Die Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung (ADHS) ist eine der häufigsten psychischen Störungen im Kindes- und Jugendalter. Sie bessert sich meist mit dem Älterwerden, kann jedoch auch bis ins Erwachsenenalter andauern. Jungen/Männer sind häufiger betroffen als Mädchen/Frauen. ADHS äußert sich durch Unaufmerksamkeit, Impulsivität oder Hyperaktivität.
Die Diagnose ADHS ist noch immer stark von geschlechtsspezifischen Stereotypen geprägt - in der öffentlichen Wahrnehmung wie auch im medizinisch-psychologischen Alltag. ADHS gilt bis heute oft als „Jungen-Diagnose“.
Was ist ADHS?
ADHS (Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung) ist eine neurobiologische Entwicklungsstörung, die sowohl bei Kindern als auch bei Erwachsenen auftreten kann. Es gibt verschiedene Typen, darunter den unaufmerksamen Typ und den hyperaktiven Typ.
Von ADS (Aufmerksamkeitsdefizitsyndrom) spricht man, wenn Betroffene sehr unaufmerksam sind, jedoch nicht hyperaktiv.
ADHS Symptome bei Frauen
ADHS wird bei Frauen oft erst spät erkannt, weil ihr ADHS sich häufig in der Form von Unaufmerksamkeit äußert. Bei kleinen Jungs ist eher die Form der Hyperaktivität vorherrschend. Während sie daher schneller im Unterricht auffallen, weil sie plötzlich aufstehen und zum Fenster rennen oder in der Klasse immer wieder ermahnt werden müssen, die anderen nicht beim Lernen zu stören, sind die Symptome bei Mädchen mit ADHS in der Form von Unaufmerksamkeit eher schwerer zu erkennen.
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Tatsächlich konzentriert sich die Forschung zu dem Thema erst seit etwa 2017 auch auf Frauen und Mädchen - davor wurden vor allem Jungs mit ADHS diagnostiziert. Bei Mädchen hingegen blieben die Symptome oft unerkannt.
Dass sich in den letzten Jahren auf einmal vor allem Frauen mit dem Störungsbild identifizieren, hat einen Grund: die Erkenntnis, dass sich die Symptome bei Frauen anders äußern können als bei Männern. Während bei letzteren vor allem Hyperaktivität auftritt, sind die Erkennungszeichen bei Frauen vor allem:
- Konzentrationsprobleme
- Schwierigkeiten damit, organisiert zu bleiben
- Emotionale Empfindlichkeit
- Tagträume
- Ständiges Abschweifen von Gedanken
Die Symptome von ADHS bei Erwachsenen sind denen von Kindern ähnlich. Die motorische Hyperaktivität ist jedoch weniger ausgeprägt. Häufig spricht man dann von ADS. Innere Unruhe und Vergesslichkeit stehen im Vordergrund. Impulsives Verhalten und unüberlegte Handlungen bleiben bestehen.
Weitere Symptome
- Unaufmerksamkeit: Das Kind hört in der Schule öfter nicht zu, ist leicht ablenkbar und macht mehr Flüchtigkeitsfehler. Allgemein fällt es Kindern mit ADHS schwer, sich auf etwas zu konzentrieren. Betroffene Kinder vergessen und verlieren häufiger Sachen. Zudem sind sie immer wieder sehr ungeduldig.
- Hyperaktivität: Das Kind zeigt unter anderem eine stärkere Unruhe (z.B. In Situationen, bei denen viele Reize auf das Kind einwirken (z.B. bei Feiern, auf Reisen etc.) kann dieses Verhalten stärker sein.
Ursachen und Risikofaktoren
Es ist noch nicht vollkommen wissenschaftlich geklärt, wie es zu ADHS kommt. Man geht davon aus, dass es nicht nur eine einzelne Ursache dafür gibt. Eine wesentliche Rolle spielt die genetische (erbliche) Veranlagung.
