Psychiatrie mit Baby: Konzepte und Ansätze

Elternschaft wird heutzutage oft auf die schönen und angenehmen Seiten des Zusammenseins mit dem Kind reduziert, jedoch beinhaltet jedes Elternsein auch Spannungszustände, Unlusterleben sowie Zeiten der Unsicherheit. Diese Aspekte finden allzu selten Anerkennung und Erwähnung.

Die Corona-Krise hat die Gesellschaft in ihren Grundfesten "erschüttert". Depressionen, Ängste und alte Traumata kommen an die Oberfläche und bestimmen den Alltag vieler Menschen. Wie geht es in solchen Zeiten werdenden bzw. jungen Eltern, welche sehr oft durch die große Veränderung in ihrem Leben herausgefordert sind und oft durch das Schreien ihrer Babys mit alten "Gespenstern" konfrontiert werden?! Innerhalb der Corona-Krise kommt hierbei noch die soziale Isolation hinzu, noch weniger als zuvor kann den jungen Eltern jemand zur Seite stehen, ihnen Rat geben bzw. ihnen etwaig das Kind abnehmen, damit sie ein wenig Zeit für sich finden und somit Entlastung erleben dürfen. Frustration stellt sich ein und Konflikte nehmen zu. Die Wahrscheinlichkeit einer Eskalation ist erhöht.

In der Regel verstehen die Eltern nicht, warum sie sich so verängstigt oder gar panisch verhalten. Wir kommen in diesem Kontext auf das Bindungstrauma zu sprechen. Es handelt sich dabei um Erfahrungen der frühsten Kindheit, der Zeit der präverbalen Phase. Der Umstand, dass es an diese Zeit keine bewusste Erinnerung gibt erschwert den Zugang innerhalb der Therapie.

Emotionelle Erste Hilfe (EEH)

Emotionelle Erste Hilfe unterstützt Eltern, Säuglinge und Kleinkinder dabei, Wege aus dem Labyrinth schwächender Bindungserfahrungen zu finden.

Sich einzugestehen, dass man überfordert ist, und dies nach außen zu kommunizieren ist auch unter normalen Umständen keine Selbstverständlichkeit! In Zeiten von Corona wird dies, wie oben beschrieben noch zusätzlich erschwert. Dadurch kommen betroffene Eltern oft in eine Sackgasse und sind verleitet die Lösung ausschließlich beim Säugling zu suchen. Die Fokussierung der Eltern auf das Kind als das Problem ist Ausdruck ihrer vorliegenden Stress- und Alarm-reaktion. Dadurch verlieren sie den feinfühligen Zugang zu sich selbst und den Bedürfnissen ihres Kindes.

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Das Konzept der Emotionellen Ersten Hilfe leitet die Eltern anhand von einfachen Körper- und Wahrnehmungsübungen dazu an, den Fokus vom maximal tonisierten Säugling wegzuführen, und sich an den Fluss ihrer eigenen Körperempfindungen rückzubinden. Diese ist von zentraler Bedeutung für das "Bändigen der alten Gespenster" und dient somit der Stabilisierung der in einem Ausnahmezustand sich befindlichen Eltern. Ziel der EEH ist es, die Eltern in einem Zustand hinreichender Öffnung, Zentrierung und Verlangsamung zu behalten. Es ist dies eine Haltung mittels derer Eltern ihren Kindern ausreichend Sicherheit vermitteln können. Wir sprechen in diesem Zusammenhang von einem Prozess der "positiven emotionalen Ansteckung".

Achtsamkeit und Körperpsychotherapie

Kurtz (1986, S.42) sieht innere Achtsamkeit als den Bewusstseinszustand an, in dem sich der Patient am besten selbst beobachten könne. Studien weisen darauf hin, dass Achtsamkeit zu einer verbesserten Emotionsregulation führen kann. So zeigten z. B. fMRT-Studien bei Personen mit hoher dispositioneller Achtsamkeit (gemessen mit der Mindful Attention Awareness Scale) eine verstärkte Hemmung der Amygdala durch den Präfrontalen Cortex während des Benennens von Emotionen (Creswell David et al, 2007, S.

