Die Aufmerksamkeitsdefizit- und Hyperaktivitätsstörung (ADHS) ist eine der häufigsten psychiatrischen Störungen im Kindes- und Jugendalter. Sie bessert sich meist mit dem Älterwerden, kann jedoch auch bis ins Erwachsenenalter andauern.
Was ist ADHS?
ADHS ist die Abkürzung für den Begriff Aufmerksamkeitsdefizit- und Hyperaktivitätsstörung und ist wohl die häufigste psychiatrische Störung im Kindes- und Jugendalter. ADHS äußert sich durch Unaufmerksamkeit, Impulsivität oder Hyperaktivität. Von ADS (Aufmerksamkeitsdefizitsyndrom) spricht man, wenn Betroffene sehr unaufmerksam sind, jedoch nicht hyperaktiv.
Die Klassifikation von ADHS nach der Weltgesundheitsorganisation (WHO) ist in einem Manual verzeichnet (International Classification of Diseases, ICD-10 genannt). Laut ICD-10 ist die hyperkinetische Störung charakterisiert durch einen frühen Beginn, sowie durch die Kombination von hoher Ablenkbarkeit bzw. dem Mangel an Ausdauer bei Aufgabenstellungen, wenig angepasstem, überaktivem Verhalten, durch die mangelnde Fähigkeit Reaktionen zurückzuhalten sowie durch das häufige Wechseln von Tätigkeiten. In der Diagnostik wird sie in drei Bereiche, die Beeinträchtigungen zeigen müssen, eingeteilt: Aufmerksamkeitsstörung, hyperaktives und impulsives Verhalten.
Die Symptomatik muss vor dem siebten Lebensjahr auftreten und zum Zeitpunkt der Diagnose müssen die Symptome seit mindestens sechs Monaten bestehen, ein unangemessenes Ausmaß annehmen und sie dürfen mit dem Entwicklungsstand des Kindes nicht vereinbar sein. Weiter wird verlangt, dass die Symptome situationsübergreifend beobachtbar sind.
Drei Typen von ADHS
Hier wird mittlerweile zwischen 3 Formen unterschieden:
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- Vorwiegend unaufmerksamer Typ (ADHS-I, früher auch „ADS“): Dieser Typ wird oft mit einer „stillen“ Form von ADHS assoziiert, bei der die Hyperaktivität fehlt oder kaum ausgeprägt ist.
- Vorwiegend hyperaktiv-impulsiver Typ (ADHS-H): Diese Form zeichnet sich durch eine starke Ausprägung der Hyperaktivität und Impulsivität aus, während Aufmerksamkeitsprobleme weniger im Vordergrund stehen.
- Kombinierter Typ (ADHS-C): Diese Form umfasst sowohl die Symptome des unaufmerksamen als auch des hyperaktiv-impulsiven Typs.
Ursachen von ADHS
Wie bei den meisten psychischen Störungen ist die ADHS nicht einer Ursache eindeutig zuordenbar. Da wir in der klinischen Psychologie immer von einem biopsychosozialen Modell ausgehen, gibt es auch unterschiedliche Bedingungen, die zur Entstehung einer ADHS beitragen können.
Die Ursachen von ADHS sind vielschichtig. Genetische Veranlagungen haben einen Einfluss, auch das familiäre Umfeld und die Erziehungsbedingungen spielen eine wichtige Rolle. Warum manche Kinder ADHS entwickeln, ist bislang nicht genau geklärt. Fest steht, dass das Erbgut einen großen Einfluss hat. Zudem können Schwangerschafts- und Geburtskomplikationen sowie Umweltfaktoren eine Rolle spielen.
Genetische Ursachen
Forscher gehen davon aus, dass die Gene einen Anteil von 70 Prozent an der Entstehung von ADHS haben. In vielen Fällen leiden Eltern, Geschwister oder andere Verwandte ebenfalls an ADHS. Das Risiko für ADHS ist vor allem für Jungen deutlich erhöht, wenn ein Elternteil an der Störung leidet.
