Posttraumatische Belastungsstörung und Menschenmengen

Ein belastendes Ereignis oder Erlebnis kann - oft auch erst Jahre später - zu einer posttraumatischen Belastungsstörung führen. Sie ist eine verzögerte psychische Reaktion auf eine extreme Notlage oder Krisensituation. Typisch sind Symptome des Wiedererlebens, die sich den Betroffenen in Form von Erinnerungen, Angst- und Tagträumen oder Flashbacks aufdrängen. Es treten auch Vermeidungssymptome wie Gleichgültigkeit und emotionales Abstumpfen auf.

Rechtliche Aspekte der PTBS als Folge eines Einsatzes in Menschenmengen

Betriebliche Ereignisse, die nicht im Einzelnen, sondern erst in ihrer Gesamtheit eine messbare Gesundheitsstörung zur Folge haben, stellen keinen Arbeitsunfall dar, wenn sie in einer über eine Arbeitsschicht hinausgehenden Zeit eintreten.

Sachverhalt: Ein Polizist mit langjähriger Diensterfahrung war im September 2015 zu insgesamt vier Diensten am Hauptbahnhof eingeteilt und hatte die Aufgabe, die ankommenden Flüchtlinge zu koordinieren und am Bahnhof für Sicherheit zu sorgen. Er war für etwa 100 PolizistInnen verantwortlich. Für den Polizisten war die Situation am Hauptbahnhof in diesen Tagen sehr dramatisch, es kam immer wieder zu gewaltsamen Zwischenfällen, z.B. wenn die Flüchtlinge versuchten, einen Zug nach Deutschland zu erwischen. Die Verständigung war nur sehr schwierig möglich und auch die persönliche Situation der Flüchtlinge aufgrund der Strapazen der Flucht war schlecht und belastend für den Beamten. Es gab dabei auch einen Zwischenfall mit einer Mutter und ihrem Kind, die im Gedränge der Menschenmenge bei einem Absperrgitter eingeklemmt wurden, die den Polizisten bis heute stark belastet. Zudem plagten ihn während des gesamten Einsatzes Versagensängste und Panik. Zunächst arbeitete der Polizist weiter, ließ sich dann aber aufgrund zunehmender psychischer Probleme im Jahr 2019 krankschreiben. Er begehrte im selben Jahr die Anerkennung einer posttraumatischen Belastungsstörung als Folge eines Arbeitsunfalles oder einer Berufskrankheit aus dem Einsatz am Hauptbahnhof im Jahr 2015. Die Unfallversicherungsanstalt lehnte dies ab.

Verfahren und Entscheidung: Das Erstgericht gab der Beklagten Recht und wies das Klagebegehren mit der Begründung, der Unfallbegriff sei nicht erfüllt, ab. Das Berufungsgericht bestätigte die Entscheidung der ersten Instanz, ließ jedoch die ordentliche Revision zu, weil eine Klarstellung des Begriffs „zeitlich begrenztes Ereignis“ durch das Höchstgericht geboten erschiene. Der OGH sah die Revision des Klägers als zulässig, aber nicht berechtigt an.

Originalzitate aus der Entscheidung:

