Psychiatrie Tübingen: Mitarbeiter, Forschungsschwerpunkte und Therapieansätze

Die Universitätsklinik für Psychiatrie und Psychotherapie Tübingen ist ein Zentrum für Forschung und Behandlung psychischer Erkrankungen. Im Folgenden werden einige Mitarbeiter, Forschungsschwerpunkte und Therapieansätze vorgestellt.

Forschungsschwerpunkt: Suchterkrankungen

Der Forschungsbereich für Suchterkrankungen ist an der Spezialabteilung für Abhängigkeitserkrankungen (Therapie- und Gesundheitszentrum Mutters, TGM) angesiedelt. Aktuell werden primär klinische Fragestellungen zur Weiterentwicklung im Bereich Diagnostik und (individualisierte) Behandlung zur Erholung und Förderung der Gesundheit dieser häufig auch chronisch verlaufenden Erkrankungen untersucht.

Unser biopsychosozialer Forschungsansatz basiert auf aktuellen neurowissenschaftlich-informierten Modellen zur Entwicklung und Aufrechterhaltung (Chronifizierung) von Suchterkrankungen. Forschungsschwerpunkt sind primär die Sucht-relevanten neuronalen Netzwerke bzw. neurofunktionellen Domänen (z.B., kognitive exekutive Funktionen, negative Emotionen, Belohnung/Anreizhervorhebung, soziale Kognition/ Metakognition).

Beeinträchtigungen in diesen neuropsychologischen Domänen liegen den Kernsymptomen der Abhängigkeitserkrankung zugrunde. Sie tragen zusätzlich zu den bekannten sozialen und umweltbezogenen Faktoren zur Entwicklung der Erkrankung bei, erschweren die Bereitschaft und die erfolgreiche Teilnahme an Therapien und behindern die Erholung von dieser Erkrankung, die weit über eine reine Substanzabstinenz hinausgeht.

Entsprechend dem aktuellen wissenschaftlichen Kenntnisstand werden zur Erforschung klinisch diagnostisch relevanter Biomarker (objektivierbare Risiko-/Schutz- bzw. Prognosefaktoren zur Früherkennung im Bereich Entwicklung, Behandlung, Aufrechterhaltung bzw. Gesundheitsförderung) mit Schwerpunkt auf Alkoholkonsumstörungen primär Methoden der Neuropsychologie herangezogen.

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Neben Selbst-/Fremd-Beurteilungsverfahren zur Erfassung individueller Veränderungen im Verhalten- und Erleben verfügt die Neuropsychologie über evidenzbasierte diagnostische Verfahren, die eine Objektivierung individueller Beeinträchtigungen in Sucht-relevanten Domänen erlauben.

Darüber hinaus zielen neuropsychologische Behandlungsmethoden (neuropsychologische Therapie, neurowissenschaftlich-informierte Behandlung) gezielt auf die Erholung individueller Dysfunktionen in Teilfunktionen neurokognitiver Domänen und grundlegend auf die Erholung und Förderung der Gesundheit des Gehirns ("Brain Health") ab.

Die Forschungsschwerpunkte umfassen:

  1. Klinische Population: Alkoholabhängigkeit bzw. Alkoholkonsumstörung (ICD / DSM-5)

    Biopsychosoziale Risikofaktoren, Erholung und Einfluss Sucht-relevanter neurokognitiver Funktionen (z.B. soziale Kognition, exekutive Funktionen, neurokognitive Impulsivität wie Risiko- und Belohnungs-assoziiertes Entscheidungsverhalten) auf den krankheitsspezifischen Behandlungs-Outcome, Lebensqualität und psychosoziale Gesundheit (soziale Aktivität/Teilhabe).

  2. Nicht-klinische Population: Junge Erwachsene

    Alkohol und der Konsum anderer Suchtmittel (wie Cannabis, Tabak), neuropsychologische Risiko- und Schutz-Faktoren (z.B. soziale Kognition, belohnungsassoziiertes Entscheidungsverhalten, "Resilienz") und biopsychosoziale Gesundheit (Online Projekt in Kooperation mit Univ.-Prof. Dr. Birgit Derntl, Universitätsklinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Universität Tübingen, Deutschland, und Univ.-Prof. Dr. Dr. Verdejo-Garcia A et al. (2023)

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Im Rahmen "Neurowissenschaftlich-informierte Psychoedukation": Deutschsprachige Unterlagen (Posterserie) zu: "Brain Healing First Aid - How to recover my brain's abilities during treatment?"

  1. 10 durch Alkohol und andere Drogen beeinträchtigte Funktionen
  2. 10 "to do's" um die Erholung des Gehirns am Beginn der Abstinenz zu fördern
  3. 10 Übungsbereiche für die Erholung des Gehirns unter Abstinenz.

www.laureateinstitute.org/bari-posters.html.

