Die "Ode an die Freude" ist ein Werk, das auch jene kennen, die sonst weniger mit klassischer Musik anfangen können. Das komplexe Meisterwerk wurde zur massentauglichen Europahymne.
Die Entstehung eines Meisterwerks
Ludwig van Beethovens neunte Sinfonie begeisterte gleich bei der Uraufführung am 7. Mai 1824. Die Darbietung wurde "von den enthusiastischen Ausrufungen des Publikums mehrmals unterbrochen", schrieb ein Kritiker nach dem Konzert in Wien, bei dem der taube Star-Komponist anwesend war. Dass diese Sinfonie 200 Jahre später als europäische Hymne mit bewegter politischer Vergangenheit und als eines der klassischsten Klassik-Werke bekannt sein sollte, war damals nicht abzusehen.
In die Begeisterung über die erste Sinfonie der Musikgeschichte, in der ein Chor zum Einsatz kam, mischte sich bei manchen Kritikern die Frage, ob der letzte Satz der Sinfonie mit der Vertonung von Friedrich Schillers Gedicht "An die Freude" nicht doch etwas zu unkonventionell geraten sei.
„Beethoven ist als Avantgardist wahrgenommen worden“, sagte der Dirigent Martin Haselböck der Deutschen Presse-Agentur. "Das war das Modernste vom Modernen", sagte er über das Werk des Komponisten, der 1770 in Bonn geboren wurde und 1827 in seiner Wahlheimat Wien starb. Haselböck und sein Orchester Wiener Akademie sind dafür bekannt, klassische Musik auf historischen Instrumenten an Originalschauplätzen zu spielen. Doch das Theater, in dem die Neunte zum ersten Mal erklang, existiert nicht mehr. So werden Haselböck und sein Ensemble das Werk zum 200-Jahr-Jubiläum am 7. und 8. Mai in der Historischen Stadthalle Wuppertal aufführen. Der WDR überträgt das erste Konzert.
Für seine neunte Sinfonie griff Beethoven auf ein Gedicht zurück, das damals sehr bekannt war und zuvor von anderen vertont worden war. Schiller hatte "An die Freude" 1785 geschrieben, wenige Jahre vor der Französischen Revolution. "Bettler werden Fürstenbrüder" heißt es etwa in dem Originaltext, der mit den Worten "Freude, schöner Götterfunken" beginnt.
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Das Lied war schon vor der Adelung durch Beethoven ein Gassenhauer, wie die Beethoven-Forscherin Beate Kraus vom Beethoven-Haus Bonn der dpa sagte. Dafür sei nicht nur der revolutionäre Text verantwortlich. Die Hymne auf Freude und Freundschaft sei auch in Studentenkreisen beliebt gewesen. "Das ist einfach ein Sauflied", meinte Kraus.
Unter dem Titel "Ode an die Freude" wurden Schillers Verse zum inhaltlichen Kern der Neunten. Seit der Uraufführung hätten der Genie-Kult um Beethoven und die Vielschichtigkeit dieser Sinfonie dazu geführt, dass sie mit unterschiedlichsten Inhalten aufgeladen wurde, meinte Kraus. "Deshalb kann jeder sich herauspicken, was er oder sie favorisiert", sagte die Wissenschaftlerin.
Die musikalische Struktur der neunten Sinfonie
Die 9. Sinfonie in d-Moll op. 125, uraufgeführt 1824, ist die letzte vollendete Sinfonie des Komponisten Ludwig van Beethoven. Im Schlusssatz werden zusätzlich zum Orchester auch Gesangssolisten sowie ein gemischter Chor eingesetzt. Als Text wählte Beethoven hierfür das Gedicht An die Freude von Friedrich Schiller. Als erste sogenannte Sinfoniekantate stellt das Werk eine Zäsur in der Musikgeschichte dar und beeinflusste nachfolgende Generationen von Komponisten. Mit seiner Aufführungsdauer von rund 70 Minuten sprengte das Werk deutlich die üblichen Dimensionen und bereitete so den Boden für die teils abendfüllenden Sinfonien der Romantik - wie jene von Bruckner oder Mahler. Heute ist Beethovens Neunte weltweit eine der populärsten Kompositionen der klassischen Musik. 1972 wurde das vokale Hauptthema des letzten Satzes (Freude schöner Götterfunken) vom Europarat zu seiner Hymne erklärt und 1985 von der Europäischen Gemeinschaft als offizielle Europahymne angenommen. In der Begründung heißt es, „sie versinnbildliche die Werte, die alle teilen, sowie die Einheit in der Vielfalt“.
