Besonders die Advents- und Weihnachtszeit können für depressive Menschen zur Hölle werden.
Advent, Advent, die Seele brennt - die hell-beleuchtete, vorweihnachtliche Freude kann für Menschen, die unter Depression leiden, eine von außen auferlegte, krampfhafte Glückseligkeit sein, die sie nur noch weiter in die einsame Finsternis treibt.
Die Depression rückt alles Negative im Leben nicht nur ins Zentrum, sondern sie vergrößert es auch riesenhaft und lässt es unertragbar werden.
Depression ist nicht nur ein Phänomen der Moderne, sondern es ist eine menschliche und biblische Erfahrung.
Biblische Perspektiven auf Depression
In den Samuelbüchern wird König Sauls Depression als ein „böser Geist von JHWH“ in der Person beschrieben, der ihn regelmäßig überfallartig „in Angst versetzte“ (1Sam 16,14).
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In der Geschichte Sauls hängt die Depression mit der Verwerfung durch Gott zusammen und Erleichterung verschafft ihm eine Musiktherapie durch den Leierspieler und zukünftigen König David.
„Und es geschah, wenn der Gottesgeist zu Saul kam, da nahm David die Leier und spielte [sie] mit seiner Hand. So verschaffte er Saul Weite / Erleichterung. Es ging ihm gut, der Geist des Bösen wich ab von ihm.“ (1Sam 16,23)
Eine Depression geht mit „einer tiefgreifenden Veränderung, einer Einengung einher“, aus der es scheinbar kein Entrinnen gibt.
Die David, dem Leierspieler und König, zugeschriebenen Psalmen bieten seit Jahrhunderten Betenden Worte, um durch Klage, Bitte und Hilfeschreie ihre je eigene Not ausdrücken zu können und sich so Luft zu verschaffen.
Athanasius von Alexandrien hob als besondere Eigenschaft des Psalters hervor, „dass die Psalmen auf den, der sie singt, wie ein Spiegel wirken; er kann sich selbst und die Regungen seiner Seele in ihnen betrachten und sie in dieser Erkenntnis beten“.
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Aber gerade für depressive Menschen können Psalmenworte auch einer Gottes- beziehungsweise Lobvergiftung gleichkommen.
Die Verbalisierung der Gefühle ist ein erster Schritt aus der Depression und als Sprachangebot können Psalmen „ein poetisch-theologisches Anti-Depressivum“ sein.
Aber generell in der Gegenwart und im Besonderen im Falle von depressiven Menschen ist der Gottglaube keine selbstverständliche Voraussetzung.
Im Angesicht des strafenden Gottes, wie im Falle Sauls, kann das Gottesbild gar Teil des Problems und nicht der Lösung sein.
Das Gebet kann auch wie Psalm 88 in der Finsternis enden.
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In dieser Finsternis ist Gott nicht gegeben, sondern ist nur als Gegenüber eine Möglichkeit, ein Ansatzpunkt für die Hoffnung, dass es einen Ausweg gibt aus der gefangennehmenden Enge und Sinnleere.
Ohne diese Hoffnung ist keine Therapie möglich.
Psalmen sind keine Therapie, sondern ein Sprachangebot, mit dessen Hilfe die depressive Person ihre Gefühlswelt ausbuchstabieren kann vor einem Gegenüber.
Ein solches Sprachangebot für depressive Menschen ist zum Beispiel Psalm 38.
Symptome der Depression im Psalm 38
Im Kontext der Klage und Bitte zeigen sich in den Worten des Psalmisten verschiedene Symptome einer Depression.
Der Beter fühlt sich erstarrt, zerschlagen und vereinsamt (V. 9.14).
Besonders V. 7 sind Worte, mit denen sich ein depressiver Mensch identifizieren kann: „Ich war gekrümmt/verstört, niedergebeugt gar sehr, den ganzen Tag ging ich verfinstert umher.“ (Ps 38,7)
Während üblicherweise der zweite Teil des Verses als Trauerritus übersetzt wird, hat Bernd Janowski auf die eigentliche Grundbedeutung des Verbs „schwarz werden, sie verfinstern“ verwiesen: „mit dem ‚Schwarz-/Finster-Werden‘ [kann] grundsätzlicher das Schwinden der Lebenskraft, also der psychosomatisch erlebte Einbruch der ‚Finsternis‘[…] gemeint sein […].
Was ‚hell‘ ist, gehört nach altorientalischer wie biblischer Auffassung auf die Seite des Kosmos / des Lebens, und was „dunkel“ ist, auf die Seite des Chaos/des Todes“ (vgl. Ps 13,2-5).
Religiosität und psychische Gesundheit: Eine Übersicht
Im Vergleich zu seiner gesellschaftlichen Bedeutung wird der Faktor Religiosität in der medizinischen (und besonders in der psychiatrischen) Forschung noch immer vernachlässigt.
Lange Zeit tabuisiert, ist das Thema jetzt vor allem in den USA wieder von wissenschaftlichem Interesse.
Zahlreiche US-amerikanische Autoren propagieren die Integration der spirituellen Dimension in den medizinischen Heilungsprozess und sind sogar der Überzeugung, dass praktizierte Religiosität bewiesenermaßen gesundheitsfördernd sei.
In Europa hingegen wird oftmals allein die Fragestellung schon als unwissenschaftlich abgelehnt.
