Die Arbeitswelt verändert sich. Arbeits- und Anforderungsverdichtung sowie Zeit-, Kosten- und Termindruck stellen hohe psychische und physische Anforderungen an die Beschäftigten. Es kann beobachtet werden, dass die Arbeit immer mehr fragmentiert wird, dass Menschen zwischen Anstellung, prekärer Arbeit und Selbstständigkeit hin und her wandern und sich immer wieder neu (er)finden müssen.
Der permanente Druck, ständig Spitzenleistungen erbringen zu müssen, um konkurrenzfähig zu bleiben, wird zunehmend auf die Beschäftigten verlagert. Die zunehmende Flexibilisierung der Arbeit, laufende Reorganisationsprozesse, übermäßige Überstundenleistungen oder Arbeitsplatzunsicherheit verstärken den Druck auf die Beschäftigten noch zusätzlich. Viele Menschen halten diesem Druck und den Dauerbelastungen nicht mehr stand - anhaltendes Arbeiten unter Hochdruck macht krank.
Dies führt zu massiven Belastungen für die Beschäftigten und gipfelt in steigenden Krankenständen, häufigeren krankheitsbedingten Pensionierungen und erhöhten Ausgaben für entsprechende Medikamente. Wir plädieren daher für verstärkte Investitionen in die Prävention von Burn-out - und damit in die Zukunft unserer Arbeitswelt.
Klassifizierung und Definition der WHO
Im Mai 2019 klassifizierte die Weltgesundheitsorganisation WHO (World Health Organization) Burn-out als arbeitsbedingte Erkrankung. Dies geschah im Zuge der elften Revision der sogenannten „International Classification of Diseases and Related Health Problems“, auf Deutsch kurz: „Internationale Klassifikation der Krankheiten“ (ICD-11).
Burn-out findet sich darin unter dem Kapitel „Probleme im Zusammenhang mit Berufstätigkeit oder Arbeitslosigkeit“ und wird als Syndrom infolge von nicht verarbeitetem chronischem Stress am Arbeitsplatz definiert. Die WHO identifiziert zusätzlich drei charakteristische Dimensionen: ein Gefühl von Erschöpfung, eine zunehmende geistige Distanz oder negative Haltung zum eigenen Job sowie verringertes berufliches Leistungsvermögen.
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Die Bezeichnung Burn-out soll ausschließlich im beruflichen Kontext und nicht für Erfahrungen in anderen Lebensbereichen angewandt werden.
Zu lange Arbeitszeit macht krank
Der seitens der letzten Bundesregierung beschlossene 12-Stunden-Tag macht die Situation für die Beschäftigten nicht besser: Lange Arbeitszeiten führen zu verstärkter Ermüdung und einem höheren gesundheitlichen Risiko für die Beschäftigten. Studien haben gezeigt, dass Personen, die zwölf Stunden pro Tag oder noch mehr arbeiten, ein höheres Burn-out-Risiko haben als Personen, die acht Stunden pro Tag oder weniger arbeiten.
Auch das Risiko emotionaler Erschöpfung und eingeschränkter Leistungsfähigkeit erhöht sich bei überlanger Arbeitszeit dramatisch. Eine aktuelle Studie aus Deutschland hat auch gezeigt, dass schon kleine Veränderungen bei der Arbeitszeit massive Folgen für die Gesundheit haben. Bereits bei einem Plus von einer Stunde pro Woche sank die selbst eingeschätzte Gesundheit um 2 Prozent, die Anzahl der Arztbesuche stieg um 13 Prozent.
Besonders betroffen von den negativen Effekten sind Gruppen, die außerhalb ihrer Arbeitszeit noch zusätzlich einen größeren Zeitdruck erleben, wie Frauen sowie Familien mit jungen Kindern.
Die Folge: Psychische Erkrankungen nehmen zu
In den letzten Jahren kann ein massiver Anstieg an psychischen Erkrankungen und damit verbunden auch eine drastische Kostensteigerung in diesem Bereich für die Sozialversicherung beobachtet werden. Es ist jedenfalls davon auszugehen, dass dies mit der Beschleunigung der Arbeitsprozesse und dem immer stärker zunehmenden Druck auf die Beschäftigten zusammenhängt.
