Nervige Ohrengeräusche und Tinnitus sind für viele Menschen nicht nur abstrakte Konzepte, sondern harte Realität. Wenn du gerade diesen Artikel liest, kennst du das wahrscheinlich nur zu gut: Das permanente Klingeln, Summen oder Rauschen in deinen Ohren, das einfach nicht verschwinden will. Es ist frustrierend, es ist belastend und vor allem: Es ist verdammt stressig.
Tinnitus und Stress gehen oft Hand in Hand. Stress kann Tinnitus auslösen oder verschlimmern, und der Tinnitus selbst wird zu einer zusätzlichen Stressquelle. Ein Teufelskreis. Es ist daher total verständlich, wenn du dir Sorgen machst, und deine Gedanken ganz darauf fixiert sind, irgendeine Lösung zu finden, damit dieser Wahnsinn endlich wieder aufhört. Die gute Nachricht ist: Die meisten Menschen finden einen guten Weg und werden nicht wahnsinnig, indem sie sich dafür entscheiden, die richtigen Strategien zu erlernen, die ihnen einen guten Umgang mit dem Tinnitus ermöglichen.
In diesem Blogartikel geht es vielmehr darum, dir Strategien vorzustellen, wie du mit Ohrengeräuschen und Tinnitus besser umgehen kannst.
Was ist Tinnitus?
Klingeln, Rauschen, Brummen, Pfeifen, Sausen, Summen und andere Geräusche - all das kann unter dem Begriff Tinnitus zusammengefasst werden. Tinnitus bezeichnet alle verschiedenen Arten von Geräuschen im Ohr oder im Kopf. Manche Menschen können ihr Ohrengeräusch präzise beschreiben, anderen fällt es wiederum schwer.
Während unsere Hörwahrnehmung normalerweise auf externen akustischen Schallquellen aus der Umwelt basiert, fehlen genau diese externen Quellen beim Tinnitus. Tinnitus könnte man also auch als „Phantomgeräusche“ bezeichnen. Wichtig ist auch, dass die Ohrengeräusche eines Tinnitus keinen Informationswert für die Betroffenen haben. Damit ist gemeint, dass es sich bei den Geräuschen nicht um irgendeine Form von Botschaft handelt.
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Ursachen und Auslöser von Tinnitus
Tinnitus ist ein Symptom, vergleichbar mit der Spitze des Eisberges. Die Ursachen für Tinnitus sind vielfältig und liegen wie der untere Teil des Eisberges oft im Verborgenen.
Tinnitus ist ein komplexes Phänomen, das durch eine Vielzahl von physischen und psychischen Faktoren ausgelöst werden kann. Auf der physischen Seite sind beschädigte Haarzellen im Innenohr häufig die Ursache. Wenn diese Zellen beschädigt sind - sei es durch Lärmbelastung, Alterung oder Infektionen - senden sie weniger Signale als gesunde Haarzellen an das Gehirn.
Unser Hörzentrum im Gehirn versucht dann diese Minderinformationen zu kompensieren, es entsteht eine überschießende Aktivität einzelner Nervenzellen, die aber keine entsprechende Grundlage in tatsächlich existierenden Schallwellen hat.
Weitere physische Ursachen können sein:
- Kieferprobleme: Verspannungen oder Fehlstellungen im Kieferbereich können Tinnitus auslösen. Diese Probleme führen zu einer Fehlfunktion der Muskeln und Gelenke im Kiefer, was wiederum die Ohrgeräusche beeinflussen kann.
- Nackenbeschwerden: Muskelverspannungen im Nacken- und Schulterbereich sind ebenfalls ein häufiger Auslöser für Tinnitus. Diese Verspannungen können die Blut- und Nervenversorgung des Ohrs beeinträchtigen und somit zu den mühsamen Geräuschen führen.
- Ototoxische Medikamente: Bestimmte Medikamente, die als ototoxisch bekannt sind, können das Gehör schädigen und Tinnitus verursachen. Dazu gehören einige Antibiotika, Chemotherapeutika und Diuretika (=entwässernde Medikamente).
- Hörverlust: Altersbedingter oder durch Lärm verursachter Hörverlust kann ebenfalls zu Tinnitus führen.
Psychische Faktoren spielen ebenfalls eine entscheidende Rolle bei der Entstehung und Verschlimmerung von Tinnitus. Stress, Angstzustände und Depressionen sind häufig mit Tinnitus verbunden. Psychischen Belastungen können die Wahrnehmung der Ohrgeräusche verstärken.
