Der Themenbereich der psychischen Gesundheit wird gesellschaftlich und in der öffentlichen Diskussion immer stärker thematisiert. Um die Bedeutung der psychischen Gesundheit in den Mittelpunkt zu rücken, initiierte die WHO Europa 2005 eine Konferenz in Helsinki für die GesundheitsministerInnen aller Mitgliedsstaaten der WHO-Region Europa.
Bei der "WHO-Tagung des Regionalkomitees für Europa" in Izmir im September 2013 wurde zur Förderung der psychischen Gesundheit in der "Europäischen Region" der "Europäische Aktionsplan für psychische Gesundheit" (2013) beschlossen.
In Österreich wurde für die Umsetzung der Ziele von Helsinki und der Aufgaben im Bereich psychische Gesundheit sowie zur fachlichen Beratung der Gesundheitsministerin/des Gesundheitsministers der "Beirat für Psychische Gesundheit" eingerichtet. Der Beirat ist interdisziplinär und multiprofessionell zusammengesetzt.
Psychische Gesundheit und Soziale Sicherheit
Armut betrifft in Österreich 1.592.000 Menschen - das sind 17,7 % der Bevölkerung. Besonders erschütternd: 376.000 Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren sind betroffen, das sind um 23.000 mehr als im Vorjahr. Die seelischen Folgen bleiben nicht aus: Existenzängste, soziale Ausgrenzung und Perspektivlosigkeit belasten viele Menschen.
Wer wenig hat, trägt oft schwer: Menschen im untersten Einkommensfünftel leiden mehr als sechsmal so häufig an Depressionen wie Menschen mit hohem Einkommen - konkret sind es 18,5 % gegenüber nur 3 %. Dieser Unterschied ist kein Zufall, sondern ein strukturelles Problem.
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Auch chronische Erkrankungen sind bei armutsbetroffenen Menschen überdurchschnittlich verbreitet: 37 % derer, die unter der Armutsgefährdungsschwelle leben, haben mit dauerhaften gesundheitlichen Einschränkungen zu kämpfen. Und jede*r siebte Betroffene stuft die eigene Gesundheit als „schlecht“ oder „sehr schlecht“ ein - das ist mehr als doppelt so oft wie im Bevölkerungsschnitt.
Wer Sozialleistungen bezieht, alleinerziehend ist oder langzeitarbeitslos, lebt besonders häufig in dieser Spirale aus materieller Not und seelischer Erschöpfung. Deine psychische Gesundheit darf nicht vom Geldbörserl abhängig sein. Deswegen braucht es dringend Maßnahmen, um diesen Notstand entgegenzuwirken.
Psychische Gesundheit braucht soziale Sicherheit.
Psychische Belastungen am Arbeitsplatz
Viele Arbeitnehmer_innen sind aufgrund prekärer Arbeitsbedingungen von psychischen Erkrankungen betroffen. Personalmangel in Spitälern, Vereinsamung im Homeoffice, Dauerstress bei Paketzusteller_innen, Jobunsicherheit und vieles mehr. Die politisch Verantwortlichen müssen endlich handeln und menschengerechte Arbeitsbedingungen für die Psyche schaffen.
Ein Problem ist sicher der Verlust beziehungsweise die Bedrohung des Arbeitsplatzes. Das zweite Problem ist die Veränderung des Arbeitsplatzes. Wir können zuhause nicht wie früher und mit der gewohnten Struktur arbeiten. Das hat zum einen mit teils sehr beengten Wohnverhältnissen zu tun.
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Vor allem aber gibt es keine vorgegebene Tagesstruktur wie im Büro - mit klaren Arbeitszeiten, Pausen, Mittagessen et cetera. Die meisten schaffen es nicht, sich zuhause diese Struktur selbst zu schaffen. Diese Strukturlosigkeit wirkt sich im psychischen Bereich besonders stark aus. Man sollte sich also unbedingt Pausen und Erholungsphasen gönnen.
Sehr viele Indikatoren deuten auch darauf hin, dass im Homeoffice viel mehr gearbeitet wird als vorher. Weil man keine Grenzen hat und quasi die ganze Zeit arbeiten könnte und kann. Ein Burn-out entsteht aber nicht nur durch vieles Arbeiten, das Klima am Arbeitsplatz spielt ebenfalls eine Rolle. Wenn das Miteinander von Reizbarkeit und Überforderung geprägt ist, belastet das zusätzlich.