Die Konzentrative Bewegungstherapie (KBT) ist eine anerkannte tiefenpsychologisch fundierte, körper-, handlungs- und erlebnis-orientierte Psychotherapiemethode. Sie versteht den Körper als den Ort des psychischen Geschehens. Denn all das, was wir seelisch empfinden, äußert sich ja auch körperlich, unabhängig davon, ob wir dies bewusst oder unbewusst erleben. Und alles Körperliche erleben wir auch seelisch, wobei wir dabei eher seine negativen Signale bewusst wahrnehmen (z.B. werden dabei immer wieder durch gezielte "Angebote" gefördert und in einem Gesamtprozess integriert. Else Gindler, die Begründerin der KBT lehrte, dass sich eine Spannung im Körper lösen könne, indem wir sie beobachten und nicht verändern. Wenn mir dabei bewusst wird, wie ich dazu beitrage, sie herzustellen, kann ich sie eher loslassen (in Geuter U., 2019, S.

So leitet man die Eltern an die Signale ihres Körpers ("Somatischer Marker") genauer zu beachten, beispielsweise ihren Atem. Mit etwas Übung wird die Atmung sodann zu einem wichtigen Informationssystem, welches ihnen mitteilt, ob sich ihr Organismus gerade in einem verschlossenen oder bindungsbereiten Zustand befindet (Harms Th., 2008, S. In der Körperpsychotherapie streben wir im Tiefsten nicht eine beobachtende Bewusstheit von Körper an, sondern das Sein im Körper (Geuter U., 2019, S.

Fallbeispiel

Eine 28-jährige Mutter berichtet im Erstkontakt davon, dass sie durch das Schreien ihrer 8 Wochen alten Ariana „am Ende sei"! Sie leide unter beginnenden Panikattacken bzw. depressiven Zuständen, wisse weder "ein noch aus"! Ihr Mann unterstütze sie unzureichend, nehme sie diesbezüglich nicht immer ernst. Im Detail berichtet sie wie folgt: Ich fühle mich durch das stundenlange Schreien meines Kindes vollkommen überfordert, besonders in den späten Nachmittagsstunden kann ich Ariana nur noch mit letzter Kraft (aus-) halten. In der ersten Tageshälfte kann ich die Kleine noch ablenken schaukele sie sanft auf meinem Arm und lege sie häufig an meine Brust, summe ihr kleine Melodien vor etc. Im Laufe des Nachmittags nimmt dann die körperliche Spannung und Unruhe meines Kindes zu, in regelmäßigen Abständen, kommt es dann plötzlich und ohne Vorankündigung zu heftigen Schreiattacken.

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In der Erörterung vorhandener und angewandter Beruhigungsstrategien zeigt sich, dass es außer dem ständigen Körperkontakt und sich durch den Raum bewegen, keine weiteren Verhaltensangebote gibt, welche der Mutter zur Bedürfnisbefriedigung des Säuglings zur Verfügung stehen. In weiterer Folge wird das affektive Erleben der Kindesmutter während der Schrei- und Unruhephasen von Ariana exploriert. Sie bestätigt nochmals die allgemeine Überforderung und berichtet von einem Gefühl der Hilflosigkeit und des Alleingelassen- seins. Die Verbindung, also das Gefühl für ihr Kind gehe verloren. Im letzten Schritt der Anamnese stehen die spezifischen Körperempfindungen im Moment der Überforderung im Fokus. Der zentrale somatische Marker ist dabei ein Gefühl der Enge in der Brust, bildhaft umschrieben, als ob ein Band um ihren Brustkorb gelegt wird, welches dann fest zusammengezogen wird und ihr vollkommen die Luft zum Atmen nimmt.

Innerhalb der Therapie lernen die Mutter sowie in weiterer Folge auch der Vater durch die Stresserkundung das problematische Verhalten ihres Kindes ("exzessives Schreien") mit ihrem Gefühls- und Körperempfindungen ("Hilflosigkeit") zu verknüpfen. Es geht dabei um den Aufbau und die Etablierung von wirksamen Früh-warnsystemen in Momenten des drohenden Kontaktabbruchs zum Kind. Im Anschluss an die Krisenintervention wird sodann darauf hingearbeitet, als dass die Eltern lernen ihre Körper- und Gefühlsreaktionen achtsamer zu beobachten.