Im Unterschied zur damals üblichen Satzfolge schnell - langsam - Menuett/Scherzo - schnell vertauscht Beethoven in der 9. Sinfonie erstmals den langsamen Satz mit dem Scherzo, was in der Folge von zahlreichen Komponisten der Romantik aufgenommen wurde. Der Orchesterapparat ist neben der Hinzunahme von Piccoloflöte, Kontrafagott (wie in der 5. Sinfonie) und Posaunen (wie in der 5. und 6. Sinfonie) und der Aufstockung auf vier Hörner im Schlusssatz zusätzlich durch weitere Schlaginstrumente (große Trommel, Becken und Triangel) sowie Gesangssolisten und einen gemischten Chor erweitert. Die Aufführungszeit beträgt zwischen 65 und 75 Minuten.
Besetzung:
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- Blasinstrumente: Piccoloflöte (nur 4. Satz), 2 Flöten, 2 Oboen, 2 Klarinetten, 2 Fagotte, Kontrafagott (nur 4. Satz), 4 Hörner, 2 Trompeten, 3 Posaunen (nur 2. und 4.
- Schlagwerk: Pauken / Große Trommel, Becken, Triangel (alle nur 4.
- Streichinstrumente: 1. Violine, 2.
Die Sommer 1821, 1822 und 1823 verbrachte Beethoven in Baden bei Wien (heute Beethovenhaus Baden, Rathausgasse 10) und schrieb dort wesentliche Teile der 9. Symphonie. Die Vollendung der Komposition zog sich bis in das Jahr 1824 hin. Der vierte und letzte Satz wurde in Beethovens Wohnung in der Ungargasse 5 in der Wiener Vorstadt Landstraße fertiggestellt.
Obwohl die Absicht der Vertonung von Schillers Hymne fast das ganze Leben Beethovens begleitete, hat er sich erst relativ spät entschieden, die Verse im Finale der 9. Sinfonie zu verwenden. Wie die Skizzen zeigen, fiel eine Entscheidung für den Chor erst gegen Ende des Jahres 1823. Zur selben Zeit, im Dezember 1823, erwog Beethoven in einem Skizzenheft noch einmal ein „finale instromentale“.
Die 9. Sinfonie gelangte in einem Konzert zur Uraufführung, das Beethoven am 7. Mai 1824 im Theater am Kärntnertor veranstaltete. Es begann mit der Ouvertüre zu Die Weihe des Hauses op. 124, gefolgt von Auszügen aus der Missa solemnis op. 123. Danach folgte wahrscheinlich eine Pause, ehe zum Schluss erstmals die 9. Sinfonie op. 125 erklang. Beethoven, der bereits völlig ertaubt war, stand beim Schlusssatz mit dem Rücken zum Publikum und las die Worte der Sänger von ihrem Munde ab. Nach der Aufführung brach ein frenetischer Beifall los.
Die Sätze der Sinfonie im Detail
Erster Satz
Der erste Satz der 9. Sinfonie entspricht der Sonatenhauptsatzform mit verhältnismäßig kurzer Reprise und überdimensionaler Coda. Der Satz umfasst fast 600 Takte. Dem ersten Thema ist eine Einleitung vorangestellt, die nicht in d-Moll, sondern in A beginnt.
Zweiter Satz
Der zweite Satz der Sinfonie ist ein Scherzo und Trio. Formal ist er im üblichen Formenschema A - B - A angelegt, wobei die beiden Teile des Scherzos im ersten Durchgang jeweils wiederholt werden (A1 - A1 - A2 - A2 - B - A1 - A2).
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Dritter Satz
Im dritten Satz lässt Beethoven die Instrumente nacheinander einsetzen. So beginnt das zweite Fagott allein, gefolgt vom ersten Fagott, der zweiten Klarinette, den Streichern (außer der ersten Geige und dem Kontrabass) und der ersten Klarinette. Diese setzen direkt aufeinander folgend ein, das Thema beginnt dann in der ersten Geige.
Vierter Satz
Im vierten Satz tragen ein Quartett von Sängern und ein großer vierstimmiger Chor die Strophen des Gedichts An die Freude von Friedrich Schiller vor. Sie sind dabei musikalisch gleichberechtigt mit dem Orchester eingesetzt. Der Melodie des Hauptthemas wird dabei die Textpassage „Freude, schöner Götterfunken (…)“ unterlegt.
Den vierten Satz seiner 9. Sinfonie, der mit 940 Takten nicht nur lang ist, sondern auch überwältigend klingt, leitet Beethoven mit einigen Dissonanzen der Bläser ein, welche die Wut und Verzweiflung der vorhergehenden Sätze, vielleicht sogar Schmerzen widerspiegeln. Nur allmählich scheinen die Streicherbässe dagegen anzugehen, sie bahnen, durch ein langsames, ruhiges Motiv, den Weg für etwas völlig Neues, einen neuen Gedanken für den weiteren Verlauf des Stücks.
