Selbstwertgefühl stärken: Psychologische Perspektiven und praktische Strategien

Viele Menschen suchen psychotherapeutische Hilfe mit Anliegen wie: "Ich kann mich selbst nicht leiden", "Ich habe zu wenig Selbstbewusstsein" oder "Wie kann ich mehr Selbstvertrauen gewinnen?". Im Zentrum steht dabei die Frage, was eine Stärkung des Selbstwerts persönlich bedeutet und woran dies erkennbar wäre.

Was ist Selbstwertgefühl?

In der Psychologie versteht man unter dem Begriff "Selbstwert" die individuelle Bewertung der eigenen Person. Das bedeutet die Bewertung der eigenen Fähigkeiten, der eigenen Stärken und Schwächen sowie des Werts, den man sich selbst im Vergleich zu anderen Personen zuschreibt. Der Selbstwert zeigt sich darin, wie Menschen über sich selbst denken und reden, und wie sie Konflikte, Zurückweisung und Misserfolg erklären.

Morris Rosenberg (1979) ging davon aus, dass das Selbstwertgefühl (Self Esteem Motive) viele unserer täglichen Aktivitäten bestimmt.

Einflussfaktoren auf das Selbstwertgefühl

Das Selbstwertgefühl steht in Zusammenhang mit frühen Erfahrungen des Angenommenseins und der Wertschätzung durch Bezugspersonen. Zugleich spielen aber auch spätere lebensgeschichtliche Beziehungserfahrungen eine Rolle, wie Akzeptanz und Respekt in der Partnerschaft, wechselseitige Unterstützung in Freundschaften und in der Familie, ein kollegiales Klima im Beruf sowie soziales Eingebundensein und Gruppenzugehörigkeit. Aber auch Verlusterlebnisse, soziale Isolation, Einsamkeit und Mobbing können den Selbstwert beeinflussen.

Wie sich Selbstwertprobleme äußern

Wie sich Selbstwertprobleme bei Kindern und Jugendlichen zeigen, ist sehr unterschiedlich und von der Persönlichkeitsstruktur abhängig. Im sozialen Bereich wirken sensible Kinder oft schüchtern und ängstlich, können sich oft nicht durchsetzen und werden zwischendurch auch gerne Opfer von Mobbingvorfällen. Andere Kinder (robust und extrovertiert) prahlen eher gerne, spielen den Clown, werden bei Konflikten schnell aggressiv (verbal oder körperlich) und sind eher die Täter bei Mobbingvorfällen.

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Auch im Leistungsbereich zeigen Kinder und Jugendliche je nach Persönlichkeit verschiedene Verhaltensweisen: In beiden Gruppen zeigen sich Versagensängste bei Test, Schularbeiten oder Hausübungen, geben bei Schwierigkeiten schnell auf bzw. zeigen keine Ausdauer und trauen sich nichts zu (z.B.: bei neuen Aktivitäten). Je nach Persönlichkeit beginnen Kinder dann oft zu weinen, wirken überfordert und gestresst oder versuchen alles richtig zu machen. Andere Kinder reagieren eher aggressiv, verweigern die Erledigung von Hausübungen oder Lernaufgaben die anstrengend erscheinen.

Mögliche Ursachen für ein dysfunktionales Selbst

Einige Forscher gehen davon aus, dass in den ersten Lebensjahren eine sichere Bindung an wichtige Bezugspersonen enorm wichtig ist, um eine psychische Sicherheit im späteren Leben zu entwickeln. Auch das Gefühl bedingungslos geliebt zu werden, ist für Kinder enorm wichtig um ein stabilen Selbstwert entwickeln zu können. Auch die eigene Autonomie (Selbstständigkeit), seine eigenen Wünsche anderen gegenüber durchsetzen zu können und zu wissen was man möchte ist ein weiterer Puzzlestein um den Selbstwert positiv sehen zu können. Auch das wird in frühen Jahren gelernt.