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  • „2.1 Der Unfall unterscheidet sich von der (hier nicht mehr geltend gemachten) Berufskrankheit durch den Zeitraum, in dem er sich ereignet: Während sich die Berufskrankheit typischerweise während eines längeren Zeitraums entwickelt, mag sie auch mitunter plötzlich zu Gesundheitsstörungen führen, versteht man unter einem Unfall ein im Allgemeinen von außen auf Geist und/oder Körper einwirkendes, meist plötzlich eintretendes, zumindest aber zeitlich eng begrenztes Ereignis, durch das eine Gesundheitsschädigung oder der Tod bewirkt wird.“
  • „2.2 Für den Unfallbegriff nicht maßgeblich ist, ob die Körperschädigung durch eine physische oder eine psychische Wirkung (zB einen Nervenschock) hervorgerufen wird.“
  • „2.3 „Plötzlichkeit“ muss nicht Einmaligkeit heißen. Die Rechtsprechung hat die äußerste zeitliche Grenze bei der Dauer einer Arbeitsschicht gezogen. Betriebliche Ereignisse, die nicht im Einzelnen, sondern erst in ihrer Gesamtheit eine messbare Gesundheitsstörung zur Folge haben, stellen keinen Arbeitsunfall dar, wenn sie in einer über eine Arbeitsschicht hinausgehenden Zeit eintreten. Die letzte körperliche oder seelische Belastung stellt dann nur das Endglied einer Kette von Ereignissen dar, die allmählich eingewirkt haben, ohne dass einem einzelnen dieser Ereignisse die Bedeutung eines Arbeitsunfalls beigemessen werden kann.“
  • „3.1 Im vorliegenden Fall macht der Kläger geltend, dass er infolge der Ereignisse während insgesamt vier (von Ruhezeiten unterbrochenen) Dienste eine Gesundheitsstörung erlitten habe. Die von der Rechtsprechung für die zeitliche Begrenzung eines Unfallereignisses herausgearbeitete Dauer einer Arbeitsschicht ist damit überschritten.“
  • „4.5 Dem entspricht auch die Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs: Bereits in der Entscheidung wurde ausgeführt, dass betriebliche Ereignisse, die nicht im Einzelnen, sondern erst in ihrer Gesamtheit eine messbare Gesundheitsstörung zur Folge haben, keinen Arbeitsunfall darstellen, wenn sie in einer über eine Arbeitsschicht hinausreichenden Zeit eintreten. Die letzte körperliche oder seelische Belastung am Todestag ist dann nur das Endglied einer Kette von alltäglichen Ereignissen, die allmählich eingewirkt haben, ohne dass einem einzelnen Ereignis davon die Bedeutung eines Arbeitsunfalls beigemessen werden könnte. Ein solches zeitlich begrenztes psychisches Ereignis - etwa ein psychisches Trauma - als dessen kausale Folge der Entschluss zum Selbstmord fällt, kann einen Unfall darstellen.“
  • „4.6 Ergebnis: a) Betriebliche Ereignisse, die nicht im Einzelnen, sondern erst in ihrer Gesamtheit eine messbare Gesundheitsstörung zur Folge haben, sind kein Arbeitsunfall, wenn sie in einer über eine Arbeitsschicht hinausgehenden Zeit eintreten. b) Bei Verteilung mehrerer physischer oder psychischer Ereignisse über einen über eine Arbeitsschicht hinausgehenden Zeitraum ist „Plötzlichkeit“ - und damit ein Arbeitsunfall im Sinn der gesetzlichen Unfallversicherung - nur dann zu bejahen, wenn sich ein oder mehrere Ereignisse (Einwirkungen) innerhalb einer bestimmten Arbeitsschicht aus der Gesamtheit der Ereignisse (Einwirkungen) so herausheben, dass sie nicht bloß eine (insbesondere die letzte) unter mehreren gleichwertigen Ursachen der Schädigung sind, sondern für die Schädigung wesentliche Bedeutung haben, diese also alleine wesentlich bedingen.“

Erläuterung: Im Ergebnis bestätigt der OGH in seiner Entscheidung die Beurteilung des Berufungsgerichts, wonach die hier vorliegenden, sehr belastenden Ereignisse während des viertägigen Einsatzes in ihrer Gesamtheit verantwortlich für die aufgetretene posttraumatische Belastungsstörung des Klägers waren, jedoch aufgrund des Erstreckens der Vorgänge auf mehrere „Arbeitsschichten“ die zeitliche Begrenzung im Sinne des (Dienst-)Unfallbegriffs im vorliegenden Fall nicht erfüllt ist. Aus den bindenden Feststellungen des Erstgerichts hat sich nicht ergeben, dass ein besonderer Vorfall (der geschilderte Vorfall der Mutter mit dem kleinen Kind) in diesem Zeitraum alleine wesentlich für das Auftreten der Gesundheitsstörung beim Kläger gewesen sei, was eine Anerkennung als Dienst-(Arbeits-)unfall unmöglich macht.

Angststörungen: Ein Überblick

Angst ist eine natürliche und überlebenswichtige Emotion, die uns in Gefahrensituationen schützt. Doch wenn Angst unverhältnismäßig stark oder ohne erkennbaren Grund auftritt und den Alltag erheblich beeinträchtigt, kann sie zu einer Angststörung werden. Diese gehört zu den häufigsten psychischen Erkrankungen und ist für Betroffene oft belastend - aber behandelbar.

Angststörungen umfassen verschiedene psychische Erkrankungen, bei denen übermäßige und langanhaltende Angstzustände auftreten. Obwohl die Symptome je nach Typ der Störung variieren, haben alle gemeinsam, dass sie das Leben der Betroffenen erheblich beeinträchtigen können. Die wichtigsten Arten von Angststörungen sind:

  • Generalisierte Angststörung (GAS): Betroffene leiden unter ständiger, nicht an eine spezifische Situation gebundener Überbesorgtheit und Ängstlichkeit. Diese Ängste beziehen sich häufig auf Alltagssituationen, Gesundheit, Finanzen oder Beziehungen.
  • Panikstörung: Gekennzeichnet durch wiederkehrende Panikattacken, plötzliche und intensive Angstzustände, die oft von körperlichen Symptomen wie Herzrasen, Atemnot und Schwindel begleitet werden. Betroffene fürchten oft eine ernsthafte Erkrankung oder den Verlust der Kontrolle.
  • Soziale Angststörung: Diese Form der Angststörung ist durch eine intensive Angst vor sozialen Situationen oder der Bewertung durch andere Menschen gekennzeichnet. Betroffene meiden häufig zwischenmenschliche Kontakte und empfinden alltägliche Interaktionen als äußerst belastend.
  • Spezifische Phobien: Hierbei handelt es sich um eine ausgeprägte Angst vor spezifischen Objekten oder Situationen, wie etwa Höhen, Blut, Spritzen, Verletzungen, Spinnen, Schlangen oder Schnecken. Betroffene versuchen oft, diese angstauslösenden Reize zu vermeiden, was jedoch langfristig die Ängste verstärkt.
  • Agoraphobie: Diese Form der Angststörung beschreibt die Furcht vor Orten oder Situationen, in denen eine Flucht schwierig oder peinlich sein könnte. Menschen mit Agoraphobie meiden oft öffentliche Plätze, Menschenmengen oder das Alleinreisen, was ihre Bewegungsfreiheit erheblich einschränken kann. Häufige Beispiele sind die Angst vor dem Autofahren, der Besuch von Konzerten (insbesondere ohne einen Fluchtweg in der Nähe) oder der Aufenthalt in Einkaufszentren und großen Räumen. Diese Situationen werden häufig als überwältigend und schwer kontrollierbar wahrgenommen.
  • Krankheitsbezogene Ängste (Hypochondrie): Betroffene haben eine übermäßige Angst davor, schwer zu erkranken. Sie interpretieren körperliche Symptome häufig als Hinweis auf eine ernsthafte Erkrankung und suchen oft wiederholt ärztliche Bestätigungen oder vermeiden Arztbesuche aus Angst vor einer Diagnose.
  • Zwangsstörung (OCD): Obgleich Zwangsstörungen eigenständig betrachtet werden, gehen sie oft mit ängstlichen Gedanken einher. Wiederholte, belastende Zwangsgedanken oder Handlungen sollen die Angst reduzieren, verstärken sie jedoch langfristig.
  • Posttraumatische Belastungsstörung (PTBS): Nach einem traumatischen Ereignis können anhaltende Angst, Flashbacks und Vermeidungsverhalten auftreten. PTBS gehört ebenfalls zu den Angststörungen und erfordert eine spezialisierte Behandlung.

Wie entstehen Angststörungen?

Die Entstehung von Angststörungen ist multifaktoriell und umfasst:

  • Biologische Faktoren: Genetik, Neurotransmitter-Ungleichgewichte (z. B. Serotonin, GABA) und eine Überaktivierung der Amygdala können die Entwicklung begünstigen.
  • Psychologische Faktoren: Erlernte Verhaltensmuster, negative Denkmuster und traumatische Erfahrungen tragen häufig zur Entstehung bei.
  • Umweltfaktoren: Stressige Lebensereignisse, Erziehungsstile und kulturelle Einflüsse spielen ebenfalls eine Rolle.

Die Rolle der Verhaltenstherapie bei Angststörungen

Die Verhaltenstherapie zielt darauf ab, dysfunktionale Gedanken, Verhaltensmuster und körperliche Reaktionen zu erkennen und gezielt zu verändern. Hierbei stehen wissenschaftlich fundierte Methoden im Mittelpunkt, die individuell an die Bedürfnisse des Einzelnen angepasst werden.