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Die Rolle der Bewertung und emotionalen Reaktion
Die Wahrnehmung von Tinnitus wird stark durch die Art und Weise beeinflusst, wie du ihn bewertest und welche emotionale Reaktion er bei dir auslöst. Wenn du Tinnitus als bedrohlich oder belastend empfindest, wirst du ihn wahrscheinlich intensiver wahrnehmen und stärker darunter leiden. Trotzdem berichten viele Menschen von einem unerträglich lauten Geräusch, das sie in den Wahnsinn treibt.
Das limbische System ist ein Teil des Gehirns, der für die Verarbeitung von Emotionen, Gedächtnis und Motivation zuständig ist. Es besteht aus mehreren Strukturen, darunter der Hippocampus, die Amygdala und der Hypothalamus. Die Amygdala ist besonders wichtig für die emotionale Bewertung und Reaktion auf Reize. Sie hilft dabei, festzustellen, ob etwas als bedrohlich empfunden wird oder nicht. Bei Tinnitus kann die Amygdala das Geräusch als bedrohlich einstufen, was zu einer verstärkten emotionalen Reaktion führt.
Der Hippocampus spielt eine Schlüsselrolle im Gedächtnis und beim Lernen. Er kann dazu beitragen, dass du Tinnitus mit bestimmten Erinnerungen oder Erfahrungen verknüpfst. Der Hypothalamus reguliert viele automatische Körperfunktionen, einschließlich der Stressreaktion. Wenn du Tinnitus als stressig empfindest, aktiviert der Hypothalamus die Stressreaktion des Körpers, was zur Ausschüttung von Stresshormonen wie Cortisol führt. Die Folgen kennst du selbst wahrscheinlich am besten. Es ist ein bekannter Teufelskreis: Tinnitus verursacht Stress, und Stress verstärkt den Tinnitus. Irgendwie auch ein Henne-Ei Problem, oder? Wenn du gestresst bist, setzt dein Körper mehr Cortisol frei, was das Nervensystem zusätzlich belastet und die Fehlersignale der beschädigten Haarzellen im Ohr verstärkt. Dieser Teufelskreis kann sehr belastend sein.
Studien und Forschungsergebnisse zur Stress-Tinnitus-Verbindung
Mehrere Studien haben gezeigt, dass es einen klaren Zusammenhang zwischen Stress und der Intensität von Tinnitus gibt. In einer groß angelegten Studie berichteten Menschen mit hohem Stresslevel häufiger über intensivere Tinnitus-Symptome. Diese Ergebnisse weisen darauf hin, dass Stress die Wahrnehmung und Schwere des Tinnitus verstärken kann.
Chronischer Stress führt zur Aktivierung der Hypothalamus-Hypophysen-Nebennieren-Achse, die eine zentrale Rolle bei der Stressreaktion des Körpers spielt. Um die Belastung durch Tinnitus zu reduzieren, ist effektives Stressmanagement entscheidend. Techniken wie Atemübungen, Achtsamkeit & Meditation und progressive Muskelentspannung können dabei helfen, den Cortisolspiegel zu senken und das Nervensystem zu beruhigen.
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Psychologische Therapieansätze bei Tinnitus
Wie bereits weiter oben angeführt, ist das Ziel der psychologischen Unterstützung nicht eine Behandlung des Tinnitus, sondern das Erlernen von Strategien, um den Tinnitus „zu überhören“ lernen. Es geht darum, die eigene Lebensqualität wieder zu erhöhen, indem ein guter Umgang mit dem störenden Ohrengeräuschen erlernt wird.
- Stressmanagement: Regelmäßige Pausen im Alltag und eine gesunde Work-Life-Balance sind ebenfalls wichtig, um Stress abzubauen.
- Genusstraining: Genusstraining ist ein achtsames Wahrnehmen aller Sinne. Indem sämtliche Sinne trainiert werden, wird die Aufmerksamkeit weg vom alles übertönenden Tinnitus gelenkt, und die Ohren bekommen ein bisschen Erholung, auch wenn man sie im Gegensatz zu den Augen ja nie wirklich ausruhen kann. Genusstraining verschafft dir darüber hinaus auch noch Pausen im Alltag, wirkt also entspannend und entschleunigend. Es ist eine bewährte Methode auch, um Stress zu reduzieren. Du hast also beim Genusstraining einen doppelten Effekt: Weniger Tinnitus und mehr Erholung.
