Soziale Phobie: Psychoanalyse Grundlagen

Die Psychoanalyse, begründet von Sigmund Freud, ist eine psychologische Theorie, Kulturtheorie, psychotherapeutische Behandlungsform und Methode zur Selbsterfahrung. Aus der Psychoanalyse haben sich später die verschiedenen Schulen der Tiefenpsychologie entwickelt.

Der Begriff 'Psychoanalyse' wird heute in drei Bedeutungen verwendet: als tiefenpsychologische Forschungsmethode, als Inbegriff der Freudschen Lehre und als Heilmethode (Therapie-Form).

Grundhypothesen der Psychoanalyse

Unter einer Hypothese wird eine grundlegende Annahme verstanden, welche als unbewiesen zu gelten hat, auf welcher aber weitere theoretische Aussagen aufgebaut sein können.

  1. Grundlegend für die Psychoanalyse ist die Annahme der ganzen Tiefenpsychologie, dass es 'das Unbewusste' gibt, einen Bereich also, zu dem das Individuum praktisch kaum einen Zugang hat, der aber dessen Handlungen stark beeinflusst oder bestimmt (determiniert).
  2. Die zweite grundlegende Hypothese besagt, dass psychisches Geschehen grundsätzlich kausal determiniert ist, dass also das Psychische genauso wie das Organische und Mineralische dem Gesetz von Ursache und Wirkung unterworfen ist.

Persönlichkeitsmodelle und Menschenbild

Angesichts der Weiterentwicklung der Methode ist es heute nicht mehr möglich, von dem Menschenbild der Psychoanalyse zu sprechen - dieses variiert vielmehr nach der ideologischen Position des Analytikers.

Freuds Menschenbild impliziert einen "psychischen Apparat", ist also zum Teil als mechanistisch zu bezeichnen. Der Mensch zeichnet sich durch elementare, im Unbewussten gegründete Triebregungen aus, die auf die Befriedigung gewisser ursprünglicher Bedürfnisse zielen und quasi den "Urgrund" der menschlichen Persönlichkeit bilden. Auch heute wird in der Psychoanalyse hierbei der Sexualität eine besondere Bedeutung beigemessen.

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Das Topologische Modell

Auf der Suche nach Bereichen, in denen sich psychisches Geschehen abspielt, definierte Freud drei Schauplätze:

  1. Das Bewusstsein: Was mit "Bewusstsein" gemeint ist, weiß jeder vermutlich aus eigenem Erleben.
  2. Das Vorbewusste: Unter dem Vorbewussten versteht Freud jenen Bereich von Inhalten, die zwar im Augenblick nicht bewusst, aber grundsätzlich (etwa durch "Konzentration") dem Bewusstsein zugänglich gemacht werden können, also das Gedächtnis, die Erinnerung, den Sprachschatz und erworbene Fertigkeiten.
  3. Das Unbewusste: Das Unbewusste ist jener Bereich, in dem sich Inhalte, die nicht ins Bewusstsein gelangt sind oder kommen können, aber dennoch unser Verhalten beeinflussen.

Soziale Phobie: Eine Psychoanalytische Perspektive

Soziale Phobien gehören innerhalb der Angststörungen zur Gruppe der spezifischen Phobien. Das zentrale Merkmal sind ausgeprägte Ängste, in sozialen Situationen im Zentrum der Aufmerksamkeit zu stehen und sich peinlich oder beschämend zu verhalten.

In letzter Zeit wird zunehmend die Bezeichnung soziale Angststörung benutzt, weil dadurch die Problematik (auch unter Ärzten) weniger bagatellisiert wird.

Beschreibung der Sozialen Phobie

Menschen mit sozialer Phobie meiden gesellschaftliche Zusammenkünfte, da sie fürchten, Erwartungen anderer nicht zu erfüllen und auf Ablehnung stoßen zu können. Sie fürchten, dass ihnen ihre Nervosität oder Angst angesehen werden könnte, was ihre Angst oftmals noch weiter verstärkt.

