Wurden Essstörungen früher in der Bevölkerung häufig als „Erkrankung pubertierender Mädchen, die sich wieder gibt“ belächelt und nicht ernst genommen, ist mittlerweile bekannt, dass es sich bei einer Essstörung um eine komplexe, ernstzunehmende psychische Erkrankung handelt, bei der es nicht „nur“ um Essen und Gewicht im Sinne einer Ernährungsstörung geht. Betroffen von Essstörungen sind beiderlei Geschlechter und jede Altersschicht.
Definitionen und Formen von Essstörungen
Unter Essstörungen versteht man Verhaltensstörungen im Zusammenhang mit der Nahrungsaufnahme, die auf eine Kombination verschiedener Ursachen (multifaktoriell) zurückzuführen sein können. Essstörungen sind definitionsgemäß keine Ernährungsstörungen, sondern schwere psychiatrische Erkrankungen, die häufig mit somatischen Komplikationen einhergehen. Psychische Faktoren spielen dabei oft eine zentrale Rolle, können jedoch durch biologische, soziale und kulturelle Einflüsse verstärkt oder ergänzt werden. Bei Erwachsenen sind Essstörungen eine der häufigsten chronischen psychischen Störungen. In den meisten Fällen findet sich ihr Ursprung im Jugendalter, ihre Folgen können ein Leben lang anhalten.
Es werden drei Hauptformen von Essstörungen unterschieden:
- Magersucht (Anorexie, Anorexia nervosa)
- Bulimie (Ess-Brechsucht, Bulimia nervosa)
- Binge-Eating-Störung (Heißhungerattacken, Binge-Eating-Disorder)
Bei Essstörungen sind die Übergänge oft fließend. Mischformen kommen auch vor.
Magersucht (Anorexia nervosa)
Magersucht tritt gehäuft im Alter von zehn bis 25 Jahren auf. Es sind nicht nur Frauen betroffen, sondern immer häufiger auch Männer. Anorexia nervosa tritt gehäuft im Alter zwischen 10 und 25 Jahren auf und betrifft zu 90 bis 95 Prozent Frauen. Laut Richtlinien liegt eine Magersucht vor, wenn das Körpergewicht mindestens 15 Prozent unter dem BMI von 17,5 liegt. Der Gewichtsverlust wurde selbst herbeigeführt durch Einschränkung der Nahrungsaufnahme, zum Beispiel durch Erbrechen, die Einnahme von Abführmitteln, übertriebene körperliche Aktivitäten oder den Gebrauch von Appetitzüglern. Die Angst, dick zu werden, ist tief verwurzelt, der eigene Körper wird meist als unförmig wahrgenommen (Körperschemastörung). Die Betroffenen legen eine sehr niedrige Gewichtsschwelle für sich selbst fest.
Lesen Sie auch: Schritte zur Offenbarung einer Essstörung
Die Krankheit kann zu einer endokrinen Störung führen. Das bedeutet, dass die Hormonproduktion verringert wird und bewirkt bei Frauen ein Aussetzen der Regelblutung, bei Männern den Verlust von sexuellem Verlangen und Potenz. Beginnt die Erkrankung vor der Pubertät, wird die Entwicklung verzögert oder gehemmt. Den Betroffenen ist ständig kalt (Untertemperatur) und sie haben einen niedrigen Blutdruck. Die Patienten haben zudem ein erhöhtes Risiko für Osteoporose.
Bulimie (Bulimia nervosa) - Essen und Erbrechen
Zentrales Merkmal der Bulimie sind Heißhungerattacken, die von Betroffenen nicht mehr kontrolliert oder gesteuert werden können. Sie verspüren ein Verlangen nach Lebensmitteln, die ohne Lust am Essen gierig verschlungen werden. Das Gefühl für Hunger und Sättigung ist oft gestört bzw. verloren gegangen. Gleichzeitig besteht eine krankhafte Angst vor einer Gewichtszunahme. Aus dieser Furcht heraus kommt es zu selbst herbeigeführtem Erbrechen, Fasten, Missbrauch von abführenden Medikamenten oder exzessivem Sport.