Neurobiologische Faktoren
Der entscheidende Mechanismus bei der Entstehung von ADHS sind hirnorganische Veränderungen. Wissenschaftler vermuten vor allem Fehlfunktionen im Gehirn als Ursache von ADHS. Bestimmte Regionen sind zu wenig aktiv - sie liegen in einer Art "Dornröschenschlaf". Dazu gehören die Frontallappen sowie bestimmte Areale der Basalganglien und das Kleinhirn.
Diese Gehirnabschnitte sind für Aufmerksamkeit, Ausführung und Planung, Konzentration und Wahrnehmung verantwortlich. Bei ADHS ist in diesen Hirnregionen die Konzentration spezieller Botenstoffe zu gering, die zur Kommunikation der Nervenzellen nötig sind. Dazu gehören Serotonin, das die Impulskontrolle regelt, sowie Noradrenalin und Dopamin, die wichtig für Aufmerksamkeit, Antrieb und Motivation sind.
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Fehlende Filter
Bei ADHS/ADS-Kindern filtert das Gehirn unwichtige Informationen nur unzureichend heraus. Das Gehirn der Betroffenen ist dann mit zu vielen unterschiedlichen Reizen gleichzeitig konfrontiert und damit überfordert. Die Betroffenen können sich deshalb nur schwer konzentrieren. Die ungefilterte Informationsflut macht sie unruhig und angespannt.
Umwelteinflüsse
Auch Umweltgifte und Nahrungsmittelallergien stehen im Verdacht, ADHS und ADS mit zu verursachen. Alkohol und Drogen während der Schwangerschaft sowie ein Sauerstoffmangel bei der Geburt, Frühgeburt und ein geringes Geburtsgewicht erhöhen ebenfalls das Risiko eines Kindes, an ADHS zu erkranken.
Die äußeren Umstände, unter denen ein Kind aufwächst, können den Verlauf der Störung beeinflussen. Beispiele für ungünstige Bedingungen sind:
- wenig emotionale Zuwendung
- extreme Vernachlässigung
- Unterbringung in Heimen
- beengte Wohnverhältnisse
- ständiges Streiten der Eltern
- unvollständige Familie, d.h. Aufwachsen mit nur einem Elternteil oder ganz ohne Eltern
- psychische Erkrankungen der Eltern
- negatives Erziehungsverhalten der Eltern, besonders der Mutter
- Lärm
- fehlende oder nicht durchschaubare Strukturen
- Bewegungsmangel
- Zeitdruck
- hoher Medienkonsum
Pränatale Einflüsse
Schwangerschafts- und Geburtskomplikationen, erniedrigtes Geburtsgewicht, toxische Expositionen durch Nikotin oder Alkohol sowie ungünstige psychosoziale Bedingungen während der Schwangerschaft sind Risikofaktoren für die Entwicklung von ADHS.
Psychosoziale Faktoren
Psychosoziale Faktoren, wie ungünstige familiäre Bedingungen und negative Interaktionsmuster, beeinflussen das Verhalten des hyperaktiven Kindes. Familiäre Faktoren haben einen Einfluss auf die Stärke, die Dauer und auf mögliche Sekundärfolgen von ADHS.
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Weitere mit ADHS verbundene Symptome bzw. Merkmale von ADHS sind:
- Konzentrationsstörungen
- Konzentrationsschwäche
- Verhaltensstörungen
- Wahrnehmungsstörungen
- Probleme mit der Grobmotorik sowie der Feinmotorik
- Hyperaktivität
- Fehlende Impulskontrolle
- Schlechte Körperkoordination
- Ungeschicklichkeit
- Schulprobleme, Lernprobleme
Dazu kommt, dass viele Kinder mit ADHS einen schwachen Muskeltonus haben und damit verbunden eine vornübergebeugte Körperhaltung. Diese Situation führt zu Flachatmigkeit und nicht ausreichender Aktivierung des Neokortex. Kinder mit diesen Themen können ein hyperaktives oder auch ein hypoaktives Verhalten zeigen bzw. können sie auch zwischen Hyperaktivität und Hypoaktivität (Passivität) schwanken.