Good enough is good enough

Donald Woods Winnicott (1896-1971) war ein Kinderarzt und Psychoanalytiker, der die Bedeutung der Umwelt für die Entwicklung des Säuglings betonte. Er erkannte, dass der Säugling in erster Linie objektsuchend ist und nicht primär auf der Suche nach Spannungsreduktion.

Mit dem Ausspruch „There is no such thing as a baby” wird deutlich, dass man in der ersten Zeit des Lebens sich nicht alleine verstehen kann, sondern nur in Verbindung mit der primären Bezugsperson. Hierbei beschreibt Winnicott die „primäre Mütterlichkeit“ als einen Zustand erhöhter Sensibilität in der sich die Mutter mit dem absolut abhängigen Baby identifiziert und dessen Bedürfnisse durch projektive Identifizierung erfühlen kann. Hierbei lässt sich auch Wilfred Bions Konzept des Containing und dessen Funktion „unverdauliche“ Emotionen durch die Bezugsperson „verdaulich“ zu machen in aller Kürze erwähnen.

Hierbei kommt jedoch glücklicherweise die „good enough“ / „hinreichend gute“ Mutter zur Geltung, die es schafft diesen Zustand der primären Mutterschaft zu erreichen und auch später wieder aufgeben kann. Damit ermöglicht sie es dem Säugling sich „wie angelegt“ zu entwickeln. Kommt es hierbei zu einem Versagen, erlebt das Baby diese schlechte Umwelt als Übergriff und die Seinskontinuität wird mit erheblichen Folgen gestört. „Nur durch die hinreichend gute Umgebung also wird dem Kind die Möglichkeit gegeben, überhaupt zu sein, zu erleben, ein persönliches Ich aufzubauen, Triebe zu beherrschen und den zum Leben gehörenden Schwierigkeiten zu begegnen" (Winnicott, 1958).

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Winnicott definiert in der Entwicklung des Kindes drei Entwicklungsschritte:

  • Die absolute Abhängigkeit
  • Die relative Abhängigkeit
  • Die relative Unabhängigkeit

Dabei übernimmt die Mutter bzw. die primäre Bezugsperson unterschiedliche Funktionen.

Die absolute Abhängigkeit

Die Mutter hat die Funktion des „Haltens“ und stellt die noch fehlenden Ich-Funktionen zur Verfügung. Dadurch kann der Säugling die primärnarzisstische Illusion erhalten, dass er erschafft was er braucht (Erleben von Omnipotenz). Als Beispiel lässt sich der Hunger des Säuglings und das Stillen der Mutter heranziehen. Das Angebot der Mutter deckt sich mit dem Bedürfnis des Babys. Psychologisch betrachtet, gehört beim Stillen die Brust zum Selbst des Säuglings und der Säugling zum Selbst der nährenden Mutter. Dabei spielt der Blickkontakt zwischen Mutter und Kind eine wichtige Rolle, da das Baby durch den Blick der Mutter schließlich sich selbst erblickt und eine erste Ahnung von sich selbst bekommt.

Die relative Abhängigkeit

Die völlige Anpassung der Mutter an das Kind nimmt in den ersten Lebenswochen ab, sodass das Kind die Kluft zwischen Phantasie und Realität überbrücken muss. Die Mutter muss dabei ein Feingefühl für das Maß an Versagung aufbringen, um dem Kind nur gerade so viel zuzumuten, wie es dieses verstehen und ertragen kann. Winnicott spricht hierbei vom „intermediären Bereich“ in dem das Kind sich die Illusion der Omnipotinz noch eine Weile erhalten kann, in dem der Säugling eine hinreichend gute Umwelt zu einer vollkommenen Umwelt verwandelt, um mit der kränkenden Realität fertig zu werden. Nach und nach wächst die Fähigkeit sich auf die Versagung einstellen zu können und so kann sich schrittweise die innere Realität in Abgrenzung zur äußeren Realität differenzieren. Das Kind begreift seine relative Abhängigkeit anzuerkennen und die Mutter als getrennt von sich zu verstehen. Ohne diesen schrittweisen Prozess der Versagung und der Desillusionierung würde sich die Entwicklung verzögern oder gestört werden.

