelnen Nervenzellen: Nach Ausschüttung aus einer Nervenzelle docken die Botenstoffe an Bindungsstellen (Rezeptoren) der Nachbarzelle an und übermitteln so ein Signal. Zum Beenden des Signals werden die Botenstoffe wieder in die Ursprungszelle aufgenommen.
An diesem Punkt setzt Fluoxetin an. Es verhindert, dass das bereits ausgeschüttete Serotonin wieder in die Zelle aufgenommen wird. Hierdurch kann der Botenstoff länger seine stimmungsaufhellende und angstlindernde Wirkung an den Zielzellen entfalten. Darüber hinaus konnte unlängst an bestimmten Rezeptoren gezeigt werden, dass Fluoxetin auch direkt an die Zielzelle binden und die gleiche Wirkung wie Serotonin vermitteln kann.
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Die gewünschte antidepressive Wirkung durch Fluoxetin stellt sich etwa ein bis zwei Wochen nach Therapiebeginn ein.
Anwendungsgebiete von Fluoxetin:
- Depressive Störungen (Episoden einer Major Depression)
- Zwangsstörungen
- Bulimie ("Ess-Brech-Sucht")
Im letzteren Fall muss der Patient zusätzlich eine psychotherapeutische Beratung erhalten. Meist ist eine solche auch bei den anderen Anwendungsgebieten sinnvoll.
Fluoxetin wird ausschließlich zur Einnahme angeboten, meist als Tablette oder Hartkapsel, gelegentlich auch als Lösung zum Trinken oder Tabletten zum Zubereiten einer Trinklösung. Meist wird eine einmal tägliche Einnahme morgens empfohlen. Bei hohen Dosierungen oder Magenunverträglichkeit kann die Tagesdosis aufgeteilt und über den Tag verteilt eingenommen werden.
Weil das Antidepressivum eine besonders lange Wirk- und Verweildauer im Körper hat, muss bei der Therapie besonders auf Nebenwirkungen geachtet werden. Denn die Wirkung von Fluoxetin kann auch nach Absetzen des Medikaments noch mehrere Tage lang andauern.
Häufig treten unter Fluoxetin Störungen des Magen-Darm-Traktes (Übelkeit, Erbrechen, Durchfall), zentralnervöse Beschwerden (Kopfschmerzen, Schwindel, Zittern, Müdigkeit) und andere Symptome (Schwitzen, Juckreiz, Hitzewallungen, Brustschmerzen) auf. Besonders männliche Patienten sollten zudem auf die mögliche Störung der Sexualfunktion hingewiesen werden.
Bei jedem zehnten bis hundertsten Patienten kann Fluoxetin Gewichtsabnahme, Blutdruckerhöhung und Sehstörungen auslösen. Außerdem kann sich der Herzrhythmus verändern: Das sogenannte QT-Intervall im EKG kann sich verlängern, was besonders dann zu beachten ist, wenn der Patient noch weitere Medikamente einnimmt.
Gerade zu Beginn einer Therapie mit Fluoxetin können auch psychische Probleme auftreten. Dazu zählen zum Beispiel Angst, innere Unruhe, Denkstörungen wie eine Verlangsamung der Gedankengänge oder ständiges Grübeln, Schlafprobleme und Stimmungsschwankungen. Aber auch Suizidgedanken oder gar Selbstmord-Versuche wurden berichtet. Deshalb überwachen Ärzte Patienten in den ersten Wochen einer Behandlung genau.
Fluoxetin darf nicht eingenommen werden bei:
- bekannter Überempfindlichkeit gegenüber dem Wirkstoff
- gleichzeitiger Einnahme von irreversiblen Monoaminooxidase-Hemmern (MAO-Hemmern - bei Depression und Parkinson)
- gleichzeitiger Einnahme von Metoprolol (z.B. bei Bluthochdruck, Koronare Herzkrankheit)
Sollen neben Fluoxetin noch andere zentralwirksame (also im Gehirn wirkende) Medikamente eingenommen werden, sollte dies zuvor mit einem Arzt oder Apotheker besprochen werden.
Das gilt besonders für weitere Antidepressiva und Präparate, die direkt auf das Serotonin-System wirken, wie Tryptophan, Tramadol und Migräne-Mittel (Triptane wie Sumatriptan, die teils auch rezeptfrei erhältlich sind). In Kombination mit Fluoxetin kann es nämlich zum sogenannten "Serotonin-Syndrom" kommen, das sofortiger ärztlicher Behandlung bedarf!
