Die vielzitierte “gute alte Zeit” war für psychisch kranke Menschen gar nicht gut. Der Umgang mit psychischen Erkrankungen ist nicht einfach. Doch auch wenn die Erkenntnisse der modernen Forschung fehlten: Es fällt schwer, sich vorzustellen, wie manche Behandlungen in der Geschichte der Psychiatrie als Methoden zur Heilung angesehen wurden.
Frühe Anfänge und mittelalterliche Praktiken
Bereits in der Antike gab es psychiatrische Krankenanstalten. Durch Aderlässe, Schröpfen, Massagen oder Diäten wurde versucht, die Krankheiten zu heilen. Außerdem nutzte man Theater, Brettspiele, Reisen und Musik, um das Gehirn der Patienten zu aktivieren. Allerdings gab es auch für die Behandler in der Antike "hoffnungslose Fälle". Diese Menschen wurden oftmals isoliert und in Räume mit hochliegenden Fenstern gesperrt.
Wer im Mittelalter an einer psychischen Erkrankung litt, galt als Hexe oder als vom Teufel und Dämonen besessen. Die Krankheit wurde religiös begründet und als "Strafe von oben" gesehen. Die Erkrankten mussten Folter und Exorzismus über sich ergehen lassen. Diese "Behandlungsmethoden" wurden so lange durchgeführt, bis der vermeintliche Dämon aus dem Körper der Kranken vertrieben war. Oftmals mussten diese Menschen die Folter bis zu ihrem Tod über sich ergehen lassen.
Außerdem wurden im Mittelalter die "ruhigen Irren" von den "tobenden Irren" unterschieden. Während "ruhige" Kranke in den Krankenhäusern aufgenommen wurden, sperrte man die "tobenden" Patienten in Käfige, Kisten oder legte sie an Ketten. So wurden sie zusammen mit Prostituierten und Verbrechern der Bevölkerung zur Schau gestellt oder zu harten Arbeiten gezwungen.
Entwicklung im 18. und 19. Jahrhundert
Im 18. und 19. Jahrhundert entwickelte sich die Psychiatrie zu einer eigenen, selbständigen Wissenschaft. In Deutschland wurden im 19. Jahrhundert die ersten rein psychiatrischen Anstalten eröffnet. Aber auch hier blieben viele der Behandlungsmethoden brutal. Stundenlang mussten Menschen auf Zwangsstühlen ausharren oder Sturzbäder in eiskaltem Wasser über sich ergehen lassen.
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Eine andere "Heilungsmethode" war der Drehstuhl. Dabei wurden Patienten auf einem Stuhl festgeschnallt, der sich bis zu 100 Mal um die eigene Achse drehte. Die Patienten wurden oft bewusstlos, litten nach der Behandlung an starker Übelkeit oder bluteten aus Mund und Nase.
Allerdings gab es auch humane Behandlungsmethoden. So halfen Patienten auf den an die Kliniken angeschlossenen Höfen in der Landwirtschaft und Viehzucht mit - eine Art Beschäftigungstherapie.
Als im Mai 1817 die ersten psychisch Kranken aus dem überfüllten “Narrenturm” des Wiener allgemeinen Krankenhauses nach Ybbs in das Armenhaus verlegt wurden, unterschieden sich die Behandlungsmethoden psychiatrisch Erkrankter kaum von denen des Strafvollzugs.
Mit der Übernahme der Leitung durch Dr. Karl Ritter von Spurzheim 1842 ließ die Ybbser Anstalt diese unzumutbaren Zustände nicht nur hinter sich, sie übernahm nun gar eine Vorreiterrolle in der menschlichen Behandlung psychiatrisch erkrankter Menschen. Die Zwangsmittel mit denen bis dahin die Kranken traktiert worden waren, wurden nun rasch beseitigt, ein freier Umgang mit den Patienten und eine humane Behandlung hielten Einzug. Für seine Verdienste um die Modernisierung der Behandlung psychisch Kranker und seine Umsicht beim Umbau des Hauses erhielt Direktor Dr. Karl Spurzheim mit allerhöchster Entschließung vom 2.
Über lange Jahrzehnte war die Anstaltspsychiatrie geprägt vom Gedanken der Verwahrung. Der psychisch erkrankte Mensch sollte abgeschieden von der Gesellschaft und seinem sozialen Umfeld möglichst streßfrei gehalten werden. Neben der dauernden Absonderung standen als Behandlungsmethoden vor allem die Arbeitstherapie und erste Anwendungen der Psychotherapie zur Auswahl.
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Natürlich gab es auch Versuche, Geistesstörungen durch körperliche Einwirkungen zu begegnen.
Dunkle Kapitel: NS-Zeit
Es ist eines der dunkelsten Kapitel in der Behandlung psychisch Kranker. Insulin- und Elektroschocktherapie waren bei depressiven und schizophrenen Patienten ab 1930 an der Tagesordnung. Diese brutalen Behandlungsmethoden verschlechterten meist den körperlichen und geistigen Zustand der Patienten. So kam es oft zu irreversiblen Schäden nach einer solchen Behandlung. Eine Heilung war in den meisten Fällen ausgeschlossen.