Die relative Unabhängigkeit

In dieser Phase etwa zwischen dem vierten und zwölften Lebensmonat spielen Übergangsphänomene und Übergangsobjekte eine wichtige Rolle, welche der Angstabwehr dienen. Beispielsweise lässt sich als Übergangsphänomen das Greifen eines Babys nach einem äußeren Objekt wie der Decke beobachten, welche es sich gemeinsam mit dem Daumen in den Mund steckt, um daran zu nuckeln und dabei murmelt. Dieser selbstberuhigende Akt hat in dieser Phase eine lebensnotwendige Bedeutung. Die Eltern erkennen die Bedeutung von Übergangsobjekten (z.B. Schmusedecke, Kuscheltier, o.ä.) welche auf Reisen mitgenommen werden. Die Beziehung zu diesen weichen kuscheligen Objekten markieren den Beginn einer zärtlichen Objektbeziehung, welche die frühe Mutter-Kind-Beziehung repräsentieren. Dabei bekommt das Übergangsobjekt die Eigenschaften der Mutter, die es gerade braucht und muss auch stellvertretend für die Mutter alle liebevollen und positiven Gefühle wie auch alle aggressiven und negativen Gefühle aushalten.

Umso tragischer ist es, wenn es hierbei zu starken Irritationen oder zu einem kalten Umfeld kommt. Die Psychotherapie kann dabei in der Beziehung zumindest ein Angebot und eine Atmosphäre dieser umsorgenden Resonanz auf die Bedürfnisse der Patienten schaffen, wenn gleich dies vielleicht weitere Herausforderungen mit sich bringt.

Das wahre und das falsche Selbst

Winnicott beschreibt in Bezug auf das Selbst eine normale Entwicklung, wenn wie erwähnt ‚alles gut geht‘ und eine fördernde Umwelt herrscht. Dann kann das Kind anfangen zu existieren und muss nicht bloß reagieren. In Bezug darauf betrachtet er Gesundheit als das Ergebnis einer hinreichend guten Umwelt am Beginn des Lebens. Das Gefühl innerer Lebendigkeit, Kreativität und Spontanität sind dabei zentrale Hinweise auf ein wahres Selbst, das sich in zwischenmenschlichen Beziehungen kooperativ, authentisch und kompromissbereit zeigen kann. In entscheidenden Situationen können Menschen mit wahrem Selbst bei sich bleiben und übernehmen oder fügen sich nicht einer Position eines anderen.

Das falsche Selbst bildet den gegenteiligen Part und ist nach Winnicott eine Art der Verzerrung des wahren Selbst wobei es Abstufungen von extrem bis gesund gibt. Hierbei herrschen Gefühle der Unwirklichkeit oder Nichtigkeit. Bei Säuglingen, die ein falsches Selbst ausbilden lässt sich eine allgemeine Reizbarkeit, Ernährungs- und Funktionsstörung erkennen. Das Kind ist isoliert, lebt nicht selbst und kopiert das Leben von anderen obwohl es mitunter normal scheint. Intelligente Kinder können das Denken als Ersatz für mütterliche Pflege und Anpassung verwenden und sich damit selbst bemuttern, es bildet sich dabei eine „Dissoziation zwischen intellektueller Aktivität und psychosomatischer Existenz“ heraus (Winnicott, 1965). Diese Symptome können sich später in psychischen Störungen oder in Schwierigkeiten bei zwischenmenschlichen Beziehungen zeigen.

Das wahre Selbst zu verbergen und zu beschützen, dient als Abwehrfunktion und ist der Zweck des falschen Selbst. Dies ist auch als Symptomgewinn des Kranken zu verstehen. Menschen mit falschem Selbst wirken als ob sie ständig eine Rolle spielen und verbergen wer sie wirklich sind. Ruhelosigkeit, Konzentrationsunfähigkeit und das Bedürfnis störende äußere Einflüsse auf sich zu beziehen und darauf zu reagieren, sind dabei wesentliche Aspekte des Lebens. Anstelle eigener Lebendigkeit wird versucht andere zu beleben.