- Habituation: Für Tinnitus ist eine sehr bewährte Strategie, dass man einen guten Umgang mit den störenden Geräuschen lernt: „Habituation“. Habituation kennst du sehr gut: Wenn wir in einen kalten See springen, dann fühlt sich das in den ersten Minuten eiskalt an, alles zieht sich zusammen. Aber nach kurzer Zeit gewöhnen wir uns an die Kälte, und obwohl sich an der Temperatur des Wassers nichts verändert hat, fühlt es sich weniger kalt an. Habituation geht aber auch in die andere Richtung: Kennst du das, dass du die Badewanne zu heiß eingelassen hast, aber du stehst schon nackig im Badezimmer und willst nicht länger warten? Genau das ist Habituation: Wir haben eine Wahrnehmung (heiß, kalt, laut, leise,…) die eigentlich ein bisschen „zu“ ist. Habituation ist der Vorgang, in dem unsere Nervenzellen immer weniger stark auf diesen Reiz reagieren. Man könnte auch sagen, unsere Nervenzellen gewöhnen sich an die Reize und lassen sich davon nicht mehr so aus der Ruhe bringen. Wie lange es dauert, bis diese Habituation bei Tinnitus eintritt ist sehr individuell, und geht auch nicht von heute auf morgen.
- Coaching: Coaching kann eine wesentliche Rolle bei der besseren Bewältigung von Tinnitus spielen, indem es dabei hilft, individuell passende und hocheffektive Strategien zu entwickeln und umzusetzen, um die eigene Lebensqualität wieder zu erhöhen.
- Individuelle psychologische Unterstützung: Individuelle psychologische Unterstützung kann dir dabei helfen, deine Wahrnehmung und Reaktion auf Tinnitus zu verändern, indem du Techniken zur Stressbewältigung, zur emotionalen Regulation und Gewöhnung an den Tinnitus kennen und anwenden lernst. Durch gezielte Coaching-Sitzungen kannst du lernen, den Tinnitus weniger bedrohlich zu bewerten und ihn somit weniger intensiv wahrzunehmen. Ein wichtiger Aspekt des Coachings ist die Unterstützung dabei, Resilienz zu entwickeln. Wir identifizieren und verändern negative Denkmuster, die den Tinnitus verschlimmern können.
Weitere Therapieansätze
Die Therapie von Tinnitus richtet sich nach der Ursache und Art der Beschwerden. Dabei ist es entscheidend, einen umfassenden Ansatz zu verfolgen, der nicht nur die Symptome, sondern auch zugrunde liegende Faktoren berücksichtigt. Eine erfolgreiche Tinnitus-Therapie kombiniert medizinische Abklärung, audiologische Diagnostik, psychologische Unterstützung sowie gezielte Entspannungstechniken und Hörtherapien.
Ein nachhaltiger Ansatz umfasst mehrere Bausteine, die individuell auf den Patienten abgestimmt werden. Ziel ist eine kombinierte Behandlung, die zeitgleich auf Innenohr, Organismus und Psyche einwirkt, gilt als besonders effektiv. Dieser Ansatz berücksichtigt die individuellen Bedürfnisse und stärkt das Zusammenspiel der verschiedenen Behandlungsmethoden.
- Umfassende Diagnostik: Eine präzise medizinische Untersuchung ist der erste Schritt. Mithilfe moderner Verfahren wie audiologischer Tests und bildgebender Diagnostik können Ursachen wie Hörverlust, Durchblutungsstörungen oder muskuläre Verspannungen identifiziert werden.
- Audiologische Unterstützung: Speziell angepasste Hörgeräte oder Masker können helfen, den Tinnitus zu überdecken oder in den Hintergrund zu rücken. Audiotherapie-Programme unterstützen zusätzlich dabei, störende Geräusche weniger präsent wahrzunehmen.
- Entspannungstechniken und Lebensstiloptimierung:
- Stressmanagement: Entspannungsverfahren wie progressive Muskelentspannung, Yoga oder Meditation sind bewährte Methoden zur Reduktion von Stress.
- Gesunde Gewohnheiten: Eine ausgewogene Ernährung, ausreichend Bewegung und der Verzicht auf Alkohol, Nikotin und übermäßigen Koffeinkonsum fördern das allgemeine Wohlbefinden und können Tinnitus positiv beeinflussen.
- Schlafhygiene: Geregelte Schlafenszeiten und die Vermeidung von absoluter Stille oder lauten Umgebungen tragen zur Linderung der Symptome bei.
