Die Psychoanalyse ist ein gesprächsorientiertes Verfahren auf psychologischer Grundlage. Sie ist eine psychologische Theorie, Kulturtheorie, psychotherapeutische Behandlungsform und Methode zur Selbsterfahrung.
Ursprünge und Entwicklung
Die Psychoanalyse wurde Ende des 19. Jahrhunderts von dem Neurologen Sigmund Freud (1856-1939) in Wien begründet. Sie ist das älteste (im modernen, westlichen Sinn) psychotherapeutische Verfahren und Grundlage vieler später entstandener Therapieverfahren. Freud selbst veränderte das Verfahren kontinuierlich.
Aus der Psychoanalyse haben sich später die verschiedenen Schulen der Tiefenpsychologie entwickelt. In allen drei Aspekten wird die Psychoanalyse bis heute von Klinikern und Forschern weiterentwickelt und verändert. So ist die Psychoanalyse als medizinisch-psychologische Disziplin heute durch einen theoretischen, methodischen und therapeutischen Pluralismus charakterisiert.
Definitionen der Psychoanalyse
Entsprechend den von Freud selbst 1923 formulierten drei Definitionen wird unterteilt in:
- Psychoanalyse als wissenschaftliche Disziplin
- Verfahren zur Untersuchung seelischer Vorgänge
- Behandlungsmethode
Psychoanalyse als Wissenschaft
Die Psychoanalyse ist eine Theorie über unbewusste psychische Vorgänge. Laut Freud hat sie auch den Anspruch, eine umfassende Konzeption des Mentalen und seiner Verbindungen zu den Bereichen des Körperlichen und des Soziokulturellen darzustellen.
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Psychoanalytiker der auf Freud folgenden Generationen haben die Psychoanalyse in vielfältige Richtungen weiterentwickelt, teils mit Freud übereinstimmend, teils weit von ihm abweichend. Diese stetige Differenzierung der psychoanalytischen Theorie und Methodik hat - ergänzt um integrative Bemühungen - zur Entstehung einer Vielzahl von psychoanalytischen Schulen mit unterschiedlichen Konzepten und Schwerpunkten geführt.
Dazu zählen z. B. die Ich-Psychologie, die Objektbeziehungstheorie (u. a. Melanie Klein, Donald Winnicott, Wilfred Bion), die Selbstpsychologie (Heinz Kohut), die Relationale und Intersubjektive Schule der Psychoanalyse sowie die Strukturalistische oder Strukturale Psychoanalyse (Jacques Lacan).
Psychoanalyse als Methodik
Die Psychoanalyse als psychologisches Theoriegebäude hat außerdem Methoden zur Untersuchung des menschlichen Erlebens, Denkens und Verhaltens - sowohl einzelner Menschen (z. B. Entwicklungspsychologie, Psychopathologie) als auch von Gruppen (Massenpsychologie) und Kulturen (Ethnopsychoanalyse) - hervorgebracht.
Leitidee ist, dass sich hinter der wahrnehmbaren "Oberfläche" von Verhaltensweisen (z. B. eines individuellen Verhaltens), aber auch hinter Normen und Werten einer kulturellen Gemeinschaft oft unbewusste, dem Ich nicht ohne Weiteres bewusst zugängliche Bedeutungen verbergen, die sich mit Hilfe der psychoanalytischen Konzepte und Methoden jedoch aufdecken lassen und verständlich werden.
In den Jahrzehnten nach Freud haben andere Psychoanalytiker weitere Methoden entwickelt, so z. B. zur Analyse der Persönlichkeitsstruktur (u. a. Arbeitskreis OPD) oder der Erzählstrukturen (z. B. Boothe: Erzählanalyse JAKOB). Auch Märchen, Mythen und Werke der bildenden Kunst, der Literatur und des Films wurden psychoanalytisch interpretiert.
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Psychoanalyse als Therapie
Im engeren Sinn ist die Psychoanalyse ein psychotherapeutisches Behandlungsverfahren. Im Unterschied zu übenden bzw. trainierenden Verfahren (wie Verhaltenstherapie) zählt sie zu den aufdeckenden Therapien, die versuchen, dem Patienten ein vertieftes Verständnis der ursächlichen (meist unbewussten) Zusammenhänge seines Leidens zu vermitteln - was oft mit dem Begriff der Einsicht verbunden wird. Es wäre jedoch ein Missverständnis, eine rationale Einsicht in die Verursachungszusammenhänge als wesentliches Ziel einer psychoanalytischen Therapie anzusehen. Vielmehr wird eine weitergehende Umstrukturierung der Persönlichkeit und insbesondere des Gefühlslebens in denjenigen Bereichen angestrebt, die zur Aufrechterhaltung psychopathologischer Elemente (Symptome, Persönlichkeitseigenschaften) beitragen.
