Die Aufmerksamkeitsdefizit- und Hyperaktivitätsstörung (ADHS) des Erwachsenenalters, auch als adulte ADHS bezeichnet, ist eine in mehreren Lebensbereichen evidente (Schule/Beruf, Freizeit, Zuhause) neuronale Entwicklungsstörung, welche zwingend im Kleinkindes- bis Kindesalter beginnt und sich ins Erwachsenenalter mit einer Persistenz von 30 bis 60 Prozent fortsetzt.
Eine ADHS beginnt in den meisten Fällen im Kindes- und Jugendalter. Bei vielen Betroffenen nehmen die Symptome mit zunehmendem Alter ab. Jungen bzw. Männer sind häufiger betroffen als Mädchen bzw. Frauen. Bei manchen dauern die Symptome jedoch bis ins Erwachsenenalter an. Manchmal wird ADHS auch erst im Erwachsenenalter als Diagnose gestellt.
ADHS stellt eine intensiv diskutierte psychiatrische Erkrankung dar, was einerseits aus der im Vergleich zu den meisten anderen psychischen Störungen späten diagnostischen Einordnung von ADHS in die gängigen internationalen Klassifikationssysteme (International Classification of Diseases, ICD-10, Diagnostic and Statistical Manual of the American Psychiatric Association, DSM-5) und der damit verbundenen steigenden Diagnoseraten in den letzten drei Jahrzehnten resultiert.
Andererseits ist dies jedoch auch auf die vonseiten der Ärzte angstbesetzte und negativ konnotierte Therapie mit Psychopharmaka, insbesondere mit Stimulanzien, zurückzuführen, welche nach Diagnosestellung von ADHS und vorrangig bei Schulkindern, zum Einsatz kommen.
Symptome von ADHS bei Erwachsenen
ADHS bei Erwachsenen äußert sich nämlich häufig mit Verhaltensweisen, die auf die Umwelt befremdend und nachlässig wirken können. Als problematisch werden von den Mitmenschen oftmals die fehlende Ausdauer sowie Verspätungen und Unordnung wahrgenommen.
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Folgende Symptome sind typisch für ADHS bei Erwachsenen. Sie müssen jedoch nicht bei allen Betroffenen in gleicher Ausprägung und Stärke vorkommen.
Aufmerksamkeitsstörung
Das Unvermögen, sich längere Zeit auf eine Sache zu konzentrieren, hat zur Folge, dass die Betroffenen Aufgaben mitunter vergessen oder nur teilweise erledigen. Das passiert vor allem dann, wenn das Interesse für die Aufgabe nicht groß ist. Wenn sie sich aber für ein Thema begeistern, können sie sich mit großer Ausdauer darauf fokussieren.
Die Aufmerksamkeitsstörung kann weitreichende Konsequenzen haben. So ist der Verlust des Arbeitsplatzes eine häufige Folge von ADHS oder ADS bei Erwachsenen. ADS-Erwachsene haben zudem unter anderem aufgrund ihrer geringen Konzentrationsfähigkeit ein erhöhtes Unfallrisiko.
Impulsivität
Erwachsene mit ADHS handeln oft impulsiv. Sie treffen Entscheidungen spontan aus dem Bauch heraus. Auch ihre Stimmung kann schnell umschlagen.
Sie reagieren auf Kritik äußerst sensibel und sind schnell verletzt. Gleichzeitig sind sie nicht zurückhaltend, wenn sie anderen unverblümt ihre Meinung sagen. Für ihre Mitmenschen kann dieses Verhalten sehr anstrengend sein. Es hilft dann, sich klarzumachen, dass Menschen mit ADHS oft Probleme haben, ihre Gefühle und ihr Verhalten zu regulieren. Meistens wird Betroffenen erst im Nachhinein bewusst, dass sie sich unangemessen verhalten haben.
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Ihre Impulsivität kann Erwachsenen mit ADHS zudem im Straßenverkehr gefährlich werden (ebenso wie die oben genannte verringerte Konzentrationsfähigkeit).
Geringe Stress- und Frustrationstoleranz
Die verminderte Fähigkeit, Impulse zu steuern, wirkt sich vor allem in Kombination mit Stress negativ aus. Neue Situationen und Aufgaben sind daher eine große Herausforderung für Erwachsene mit ADHS. Sie erzeugen Stress, den die Betroffenen aufgrund ihrer mangelnden Organisationsfähigkeit nur schlecht bewältigen können.
Laufen dann die Dinge nicht wie erhofft, sind sie oft stark frustriert. Das äußert sich in Gereiztheit und Jähzorn. Die geringe Stress- und Frustrationstoleranz erschweren sowohl das berufliche als auch das soziale Leben. Mitunter nehmen Betroffene auch eine Lüge in Kauf, um der unangenehmen Situation zu entfliehen.