Mit dem Anschluss Österreichs an Hitler - Deutschland im März 1938 waren die österreichischen Heil- und Pflegeanstalten auch in die 1939 beginnende Euthanasieaktion des Dritten Reiches einbezogen. Die Konsequenz: Die Nazis versuchten, die angeblich "minderwertigen" und "unwerten" Menschen auszurotten. Hunderttausende psychisch kranke Patientinnen und Patienten wurden deportiert und ermordet.
Moderne Ansätze und Psychopharmaka
Nach dem zweiten Weltkrieg etablierte sich die Psychopharmakatherapie. Die Psychopharmaka fanden ab den sechziger Jahren eine ungeheuer rasche Verbreitung.
Ab 1952 konnten psychische Erkrankungen auch mit Medikamenten behandelt werden. Zu Beginn gab es jedoch häufig Probleme mit der Verträglichkeit und den Nebenwirkungen der Medikamente. Zusätzlich entwickelten sich die unterschiedlichen Richtungen der Psychotherapie, durch die bessere Heilungs- und Rehabilitationsmöglichkeiten entstanden. Auch Bewegungs-, Reit- und Beschäftigungstherapie wurden Bestandteil der neuen Behandlungsmaßnahmen.
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Die Reformbestrebungen der Siebzigerjahre auf dem Gebiet der Psychiatrie mündeten im Konzept einer möglichst im sozialen Umfeld des psychisch kranken Menschen durchzuführenden Behandlung und Betreuung. Die bisher überfüllten psychiatrischen Anstalten leerten sich. Es kam und kommt nur mehr der in stationäre Behandlung, der eine solche auch wirklich braucht.
Oberarzt Dr. Heinz Katschnig - Spezialgebiet Sozialpsychiatrie - teilt den nun auch in Österreich immer mehr Fuß fassenden weltweiten Humanisierungsprozeß bei der Betreuung seelisch Kranker in drei Entwicklungsphasen ein: „Den ersten Fortschritt gegenüber den bis dahin unmenschlichen Zuständen in den meist überfüllten Irrenanstalten bedeutete, begünstigt durch das Aufkommen der Psychopharmaka, eine Entlassungswelle. Bald darauf stellte man die Notwendigkeit einer gewissen Nachbetreuung, fest, um Rückfälle zu verhindern, und schließlich erwies sich auch eine Zuwendung zum gesamten sozialen Netzwerk, das den Patienten umgibt, als unumgänglich.“
Ausgangspunkte dieser Entwicklung waren schon vor rund 25 Jahren die anglo-amerikanischen Staaten. In Österreich beginnt man erst jetzt, aber erfreulicherweise voll, mit der zweiten und ansatzweise mit der dritten Phase. Mit der Schaffung alternativer Betreuungsmöglichkeiten - wie etwa Tageskliniken, wo die Patienten tagsüber betreut und über Nacht nach Hause entlassen werden, oder Wohnheimen, wo die Patienten gemeinsam wohnen, tagsüber aber einem normalen Beruf nachgehen - ist es noch nicht getan. Es bedarf der Einbeziehung der Angehörigen des psychisch Kranken und der Situation an seinem Arbeitsplatz, um der Behandlung größtmögliche Wirkung zu verleihen.
Moderne Herausforderungen und Ausblick
Noch immer werden psychische Erkrankungen tabuisiert, sie lösen Ängste und Verunsicherung aus, wodurch sich Betroffene oftmals ausgegrenzt fühlen oder sich selbst isolieren. Durch vielfältige Maßnahmen fördert beispielsweise das Bundesgesundheitsamt die Aufklärung der Öffentlichkeit über Behandlungsmethoden und den Umgang mit psychischen Störungen.
Katschnig plädiert für „Rehabilitationsketten“, die einem - ohne Begleitmaßnahmen sicher hilflosen - entlassenen Patienten helfen sollen, langsam immer selbständiger zu werden, um schließlich sein Leben mehr und mehr selbst organisieren zu können.
Den Angehörigen müßten daher auch möglichst genaue Leitlinien für den Umgang mit dem Kranken vermittelt werden, der Durchschnittsbürger müßte lernen, zwischen den wichtigsten psychischen Krankheiten zu unterscheiden, statt, wie bisher leider oft, jeden gegenwärtigen und womöglich sogar ehemaligen Insassen einer Anstalt als „Verrückten“ einzustufen. Um Verständnis zu werben, nützt nach Katschnigs Meinung nichts, nur der Kontakt mit psychisch Gestörten kann möglicherweise Vorurteile abbauen helfen.
Die Öffnung der Anstalten ermöglicht diesen Kontakt. Schon jetzt veranstaltet das Landeskrankenhaus Klosterneuburg Ausflüge und Ausstellungsbesuche für die Kranken. Wenn die Nachbetreuungsstellen voll funktionieren, steht laut Hofrat Mark- steiner einer Entlassung von mehr als 200 seiner fast 900 Patienten nichts im Wege. Die monströse Irrenanstalt alter Prägung - Wien-Steinhof hat beispielsweise 2600 Betten! - sollte daher schon bald einer düsteren Vergangenheit angehören, denn man will immer mehr nach Dezentralisierung und kleinen überschaubaren Einheiten streben.
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