Auswirkungen der Corona-Pandemie
Ein Jahr Corona-Pandemie hat tiefe Spuren hinterlassen: Viele Menschen sind psychisch stark belastet, wie eine repräsentative Studie zeigt. Die Corona-Pandemie hat direkte und indirekte Folgen auf die psychische Gesundheit; zu Letzteren gehören auch Lockdowns mit all ihren Konsequenzen. Psychische Folgeerkrankungen, die aus Belastungssituationen entstehen, treten oft mit einer zeitlichen Verzögerung in Erscheinung.
Michael Musalek: Es hat sich gezeigt, dass es bei rund einem Viertel der Befragten durch diese Krise zu einer massiven psychischen Belastung gekommen ist. Ebenfalls ein Viertel der Befragten war von wirtschaftlichen Problemen betroffen oder hat diese befürchtet. Die Menschen sind also nicht vorrangig wegen der - erwartbaren -wirtschaftlichen Belastungen psychisch belastet, sondern viel mehr durch die Maßnahmen, die in einer solchen Situation gesetzt werden müssen…. … und die trotzdem natürlich Nebenwirkungen haben.
Genau. Keinen Kontakt zu haben zu den liebsten Menschen, das trifft etwa besonders alte, allein lebende Menschen, dazu der Reiseentzug - das sind die Hauptgründe für die Belastungen. Wir wissen, dass wir Akutbelastungen sehr gut aushalten, während wir chronische Belastungen schlecht aushalten können.
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Wir sprechen von einer psychosozialen Pandemie, die sich nun - wie ich befürchte - ausweitet. Das heißt, dass auch psychische Leiden ansteckend sind? Richtig. Im Gegensatz zur viralen wird sich die psychosoziale Pandemie wahrscheinlich rascher ausbreiten und vor allem: Sie wird länger dauern.
Sie zeigt sich letztlich in drei Bereichen: Der eine ist eine Zunahme der Ängste. Der zweite betrifft eine erhöhte Reizbarkeit und Gereiztheit. Der dritte Bereich betrifft den sozialen Rückzug bis hin zu Verzweiflung und depressiven Zuständen. Das hat sich schon in der Befragung nach dem ersten Lockdown im Mai 2020 gezeigt. Derzeit läuft eine Nachuntersuchung, die Daten dazu bekommen wir in rund einem Monat. Wir gehen aber davon aus, dass die psychische Belastung weiter gewachsen ist, da Menschen, wie gesagt, mit dieser langfristigen Belastung immer schlechter zurechtkommen.
Die Lebensfreude nimmt aus zwei Gründen ab. Zum einen erleben wir in Belastungssituationen insgesamt nicht so viel Lebensfreude. Zum anderen konzentrieren wir uns vollkommen auf die Krise und vergessen, was es alles an Schönem gibt. In der medialen Berichterstattung geht es zum Beispiel nur um COVID-19. Alle anderen Themen treten in den Hintergrund. Das führt dazu, dass wir uns nicht wohl fühlen. Vor allem hat es zur Folge, dass wir kraftlos werden.
Alkohol ist eine Substanz, die kurzfristig Angstzustände, Spannungszustände hemmt oder dämpft - wie ein Tranquilizer beziehungsweise Anästhetikum. Man spürt den inneren Schmerz weniger stark. Deshalb wird er eingesetzt und auch, weil er leicht verfügbar ist. Allerdings ist Alkohol in höheren Dosen und vor allem, wenn er regelmäßig konsumiert wird, eine depressiogene Substanz. Er fördert Depressionen.
Wenn wir in depressive Zustände gelangen, dann sind wir schon von banalen Situationen überlastet. Dadurch steigen der Spannungspegel und die Ängste. Damit braucht man wieder mehr Alkohol, der Konsum wird chronisch - das verschlechtert die Lage weiter. Gerade in Krisenzeiten ist es deshalb wichtig, möglichst keinen oder nur wenig Alkohol zu sich zu nehmen.