Überaktivität
Die typische motorische Hyperaktivität des Kindesalters findet man bei ADHS-Erwachsenen eher in abgeschwächter Form. Viele Betroffene haben aber Schwierigkeiten, längere Zeit still zu sitzen. Sie trommeln mit den Fingern und wippen mit den Füßen, um ihre innere Unruhe zu reduzieren.
Ein Symptom, das auch im Erwachsenenalter noch oft auftritt, ist ein starker Rededrang und das Dazwischenreden (Ins-Wort-Fallen).
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Organisationsschwierigkeiten
Schwierigkeiten mit Planung und Organisation sind typische ADS-Symptome. Erwachsene erreichen daher im Berufs- und im Privatleben oft nicht die Ziele, die sie sich ursprünglich gesteckt haben. ADHS im Erwachsenenalter ist damit vielfach mit schlechteren Karrierechancen verbunden.
Innere Unruhe, Vergesslichkeit und Schusseligkeit rücken bei Erwachsenen mit ADS und ADHS in den Vordergrund. Symptome wie impulsives Verhalten und unüberlegte Handlungen sind aber weiterhin vorhanden.
Die Symptome von ADHS bei Erwachsenen sind denen von Kindern ähnlich. Die motorische Hyperaktivität ist jedoch weniger ausgeprägt. Häufig spricht man dann von ADS. Innere Unruhe und Vergesslichkeit stehen im Vordergrund. Impulsives Verhalten und unüberlegte Handlungen bleiben bestehen.
Klinisch kennzeichnet sich die ADHS durch eine Aufmerksamkeitsstörung, erhöhte motorische Aktivität und impulsives Verhalten sowie die daraus resultierenden Beeinträchtigungen in der Alltagsbewältigung.
Hinsichtlich des Aufmerksamkeitsdefizits neigen Betroffene zu Flüchtigkeitsfehlern und Schwierigkeiten mit Organisation und Ausführung detailgenauer Arbeiten; nur durch erhöhten Aufwand kann annähernd die gleiche Leistung im Vergleich zur Normpopulation erbracht werden.
Patienten mit ADHS können sich meist nicht für längere Zeit einer Aufgabe widmen, sind schnell von Aktivitäten gelangweilt und durch eigene Gedanken und Impulse abgelenkt. Sie fühlen sich auch durch äußere Reize vermehrt ablenkbar und leiden unter einem rezidivierenden Gefühl der Reizüberflutung; dies beschreibt die eingeschränkte Fähigkeit, eigene und fremde Informationen filtern zu können, um sich Aufgaben in einer priorisierenden Reihenfolge zu widmen.
Hyperaktives Verhalten manifestiert sich als ein deutlich erhöhtes Bewegungsbedürfnis, das Gefühl, „wie von einem Motor angetrieben“ zu sein, sowie das Unvermögen, sich entspannen zu können. Weiters sind Patienten oftmals übermäßig laut und neigen dazu, viel und ungebremst zu sprechen.
Aufgrund einer herabgesetzten Impulskontrolle treffen Patienten oftmals voreilig Entscheidungen, ohne dabei mittel- bis langfristige Konsequenzen einzubeziehen.
Paradoxerweise kann es bei Patienten mit ADHS bei großem Interesse für eine bestimmte Tätigkeit oder ein Thema zu einem Zustand der Hyperfokussierung kommen, in welchem Patienten sich überdurchschnittlich gut konzentrieren und über längere Zeit (bis zu Stunden) ausdauernd und ohne Pause einem Thema widmen können. Während der Hyperfokussierung wird die Umwelt ausgeblendet und die Zeit vergessen.
Patienten mit ADHS sind mit einer deutlich erhöhten funktionellen Beeinträchtigung im Beruf, im Privatleben sowie im Straßenverkehr im Vergleich zur Normalpopulation konfrontiert.
Aufgrund der verminderten Konzentrationsfähigkeit und Belastbarkeit, gepaart mit dem impulsiven und häufig distanzlosen Verhalten, kommt es in einem erhöhten Ausmaß zu beruflichen Problemen. Patienten mit ADHS wechseln häufiger die Arbeitsstelle, werden häufiger gekündigt, sind öfter in Krankenstand und erwirtschaften im Vergleich zur Normalpopulation insgesamt ein deutlich niedrigeres Jahreseinkommen.
In Zusammenschau der vielschichtigen Symptome kann es bei Patienten mit ADHS in allen Altersstufen zu zwischenmenschlichen Interaktionsproblemen kommen, die zu Ablehnung und sogar sozialer Isolation führen können. Zurückweisungen können von emotionalen Schwankungen mit depressiven und/oder ängstlichen Symptomen begleitet werden bzw. diese verstärken.