Darüber hinaus sollte während der Therapie mit Fluoxetin Alkohol gemieden werden, um die Leber (zentrales Entgiftungsorgan) nicht zusätzlich zu belasten.
Clomipramin
Clomipramin ist ein Wirkstoff aus der Klasse der trizyklischen Antidepressiva. Es wird zur Behandlung von Depressionen, Zwangsstörungen, Phobien, Panikstörungen, chronischen Schmerzzuständen und anderen Erkrankungen eingesetzt.
Clomipramin interagiert mit zahlreichen Andockstellen (Rezeptoren) von Nervenbotenstoffen (Neurotransmittern). Das erklärt sein stimmungsaufhellende, antiobsessive und schmerzstillende Wirkung.
Hier setzt Clomipramin an. Es verhindert, dass Botenstoffe wie Serotonin und Noradrenalin wieder in die Ursprungsnervenzelle aufgenommen werden, wodurch sie länger ihre Wirkung entfalten.
Anwendungsgebiete (Indikationen) von Clomipramin:
- Depression
- Zwangsstörungen, Phobien und Panikstörungen
- Kataplexie (plötzlicher Verlust der Muskelspannung) bei Narkolepsie
- Hypnagogene Halluzinationen (Halluzinationen beim Einschlafen) bei Narkolepsie
- Schlaflähmung
- langfristige Schmerzbehandlung im Rahmen eines therapeutischen Gesamtkonzepts
- Enuresis nocturna (Bettnässen) bei Kindern nach dem 5. Lebensjahr (Deutschland) bzw. nach dem 6. Lebensjahr (Schweiz) im Rahmen eines therapeutischen Gesamtkonzepts nach Ausschluss organischer Ursachen
Clomipramin wird als Tablette oder Retardtablette (Tablette mit verzögerter Wirkstofffreisetzung) angewendet. Die Dosierung richtet sich vor allem nach Art und Schwere der zu behandelnden Erkrankung und danach, wie der Patient auf das Medikament anspricht.
Die Behandlung wird einschleichend begonnen, also mit einer niedrigeren Dosis, die dann langsam gesteigert wird, bis der gewünschte Behandlungseffekt auftritt. Diese Wirkstoffmenge wird dann als Erhaltungsdosis beibehalten.
Sehr häufige Nebenwirkungen sind Benommenheit, Müdigkeit, innere Unruhe, Schwindel, Kopfschmerzen, Zittern (Tremor), schnelle, unwillkürliche Muskelzuckungen (Myoklonien), Schwitzen, Mundtrockenheit, Verstopfung, Übelkeit, gesteigerter Appetit, Gewichtszunahme, Blasenentleerungsstörungen, sexuelle Funktionsstörungen, verschwommenes Sehen und Anpassungsschwierigkeiten des Auges.
In folgenden Fällen darf man Clomipramin nicht einnehmen:
- Überempfindlichkeit gegen den Wirkstoff oder einen anderen Bestandteil des Medikaments
- akutes Delir
- akuter Harnverhalt
- unbehandeltes Engwinkelglaukom (Form von Grünem Star)
- Prostatavergrößerung mit Restharnbildung
- Pylorusstenose (Verengung des Magenausgangs)
- paralytischer Ileus (Darmverschluss durch Darmlähmung)
- gleichzeitige Behandlung mit Monoaminooxidase-Hemmern (MAO-Hemmern; Mittel gegen Depressionen und Parkinson)
- angeborenes QT-Syndrom (Verlängerung des QT-Intervalls - eines Abschnitts des EKG)
Clomipramin kann mit verschiedenen anderen Wirkstoffen in Wechselwirkung treten. So müssen zum Beispiel irreversible MAO-Hemmer (Mittel gegen Depressionen und Parkinson) mindestens 14 Tage vor dem Beginn der Behandlung mit Clomipramin abgesetzt werden.
Unterstützung für Angehörige
Die Interaktion mit Menschen, die an einer Zwangsstörung leiden, kann für Angehörige mitunter herausfordernd sein und zu Konfliktsituationen führen. Es gibt auch spezielle Selbsthilfegruppen für Angehörige, in denen Erfahrungen ausgetauscht werden können.
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