Wissenschaftliche Untersuchungen zeigen, dass es zu Veränderungen des Transports des Botenstoffs Dopamin in den Nervenzellen des Gehirns in den Bereichen für Gedächtnis und Lernen kommt. Neue Theorien gehen von Problemen in den Verbindungsnetzwerken im zentralen Nervensystem aus (Brain Network Dysfunction).
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Welche Risikofaktoren für ADHS gibt es? Die Risikofaktoren für die Entstehung von ADHS sind wissenschaftlich noch nicht ausreichend geklärt. Probleme bei der Geburt (z.B. Eltern mit ADHS. Dabei dürften vermutlich die genetische Veranlagung und die äußeren Einflüsse zusammenwirken. Manche Forschungsergebnisse deuten zudem auf einen Zusammenhang zwischen Ernährung (künstliche Farbstoffe und Konservierungsmittel) hin.
Auswirkungen von ADHS auf verschiedene Lebensbereiche
Eine ausgeprägte ADHS kann den Alltag von Betroffenen und das soziale Umfeld (Eltern, Geschwister etc.) stark beeinträchtigen. ADHS wirkt sich auf mehrere Lebensbereiche aus. Kinder bzw. Jugendliche haben häufiger Unfälle oder Verletzungen. Zudem kommt es eher zu Schwierigkeiten in der Schule und Konflikten mit gleichaltrigen Kindern bzw. Jugendlichen.
Im Jugendalter greifen Betroffene häufiger zu Zigaretten, Alkohol oder Drogen. Im Erwachsenenalter kommt es vorrangig zu Beziehungsproblemen oder Schwierigkeiten am Arbeitsplatz.
Vor allem Erwachsene, die in der Kindheit bzw. Jugend impulsiv und hyperaktiv waren, haben Schwierigkeiten bei der Rücksichtnahme auf Mitmenschen (z.B. mangelnder Respekt vor anderen, großzügige Auslegung der Wahrheit etc.). Zudem fällt es Betroffenen schwer, Gefühle zu steuern. Sie sind immer wieder gereizt oder haben Wutausbrüche.
Herausforderungen im Erwachsenenalter
Im Berufsleben kämpfen Frauen mit ADS oft mit der Selbstorganisation und dem Zeitmanagement. Diese Schwierigkeiten können dazu führen, dass sie sich überfordert fühlen und ihren eigenen Ansprüchen nicht gerecht werden. Trotz harter Arbeit können sie das Gefühl haben, nicht die gewünschten Ergebnisse zu erzielen.
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Der ständige Druck, den eigenen hohen Standards gerecht zu werden, kann zu einem emotionalen und physischen Burnout führen. Frauen neigen dazu, ihre Bedürfnisse hintenanzustellen, um den Anforderungen anderer gerecht zu werden, was langfristig zu Erschöpfung führt.
In Partnerschaften können Frauen mit ADS Schwierigkeiten haben, ihre eigenen Bedürfnisse klar zu kommunizieren. Oft stellen sie die Bedürfnisse ihrer Partner über ihre eigenen, was zu einer ungesunden Dynamik führen kann.
Frauen mit ADS neigen dazu, in abhängige Beziehungen zu geraten oder sich in Beziehungen mit narzisstischen Partnern zu verlieren. Diese Dynamik kann das Selbstwertgefühl weiter verringern und zu einem Gefühl der Ohnmacht führen.
ADHS und Menopause
Mit Beginn der Perimenopause, der Phase vor der eigentlichen Menopause, sinkt der Östrogenspiegel im Körper. Dieses Hormon spielt nicht nur bei der Fruchtbarkeit eine Rolle, sondern beeinflusst auch das Gehirn. Die Schwankungen können Gedächtnislücken, Konzentrationsschwierigkeiten - auch als „Brainfog“ bekannt - und emotionale Instabilität herbeiführen.
Frauen mit ADHS, deren Gehirnchemie ohnehin sensibel ist, erleben diese Veränderungen oft noch intensiver. ADHS-Symptome wie Vergesslichkeit, Impulsivität und Schwierigkeiten beim Multitasking können sich verschärfen.