Diagnose von ADHS bei Erwachsenen
Die Ärztin/der Arzt erhebt die Krankengeschichte (Anamnese) und fragt nach Beschwerden. Um mögliche andere Erkrankungen auszuschließen, werden weitere Untersuchungen durchgeführt. Unter anderem klärt die Ärztin/der Arzt ab, ob andere psychische Erkrankungen (z.B. bipolare Störung) bzw. eine Persönlichkeitsstörung (vor allem dissoziale Persönlichkeitsstörung und emotional-instabile Persönlichkeitsstörung) vorliegen oder ausgeschlossen werden können.
Bildgebende Verfahren (CT, MRT) und EEG können zum Ausschluss neurologischer Erkrankungen zum Einsatz kommen. Ebenso kann klinisch-psychologische Diagnostik ergänzend hilfreich sein (z.B. mittels Selbst- und Fremdeinschätzungsfragebögen).
Die Verhaltensauffälligkeiten bestehen seit der Kindheit. Es gibt mindestens sechs Anzeichen dafür, dass Unaufmerksamkeit, Impulsivität oder Hyperaktivität vorhanden sind. Nähere Informationen zu diesen Anzeichen finden Sie unter ADHS bei Kindern/Jugendlichen: Diagnose & Therapie.
Es gibt in mehr als einem Lebensbereich Schwierigkeiten. Das soziale Leben und der berufliche Alltag sind stark beeinträchtigt.
Die klinische Diagnose der ADHS im Erwachsenenalter (ICD-10: F90.0; einfache Aktivitäts- und Aufmerksamkeitsstörung) ist nach den gängigen Klassifikationssystemen im Rahmen einer psychiatrischen Exploration unter Berücksichtigung der anamnestischen Angaben und des fassbaren psychopathologischen Befundes zu stellen. Die Diagnostik kann zusätzlich durch neuropsychologische Tests und spezialisierte Fragebögen (Selbst- und Fremdbeurteilung) unterstützt werden.
Klinisch wird ADHS in drei unterschiedliche Typen eingeteilt: ADHS vom vorwiegend unaufmerksamen Typ, ADHS vom vorwiegend hyperaktiven Typ und ADHS vom kombinierten Typ (sowohl Aufmerksamkeitsdefizit als auch Hyperaktivität/ Impulsivität gegeben). ADHS vom kombinierten Typ weist die höchste Prävalenz auf und ADHS vom hyperaktiven Typ die niedrigste. Es sei erwähnt, dass im ICD-10 die Spezifizierung der Subtypen nicht berücksichtigt wird, im Gegensatz zum DSM 5.
Es werden Symptomkomplexe sowohl für die Aufmerksamkeitsstörung als auch für die Hyperaktivität und Impulsivität mit jeweils neun charakteristischen Merkmalen beschrieben. Zur Vergabe der Diagnose ADHS müssen 1.) mindestens sechs von neun Merkmalen aus einem oder beiden Symptomkomplexen identifiziert werden und 2.) durch die Symptomatik ein entsprechender Leidensdruck vorhanden sein.
Nach Möglichkeit ist es von Vorteil, Verwandte (z.B.: Eltern, Geschwister) oder Bekannte (z.B.: Partner) zu der vergangenen und aktuellen Symptomatik des Patienten zu befragen. Fremdbeurteilungen sind ein integraler Bestandteil der Diagnostik und können im Rahmen eines Interviews oder mit standardisierten Beurteilungsbögen erhoben werden (z.B.
Somatische Grunderkrankungen (z.B.: eine Schilddrüsenüberfunktion) sowie medikamentöse Behandlungen (z.B.: Sympathikomimetika, Steroide) müssen aus differenzialdiagnostischen Gründen erhoben werden.
Die Magnetresonanztomographie wird zum Ausschluss einer organischeren Erkrankung eingesetzt.
Durch die bereits beschriebene Symptomatik mit der daraus resultierenden funktionellen Beeinträchtigung in der Alltagsbewältigung und den zum Teil insuffizienten Kompensationsmechanismen kommt es bei Patienten mit ADHS häufig zur Entwicklung psychiatrischer Komorbiditäten (Lebenszeitprävalenz zwischen 50 und 80).
Insbesondere un- oder fehldiagnostizierte, aber auch regelkonform diagnostizierte Patienten werden oft als desinteressiert oder faul, langsam oder dumm wahrgenommen, was zu einem negativen Selbstbild führen kann und deshalb das Auftreten affektiver Störungen und Suchterkrankungen begünstigt.