Die Rolle von Lockdowns
Bedrohung bzw. „Lockdowns“ können sich in Qualität und Quantität unterscheiden; das Ausmaß der „Abschließung“ ist ja nicht standardisiert, auch nicht das Ausmaß der Reduktion der Mobilität und der Kontakte einer Bevölkerung. In anderen Ländern der Welt gab es zum Teil wesentlich längere und/oder auch radikalere Lockdowns.
… war vor allem der erste pandemiebedingte Lockdown von 16. März bis 14. April 2020 mit einer deutlichen Abnahme der kollektiven Bewegungsdynamik im öffentlichen Raum verbunden. Wenn wir uns an diese Zeit zurückerinnern, dann haben vor allem im städtischen Bereich die menschenleeren Gassen und Straßen eine durchaus dystopische Atmosphäre vermittelt und in gewisser Weise für die überwiegende Mehrheit bedrohlich gewirkt.
Zum anderen spielte es eine beträchtliche Rolle, wie viel Raum und Bewegungsmöglichkeit den Menschen tatsächlich zur Verfügung stand. Hier waren all jene im Vorteil, die größere Wohnräume, wie beispielsweise eine wirklich große Wohnung, oder ein Haus mit Garten haben, und das womöglich im ländlichen Raum. Wenig überraschend gab (und gibt) es hohe Zusammenhänge zwischen Raumnot, zusätzlichen existenziellen Sorgen und psychischem Stress, der sich dann auch in deutlichen Unterschieden in der psychischen Befindlichkeit manifestiert.
Die Ergebnisse dieser Studie zeigen sehr deutlich eine Verschlechterung der psychischen Gesundheit mit zunehmender Dauer der Pandemie in allen Bevölkerungsgruppen sowie den Zusammenhang zwischen sozialen Faktoren und psychischem Befinden - und leider auch eine Zunahme dieses Effektes für spezifische Gruppen im Verlauf der Pandemie sozusagen vom ersten Lockdown bis zum vierten Lockdown. Kinder und Jugendliche bzw. … und zum anderen durch die Folgen der Maßnahmen zur Pandemie-Eindämmung (u. a. erschwerte Rückkehr in Kindergarten, Schule bzw.
Mythos vs. Fakten
- Mythos 1: „Das ist doch eh so selten.“ Fakt ist: Jede/r dritte Österreicher_in ist zumindest einmal im Leben von einer psychischen Krankheit bzw.
- Fakt ist: Beides hängt eng zusammen. Meist sind Menschen, die psychisch krank sind, auch körperlich krank.
- Fakt ist: Eine psychische Erkrankung kann man nicht aussitzen, ebenso wenig wie einen Beinbruch.
- Fakt ist: Männer sind von psychischen Erkrankungen fast genauso oft betroffen wie Frauen, sie äußern sich bei ihnen aber anders.
- Fakt ist: Jeder kann helfen!
Handlungsempfehlungen
Die allerwichtigste Zutat ist die Akzeptanz, dass eine Krise eine Krise ist. Nur, wenn ich etwas akzeptiere, kann ich dagegen etwas tun. Und natürlich müssen wir alle gemeinsam etwas gegen die Krise tun. Ganz wesentlich ist weiters: Wir brauchen eine gewisse Perspektive, aber keine falschen Erwartungen.
Viel wichtiger, als dauernd auf das Ende des Spiels zu schauen ist, genug Kraft zu entwickeln, um das Spiel spielen zu können. Dazu müssen wir unseren Fokus verändern. Dann werden wir die Krise gemeinsam sicher auch bewältigen. Die Kraftquelle schlechthin ist das Schöne, ist die Freude. Umso wichtiger, im Alltag den Blick bewusst auch auf das zu richten, was schön und gut im eigenen Leben ist. Dieses Schöne ist für den einen eine sportliche Aktivität, für den anderen eine Meditation. Für wieder andere ist es das Musikhören, das Lesen oder die Kommunikation mit anderen Menschen.
Um die Situation realistisch einzuschätzen, sollte sie auch ehrlich vermittelt werden.
Tabelle: Psychische Gesundheit und Einkommen
Einkommensfünftel | Anteil der Personen mit Depressionen |
---|---|
Unterstes Fünftel | 18,5 % |
Höchstes Fünftel | 3 % |
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