Sinkende Östrogenspiegel wirken sich auf Struktur, Konnektivität und Stoffwechsel des Gehirns aus, erklärt die schwedische Ärztin und Neurowissenschaftlerin Charlotte Borg Skoglund von der Universität Uppsala.
Das hat Auswirkungen auf die kognitiven Funktionen wie Gedächtnis, Aufmerksamkeit und Emotionsregulation. Viele Frauen berichten vom sogenannten „Menopause-Gehirnnebel“, wodurch das Erinnern, Planen und Wechseln zwischen Aufgaben zunehmend schwerfällt.
Diagnose
In der Regel tritt ADHS im Kindesalter auf. Für eine Diagnose müssen Symptome vor dem zwölften Lebensjahr auftreten.
ADHS wird bei Frauen häufig übersehen oder falsch interpretiert, kämpfen viele über Jahre mit Symptomen, ohne eine Erklärung dafür zu haben. Dies kann zu Erschöpfung, Überforderung und einem erhöhten Risiko für Angststörungen oder Depressionen führen.
Während in der Kindheit das Verhältnis von Jungen zu Mädchen mit ADHS bei etwa 3:1 liegt, gleicht es sich im Erwachsenenalter auf 1:1 an. Das deutet darauf hin, dass viele Frauen erst im Erwachsenenalter eine Diagnose erhalten.
Frauen, die erst spät erfahren, dass sie ADHS haben, berichten oft, dass sie sich ihr Leben lang „anders“, „faul“ oder „nicht gut genug“ gefühlt haben. Viele erleben Herausforderungen in Ausbildung, Beruf und Beziehungen, ohne den Grund dafür zu kennen. Eine gezielte Diagnostik kann ein wichtiger Wendepunkt sein, um sich selbst besser zu verstehen, Schuldgefühle abzulegen und individuell passende Unterstützung zu finden.
Was beinhaltet eine ADHS-Diagnostik?
- Anamnese: Hier werde ich Sie zu Ihrer Lebensgeschichte, Ihrer aktuellen Lebenssituation, Ihren Symptomen und anderen Problembereichen befragen.
- Informationen von Bezugspersonen: Da es oft schwer ist, sich detailliert an das eigene Verhalten und Erleben in der Kindheit zu erinnern, können zusätzliche Informationsquellen hilfreich sein. Dies kann zum Beispiel ein kurzes Telefonat mit den Eltern oder das Einsehen alter Schulzeugnisse sein. Selbstverständlich liegt es ganz bei Ihnen, ob und welche Bezugspersonen einbezogen werden.
- Klinische Interviews
- ADHS spezifische Verfahren u.a. Fragebögen zur Selbsteinschätzung
- Testverfahren zur Bewertung der kognitiven Leistungen, wie z.B. Aufmerksamkeit und Konzentration
- Differentialdiagnostik: Um andere Störungen (z.B. Depressionen, Suchterkrankungen) als Ursache für die Symptome auszuschließen, werden im diagnostischen Prozess andere Bereiche ebenfalls beleuchtet.
Behandlung
Im Erwachsenenalter sind die Symptome meist viel schwächer oder bilden sich zurück. Zirka über 50 Prozent der Betroffenen leiden im Erwachsenenalter noch unter ADHS-Symptomen. Rund 15 Prozent weisen noch Symptome im Erwachsenenalter auf, die die Kriterien für eine ADHS-Diagnose erfüllen.
Sobald die Diagnose gestellt ist, können verschiedene Behandlungsmöglichkeiten in Betracht gezogen werden, darunter medikamentöse Therapie oder stützende klinisch-psychologische Behandlung. Die medikamentöse Therapie ist eine weit verbreitete und effektive Behandlungsmethode. Stimulanzien wie Methylphenidat oder Amphetamin-Derivate können die Konzentration und Aufmerksamkeit verbessern und die Impulsivität reduzieren.