- Physiotherapie: Physiotherapie ist eine sinnvolle Ergänzung bei Tinnitus, insbesondere wenn Verspannungen im Nacken-, Schulter- oder Kieferbereich als Auslöser identifiziert werden. Durch gezielte manuelle Techniken, Mobilisationen und Übungen wird die Durchblutung verbessert und die Muskulatur entspannt. Dies kann dazu beitragen, die Intensität der Ohrgeräusche zu reduzieren.
Selbsthilfe bei Tinnitus
Selbsthilfe hat in der Tinnitustherapie einen großen Stellenwert! Der Tinnitus wird durch das Training subjektiv immer weniger wahrgenommen - er wird regelrecht überhört. Zusätzlich wird an den möglichen Folgeproblemen, wie z.B. Muskelverspannungen, Stress, etc. gearbeitet.
Der Umfang der psychologischen Tinnitus-Therapie varriiert zwischen 3 - 4 Beratungseinheiten bei leichtem Tinnitus bzw. bis zu 12 Therapieeinheiten bei mittelgradig bis schwerem Tinnitus. Die Therapie ist wissenschaftlich geprüft und zählt zu den wirkungsvollsten Therapieansätzen bei Tinnitus, auch dann, wenn alle medizinischen Maßnahmen zu keiner Besserung geführt haben. Dabei wird eine deutliche Reduktion der Beeinträchtigung durch Tinnitus sowie eine schrittweise Abnahme der Tinnitus-Wahrnehmung erreicht.
Was hilft bei akutem Tinnitus?
Bei einem akuten subjektiven Tinnitus (nur vom Patienten wahrnehmbar) mit unklarer Ursache und nur geringer Beeinträchtigung wartet der Arzt in der Regel zunächst zwei bis drei Tage ab, ob sich die Ohrgeräusche spontan bessern (wie etwa Ohrenfiepen nach einem lauten Konzert oder einer anderen lauten Belastung der Ohren).
Wenn nicht oder wenn der Tinnitus den Patienten von Beginn an stärker beeinträchtigt, leitet der Arzt in der Regel sofort eine Behandlung mit Glukokortikoiden ("Kortison") ein. Diese Arzneistoffe wirken unter anderem entzündungshemmend und abschwellend. Meist verabreicht man sie als Infusion oder in Form von Tabletten; manchmal spritzt der Arzt eine Kortisonlösung direkt durch das Trommelfell ins Mittelohr (intratympanale Applikation).
Ist bei einem subjektiven Tinnitus die Ursache bekannt, leitet der Mediziner nach Möglichkeit eine ursächliche (kausale) Tinnitus-Therapie ein. Einige Beispiele:
- Durchblutungsfördernde Medikamente: Infusionen mit solchen Medikamenten gibt der Arzt, wenn er die Tinnitus-Ursache im Innenohr vermutet. Die Behandlung lässt sich aber auch bei Tinnitus unbekannter Ursache versuchen. Die Medikamente sorgen dafür, dass der Ohrenbereich besser mit Blut und Sauerstoff versorgt wird.
- Blutdrucksenker: Steht der Tinnitus in Zusammenhang mit Bluthochdruck, leitet der Arzt eine passende Behandlung ein - unter anderem mit blutdrucksenkenden Medikamenten.
- Physiotherapeutische Behandlung: Sie ist sinnvoll, wenn orthopädische Funktionsstörungen wie Fehlstellungen oder Verletzungen der Halswirbelsäule für die Ohrgeräusche verantwortlich sind.
- Kieferorthopädische Behandlung: Sie korrigiert etwa Fehlbildungen des Gebisses oder Kiefergelenksbeschwerden, die mitunter Ohrgeräusche auslösen.
Was hilft bei chronischem Tinnitus?
Ein chronischer Tinnitus liegt vor, wenn die Beschwerden seit mindestens drei Monaten bestehen. Ein Tinnitus mit chronischem Verlauf ist immer herausfordernd. Doch während es manchen Betroffenen gelingt, sich mit dem ständigen Ohrensausen zu "arrangieren", leiden andere Höllenqualen und bekommen mitunter sogar psychische Probleme.
Die Behandlung beim chronischen Tinnitus ist dementsprechend individuell zu planen, also angepasst unter anderem an die Ursache (falls bekannt) und den Schweregrad der Ohrgeräusche sowie begleitende Störungen wie Konzentrationsprobleme, Schlafstörungen und Stimmungsschwankungen bis hin zu Depressionen.