Komorbider Alkohol- und Drogenmissbrauch liegen bei mehr als 25 Prozent der Patienten mit ADHS vor. Als Hauptgrund für den Substanzkonsum wird der Versuch von Patienten diskutiert, sich im Sinne einer Selbstmedikation weniger angespannt, paradoxerweise leistungsfähiger, weniger zerstreut und reizüberflutet zu fühlen.
Studien weisen auf eine deutlich erhöhte Prävalenz von Depressionen und Angststörungen sowie von Schlafstörungen bei Patienten hin. Vor allem aufgrund erhöhter Raten an dissozialen Persönlichkeitsstörungen und Störungen des Sozialverhaltens finden sich im Vergleich zur Normalpopulation deutlich erhöhte Prävalenzen von Patienten mit ADHS in Gefängnissen.
Manchmal stellt sich auch im Rahmen einer Psychotherapie wegen einer anderen Problematik (z.B. Burn-out, Selbstwertprobleme, Angststörungen) heraus, dass im Hintergrund eine ADHS-Symptomatik besteht. Dann kann es für Klienten auch nützlich sein, den Umgang mit den eigenen ADHS-typischen Charakterzügen und Schwierigkeiten in der Therapie zu besprechen.
Behandlung von ADHS bei Erwachsenen
Die Behandlung von ADHS im Erwachsenenalter richtet sich nach der persönlichen Lebenssituation und den bestehenden Symptomen bzw. Problemen. Sie wird gemeinsam mit Ärztin/Arzt bzw. auch etwa Psychotherapeutin/Psychotherapeut besprochen und sollte gut für Betroffene annehmbar sein. Erwachsene suchen sich auch häufig eigene Bewältigungsstrategien, um mit ADHS umzugehen.
Nach Diagnosestellung gilt es primär, die individuelle Situation des jeweiligen Patienten möglichst genau einschätzen zu können, um die komplexe Symptomatik suffizient behandeln zu können und die jeweiligen Ressourcen des Betroffenen zu stärken. Die Indikation der Behandlung richtet sich nach dem Schweregrad der Symptomatik, der Beeinträchtigung in den verschiedenen Lebenssituationen und vor allem dem subjektiv empfundenen Leidensdruck.
Bei im Vordergrund stehender ADHS-Symptomatik kann die Therapie meist problemlos im ambulanten Setting durchgeführt werden. Bei ausgeprägter Beeinträchtigung im Alltag und dem Vorhandensein von Komorbiditäten kann sich - aufbauend auf eine ambulante Betreuung - ein stationärer Aufenthalt zur Therapieeinstellung von Vorteil erweisen.
In jedem Fall ist ein eingehendes und umfassendes Aufklärungsgespräch nach Diagnosestellung über die Erkrankung, die typische Symptomatik sowie die möglichen Therapieoptionen ein essenzieller Bestandteil des Behandlungskonzepts.
Die Medikamente wirken gegen die Hauptsymptome von ADHS (Hyperaktivität, Unaufmerksamkeit, Impulsivität). Es kommt dabei vor allem der Wirkstoff Methylphenidat zum Einsatz. Wurde der Wirkstoff Lisdexamfetamin bereits im Jugendalter eingenommen, kann die Behandlung damit bei Bedarf auch im Erwachsenenalter fortgesetzt werden. Kommt es mit den genannten Medikamenten nicht zum Therapieerfolg, kann auch der Wirkstoff Atomoxetin verschrieben werden.
Vor Beginn der Therapie erfolgt eine genaue körperliche Untersuchung sowie ggf. eine Blutabnahme. Es erfolgen regelmäßig Kontrolluntersuchungen. Treten Nebenwirkungen auf, sollen Betroffene dies der Ärztin/dem Arzt mitteilen.
Bewältigung psychosozialer Probleme (z.B. die Behandlung von möglichen weiteren psychischen Erkrankungen (z.B. Dabei kommt Psychoedukation ein wichtiger Stellenwert zu. Zudem kommt auch klinisch-psychologische Behandlung zum Einsatz (z.B. Erinnerungshilfen einsetzen (z.B. Routinen festlegen (z.B. Gegenstände immer am gleichen Ort hinlegen, feste Abläufe in der Früh oder am Abend).
Für jede/jeden Betroffenen kann es unterschiedliche Strategien geben, die hilfreich sind. Mit der Zeit, können diese herausfinden, was wirklich guttut.
Wurde die Diagnose ADHS bereits im Kindesalter gestellt, wird die behandelnde Ärztin/der behandelnde Arzt gegebenenfalls die Patientin/den Patienten noch einige Zeit im jungen Erwachsenenalter begleiten und nach gegebener Zeit an eine Fachärztin/einen Facharzt für Psychiatrie (und psychotherapeutische Medizin) überweisen. Diese übernehmen dann die weitere medizinische Betreuung. Auch eine bestehende Psychotherapie kann meist weitergeführt werden.
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