Begleitet wird die Angst oft von körperlichen Symptomen wie zum Beispiel Erröten, Zittern, Herzrasen, Schwitzen, Atemnot, Verkrampfung, Sprechhemmung und häufigen Versprechern, Schwindelgefühlen, Harndrang, Beklemmungsgefühlen in der Brust, Kopf- und Magenschmerzen, Durchfall, Übelkeit (Würgereiz) oder Panik sowie von kognitiven Symptomen wie z. B. Gedankenkreisen, Derealisation und Depersonalisation.

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Um all das zu vermeiden, gehen Menschen mit sozialen Ängsten Situationen, in denen sie der Bewertung durch andere ausgesetzt sind, oft von vornherein aus dem Weg. Dies kann ein berufliches und privates Weiterkommen sehr erschweren und mitunter zu vollkommener sozialer Isolation führen. Die Störung kann über einen langen Zeitraum anhalten, zudem erkranken viele Betroffene noch zusätzlich an einer Depression oder werden abhängig von Alkohol, Beruhigungsmitteln oder anderen Drogen oder Medikamenten, welche die Symptome überdecken oder verdrängen können.

Soziale Phobien beginnen meist in Kindheit und Pubertät. In bestimmtem Rahmen gelten Schüchternheit und soziale Gehemmtheit noch als normal. Die Diagnose sollte erst gestellt werden, wenn ungewöhnlich starke Ängste zu einem verhängnisvollen Vermeidungsverhalten in entsprechenden Situationen führen.

Kulturelle Unterschiede

Auch der kulturelle Hintergrund spielt eine Rolle dabei, wie genau sich eine soziale Phobie äußert. In ostasiatischen Kulturen etwa wird häufiger eine altruistische Variante beobachtet, die begleitet wird von der Befürchtung, dass „das eigene Erscheinungsbild, der Gesichtsausdruck oder die natürlichen Bewegungsabläufe oder etwa auch der Körpergeruch, der Augenkontakt oder das Erröten eine andere Person unangenehm berühren“ (siehe Taijin Kyofusho). In westlichen Ländern dagegen dominiert eher eine egozentrische Variante, begleitet von der Befürchtung, sich selbst zu blamieren oder beschämt zu werden.

Häufigkeit

Nach Schätzungen leiden zwischen zwei bis zehn Prozent der Bevölkerung unter sozialen Ängsten. Exakte Angaben sind schwierig, da sich soziale Phobien in ihrem Schweregrad stark unterscheiden können und insbesondere der Übergang von Schüchternheit zur sozialen Phobie schwer zu bestimmen ist. Soziale Angst darf zudem nicht mit sozialen Defiziten verwechselt werden, obwohl die soziale Phobie aus sozialen Defiziten entstehen kann (oder auch erst zu diesen führen kann).

Diagnose

Kurzbeschreibung der sozialen Phobie nach ICD-10:

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Furcht vor prüfender Betrachtung durch andere Menschen, die zu Vermeidung sozialer Situationen führt. Umfassendere soziale Phobien sind in der Regel mit niedrigem Selbstwertgefühl und Furcht vor Kritik verbunden. Sie können sich in Beschwerden wie Erröten, Händezittern, Übelkeit oder Drang zum Wasserlassen äußern. Dabei meint die betreffende Person manchmal, dass eine dieser sekundären Manifestationen der Angst das primäre Problem darstellt. Die Symptome können sich bis zu Panikattacken steigern.

Sie zeichnet sich durch folgende Leitsymptome aus:

  • Zentral ist die Furcht vor prüfender Betrachtung in überschaubaren Gruppen (siehe auch Spotlight-Effekt).
  • Die Angst kann sich auf bestimmte Situationen wie Essen oder Sprechen in der Öffentlichkeit oder Treffen mit Menschen des begehrten Geschlechts beschränken; sie kann aber auch unbestimmt sein und in fast allen sozialen Situationen außerhalb der Familie auftreten.
  • Häufig bestehen niedriges Selbstwertgefühl und Furcht vor Kritik.
  • Als Begleitphänomene können Erröten, Vermeiden von Blickkontakt, Schwitzen, Zittern, Herzrasen, Durchfall, Übelkeit oder Harndrang auftreten.
  • Die Symptomatik kann sich bis zu Panikattacken verstärken.
  • Ausgeprägtes Vermeidungsverhalten kann zu vollständiger sozialer Isolation führen.