Diagnose von ADHS
Die Diagnostik von ADHS hat vorrangig das Ziel, das Vorliegen sowie die Ausprägungen einer möglichen ADHS-Symptomatik anhand internationalen Kriterien (ICD-10 der WHO) auszuschließen oder zu bestätigen.
Bei einer ADHS-Diagnose handelt es sich nicht um eine rasche "Blickdiagnose", sondern um einen längeren Prozess, in dem klinisch und wissenschaftlich fundierte Untersuchungsmethoden anzuwenden sind. Aus dieser Diagnose ergeben sich im weiteren Verlauf direkte Konsequenzen bzw. Ansatzpunkte für den Behandlungsplan des Kindes.
Aus der Exploration und Anamneseerhebung mit den Eltern, dem Kind und möglicherweise den Lehrer/innen ergeben sich Hypothesen zu Störungsbildern, die zur weiteren Planung der Diagnostik genutzt werden. Auch Erwartungshaltungen und Ziele der Beteiligten sind von Interesse.
Testpsychologische Verfahren geben Aufschluss über verschiedene Leistungsbereiche des Kindes (z.B. Konzentration, Intelligenz, Wahrnehmung, Impulskontrolle) und decken individuelle Schwierigkeiten auf. Mit standardisierten Fragebögen werden wissenschaftlich gesichert Informationen und Symptome des Kindes erhoben, die den Eltern und nach Bedarf den Lehrer/innen zur Fremdeinschätzung sowie je nach Alter dem Kind zur Selbstbeurteilung vorgelegt werden.
Therapiemöglichkeiten bei ADHS
Eine Aufmerksamkeitsdefizit- und Hyperaktivitätsstörung lässt sich durch unterschiedliche Zugänge behandeln. Ebenso kommt es häufig zur psychiatrischen Behandlung durch spezielle Medikamente, die den Fokus der Kinder schärfen und die Impulsivität hemmen.
Die Therapie von ADHS ist sehr individuell. In der medikamentösen Behandlung wird versucht, den Hormonhaushalt von Dopamin/Noradrenalin auszugleichen, da dieser bei ADHS oft zu niedrig ist.
Kombinationen aus eltern- und kindzentrierten Interventionsformen, individuell an die Schwierigkeiten des Kindes bzw. der Familie angepasst, sind bei der Behandlung von ADHS laut bisheriger Studien wirksamer als die Anwendung von Einzelmethoden.
Wie können Eltern unterstützen?
Neben einer professionellen diagnostischen Abklärung und Behandlung gibt es auch für Angehörige die Möglichkeit, ihre Kinder aktiv durch Ressourcenübungen zu unterstützen. Klare Regeln und Struktur innerhalb des Familienlebens geben betroffenen Kindern Halt und Sicherheit. Ebenso ist die Stärkung des Selbstwertes von Kindern mit ADHS sehr wichtig, da sie viel negatives Feedback von ihrem Umfeld bekommen.
Beispiele für Ressourcen-Übungen:
- "Die Familienregeln": Nehmen Sie sich im Kreise der Familie ein paar Stunden gemeinsam Zeit, um Bedürfnisse und Wünsche der einzelnen Familienmitglieder zu besprechen. Die jeweiligen Aufgaben und Regeln werden dann gemeinsam auf ein Plakat geschrieben, das bunt und lustig gestaltet werden kann.
- "Das Erfolgstagebuch": Nehmen Sie sich möglichst jeden Abend Zeit, mit Ihrem Kind gemeinsam den vergangenen Tag zu besprechen. Lassen Sie Ihr Kind von allen Ereignissen erzählen, die es beschäftigen. Schreiben Sie nun das Datum des Tages in das Notizbüchlein und lassen Sie Ihr Kind das freudige Erlebnis oder Gefühl hineinschreiben.
ADHS ist weit mehr als ein populäres Schlagwort. Es handelt sich um eine komplexe Störung, die eine differenzierte Betrachtung und individuelle Lösungsansätze erfordert.