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So haben sich die Krankenstandstage aufgrund psychischer Störungen und Verhaltensstörungen seit 1994 mehr als verdreifacht. Dies führt zu Mehrausgaben im Zusammenhang mit der Auszahlung von Krankengeld. Psychische Erkrankungen machen heute auch bereits mehr als ein Drittel jener Diagnosen aus, die zu einer Berufsunfähigkeits- oder Invaliditätspension führen. Auch diese Tendenz ist stark steigend.
So wurden 1995 nur rund 10 Prozent der Invaliditäts- und Berufsunfähigkeitspensionen aufgrund psychischer Erkrankungen gewährt. Derselbe Trend kann auch bei den Heilmitteln für psychische Erkrankungen beobachtet werden, bei denen es steigende Verordnungszahlen gibt.
Burn-out-Bekämpfung in der Sozialversicherung?
Trotz dieser eindeutigen Entwicklungen gibt es bis dato nur wenige Maßnahmen für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, um ihnen die Möglichkeit zu geben, die hohen Anforderungen der modernen Arbeitswelt zu erfüllen, dabei aber nicht ihre psychische Gesundheit aufs Spiel setzen zu müssen.
Eine wichtige Rolle in Sachen Prävention in der Arbeitswelt spielt die Allgemeine Unfallversicherungsanstalt (AUVA). Zu ihren Hauptaufgaben zählt es, die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer vor durch Arbeit verursachten Erkrankungen zu schützen, indem vor allem schon präventiv und rechtzeitig Handlungen gesetzt werden, um Erkrankungen und Unfälle zu verhindern und die Achtsamkeit aller Beteiligten zu erhöhen.
Doch warum gibt es kaum Präventionsmaßnahmen für psychische Erkrankungen im Arbeitskontext? Der Grund ist schnell gefunden. Die AUVA ist nur dann verpflichtet, präventiv tätig zu werden, wenn es sich um eine (anerkannte) Berufskrankheit handelt, die sich in der Berufskrankheitenliste (Anlage I zum ASVG) findet.
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Die Anzahl an Berufskrankheiten ist nicht nur überschaubar, auch eine Anpassung der Berufskrankheitenliste an den modernen Arbeitsalltag ist dringend notwendig. Psychische Erkrankungen sucht man dort vergebens, obwohl gerade aufgrund der rasanten Zunahme der Anzahl an psychisch Erkrankten Präventionsmaßnahmen dringend erforderlich wären.
Was sind psychische Erkrankungen?
„Psychische Störungen stellen Störungen der psychischen Gesundheit einer Person dar, die oft durch eine Kombination von belastenden Gedanken, Emotionen, Verhaltensweisen und Beziehungen zu anderen gekennzeichnet sind.“ (WHO, 2019, S.1) Häufig haben psychische Störungen mehrere Ursachen gleichzeitig. Das heißt, sie lassen sich nicht auf einen einzelnen Grund zurückführen, sondern müssen ganzheitlich betrachtet werden.
Von arbeitsbedingten psychischen Erkrankungen können wir sprechen, wenn die Erkrankung direkt von arbeitsbezogenen Risikofaktoren negativ beeinflusst wird. Arbeitsstressoren können eine auslösende Wirkung haben.
Die gängigsten arbeitsbedingten psychischen Erkrankungen sind:
- Depressionen
- Angststörungen
- Burnout-Syndrom (Einstufungsdiagnose)
Darüber hinaus gibt es Zusammenhänge von arbeitsbedingten, psychischen Belastungsfaktoren zu einigen somatoformen und psychosomatischen Störungen. Auch Suchterkrankungen (z.B. Alkoholsucht) und Schlafstörungen können von der Arbeit mitbedingt sein.
Was sind gängige arbeitsbedingte Einflussfaktoren (Auszug)
- „Job Strain“ (Hohe Anforderung bei zu geringem Tätigkeitsspielraum)
- Geringe soziale Unterstützung
- Arbeitsplatzunsicherheit
- Gewalt
- Geringe Bedeutsamkeit der Arbeit
- Schwierige Emotionsarbeit
- Geringe Entwicklungsmöglichkeiten
- Überlange Arbeitszeiten
- Belastung durch Schichtarbeit
- Belastung durch Wochenendarbeitszeit
- Überwiegend durch Arbeitgeber:innen bestimmte Arbeitszeitvariabilität
- Arbeitsbezogene erweiterte Erreichbarkeit
- Unzureichende Arbeitspausen
Warum ist das Thema relevant?