Zielgruppen
Die Psychoanalyse ist für alle Altersgruppen geeignet.
Vorgehensweise
Psychoanalyse wird als Einzel-, Gruppen-, Paar-, Familien- und Spieltherapie angeboten. Im Vorgehen kann zwischen klassischer Psychoanalyse, psychoanalytischer Psychotherapie und Fokaltherapie unterschieden werden.
Die AnalysandIn wird aufgefordert, alles zu sagen, was ihr durch den Kopf geht, egal wie lächerlich, peinlich, nebensächlich ihr diese Gedanken erscheinen (freie Assoziation). Die AnalytikerIn soll sich alles mit gleichmäßiger Aufmerksamkeit anhören und von Zeit zu Zeit Deutungen der unbewußten Vorgänge anbieten.
Zwischen AnalysandIn und AnalytikerIn soll die sogenannte Übertragungsbeziehung entstehen, d.h. daß die AnalysandIn Gefühle und Wünsche auf die AnalytikerIn überträgt (= ihr gegenüber erlebt), die sie wichtigen Bezugspersonen ihrer Kindheit gegenüber empfunden hatte. Die Analyse dieser Übertragung ist genau wie die Traumanalyse eine zentrale Technik der Psychoanalyse.
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Eine weitere Methode ist die Widerstandsanalyse, wobei Widerstand all die Handlungen und Worte der AnalysandIn genannt werden, die sich der Bewußtwerdung unbewußter Motive oder der in der Analyse angestrebten Veränderung entgegenstellen.
In der psychoanalytischen Psychotherapie sitzen sich TherapeutIn und PatientIn meist gegenüber. In der Fokaltherapie sitzen sich TherapeutIn und PatientIn ebenfalls gegenüber. Die TherapeutIn versucht zu Anfang den Kernkonflikt oder Fokus der PatientIn durch gezieltes Fragen herauszufinden. Die PatientIn soll direkt zu diesem Kernkonflikt Gefühle und Gedanken aussprechen, die die TherapeutIn deutet.
Die klassische Psychoanalyse findet in drei bis fünf Sitzungen von je 50 Minuten Dauer pro Woche statt, oft über mehrere Jahre. Der Patient - bzw. im Fall von Selbsterfahrung oder einer Lehranalyse der Analysand - liegt auf einer Couch und sagt möglichst unzensiert alles, was ihn gerade bewegt bzw. ihm durch den Sinn geht (freies Assoziieren). Der Analytiker sitzt hinter ihm, hört mit einer Haltung "gleichschwebender Aufmerksamkeit" zu und teilt dem Analysanden die während des psychoanalytischen Prozesses gewonnenen Erkenntnisse mit ("Deutung"), wann immer er es für günstig hält.
Insbesondere bemüht sich der Analytiker, die sich in der Beziehung zu ihm einstellenden Übertragungen typischer emotionaler Muster bzw. Motive des Analysanden aufzuspüren, und ihre Bedeutung innerhalb der Psychodynamik des Analysanden zu interpretieren, um sie einer Veränderung zugänglich zu machen ("Übertragungsanalyse"). Auch die Traumanalyse kommt während der analytischen Behandlung zur Anwendung.
Neben der "großen" psychoanalytischen Therapie mit bis zu 300, von der gesetzlichen Krankenversicherung finanzierbaren Sitzungen sind heute kürzer dauernde tiefenpsychologische Therapieformen weit verbreitet (siehe unter anderem analytische Psychotherapie und tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie), bei denen sich Analytiker und Analysand gegenübersitzen und sich ein- bis zweimal wöchentlich treffen.
Erwähnenswert sind noch die psychoanalytischen Fokaltherapien und Kurzzeittherapien, bei denen versucht wird, ein zentrales, mehr oder weniger klar umschriebenes Problem in insgesamt ca. 20 bis 30 Sitzungen zu behandeln, sowie die "niederfrequente psychoanalytische Psychotherapie", mit ein bis zwei Sitzungen wöchentlich.