Zudem behandelt der Arzt wie beim akuten Tinnitus auch beim chronischen Tinnitus bestehende Grund- und Begleiterkrankungen (wie Bluthochdruck) je nach Bedarf fachgerecht.
Tinnitus-Counselling
Basis jeder Tinnitus-Therapie bei chronischen Beschwerden ist in der Regel ein Counselling, also eine auf eine gute Diagnostik gestützte Aufklärung und Beratung des Patienten. Dabei bespricht man etwa, wie die Ohrgeräusche beim Patienten (vermutlich) entstanden sind, welche Faktoren sie verstärken und das Ohr eventuell schädigen (wie Lärm) und welche Behandlungsmöglichkeiten es gibt - auch hinsichtlich bestehender Begleiterkrankungen (wie Depressionen).
Außerdem vermittelt der Behandelnde dem Patienten Strategien im Umgang mit den chronischen Ohrgeräuschen. Die Betroffenen erlernen etwa Techniken, mit deren Hilfe sich der Tinnitus besser verarbeiten oder sogar zurückdrängen lässt.
Wichtig ist auch, bestehende Ängste und überzogene Erwartungen des Patienten in Bezug auf die Tinnitus-Heilung abzubauen. Es stimmt zwar, dass es bislang keine Möglichkeit gibt, die hartnäckigen Ohrgeräusche einfach komplett "abzuschalten". Mit der richtigen Behandlung lässt sich aber viel tun, um die Situation für den Patienten zu verbessern.
Hörgeräte
Patienten mit chronischem Tinnitus und Hörverlust erhalten idealerweise eine passende Hörhilfe - je nach Bedarf ein- oder beidseitig. Der Ausgleich des Hörverlusts mit einem Hörgerät trägt oft dazu bei, die Tinnitusbelastung zu verringern, so dass der Betroffene die Ohrgeräusche mit der Zeit kaum oder gar nicht mehr bewusst wahrnimmt (Tinnitushabituation).
Stark schwerhörigen und ertaubten Tinnitus-Patienten empfiehlt man in der Regel ein Cochlea-Implantat (ein- oder beidseitig). Das Innenohrimplantat unterdrückt die anhaltenden Ohrgeräusche gut. Dieser positive Effekt ist offenbar altersunabhängig - stellt sich also bei jüngeren Patienten ebenso ein wie etwa bei Patienten über 80 Jahren.
Hörtherapie
Es gibt Hinweise, dass Tinnitus-Patienten mit Hörverlust von speziellen Hörtherapien profitieren. Eine solche Therapie umfasst zum Beispiel Übungen, mit denen die Betroffenen gezielt die Fähigkeiten der zentralen Hörverarbeitung wie Richtungshören, Fokussierung und Differenzierung im Störlärm (mit und ohne Hörgerät) üben. Auch speziell das Überhören des Tinnitus lässt sich trainieren.
Solche hörtherapeutischen Maßnahmen helfen häufig auch dabei, dass die Patienten ihr Hörgerät besser akzeptieren. Das fördert die Gewöhnung an die Ohrgeräusche (Tinnitushabituation).
Verhaltenstherapie
Sehr empfehlenswert bei chronischem Tinnitus sind verschiedene Methoden der Verhaltenstherapie. Ihr Ziel: Die Patienten gewöhnen sich so an die ständigen Ohrgeräusche (Habituation), dass sie diese kaum oder gar nicht mehr wahrnehmen. Dafür ist es aber wichtig, dass die Patienten für solche Verfahren geeignet sind und sich darauf einlassen.
Ein wirksames Verfahren ist zum Beispiel eine auf Tinnitus ausgerichtete kognitive Verhaltenstherapie. Mit ihr lässt sich erreichen, dass die Patienten besser mit ihrem Tinnitus umgehen und gleichgültiger ihm gegenüber werden - bestenfalls nehmen sie ihn kaum oder gar nicht mehr wahr.
Manuelle und physiotherapeutische Therapien
Für bestimmte Patienten mit chronischem Tinnitus sind manuelle und physiotherapeutische Therapien sinnvoll - und zwar dann, wenn gleichzeitig Funktionsstörungen in der Halswirbelsäule oder der Kiefer- und Kaumuskulatur bestehen und diese bei der ärztlichen Untersuchung nachweislich direkt mit der Tinnituswahrnehmung in Beziehung stehen.