Dabei ist es auch wichtig, dem Kind gegenüber genügend Raum zu geben eigene Bedürfnisse, Gefühle und Meinungen ausdrücken zu dürfen. In Beziehungen, ob gleich das Paarbeziehungen, Arbeitnehmer-Arbeitgeber-Beziehung, Eltern-Kind-Beziehung sind, wird der Selbstwert auch über Anerkennung anderer beeinflusst. Das Gefühl der Wertschätzung ist nicht nur für die psychische sondern auch die physische Gesundheit wichtig. Anerkennung und Wertschätzung definiert sich dabei zum Beispiel über Lob, Lohn oder auch Entwicklungsmöglichkeiten.

Eigenständigkeit ist enorm wichtig für einen gesunden Selbstwert. Verantwortung für sich und das eigenen Handeln zu übernehmen ist der erste Schritt in Richtung Autonomie. Das gilt ebenso für Kinder. Kinder müssen die Welt erst entdecken um zu erkennen was sie wirklich wollen. Ein überfürsorglicher oder zu kontrollierender Erziehungsstil kann daher keine gesunde Basis für die Entwicklung von Selbstverantwortung und Autonomie sein.

Dabei spielen Lob und Zuwendung eine große Rolle. Sehen sie nicht nur die Fehler, sondern auch die kleinen Erfolge und schenken Sie ihrem Kind Zuwendung und Lob. Um sich selbst akzeptieren zu können muss man sich sehr gut kennen. Darum ist es notwendig, nicht nur die eigenen Stärken zu erkennen, sondern auch die eigenen Schwächen zu beleuchten. Erst wenn man seine Schwächen kennt, und sich selbst dadurch nicht ablehnt, kann man ein Gefühl von Selbstakzeptanz und einen positiven Selbstwert entwickeln. Auch für Kinder ist das Gefühl „Geliebt zu werden so wie ich bin“ enorm wichtig.

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Der bewusste Umgang mit dem eigenen Selbstwert

Der bewusste Umgang mit dem eigenen Selbstwert kann als „Selbstachtung“ bezeichnet werden. Es handelt sich dabei gewissermaßen um eine Instanz in uns, die kommunikative Signale auf bewertende Botschaften untersucht. Diese Haltung schützt uns innerlich und wirkt sich auf die eigenen Handlungen aus.

Gerhard Steiner: „Wir Menschen tragen alle ein Bündel von Erfahrungen in uns, deren wir im Großen und Ganzen sicher sind: Gefühle, Körperempfindungen, Überzeugungen, Beziehungserfahrungen. Dieses Bündel ist im Prozess dessen, was wir erlebt haben, gewachsen und wächst weiter, solange wir leben und für neue Erfahrungen offen bleiben. Von Krisen abgesehen bildet dieses Bündel von Erfahrungen einen Kern des Selbstverständlichen. Fehlt dieser Kern oder ist er zu schwach ausgebildet, fühlen Menschen sich oft sich selbst fremd, zu abhängig von anderen, getrieben und unsicher. Und dies nicht nur gelegentlich, sondern in langen Phasen ihres Lebens, tief gehend und ihre Persönlichkeit, ihre Existenz betreffend. Was sie antreibt, ist die Suche nach ihrem Selbst, nach dem, was sie im Innersten ausmacht."

Wer in sich wohnen möchte, muss in sich schauen, sich wahrnehmen, seinen Regungen Achtsamkeit schenken. Wer sich fremd gegenübersteht, kann kein Mitgefühl für sich empfinden. Mitgefühl für sich zu entwickeln bedeutet vor allem, eine Haltung des Mitgefühls für die Teile der eigenen Lebendigkeit einzunehmen, die fremd geblieben sind. Manchmal ist es für Menschen schwierig, eigene Entscheidungen zu treffen - es kann eine mühsame Herausforderung sein. Eine Hilfe oder ein erster Schritt besteht in der Frage: „Was sagt ihr Herz oder was sagt Ihr Bauch dazu?“

Wer sich erlaubt, eigensinnig und anders zu sein, verändert seine Beziehung zu anderen Menschen. Er wird interessanter werden und das Besondere anderer interessanter finden; er wird selbstbewusster werden und es sich auch erlauben können, sich ohne Angst und Anstrengung manchmal als ganz durchschnittlich zu erleben, anderen Menschen und Meinungen manchmal den Vorrang zu geben, Kompromisse einzugehen und die eigenen Bedürfnisse auch einmal hintanzustellen.