Subtypen

Die soziale Phobie wurde von Isaac Marks und Michael Gelder im Jahr 1966 zunächst als Angst vor sozialen Situationen beschrieben, in denen der Betroffene im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit steht und spezielle Tätigkeiten ausführt (z. B. öffentliches Schreiben oder Ausstellen eines Schecks). Im DSM-III von 1980 bezog man sich zunächst auf diese Definition, also darauf, dass es sich um eine Angst vor sehr spezifischen Situationen handelt. Seit 1987 werden jedoch zwei Unterformen unterschieden: ein diskreter (nicht-generalisierter) Subtyp und ein generalisierter Subtyp. Die generalisierte Form wurde eingeführt, weil viele Patienten mehrere verschiedenartige Situationen fürchten. Obwohl eine Subtypisierung umstritten ist, findet sich im DSM-IV (1994) weiterhin diese Unterscheidung. Im DSM-5 wurde diese Einteilung beibehalten, aber umgedreht.

Abgrenzung

Ein Hauptproblem bei der Differenzialdiagnostik der sozialen Phobie liegt in der erheblichen Kriterienüberlappung mit der ängstlich-vermeidenden Persönlichkeitsstörung (ÄVPS). Sozialphobiker haben aber meist eng umschriebene Ängste (zum Beispiel vor Prüfungen, öffentlichen Reden etc.), während die von ängstlich-vermeidenden Persönlichkeiten weit auf viele unterschiedliche Situationen ausgedehnt sind. Außerdem wird die ängstlich-vermeidende Persönlichkeitsstörung im höheren Maße als ich-synton erlebt: Das heißt, dass Betroffene ihre ängstlichen Denkmuster und ihr unsicheres Verhalten trotz Leidensdruck als integrativen Bestandteil ihrer Persönlichkeit betrachten. Sozialphobiker hingegen erleben ihre Symptome eindeutig und klar als Störung, die nicht Teil ihrer Persönlichkeit ist (Ich-Dystonie).

Komorbidität

Alle Angststörungen treten sowohl häufig untereinander, als auch zusammen mit anderen psychischen Erkrankungen auf. Mehr als die Hälfte der Menschen mit sozialer Phobie leidet zu irgendeinem Zeitpunkt ihres Lebens zusätzlich an einer anderen oder mehreren anderen Angststörungen. Auch die seltene und noch weitgehend unerforschte Kommunikationsstörung Mutismus kann in Begleitung der Sozialphobie auftreten. Häufig sind auch Depressionen in Verbindung mit Angsterkrankungen. Etwa ein Drittel konsumiert Alkohol. Sehr oft ist ebenfalls die Kombination von sozialer Phobie und ADHS zu beobachten (insbesondere bei SCT-Symptomatik).

Ursachen der Sozialen Phobie

Die Psychoanalyse geht davon aus, dass unterschiedliche Bedingungen die Entwicklung von Angst fördern. Sie sagt aus, dass Angst eine Reaktion des Ichs auf eine drohende Gefahr ist. Sowohl traumatische Erlebnisse als auch verdrängte psychische Inhalte können eine Angstreaktion des Ichs auslösen. Aber auch bindungstheoretische Gesichtspunkte werden in den zeitgemäßen Theorien einbezogen. Hier ist vor allem die Trennungsangst von entscheidender Bedeutung. Auch das Abwehr-Sicherheits-Modell wird als Erklärungsmodell herangezogen. In der Psychoanalyse wird zwischen unterschiedlichen Angstarten unterschieden. Je nach zu unterscheidender psychoanalytischer Theorie werden die Gründe für die Angst in unterschiedlichen Ursachen gesehen.