Tinnitus-Retrainings-Therapie (TRT)
Bei der Tinnitus-Retrainings-Therapie (TRT) handelt es sich um eine Kombination aus Counselling und einer akustischen Therapie mit frequent-unadaptiertem Rauschen.
Experten empfehlen, die TRT als langfristige Therapiemaßnahme (mindestens zwölf Monate) zu erwägen. Es lässt sich dafür zumindest eine schwache Wirksamkeit nachweisen. Von einer kurzfristigen Anwendung der TRT raten die Mediziner aber ab, weil sie keinen nachweislichen Effekt auf die anhaltenden Ohrgeräusche hat.
Was kann ich selbst tun?
- Vermeiden Sie absolute Stille. Diese macht besonders „hellhörig“ für Rauschen, Brummen, Surren & Co. Positiv wirkt z.B. ein Zimmerbrunnen oder leise Musik.
- Vermeiden Sie Lärm!
- Lenken Sie sich von dem Ohrgeräusch ab!
- Bewegen Sie sich regelmäßig!
- Achten Sie auf regelmäßigen und ausreichenden Schlaf! Leise, entspannende Musik kann z.B. beim Einschlafen vom Tinnitus ablenken.
- Lernen Sie Methoden zur Entspannung und Stressbewältigung.
- Tragen Sie ein Hörgerät, wenn der Tinnitus Folge einer entsprechenden Hörstörung ist. Dadurch wird die Empfindlichkeit der höheren Hörzentren herabgesetzt. Sie hören und verstehen besser, haben ein besseres Richtungshören, und die Ohrgeräusche werden maskiert.
Psychische Folgesymptome bei Tinnitus
Viele Patienten mit chronischem (langdauernden) Tinnitus leiden zusätzlich unter psychischen oder psychosozialen Folgeproblemen. Der Lebensradius der Betroffenen engt sich zunehmend ein, wenn der Tinnitus zum zentralen Problem geworden ist und dennoch keine Aussicht auf Heilung im Sinne einer Symptombeseitigung besteht.
Psychische Folgesymptome können sich grundsätzlich bei jedem Tinnitus-Betroffenen entwickeln. Stressfaktoren wie starke berufliche Belastung oder dauerhafte Überforderung scheinen die Entwicklung des chronisch-komplexen Tinnitus eher zu begünstigen. Es gibt jedoch keinen Beweis für eine psychische Verursachung von Tinnitus, auch wenn keine medizinischen Gründe gefunden werden können.
Nach heutigem Konzept geht man davon aus, das übermäßige Aufmerksamkeit auf den Tinnitus und starke Krankheitsängste entscheidend am Zustandekommen eines chronisch-komplexen Tinnitus beteiligt sind. Die Hauptziele der psychologischen Behandlung bestehen darin, eine allmähliche Gewöhnung (Habituation) an den Tinnitus zu fördern und effektive Bewältigungsstrategien im Sinne einer verbesserten Krankheitsbewältigung einzuüben.
Weitere Behandlungsansätze
Weitere Behandlungsansätze basieren auf den Prinzipien der Verhaltenstherapie. Bei diesem Ansatz lernen die Betroffenen, ihre Aufmerksamkeit gezielt vom Tinnitus wegzulenken und somit mehr Akzeptanz zu entwickeln. Es wird in der Behandlung erarbeitet, wie inadäquate automatische Gedanken oder Überzeugungen über den Tinnitus zu unangenehmen Gefühlen und längerfristigen emotionalen Belastungen führen können. Daher wird intensiv daran gearbeitet, realistische oder hilfreiche Gedanken zu entwickeln und somit zu einer emotionalen Entlastung beizutragen.
Weitere Themen der kognitiven Therapie beim chronisch-komplexen Tinnitus sind der Aufbau von Bewältigungsstrategien, die Auseinandersetzung mit Krankheit und Gesundheit, die Entwicklung realistischer Einschätzungen und Verhaltensweisen gegenüber dem medizinischen System.
Dieses Programm umfasst neben den Elementen der Kurzzeitbehandlung weitere psychologische Interventionen auf der Basis der oben skizzierten Psychotherapie. Es erfolgt ein manual-geleitetes Vorgehen, bei dem die teilnehmenden Betroffenen in der Gruppe die kognitiven, emotionalen und verhaltensbezogenen Schwierigkeiten im Zusammenhang mit ihrem chronischen Tinnitus genauer analysieren.
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