Die "Ode an die Freude" als Europahymne
Anfang der 70er Jahre dampfte Herbert von Karajan den komplexen vierten Satz mit seinen Dissonanzen, dramatischen Wendungen und verflochtenen Gesangsstimmen zu einer massentauglichen Hymne für den Europarat ein. Später wurde sie auch zur Hymne der Europäischen Union. Die Geschichte der Europahymne beginnt mit zwei berühmten Männern. Beide waren davon überzeugt, dass Freude die Welt verbessern kann.
Für Schiller war Freude etwas, das alle Menschen verbindet, egal, woher sie kommen oder wie sie aussehen. Tatsächlich hat dieses Gedicht vielen Menschen Freude bereitet. Einer von ihnen war Ludwig van Beethoven. Er war ein berühmter Komponist aus Bonn (eine Stadt im heutigen Deutschland) und entdeckte das Gedicht „An die Freude“, als er noch jung war.
Fast 40 Jahre später war es so weit. Beethoven lebte damals in Wien. Als er 1817 mit der Arbeit an seinem Meisterwerk begann, hörte er schlecht, er war fast taub. Also legte er seinen Kopf auf das Klavier, um die Töne zu spüren, und stellte sich die Melodie im Kopf vor. Obwohl es nicht üblich war, Worte in eine Sinfonie einzubauen, verwendete Beethoven im letzten und vierten Teil des Werkes das Gedicht von Schiller. Damit die Menschen beim Zuhören Freude empfinden, schrieb er dazu eine besonders fröhliche und kraftvolle Musik. Es funktionierte. Die erste Aufführung der 9. Sinfonie am 7. Mai 1824 war ein großer Erfolg. Das Publikum klatschte begeistert, doch Beethoven konnte den Applaus nicht hören.
Die Freude über dieses Meisterwerk ist bis heute geblieben und wurde vor mehr als 50 Jahren zur Hymne der EU. 1985 beschloss die EU, nur Musik ohne Worte zu verwenden, damit sich alle Menschen in Europa gleich fühlen, wenn sie diese Musik hören, und sich niemand ausgeschlossen fühlt, weil er die Worte nicht versteht.
Dadurch wurde Beethovens Melodie auch zum politischen Reibebaum: So drehten sich etwa Abgeordnete der britischen Brexit-Partei während der Hymne im Europäischen Parlament demonstrativ um. Man kann Beethovens Meisterwerk aber auch einfach nur genießen.
Vielschichtige Rezeptionsgeschichte
Beethovens Musik wurde in der NS-Zeit instrumentalisiert. Die neunte Sinfonie erklang etwa zum Geburtstag von Adolf Hitler. In der DDR wurde das Werk des Komponisten im kommunistischen Sinne als Musik des Friedens und der Völker-Freundschaft gedeutet.
Die "Ode an die Freude" begleitete die Teilung und Wiedervereinigung Deutschlands. In den 50er und 60er Jahren diente sie bei Olympischen Spielen als deutsche Hymne für die gesamtdeutschen Teams aus west- und ostdeutschen Athletinnen und Athleten. Nach dem Mauerfall führte Stardirigent Leonard Bernstein die Neunte mit dem umgedichteten Text "Freiheit, schöner Götterfunken" im Dezember 1989 in Ost- und Westberlin auf.
Das tun viele Menschen in Japan, wo Aufführungen der Neunten mit Amateur-Chören zu den Traditionen rund um den Jahreswechsel gehören. Die größten dieser Konzerte finden in Osaka mit insgesamt 10.000 Sängerinnen und Sängern statt und werden von Yutaka Sado dirigiert. Unter den Teilnehmern seien Krebspatienten oder Menschen, die Angehörige pflegen und Kraft aus der Musik schöpfen wollen, erzählte Sado, der auch Chefdirigent des Tonkünstler-Orchesters in Niederösterreich ist. Beethovens Musik drücke aus, dass Freude nicht so einfach zu bekommen sei. "Wir müssen einander umarmen, um Freude erreichen zu können", sagte er der dpa. Das gelte auch mit Blick auf Naturkatastrophen und Kriege.
Im Dezember 1989 ließ Leonard Bernstein anlässlich des Falls der Berliner Mauer Beethovens 9. Sinfonie erklingen. Auf diese Weise hat Beethovens Sinfonie einen Siegeszug um die Welt hingelegt. Stalin bezeichnete sie als „die richtige Musik für die Massen“, die „nicht oft genug aufgeführt werden kann“.
Auch in Asien genießt die 9. Sinfonie einen besonderen Stellenwert. Die erste Aufführung erfolgte nach dem ersten Weltkrieg in einem japanischen Kriegsgefangenenlager. Deutsche Kriegsgefangene spielten sie zu ihrer Freilassung. Seit 1983 organisiert der private Hörfunk- und Fernsehsender MBS Aufführungen mit einem 10.000-köpfigen Chor in Osaka.
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