Es wurden Methoden entwickelt, die besonders für die Behandlung von spezifischen psychischen Störungen geeignet sind.
Die Psychoanalyse findet Anwendung bei Erwachsenen sowie bei Kindern und Jugendlichen. Zudem gibt es psychoanalytische Paar- und Familientherapie, Gruppenanalyse, stationäre psychodynamische Therapie und psychoanalytisch orientierte Supervision.
Grundlagen der psychoanalytischen Theorie
Die Grundzüge der Psychoanalyse als erste umfassende Theorie des Mentalen unter besonderer Berücksichtigung unbewusster Prozesse wurden Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts von dem Wiener Neurologen Sigmund Freud entwickelt.
Freud ging davon aus, dass Triebe in der Psyche von der frühen Kindheit an eine Dynamik in Gang setzten, die bestimmend für das weitere Leben ist. Auf der Grundlage dieser Konzepte war es ihm möglich, Erklärungen für pathologische Abweichungen zu finden, die er in seiner spezifischen Therapieform, der Psychoanalyse, anwenden konnte, um Patienten zu behandeln.
Weiterhin untersuchte Freud auch Alltagsphänomene wie Mythen, Bräuche, Witze und die sogar nach ihm benannten "Freud'schen Fehlleistungen", welche - wie die Träume - zuvor bei der Wissenschaft kaum Interesse erregt hatten.
Bei der Weiterentwicklung der Psychoanalyse war ein wichtiger theoretischer Schritt der von einer "one-body psychology", wie Michael Balint die klassische, Freud'sche Psychoanalyse bezeichnete, zu einer Mehr-Personen-Psychologie. Freuds Triebtheorie war sehr stark an dem mechanistischen Weltbild seiner Zeit orientiert.
Heute betrachtet die Psychoanalyse viel eher die Beziehungen, in die ein Mensch eingebettet ist. Sie betrachtet seine Entwicklung und Reifung immer in Wechselwirkung mit seiner Umwelt. Hierbei stehen die Beziehungen des Menschen zu seinen engsten Bezugspersonen von seiner frühesten Kindheit an im Vordergrund. Die Psychoanalyse untersucht, wie er sich an diese frühen Beziehungen erinnert und diese in seiner Psyche repräsentiert. Auch betont die Psychoanalyse viel eher die realen Umweltbedingungen, in denen ein Mensch lebt und aufwächst, und betrachtet, wie er auf diese Bedingungen reagiert.
Heute existieren vier Hauptrichtungen der Psychoanalyse, die sich gegenseitig beeinflussen und ergänzen, einander teilweise aber auch widersprechen:
- Die Triebtheorie, die von Sigmund Freud begründet wurde
- Die Ich-Psychologie, die auf Heinz Hartmann zurückgeht
- Die Objektbeziehungstheorie, die von unterschiedlichen Autoren eingeführt wurde
- Die Selbstpsychologie von Heinz Kohut
Unterformen der Psychoanalyse
Es gibt verschiedene Unterformen der Psychoanalyse:
- Klassische Psychoanalyse (= Langzeitanalyse = Große Analyse)
- Analytische Psychotherapie
- Fokaltherapie (= psychoanalytische Kurztherapie)
Theorie
Freud hat frühkindliche Triebkonflikte und Triebfixierungen auf verschiedenen sexuellen Entwicklungsstufen (oral, anal, genital) als Ursachen der Neurosenentstehung angenommen. In der Psychoanalyse gelten unbewältigte Konflikte in der Kindheit als Ursache psychischer Störungen. Die Behandlung psychischer Störungen soll durch Bewußtmachen der unbewußten Konflikte und durch die Einsicht in die lebensgeschichtliche Bedeutung der Symptome erreicht werden.
Durch die Methoden der freien Assoziation, der Traumanalyse, der Widerstandsanalyse und der Übertragungsanalyse soll der Zugang zum Unbewußten ermöglicht werden. Es wird angenommen, daß durch Erinnern, Wiederholen und Durcharbeiten diese Konflikte nachträglich verarbeitet werden können.
Die klassische Psychoanalyse dauert deshalb so lang, weil angenommen wird, daß die langwierige Entwicklung, Durcharbeitung und Auflösung einer Übertragungsneurose (künstliche Neurose, die durch die Übertragungsbeziehung entsteht) die Voraussetzung für eine tiefgreifende Persönlichkeitsveränderung oder Heilung ist.