Betroffene können leicht untergewichtig, normalgewichtig oder übergewichtig sein - man sieht ihnen die Erkrankung oft nicht an. Das bulimische Verhalten findet meist heimlich statt, und das Erbrechen wird als zunehmend beschämend erlebt.
Viele Betroffene fühlen sich der Krankheit ohnmächtig ausgeliefert und ekeln sich vor sich selbst. Durch das ständige Erbrechen ist der Elektrolythaushalt gestört, die Speiseröhre erhält Risse, und es kommt zu Zahnschädigungen.
Binge-Eating-Störung (Essanfälle) - Essen außer Kontrolle
Von einer Binge-Eating-Störung spricht man, wenn regelmäßig Essanfälle auftreten. Im Unterschied zur Bulimie werden anschließend keine Gegenmaßnahmen wie Erbrechen, Fasten oder Medikamenteneinnahme ergriffen, um eine Gewichtszunahme zu verhindern.
Lesen Sie auch: Formen von Essstörungen
Diese Essanfälle machen sich bei Betroffenen auch auf der Waage bemerkbar: Sie sind übergewichtig oder adipös. Die Betroffenen spüren einen Kontrollverlust - sie können nicht mehr kontrollieren, was oder wie viel sie essen.
Solche Essanfälle müssen mindestens einmal pro Woche über einen Zeitraum von drei Monaten hinweg auftreten, damit man von einer Binge-Eating-Störung sprechen kann.
Orthorexia nervosa - wenn gesundes Essen zur Sucht wird
„Krankhaftes Gesundessen“ wird zu den Zwangsstörungen gezählt.
Diese Essstörung wurde vom Mediziner Dr. Steve Bratman definiert und ist die jüngste unter den bisher bekannten Essstörungen. Laut Definition haben die Betroffenen den Zwang, sich gesund zu ernähren. Es besteht eine große Furcht vor Chemikalien, Fett und Zusatzstoffen, sodass Orthorektiker ihre Lebensmittelauswahl stark einschränken und zwanghaft nur „sichere“ Nahrungsmittel verzehren.
Im Gegensatz zu Anorexia und Bulimia nervosa steht hier statt der Quantität eher die Qualität einer Speise im Vordergrund.
Lesen Sie auch: Essstörungen verstehen und bewältigen
Ursachen und Risikofaktoren
In der Entstehung und Aufrechterhaltung wirken unterschiedliche Ursachen und Bedingungen zusammen, wie zum Beispiel geringer Selbstwert, hohe Leistungsansprüche, Schwierigkeiten im Umgang mit Gefühlen, familiäre Konflikte etc. Essstörungen entstehen aus heutiger Sicht der Forschung durch verschiedene Faktoren. Diese können zusammenwirken. Die Ursachen und die Zusammenhänge sind jedoch noch nicht abschließend wissenschaftlich geklärt.
Zu den Risikofaktoren zählen:
- Biologische und körperliche Faktoren: Zum Beispiel genetische Veranlagung oder Beeinträchtigungen des Gehirnstoffwechsels in Bezug auf Hunger und Sättigung.
- Gezügeltes Essverhalten: Diäten und Fasten können die Entwicklung einer Essstörung begünstigen - vor allem bei Jugendlichen mit niedrigem Selbstwertgefühl.
- Soziale und kulturelle Faktoren: Zum Beispiel das in den westlichen Industrieländern vorherrschende Schönheitsideal eines schlanken Körpers.
- Störungen der Entwicklung in der Kindheit und Pubertät: Zum Beispiel Schwierigkeiten im Prozess des Erwachsenwerdens.
- Andauernde Probleme und belastende Lebensereignisse: Zum Beispiel dauernde Einsamkeit, Konflikte in der Partnerschaft, Probleme in der Familie oder der Verlust von nahestehenden Personen.
Die verschiedenen Ursachen können sich auch gegenseitig beeinflussen. Angst- und Zwangserkrankungen sowie Depressionen treten bei Betroffenen häufiger auf. Anorexie und Bulimie gehen mit einem Risiko für erhöhten Alkoholkonsum einher. Zudem spielen bei Essstörungen auch psychosomatische Zusammenhänge eine Rolle.