Den Proponenten der Integration der spirituellen Dimension in den Medizinalltag wird manchmal der Vorwurf gemacht, die vorgelegten Studien seien methodisch schwach und die Datenlage insgesamt widersprüchlich.
Kritische Stimmen meinen außerdem, die zunehmende Aufmerksamkeit der Ärzte für die Spiritualität ihrer Patienten könne zu Missbräuchen führen, da gerade kranke Menschen besonders anfällig für Manipulation seien.
Tatsächlich ist bei genauerer Betrachtung das Thema bei weitem nicht unproblematisch.
Man bekommt mancherorts den Eindruck, „religiöse Wissenschaftler“ stünden unter einem selbst-auferlegten Druck und apostolischen Eifer, in ihren Studien „glaubensfreundliche“ Ergebnisse zu erzielen, insbesondere beim Thema Gesundheitsförderung durch religiöses Leben.
Kritiker sprechen hier von der Gefahr, dass die Religiosität instrumentalisiert und als Quasi-Medikament zur Lebensverlängerung eingesetzt wird, wie etwa ein Antibiotikum.
Religion hat ihr letztes Ziel aber außerhalb dieser Welt, darum muss sich nicht notwendigerweise ihr Benefit schon in dieser zeigen (es wäre andererseits auch nicht der Untergang der Wissenschaft, wenn dieser sich mit deren Methoden belegen lassen würde).
Die Stimmung in der wissenschaftlichen Welt kann gut durch die durchaus emotional geführte Diskussion im New England Journal of Medicine veranschaulicht werden, in der kritische Stimmen den befürwortenden in etwa die Waage halten.
Das Thema der Religiosität in Zusammenhang mit der Psychiatrie erzeugt eine starke Ambivalenz (vergleichbar mit Themen wie „Euthanasie“ oder „Intelligentes Design“), die sich letztlich in einer starken Spaltung auch unter den Wissenschaftlern äußert.
Diese Ambivalenz könnte man mit der Angst nach einem neuen Konflikt Religion - Wissenschaft deuten, die mancherorts vielleicht Erinnerungen an den Fall Galileo Galilei wecken.
In der Tat findet sich für fast jede Meinung in diesem Feld irgendein „wissenschaftlicher“ Beleg.
Die Datenlage ist schier unüberschaubar: inzwischen finden sich etwa 33.800 wissenschaftliche Artikel zu diesem Themenkreis in der allgemeinen medizinwissenschaftlichen Datenbank Medline (Suchbegriffe „religio“, „spiritual“ und „pray“); bei Einschränkung der Suche dieser Begriffe im Titel der jeweiligen Papers sind noch immer 5.700 Arbeiten gelistet.
Da die vorliegende Arbeit keine religionspsychologische, religionssoziologische oder religionswissenschaftliche, sondern eine psychiatrische Abhandlung ist, kommen aus diesem Grund in erster Linie wissenschaftliche Publikationen aus dem psychiatrischen Bereich zur Sprache.
In der Psychiatrie als medizinischer Wissenschaft kann man erfreulicherweise dank des peer review-Systems die medizinwissenschaftlichen Journale nach deren internationaler Relevanz (Impact) einteilen; dieses System erlaubt eine relativ genaue Einschätzung der Qualität einer Publikation (aufgrund der entsprechenden Strenge des peer review-Systems).
In der Tat haben es recht wenige der psychiatrischen Studien mit dem Thema Religiosität geschafft, in entsprechend gewichtigen Zeitschriften publiziert zu werden.
Das mag natürlich zum Teil am Desinteresse des wissenschaftlichen Feldes liegen (das Thema liegt mit Sicherheit nicht im Zentrum der heutigen Mainstream-Psychiatrie), zum Teil aber auch an einer mangelhaften Methodik mit schwärmerisch-überzogenen Schlussfolgerungen.
In diesem Übersichtsartikel sollen in der Folge die besagten Studien aus internationalen Top-Journalen (Top 10%; Impact factor > 4) vorgestellt werden, um den Bias einer intentionsgeleiteten Wissenschaft zu vermeiden.
Auch ist besonderes Augenmerk darauf gelegt worden, hochrangige Studien beiderlei Resultats einzubeziehen, sofern solche entsprechend publiziert wurden.
Religion, Religiosität und Spiritualität
In der Psychiatrie herrscht heute kein Konsens über die Definition dieser drei Begriffe, wenngleich sie vielfach Verwendung finden.
Zwischen den genannten Termini finden wir einerseits verschwimmende Grenzen, andererseits bezeichnen sie bei verschiedenen Autoren schlichtweg unterschiedliche Realitäten.
So wird gerade der Terminus „Spiritualität“ in verschiedenen Disziplinen vielfach andersartig definiert.
Theologisch ist Spiritualität der gemeinsame Geist eines Ordens oder einer Bewegung, in psychologisch-wissenschaftlichen Publikationen eher etwas die Subjektivität des religiösen Lebens Betonendes, während Religiosität mehr die Nähe zu einer organisierten Religion andeutet.
Im Anschluss folgen Definitionsansätze aus der Psychiatrie, die sich nicht notwendigerweise mit denen anderer Disziplinen (etwa der Religionswissenschaft) decken müssen.
Religion ist nach Sigmund17 „ein Glaubenssystem der Beziehung des Menschen zum Übernatürlichen, das Gottesdienste, heilige Schriften und eine organisatorische Struktur für Glaubenspraxis und Zusammenhalt der Mitglieder beinhaltet“.
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