Psychopharmakotherapie und ihre Bedeutung

Psychopharmaka gehören zu den spezifischsten und wirksamsten therapeutischen Mitteln der modernen Psychiatrie. In der Gesamtbehandlungsplanung nimmt die Medikation unter spezifischen Gesichtspunkten eine spezielle Bedeutung ein. Der/die Ärzt:in als zentrale/r Therapeut:in ist für die Durchführung der medikamentösen Therapie als Teil der Gesamtbehandlung zuständig.

Konkret bedeutet dies, dass sich der/die Verantwortliche mit der Bedeutung der Psychopharmakabehandlung für das tägliche Leben des/r Patient:in und dessen bzw. deren privaten, beruflichen und sozialen Beziehungen befassen muss. Dazu ist es weiters auch wesentlich, sich mit den jeweils anderen Therapiekonzepten bzw. ihrer kombinierten Anwendung auseinanderzusetzen, und Neuroplastizität, Neuroprotektion sowie Auswirkungen auf Lernprozesse entlang beispielsweise des episodischen und/oder semantischen Gedächtnisses mitzudenken.

Ein Überblick zu den Wechselwirkungen ist einerseits störungsspezifisch, aber auch unter Berücksichtigung des biopsychosozialen Paradigmas in Aigner und Lenz dargestellt. Inwiefern Wechselwirkungen mit prozeduralen, nichtdeklarativen Gedächtnisprozessen, die in der psychodynamischen Psychotherapie von Interesse sind, bestehen, ist kaum beschrieben bzw.

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Die biologische Wirkung von Psychopharmaka sieht er als „forcierte Somatisierung“: Durch die Medikamente komme es zu einem Syndromwechsel bzw. Ersatz eines beispielsweise psychotischen durch einen psychosomatischen Mechanismus der Konfliktbewältigung („Resomatisierung“). Die Bedeutung von Pharmaka für die therapeutische Beziehung haben Psychoanalytiker:innen ebenfalls lange Zeit nicht näher behandelt.

Im deutschsprachigen Raum kam Danckwardt unter dem Aspekt objektbeziehungstheoretischer Annahmen zum Schluss, dass die biologische Wirkung des Psychopharmakons wesentlich davon abhängt, welche Bedeutung das Medikament in der therapeutischen Beziehung gewonnen hat. Die Verschreibung eines spezifisch wirksamen Psychopharmakons bedeutet eine spezifische Intervention der/s Therapeut:in, ein Handeln mit bestimmten bewussten und unbewussten Motiven, und wird dementsprechend vom Patienten/von der Patientin erlebt und bewusst bzw.

Das Handeln der/s Medikamentenverschreibenden ist in psychotherapeutischer Konzeption der Behandlungssituation als Intervention im Rahmen eines „Handlungsdialoges“ zu sehen; es ist als Äußerung der Gegenübertragung eine spezifische Antwort auf „projektive Manipulationen“ der/s Patient:in, der/die damit unbewusst individuelle intrapsychische Konflikte szenisch aktualisiert und externalisiert.

Meist ist es leichter, über ein Medikament zu sprechen, als über stark emotionale Inhalte, wie Verzweiflung, Hoffnungslosigkeit oder Ärger, die sich primär nicht auf das Medikament beziehen. In Zeiten der Regression findet häufig eine Externalisierung von Gefühlen unter Bezugnahme auf Medikamente statt.

Wird diesen von Patient:innen präsentierten unspezifischen allgemeinen Gefühlen (z. B. Wut, Kränkung, Ohnmacht oder orale Ansprüchlichkeit) als Form einer Kontaktaufnahme ein adäquater Raum geboten, kann im späteren Verlauf auch über realitätsbezogene Aspekte der Medikamente gesprochen werden.

Allgemein scheint es schwerzufallen, der/m Ärzt:in zuzuhören und sie/ihn zu verstehen, da der/die Patient:in angesichts der vermuteten oder befürchteten schwerwiegenden Inhalte nach einem Arztbesuch oft zu Verzerrung der Inhalte und Missverständnissen neigt. Bei psychiatrischen Patient:innen ist dieses allgemeine Phänomen zusätzlich krankheitsspezifisch ausdifferenziert.

Beispielsweise leiden Patient:innen mit Erkrankungen aus dem schizophrenen Formenkreis an einer fundamentalen Unklarheit, Widersprüchlichkeit und Labilität von wichtigen, internalisierten affekt-kognitiven Bezugssystemen. Eine mangelhafte Strukturierung der internalisierten affektlogischen Bezugssysteme muss notwendigerweise zu Schwierigkeiten in der Informationsverarbeitung und der Bewältigung von Stress führen.