Wie kann man den Selbstwert stärken?

Eine Psychotherapie kann dabei unterstützen, eine wohlwollendere Sicht auf sich selbst und auf die eigenen Fähigkeiten und vermeintlichen Schwächen (d.h. mehr Selbstakzeptanz) zu entwickeln. Auch kann es für Klienten wichtig sein, konkrete Strategien zu erarbeiten, um Grenzen zu setzen und selbstbewusster auf andere Menschen zuzugehen (neue Kontakte knüpfen, öfter "Nein" sagen können, sich durchsetzen, den Ärger anderer über ein "Nein" aushalten,...). Dabei bleibt zu klären, ob sich Klienten dieses selbstbewusstere/selbstsicherere Verhalten selbst erlauben wollen.

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Wer als Erwachsener den Blick bewusst auf seine eigenen Stärken, Talente und Wünsche lenkt, stärkt somit auch seinen Selbstwert. Dieses Erkennen steigert automatisch das Selbstvertrauen und gibt damit auch mehr Selbstsicherheit.

Fragen zur Selbstreflexion

Die folgenden Fragen und Ihre Antworten dazu, sollten Ihnen dabei helfen:

  1. Wer bin ich? Was mag ich? Was mögen Sie an sich selbst?
    • Welche Antworten kommen Ihnen spontan zu allererst in den Sinn?
    • Was ich wirklich gut kann, ist ...
    • Was ich an mir wirklich sympathisch finde, ist ...
    • Was ich in mir an (verborgenen) Möglichkeiten ahne, ist ...
    • Mein ganzes Leben lang wollte ich ...
    • Was ich unbedingt zum Leben brauche ist ...
  2. Womit ich mir das Leben schwer mache
    • Finden Sie heraus, womit Sie sich selbst einschränken.
    • Das ist der erste Schritt, um es zu verändern.
    • Ich weiche noch immer aus vor ...
    • Fehler, die ich schon heute vermeiden könnte, sind ...
    • Worüber ich unbedingt einmal nachdenken sollte ...
    • Negative Gedanken, die ich ständig zulasse, sind ...
    • Mein Hauptproblem ist ...
  3. Wünsche und Träume
    • Nun sind Ihre Träume an der Reihe.
    • Lassen Sie sich Zeit, versuchen Sie nicht nur mit dem Verstand, sondern auch aus Ihren Sehnsüchten heraus, frei von der Meinung anderer zu antworten!
    • Wenn ich drei Wünsche frei hätte, würde ich ...
    • Mein größter Wunschtraum ist immer noch ...
    • Ich wäre gerne berühmt für ...
    • Wenn ich keine Angst vor der Meinung anderer hätte, würde ich ...
    • Wenn ich nur noch ein Jahr zu leben hätte, würde ich ...
  4. Selbstvertrauen und Anerkennung
    • Wo haben Sie schon Selbstvertrauen?
    • Seien Sie neugierig, wie sich Ihr Wohlbefinden verändert, wenn Sie in aller Ruhe bewusst an Ihre Stärken denken!
    • Ich merke, dass ich ein wertvoller Mensch bin, wenn ...
    • Im Grunde könnte ich schon selbstbewusster sein, weil ich ...
    • Ich ahne, dass ich etwas zu sagen habe, wenn ich ...
    • Stolz bin ich auf mich, weil ...
    • Es tut mir richtig gut, wenn ich ...
  5. Verlässlichkeit
    • Verlässlichkeit vermittelt Sicherheit und Vertrauen.
    • Worauf können Sie sich bei sich selbst verlassen, was läuft wie "geschmiert"?
    • Ich kann mich bei mir selbst darauf verlassen, dass ich ...
    • Ich traue mir zu, dass ...
    • So richtig gut in Form komme ich, wenn ...
    • Ich stehe wie ein Fels in der Brandung, wenn ...
    • Freunde sagen von mir, dass ...
  6. Freude aktivieren
    • Freude ist ein ganz wunderbares Gefühl, Balsam für die Seele.
    • Das letzte Mal richtig gefreut habe ich mich als ...
    • Gut gelaunt bin ich, wenn ...
    • Mein Tag beginnt gut, wenn ich ...
    • Ich mag an meinem Leben, dass ...
    • Ganz versunken im Moment lebe ich, wenn ich ...