Sigmund Freud und die Psychoanalyse
Zum besseren Verständnis der Psychoanalyse ist eine gewisse Kenntnis von Freuds Theorien notwendig. Sie bilden ein wichtiges Fundament der Psychoanalyse. Im Folgenden finden Sie eine Auswahl an bedeutenden Theorien:Das Strukturmodell der Psyche: Das Es, das Ich und das Über-Ich
Das Strukturmodell der Psyche: Das Es, das Ich und das Über-Ich
Freud strukturierte die Psyche in drei Teile: Das Es, das Über-Ich und das Ich.
Das Es
Den unbewussten Anteil, der die Bedürfnisse und Triebe umfasst, bezeichnete Freud als „Es“. Das Es besteht von Geburt an und verlangt nach sofortiger Befriedigung. Ein Kleinkind, das hungrig ist, beginnt sofort zu weinen, wenn der Hunger nicht gestillt wird. Ein Teil der Persönlichkeit wird von diesem „Es“ bestimmt. Das Es funktioniert nach dem Lustprinzip und interessiert sich nicht für gesellschaftliche Normen.
Das Über-Ich
Das „Über-Ich“ stellt den Gegenspieler zum Es dar. Als moralische Instanz vertritt das Über-Ich die Werte der Gesellschaft. Häufig handelt es sich auch um Gebote oder Verbote, die eine Person von ihren Eltern übernommen hat. Die Normen des Über-Ichs sind teilweise bewusst und teilweise unbewusst.
Das Ich
Zwischen dem Es und dem Über-Ich steht als Mittler das „Ich“. Das Ich bildet sich während der Kindheit aus. Es beinhaltet das Bewusstsein um sich selbst und die Realität. Das Ich vermittelt zwischen den triebhaften Impulsen des Es und den moralischen Ansprüchen des Über-Ichs.
Freud ging davon aus, dass seelische Probleme auf frühe Konflikte zwischen diesen unterschiedlichen Teilen der Psyche zurückzuführen sind. Sein Ziel war es, dass der Patient oder die Patientin die unterschiedlichen Anteile kennenlernt und daraufhin selbstverantwortlich über das eigene Leben entscheiden kann.
Das topographische Modell
Freud unterschied zwischen dem Unbewussten, dem Vorbewussten und dem Bewussten.
Das Unbewusste umfasst oft unangenehme Erinnerungen oder auch Wünsche, die die Person sich nicht erlauben möchte.
Das Vorbewusste sind Erinnerungen, die der Person bewusstwerden können, wenn sie die Aufmerksamkeit darauf richtet.
Das Bewusste sind die Gedanken, die eine Person in einem bestimmten Moment wahrnimmt und verarbeitet.
In der psychoanalytischen Therapie spielen diese Bewusstseinsunterteilungen eine bedeutende Rolle. In bedrohlichen oder schmerzhaften Situationen kann es überlebenswichtig sein, Gefühle oder Gedanken nicht bewusst zu empfinden.
Ein wichtiger Abwehrmechanismus ist die Verdrängung. Unangenehme Gefühle oder Triebe können zu unserem eigenen Schutz unterdrückt werden.
Ethische Aspekte
Ziele und Vorgehensweise widersprechen im allgemeinen nicht humanen Grundsätzen. Ethisch bedenklich ist bei der klassischen Psychoanalyse, wenn manche TherapeutInnen ihren PatientInnen ein Schweigegebot über das Geschehen in den Sitzungen auferlegen.
Die Übertragung wird in der Psychoanalyse zunächst gefördert - manche PsychoanalytikerInnen verpflichten ihre PatientInnen dazu z.B. nur dann in Urlaub zu gehen, wenn sie selbst es tun oder während der Therapie keine einschneidenden Veränderungen in ihrem Leben vorzunehmen.
Zusammenfassung der psychoanalytischen Methoden
| Methode | Beschreibung |
|---|---|
| Freie Assoziation | Der Patient äußert alle Gedanken und Gefühle, die ihm in den Sinn kommen, ohne Zensur. |
| Traumanalyse | Die Deutung von Träumen, um unbewusste Konflikte und Wünsche aufzudecken. |
| Übertragungsanalyse | Die Analyse der Gefühle und Verhaltensweisen des Patienten gegenüber dem Therapeuten, die auf frühere Beziehungen zurückzuführen sind. |
| Widerstandsanalyse | Die Identifizierung und Analyse von Widerständen des Patienten gegen die Aufdeckung unbewusster Inhalte. |
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