Die Bedeutung des Körperlichen in der Eltern-Säuglings-Psychotherapie

In allen Ansätzen spielt - wie schon im Titel angesprochen - der Körper eine entscheidende Rolle, in allen wird auf die Triangulierung geachtet, und es findet eine Pendelbewegung der Aufmerksamkeit vom Baby zu den Eltern statt. Gelingende und nicht gelingende Interaktionen spiegeln sich in spezifischen Körperfunktionen und -qualitäten wider. Bindungs- und Regulationsprozesse sind im Körper verwurzelt.

In der Körperpsychotherapie wird in einem „bottom-up“-Vorgehen z.B. auf die Stress- und Spannungszustände, welche die Beziehungs- und Resonanzfähigkeit einschränken direkt über Interventionen wie Berührung, Ateminterventionen und Imagination eingewirkt. Basis ist hier das theoretische Fundament Wilhelm Reichs: die muskuläre, bzw. in den neoreichianischen Ansätzen, die Gewebepanzerung und deren emotionale Funktion. Diese Körperinformationen sind leitend für das therapeutische Handeln; auch die Atmung ist sowohl diagnostisch als auch therapeutisch zentral.

Im Gegensatz zu analytischen bzw. verhaltenstherapeutischen Ansätzen, wo sich die therapeutischen Interventionen an die Eltern richten, wird in den Körperpsychotherapien direkt mit den Säuglingen gearbeitet. Die klinische Erfahrung zeigt, dass das Baby durch seine Bewegungen und Körperpositionen seine Geburtsgeschichte und die Geschichte der Schwangerschaft ausdrückt.

Grundlegende Werkzeuge in der Säuglings-Körperpsychotherapie sind zu allererst die achtsame Körperwahrnehmung zur Erkundung von elterlichem Körper- und Affekterleben während des Stresserlebens. Dies geschieht durch eine Betonung der Ausatmung, wodurch eine Anregung des parasympathischen Nervensystems erfolgt. Zum anderen unterstützt die Hinwendung der Aufmerksamkeit zur Atmung die Innenwahrnehmung der Eltern und dient auch als Frühwarnsystem, um festzustellen, wann durch den Verlust des Kontaktfadens zur Atmung auch die Selbstanbindung und damit die haltgebende Präsenz verloren geht.

In traumatriggernden Situationen, wie das z.B. das Schreien eines Kindes ist, wirkt eine gemeinsam von Eltern und Therapeut gewählte Stelle am Körper, an dem eine Berührung erfolgt wie eine Sicherheitsstation, von welcher ausgehend der Kontakt zu sich und zum Kind bekräftigt wird. Auch kann der Therapeut über den körperlichen Kontakt feststellen, wenn der Bindungsfaden dünner wird oder sogar abreißt.

Pränatale Erfahrungen und Babykörpersprache

In der Einführung in die Geschichte der pränatal-psychologischen Sichtweise auf die Eltern-Säuglings-Psychotherapie durch Ludwig Janus wird deutlich, dass hier das Erleben vor die Deutung und das (kognitive) Verstehen gestellt wird. Dazu gehört vor allem die Beachtung von Körperempfindungen und Befindlichkeiten. Durch die empathische Begleitung kann ein, wie Janus sagt „Nach- und zu Ende-Erleben“ von überfordernder Belastung stattfinden.

Appleton bringt bereits im Titel seines Beitrags „Jedes Baby hat eine Geschichte zu erzählen“ zum Ausdruck, dass entgegen früherer Anschauung, wonach Babys sich an nichts erinnern können und auch keinen Schmerz empfinden, sehr wohl über die Körpererinnerungen das Geburtsgeschehen und sogar pränatale belastende Ereignisse repräsentiert sind. Der Geburtsverlauf wird von Appleton mit psychischen Themen verknüpft.