Es gibt zahlreiche Bewältigungsstrategien, die beim Umgang mit ADHS helfen. Meistens werden diese von Betroffenen unbewusst im Laufe ihres Lebens entwickelt. Zum Beispiel die Anwesenheit einer zweiten Person, wenn man beim Aufräumen nicht abgelenkt werden will oder sich konkret auf eine Lernaufgabe fokussieren möchte.
Regelmäßiger Sport sorgt für mehr Ausgeglichenheit.
Umgang mit ADHS Symptomen in den Wechseljahren
Skoglund rät: Frauen, die das Gefühl haben, dass sich ihre ADHS-Symptome in der Perimenopause verschlechtern, sollten das bei ihrer Ärztin oder ihrem Arzt ansprechen, damit Therapiemöglichkeiten aufeinander abgestimmt werden können. Etwa so:
- „Ich habe festgestellt, dass meine ADHS-Symptome in letzter Zeit zugenommen haben. Ich vermute, dass dies mit der Perimenopause zusammenhängen könnte. Können wir über mögliche Behandlungsoptionen sprechen, die mir bei beidem helfen könnten?“
- „Ich habe meine Symptome dokumentiert und bemerke, dass sich mein ADHS zu bestimmten Zeitpunkten meines Zyklus verschlechtert. Wie können wir die Behandlung an diese Schwankungen anpassen?“
- „Wäre eine Hormontherapie in meinem Fall sinnvoll? Und wie würde das mit meiner aktuellen ADHS-Medikation zusammenpassen?“
- „Ich würde gerne einen ganzheitlichen Ansatz verfolgen, der sowohl Lebensstiländerungen als auch Medikamente umfasst. Können wir einen Plan entwickeln, der alle Aspekte meiner Gesundheit berücksichtigt?“
Um dieses Gespräch effektiv zu gestalten, kann es helfen, sich gut vorzubereiten. Schnapp dir Zettel und Stift - oder öffne deine Notiz-App am Smartphone - und notiere folgendes:
- deine Symptome und deren Intensität
- ob bestimmte Lebensumstände wie Stress oder Schlafmangel die Beschwerden beeinflussen
- Medikamente und Nahrungsergänzungsmittel, die du einnimmst, sowie konkrete Fragen, z. B.:
- „Könnte eine Hormontherapie meine Beschwerden lindern?“
- „Wie lässt sich meine ADHS-Medikation an diese Lebensphase anpassen?“
- „Welche ganzheitlichen Ansätze könnten mir helfen?“
Gemeinsam mit deiner Ärztin oder deinem Arzt kannst du entscheiden, ob Änderungen an deiner Medikation oder eine Hormontherapie infrage kommen. Auch ergänzende Maßnahmen wie Ernährungsanpassungen, Bewegung und Entspannungstechniken können hilfreich sein.
Positive Aspekte von ADHS
Insgesamt reagieren Erwachsene mit ADHS viel emotionaler als andere Menschen und empfinden Gefühle intensiver - sowohl negative als auch positive. Außerdem gehen sie offener und spielerischer an die Dinge heran und entwickeln oft besonders originelle Ideen. Gelingt es ihnen, ihren Ideenreichtum zu kanalisieren und zu nutzen, können Erwachsene mit ADHS im Beruf sogar ausgesprochen erfolgreich sein.
Entscheidend ist, dass sich die Betroffenen für ihre Tätigkeit interessieren. Finden sie an der Arbeit Freude, bringen sie vollen Einsatz und hohe Motivation mit sich. Ihre Leistung kann dann sogar überdurchschnittlich gut sein.
Fazit
ADHS bei Frauen ist ein komplexes Thema, das oft unterschätzt wird. Insbesondere der - bei Frauen häufigere - unaufmerksame Typus erfordert eine gezielte Früherkennung und individuelle Behandlung. Mit geeigneten Therapieansätzen und Unterstützung können Frauen mit ADHS lernen, ihre Symptome besser zu bewältigen und ihre Lebensqualität zu verbessern.