Psychische Aspekte gewinnen im Arbeitnehmer:innenschutz kontinuierlich an Bedeutung, da sich die Arbeit im Wandel befindet und sich der relative Anteil an Dienstleistungen am Gesamt-Bruttoinlandsprodukt seit Jahrzehnten erhöht. Gleichzeitig haben die Krankenstandstage aufgrund psychischer Diagnosen im letzten Jahrzehnt zugenommen: „Wurden 2010 6,9 % aller Krankenstandstage durch psychische Erkrankungen verursacht, erhöhte sich dieser Anteil innerhalb von zehn Jahren auf 11,4 % im Jahr 2021“ (WIFO, 2022, S.2). Tendenz steigend.
Vielfach unterschätzt werden negative Folgen psychischer Belastung, welche sich zwar nicht in einer psychischen Erkrankung niederschlagen, jedoch trotzdem schädlich sind. Das britische Amt für Statistik schätzt, dass 20 % der Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter unter Symptomen leidet, die mit psychischen Erkrankungen in Verbindung gebracht werden, aber nicht die Diagnosekriterien einer psychischen Störung erfüllen.
Diese mit psychischen Erkrankungen einhergehenden Symptome können jedoch die Lebensqualität und das Funktionsniveau des Einzelnen bereits erheblich beeinträchtigen. Dazu zählen Symptome wie Schlafprobleme, chronische Müdigkeit, Irritierbarkeit und Sorgen. Jede 5. arbeitende Person leide demnach an Symptomen, welche mit psychischen Erkrankungen assoziiert sind.
Beachtenswert sind auch die komplexen Wechselwirkungen von arbeitsbezogen psychischen Belastungsfaktoren mit physiologischen Erkrankungen. Im Arbeitnehmer:innenschutz beschränkt sich die Relevanz psychischer Faktoren nicht auf psychische Erkrankungen, sondern beinhaltet psychosomatische Auswirkungen der Arbeitsbelastung. Diese äußern sich beispielsweise in einer erhöhten Wahrscheinlichkeit für Störungen des Magen-Darm-Trakts, Muskel-Skelett-Erkrankungen und Herz-Kreislauferkrankungen. Auch die Beeinträchtigung der kognitiven Leistungsfähigkeit kann relevant werden.
Um mit den vielfältigen Belastungsfaktoren gut umgehen zu können, braucht es „Ressourcen“. Zusätzlich zu individuellen Ressourcen, können organisationale Ressourcen helfen, die Arbeitsbelastung besser zu bewältigen. Organisationale Ressourcen sind unter anderem: Gutes Führungsverhalten, gut funktionierende Abläufe und Arbeitsorganisation (inkl. adäquate Personalplanung), zufriedenstellende Gratifikation, ausreichende Erholungszeiten, Vereinbarkeit mit Privatleben bzw. flexible Arbeitszeitmodelle, Ganzheitlichkeit, Sinnhaftigkeit, Unterbrechungsfreiheit, positive soziale Interaktion, organisationale Gerechtigkeit und Lern-/Entwicklungsmöglichkeiten.
Die gesetzlich verpflichtende Arbeitsplatzevaluierung psychischer Belastung kann dabei helfen, gefährliche psychische Arbeitsbedingungen zu erkennen und durch geeignete Maßnahmen an der Quelle zu bekämpfen.
Fazit
Aufgrund der neuen Definition der WHO ist nun klargestellt, dass es sich bei Burn-out um eine arbeitsbedingte Erkrankung handelt. Dies verwundert aufgrund des hohen Drucks, der aktuell in der Arbeitswelt herrscht, auch nicht weiter.
National sollte darauf reagiert werden, indem Burn-out auf die Berufskrankheitenliste gesetzt wird. Dies würde dazu führen, dass die AUVA auch in diesem Bereich verpflichtet wäre, präventive Maßnahmen zu ergreifen. Wie auch andere Erfahrungen im Zusammenhang mit der Prävention arbeitsbedingter Erkrankungen zeigen, können solche Investitionen zu langfristigen Kostensenkungen für die Sozialversicherung führen.
Wenn es gelingt, psychische Erkrankungen früher zu erkennen und auch zu bekämpfen, führt dies nicht nur zu einer Verbesserung der Gesundheit der Beschäftigten, sondern langfristig auch zu massiven Einsparungen für die Sozialversicherung. Dies bedarf aber auch eines grundsätzlichen Ausbaus der psychosozialen Versorgung in Österreich.
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