Babys erzählen diese Geschichten in „nicht willkürlichen, nicht zufälligen Bewegungen“, in der sogenannten Babykörpersprache. Die Babykörpersprache ist oft mit einem Schreien verbunden, dem Erinnerungsweinen - im Unterschied zum Bedürfnisweinen, einem Weinen aufgrund eines unerfüllten Bedürfnisses (Hunger, Durst, Kälte, Hitze, Müdigkeit, Überstimulation, etc.).

In der Integrativen Babytherapie wird versucht, einen „Möglichkeitsraum“ zu schaffen, wo beide - Eltern und Baby - ihre Erfahrungen einbringen können. Oftmals geschieht es, dass das Baby mit einem Erinnerungsweinen beginnt, wenn die Eltern über die traumatische Geburt oder die belastende Schwangerschaft erzählen.

Weitere Aspekte

Käppeli beschreibt sodann minutiös die Phasen einer Kaiserschnittentbindung im Hinblick auf das Erleben des Kindes und die weitreichende Bedeutung dieses Erlebens für das weitere Leben. Die Plötzlichkeit des Geschehens im Aufschneiden des Uterus, im Herausheben, im frühzeitigen Durchtrennen der Nabelschnur, hat weitreichende Implikationen für alle Ebenen des Seins. Hier geht es in der therapeutischen Arbeit z.B. darum, den Impuls ohne Druck zu reaktivieren und zum anderen darum, die Sicherheit des inneren Raumes wiederherzustellen, bzw. einen Umgang mit Angst vor Überfällen durch Rituale zu erlernen.

Auf die Krisen am Lebensanfang als Ausdruck eines Mehrgenerationen-Traumas geht Franz Renggli in seinem Beitrag „Ein Baby weint die Tränen seiner Eltern“ ein. Zwei Sätze, welche mich in diesem Artikel sehr berührt haben, möchte ich hier wortwörtlich zitieren: „Es gibt keine `schlechten´ Eltern oder `böse´ Großeltern, sondern es gibt nur traumatisierte Menschen - in mehr oder minder hohem Ausmaß“. (S.134) Das sich zu vergegenwärtigen, verhindert eine Parteinahme, die die Eltern verteufelt und sie damit in ein selbstunwirksames Eck stellt. Und zweitens: „So kann eine `Erschütterung´ am Lebensanfang nicht nur zu einer Quelle von Heilung für die Eltern werden, sondern auch für mehrere Generationen davor - und danach.

Die Emotionale Erste Hilfe ist, wie schon der Name sagt, ein Kompendium aus verschiedenen (körperorientierten) Interventionsmöglichkeiten, um akute Brüche zu heilen. Der Ansatz geht auf Wilhelm Reichs Arbeiten zurück, der in diesem Zusammenhang auch von „emotional first aid“ gesprochen hat. Eva Reich hat ab Mitte der 80er Jahre diesen Ansatz in Europa verbreitet. Er hat einen Ansatz entwickelt, in welchem psychosomatische Resonanzinformationen (bei Reich als `vegetative Identifikation´ bezeichnet) in der Arbeit zentral sind. Auch der Fokus auf die prä- und perinatale Babykörpersprache, wie sie von den Pionieren Terry und Emerson erforscht wurden, wird berücksichtigt. Ziel ist eine Stärkung der elterlichen Feinfühligkeit und damit die Stärkung der Bindungsfähigkeit.

Im Zustand des Beziehungsabbruchs ist das Erregungsaufkommen derart groß, dass es nicht bewältigbar ist. Sukzessive ergreift die Eltern und den Säugling ein Zustand der Taubheit, der Lähmung und Aktionsunfähigkeit. In der konkreten Arbeit geht es immer darum, die Eltern darin zu unterstützen, dass sie als haltgebendes Gegenüber, als „Leuchtturm“, zur Verfügung stehen. Dabei ist die Selbstanbindungsfähigkeit zentral, dass die Eltern sich immer wieder sich selbst im körperlichen Sinne gewahr werden. So ist die Wiederherstellung des Selbstbezugs das wesentliche Agens.

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