Eine besondere Bedeutung wird der Schamangst im Zusammenhang mit der sozialen Phobie zugeschrieben. Sie beschreibt eine drohende Gefahr, bloßgestellt zu werden oder vor Demütigung und Zurückweisung. Dabei dient sie gleichzeitig der Abwehr vor grandiosen und exhibitionistischen Wünschen, in den Augen von Anderen besonders gut dazustehen und sich als besonderer Mensch zeigen zu können. Diese Wünsche werden abgewehrt, indem eine tatsächliche Angst vor der sozialen Situation entsteht, und diese vermieden wird. Ein Defizit im Selbstkonzept führt dabei zu Überkompensationen. Der Schamaffekt ist aber auch im Zusammenhang mit überwältigenden traumatischen Erfahrungen von Hilflosigkeit und konkreten Beschämungen zu betrachten. Die Schamangst kann aber, in einem anderen Zusammenhang, als konkrete Signalangst verstanden werden, die vor Zurückweisung schützen soll.

Psychologische Faktoren

Lerntheoretische Ansätze sehen soziale Ängste durch Vermeidungskonditionierung bedingt. Dabei wirkt das Vermeiden einer angstauslösenden Situation angstmindernd. Wird in sozialen Situationen Angst verspürt, wird diese Situation weitgehend vermieden. Auch Prozesse des Modelllernens können für die soziale Phobie verantwortlich sein. Beobachtungslernen, also das Beobachten von phobischen Reaktionen, kann selbst angstauslösend sein.

Biologische Faktoren

Zwillingstudien (Studien mit eineiigen Zwillingen, die getrennt voneinander aufwuchsen) lassen vermuten, dass eine genetische Disposition mit ursächlich ist. Erkrankt ein Zwilling an einer sozialen Phobie, erkrankt der andere mit 30–50-prozentiger Wahrscheinlichkeit ebenfalls daran. Es hängt vermutlich von Umwelteinflüssen ab, ob die Veranlagung sich manifestiert. Seit 2013 erforschen Wissenschaftler der Universitätsklinik Bonn die (genetischen) Ursachen der sozialen Phobie.

Behandlung der Sozialen Phobie

In der psychoanalytischen Behandlung wird versucht, zugrunde liegende psychische Konflikte zu bearbeiten, welche die Angst auslösen sollen. Auch eine eventuell auftretende Schwäche des Strukturniveaus kann Ziel einer Behandlung sein. Sven Olaf Hoffmann kritisierte, dass soziale Ängste bisher in der Psychoanalyse unterschätzt wurden, und dementsprechend kaum therapeutische Modelle vorliegen. Hoffmann entwickelte daher eine spezielle, manualisierte psychodynamische Therapie für soziale Phobien.

Psychotherapie

Mit Hilfe der Kognitiven Verhaltenstherapie können Betroffene lernen, durch Verhaltensexperimente ihre negativen Bewertungen zu überprüfen und durch angemessene Bewertungen zu ersetzen. Gleichzeitig lernen sie, ein Risiko einzugehen und mögliche Fehler und Ablehnung zu ertragen. Sie lernen, ihren Perfektionsanspruch aufzugeben, sich zu akzeptieren und sich unabhängiger von der Meinung anderer zu machen.

Medikamente

Am häufigsten kommen Antidepressiva bei der Behandlung der sozialen Phobie zum Einsatz. In Deutschland sind die Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (SSRI) Escitalopram, Paroxetin, Sertralin und das SNRI Venlafaxin zugelassen. Dabei gelten die SSRI und Venlafaxin als erste Wahl. Wenn diese unwirksam sind oder nicht vertragen werden, kann laut Leitlinien Moclobemid eingesetzt werden.

Medikamentöse Behandlung der Sozialen Phobie
Medikamentengruppe Beispiele Hinweise
SSRI Escitalopram, Paroxetin, Sertralin Erste Wahl
SNRI Venlafaxin Erste Wahl
MAO-Hemmer Moclobemid Bei Unwirksamkeit oder Unverträglichkeit von SSRI/SNRI

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