Indem du beginnst, dich selbst ernst zu nehmen. Achtsamkeit, Reflexion, Coaching und gesunde Routinen können dich dabei unterstützen. Selbstfürsorge, gute Beziehungen, klare Grenzen, das Feiern kleiner Erfolge und der liebevolle Umgang mit dir selbst fördern das Selbstwertgefühl.

Psychologische Behandlungsmöglichkeiten

Im psychologischen Rahmen gibt es verschiedene Behandlungsmöglichkeiten, um den Selbstwert zu stärken. Nach einem genauen Anamnesegespräch, einer Diagnostik (um die Stärken und Schwächen und die Persönlichkeit des/der Klienten/in kennenzulernen), einer Befunderstellung und -Besprechung können sehr individuelle Behandlungsmöglichkeiten angeboten werden. Gemeinsam mit der/dem Klienten/in werden der eigene Wert entdeckt, Stärken und positive Eigenschaften herausgefiltert, Schwächen aufgedeckt und daran gearbeitet einen angemessenen Umgang mit diesen zu erfahren und zu erlernen.

Eine gute Übung zur Stärkung des Selbstbewusstseins ist es auch, alles niederzuschreiben, was man gut kann, was man an sich selbst mag und auch was andere an einem schätzen. Allein schon das Zusammentragen all dieser positiven Dinge über Sie selbst wird Ihr Selbstvertrauen stärken und Ihnen helfen, sich selbst mehr zu schätzen und anzunehmen. Selbstbewusst zu sein bedeutet auch, seine eigenen Schwächen zu kennen und sie trotzdem anzunehmen. Niemand ist perfekt - es ist also ganz normal und menschlich, Schwächen und negative Seiten zu haben.

Sie können Ihr Selbstwertgefühl erhöhen, indem Sie Ihre negativen Überzeugungen auflösen und durch positive Gedanken und Glaubenssätze überschreiben.

Die 4 Säulen des Selbstwertgefühls

Laut der Psychologie basiert ein stabiles Selbstwertgefühl auf vier Säulen:

  • Selbstakzeptanz - Du nimmst dich mit all deinen Stärken und Schwächen an.
  • Selbstvertrauen - Du traust dir Dinge zu und gehst mutig neue Wege.
  • Soziale Beziehungen - Du pflegst ehrliche und unterstützende Kontakte.
  • Zielorientierung - Du hast Klarheit über deine Werte und Ziele.

Wenn eine dieser Säulen instabil ist, wirkt sich das auf dein gesamtes Selbstbild aus.

Ein starkes Selbstwertgefühl entsteht nicht über Nacht - aber du kannst es täglich trainieren. Hier sind einfache Routinen:

  • Morgenroutine
    • Schreibe 3 Dinge auf, die du an dir magst
    • Formuliere eine positive Intention für den Tag
  • Reflexion am Abend
    • Was hast du heute gut gemacht?
    • Wie bist du heute für dich eingestanden?
  • Bewegung
    • Körperliche Aktivität stärkt nicht nur deinen Körper, sondern auch dein Selbstbild

Strategien, um dein Selbstwertgefühl zu stärken

  1. Negative Glaubenssätze erkennen und hinterfragen
    • Beispiel: Aus „Ich bin nicht gut genug“ wird „Ich bin gut, so wie ich bin - und darf mich weiterentwickeln.“
  2. Grenzen setzen
    • Lerne, „Nein“ zu sagen, wenn dir etwas nicht guttut - ohne schlechtes Gewissen.
  3. Fehler neu bewerten
    • Fehler zeigen dir, wo du wachsen kannst - sie sagen nichts über deinen Wert aus.
  4. Soziale Vergleiche reduzieren
    • Erinnere dich: Auf Social Media siehst du nur Ausschnitte - nicht das echte Leben.
  5. Stärken regelmäßig aktivieren
    • Frage dich: Wann war ich zuletzt mutig? Hilfsbereit? Kreativ?

Denke daran: Du musst nichts leisten, um wertvoll zu sein. Dein Wert ist nicht verhandelbar.

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