Ein mangelhaftes Verarbeitungssystem ist für die Erfassung ein und desselben Sachverhaltes mit einer weit größeren Informationsmenge konfrontiert, als dies normalerweise der Fall ist. Die Bewältigung von komplexen Informationen, die auf verschiedenen Sinnesgebieten gleichzeitig einlaufen (sog. crossmodale Stimuli), versagt. Schlecht strukturierte innerpsychische Bezugssysteme zwingen fortwährend zu erhöhter Aufmerksamkeit und Vorsicht.

Ein anderer Zugang zu schizophrenen Denkstörungen kann über das Verständnis der Symbolisierungsstörungen erreicht werden, wie bereits Bleuler und Freud andeuteten. Denkstörungen sind nach kleinianischer Ansicht Folge von Symbolisierungsstörungen. Die Denkstörung, die man an schizophrenen Patient:innen beobachtet, hängt mit der konkretistischen Reduktion und den durch Gleichsetzung gebildeten Symbolen zusammen.

Nach Ansicht Segals werden bei Verlust der Grenze zwischen dem Selbst und den Objekten (bei projektiver Identifizierung) Bedeutung und Symbol identisch, gleichgesetzt: Das Symbol wird zu dem, was es symbolisiert. Natürlich wird die Denkfähigkeit durch solche Gleichsetzungen beeinträchtigt.

Der Gebrauch von Symbolen setzt die Fähigkeit zur dualen Wahrnehmung des Objekts voraus: Dieser Schritt vom konkreten Objekt zum Symbol ist der Konversion körperlicher Sensationen in psychische Erfahrungen analog. Immer wieder werden anhand von Medikamentenbesprechungen ganz bestimmte Konflikte transparent.

Als häufiges Thema tritt der Konflikt der Nähe-Distanz-Regulation auf und wird über die Besprechung der jeweiligen medikamentösen Therapie transportiert. Damit zeigt sich ein typischer Grundkonflikt der Schizophrenie, wie etwa auch von Searles 1974 und Racamier 1982 (zit.

Zusätzlich erlebt der Patient aber auch eine behandelnde Ärztin, die durch die Verschreibung des Medikaments ihm handelnd entgegentritt (vgl. „Handlungsdialog“). Sie stellt für den Patienten durch die Verordnung des Medikaments eine den Realitätssinn fordernde Elternfigur dar. Die Ärztin ist diese Realitätsfordernde auch gleichzeitig durch die spezifische Wirkung des Neuroleptikums.

Einige Autoren sehen im Psychopharmakon eine Art Übergangsobjekt oder Übergangsphänomen, das die Mutter-Kind-Dyade in der Interaktion wieder aufleben lässt. Ein Medikament kann ein Phänomen sein, bei dem ein konkretes Objekt der Ärztin vom Patienten in Besitz genommen wird.

Für die Annahme, dass bei dem Patienten das Medikament - „sein Neuroleptikum“ - als Zwischenstufe, als Übergangsphänomen gesehen werden kann, spricht auch, dass er sich immer wieder versicherte, ob dieses Medikament auch tatsächlich in Dosis und Einnahmezeitpunkt gleich bleibe: Ein Merkmal des Übergangsobjektes ist es auch, dass es nicht verändert werden darf, außer vom Kind selbst.

Das Medikament könnte also in dieser Form zu einem Übergangsphänomen werden und die Möglichkeit einer frühen Triangulierung ergeben. Dieses Übergangsphänomen bietet tendenziell die Möglichkeit zur Ausbildung einer primären Symbolisierungsfähigkeit.

Damit wird ein zeitlich-räumlicher Zwischenraum geschaffen, der eine sekundärprozesshafte, Ich-stärkende Entwicklung anstoßen kann. Es handelt sich also um eine progressionsfördernde statt regressionsfördernde Bewegung. Über das gegenständliche Medikament mit den wahrgenommenen und zugeschriebenen Wirkungen kann gesprochen werden.

Mitarbeiter (Auswahl)

  • Univ.-Prof. PD Dr. biol. hum. Dipl.-Psych. Anna Buchheim
    • Forschungsschwerpunkte: Klinische Bindungsforschung, Psychotherapieforschung
    • Funktionen: Mitgliedschaften in verschiedenen Gremien und Kommissionen
  • Univ.-Prof. Dr. med. Dr. sc. mus. Thomas Stegemann
    • Position: Professor für Musiktherapie, Leiter des Instituts für Musiktherapie sowie Leiter des Wiener Zentrums für Musiktherapie-Forschung der mdw
    • Facharzt für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie, Paar- und Familientherapeut (BvPPF)

Weitere Mitarbeiter (Herausgeber von Zeitschriften und Büchern)

  • Ao. Univ.-Prof. Mag. Dr. A.-R. Laireiter
    • Zeitschriften: Zeitschrift „Verhaltensmodifikation und Verhaltensmedizin“ (bis einschl. 1986: Verhaltensmodifikation). Mitherausgeber von 1984 bis 1994.Zeitschrift „Psychotherapie Forum“.

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