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  1. Psychoedukation und Experte der eigenen Angst werden: Zu Beginn der Therapie steht die Vermittlung von Wissen über Angst und deren Funktionsweise. Betroffene lernen, dass Angst ein natürlicher Schutzmechanismus ist und keine Bedrohung an sich darstellt. Darüber hinaus lernen sie, ihre eigene Angst genau zu verstehen und ein Experte im Umgang mit ihr zu werden. Indem sie lernen, wie Angst entsteht und welche Faktoren sie beeinflussen, können sie selbstbewusst Strategien entwickeln, um ihre Ängste nachhaltig zu bewältigen. Dies schafft ein erstes Verständnis und reduziert die Angst vor der Angst.
  2. Expositionstherapie: Ein zentraler Bestandteil der Verhaltenstherapie ist die Exposition, bei der Betroffene sich bewusst angstauslösenden Situationen stellen. Vermeidung ist das Leitsymptom der meisten Angststörungen, da sie kurzfristig Erleichterung verschafft, die Angst jedoch langfristig verstärkt. Ziel der Exposition ist es, die Vermeidungsstrategie zu durchbrechen und die Angst durch wiederholte Konfrontation abzubauen. Ein Beispiel: Eine Person mit einer spezifischen Phobie vor Spinnen könnte schrittweise an die Begegnung mit einer Spinne herangeführt werden. Dies beginnt möglicherweise mit dem Betrachten eines Bildes, gefolgt von der Beobachtung einer lebenden Spinne aus sicherer Entfernung, bis hin zum direkten Kontakt. Durch diese wiederholte Konfrontation lernt das Gehirn, dass die angstauslösende Situation sicher ist, und die Angst nimmt allmählich ab. Wichtig ist dabei, dass die Exposition in einem sicheren und unterstützenden Rahmen stattfindet, damit Betroffene sich der Herausforderung gewachsen fühlen.
  3. Kognitive Umstrukturierung: Negative Gedanken wie „Ich werde scheitern“ oder „Etwas Schlimmes wird passieren“ werden identifiziert und durch realistischere, hilfreichere Gedanken ersetzt. Diese Methode hilft, die Angstspirale zu durchbrechen.
  4. Achtsamkeit und Entspannungsverfahren: Techniken wie progressive Muskelentspannung, Atemübungen und Achtsamkeitstraining können helfen, die körperliche Erregung zu senken und die Kontrolle über die Symptome zurückzugewinnen.
  5. Aufbau von Ressourcen und Bewältigungsstrategien: In der Therapie werden Stärken und Ressourcen der Betroffenen gefördert, um die Resilienz zu steigern. Positive Erfahrungen werden gezielt genutzt, um das Selbstvertrauen zu stärken.

Verhaltenstherapie ist eine wissenschaftlich gut evaluierte und strukturierte Methode, die individuelle Veränderungsprozesse wirksam unterstützt. Sie hat sich in zahlreichen Studien als sehr effektiv bei der Behandlung von Angststörungen erwiesen. Durch die nachvollziehbaren Ansätze erhalten Betroffene Werkzeuge, um schrittweise die Kontrolle über ihre Ängste zurückzugewinnen. Im Mittelpunkt stehen dabei die Bedürfnisse und Ziele der Betroffenen, um eine nachhaltige Verbesserung der Lebensqualität zu erreichen.

Die Auseinandersetzung mit Angst erfordert Mut, ist aber ein entscheidender Schritt in Richtung Freiheit und Lebensfreude. Wenn Sie oder jemand, den Sie kennen, unter einer Angststörung leiden, kann eine verhaltenstherapeutische Begleitung helfen. Gemeinsam können wir einen Weg finden, der Ihnen wieder mehr Sicherheit und Zuversicht schenkt.

Weitere psychische Belastungen und Therapieansätze

Neben Angststörungen gibt es eine Vielzahl weiterer psychischer Belastungen, die das Leben beeinträchtigen können:

  • Burnout: Entsteht oft durch anhaltenden Stress und das Gefühl, nicht mehr „funktionieren“ zu können. Körper und Geist fühlen sich erschöpft an.
  • Depressionen: Gehen oft mit Gefühlen von Niedergeschlagenheit, Antriebslosigkeit und einem Verlust an Freude einher. Es kann schwerfallen, den Tag zu bewältigen.
  • Schlafstörungen: Äußern sich durch Probleme beim Ein- oder Durchschlafen, frühes Erwachen oder nicht erholsamen Schlaf. Sie können durch Stress, Ängste oder körperliche Ursachen ausgelöst werden und beeinträchtigen oft die Energie und Lebensfreude.
  • Trauer: Ist eine natürliche Reaktion auf Verluste, die jedoch überwältigend sein kann.
  • Zwangsgedanken: Sind belastende, wiederkehrende Gedanken, die sich nur schwer abschütteln lassen. Zwangshandlungen, wie häufiges Kontrollieren oder Reinigen, dienen oft dazu, kurzfristig Erleichterung zu verschaffen.
  • Psychosomatische Beschwerden: Zeigen sich, wenn der Körper auf Stress oder psychische Belastungen reagiert - etwa durch Kopfschmerzen, Magenprobleme oder Verspannungen.
  • Trauma: Entsteht durch belastende Ereignisse, die schwer zu verarbeiten sind. Symptome wie Flashbacks, Angst oder Schlafprobleme können auftreten.
  • Süchte: Wie der Konsum von Alkohol, Drogen oder übermäßiges Verhalten (z. B. Glücksspiel) dienen oft dazu, schwierige Gefühle zu bewältigen.

Für all diese Belastungen gibt es professionelle Hilfe in Form von Psychotherapie, Verhaltenstherapie und medikamentöser Behandlung. Ziel ist es, die Lebensqualität der Betroffenen zu verbessern und ihnen zu helfen, ein erfülltes Leben zu führen.

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