Symptome und Anzeichen
Bei Menschen mit einer Essstörung steht das Essen im Lebensmittelpunkt. Die Gedanken und das Verhalten kreisen ständig um das Thema Essen und Gewicht. Es kommt unter anderem zu Nahrungseinschränkung oder unkontrollierten Essanfällen. Je nach Form der Essstörung treten noch weitere Probleme auf. Bei allen Formen einer Essstörung leiden Betroffene meist unter seelischen Problemen und einem niedrigen Selbstwertgefühl. Sie verheimlichen zudem das gestörte Essverhalten. Das kann zu sozialem Rückzug führen. Essstörungen haben meist einen jahrelangen Verlauf. Der Übergang von normalem Essverhalten bis hin zu einer Essstörung kann fließend verlaufen. Er ist oft schwierig von außen zu erkennen. Es ist zudem möglich, dass sich eine Essstörung aus einer anderen entwickelt.
Woran erkennt man gestörtes Essverhalten?
- Das Essverhalten folgt strengen Regeln: es wird übermäßig kontrolliert, zum Beispiel durch feste Zeiten, Pläne oder strikte Einteilung der Lebensmittel in erlaubte und verbotene Speisen.
- Das Essverhalten ist chaotisch: Mahlzeiten werden „vergessen“, bzw. keine Zeit dafür eingeplant.
- Das Essverhalten ist abwechselnd streng strukturiert und dann wieder chaotisch.
- Essen ist das wichtigste Mittel zur Stressbewältigung bzw. um mit Problemen fertig zu werden.
- Essen ist stark stimmungsabhängig, zum Beispiel bei Anspannung oder Euphorie wird mehr oder weniger gegessen als sonst.
- Essen ist stark gewichtsabhängig: Essen wird unter dem Aspekt der Gewichtskontrolle betrachtet. Bereits eine geringe Gewichtszunahme wird mit Angst und Gegenmaßnahmen begegnet.
- Das Essverhalten kontrolliert die Gedanken.
Diagnose
Die Diagnosestellung erfolgt zuerst klinisch aufgrund der systematischen Erhebung der vorliegenden Symptome, wie sie in der internationalen Klassifikation ICD-10 dargelegt sind. Strukturierte Interviews werden psychodiagnostisch eingesetzt bzw. sind im Forschungskontext unerlässlich. Ihr Einsatz bedarf guter Schulung und ersetzt niemals die klinische Erfahrung. So ist ein diagnostischer Fallstrick, Symptome zu übersehen bzw. nicht ausreichend diagnostisch zu würdigen, weil die Betroffenen sie trotz direkter Befragung nicht angeben.
Für die Diagnose einer Binge-Eating-Störung müssen wiederholte Essattacken auftreten. In jedem Fall öfters als einmal pro Woche. Im Gegensatz zu Anorexie und Bulimie kommt es nicht zu regelmäßigen Gegenmaßnahmen, die einer Gewichtszunahme entgegenwirken sollen. In der Folge kommt es meist zu Übergewicht bzw.
Behandlung
Das Angebot orientiert sich an unterschiedlichen Prinzipien, die in Gruppen- und Einzeltherapien zum Einsatz kommen. So zielt die Behandlung in einem ersten Schritt auf die Information der Patientinnen und Patienten über ihr Erkrankungsbild ab. Um das Erworbene auch praktisch umzusetzen und eine Normalisierung im Alltag zu üben, nehmen Patientinnen und Patienten mit Essstörungen täglich gemeinsame Mahlzeiten ein - zu Mittag auch unter therapeutischer Begleitung. Überdies können im Rahmen der wöchentlichen Kochgruppe der Umgang mit oftmals negativ besetzten Lebensmitteln und deren Zubereitung konkret und unter fachlicher Anleitung geprobt werden.
Erweitert um Elemente aus der Dialektisch Behavioralen Therapie (DBT) liegt ein weiteres Ziel darin, Zusammenhänge zwischen Essstörungsverhalten und Schwierigkeiten im Umgang mit Gefühlen sowie äußeren Bedingungen herzustellen. Dabei können Betroffene Verständnis für mögliche Ursachen und aufrechterhaltende Bedingungen ihrer Erkrankung erlangen und im weiteren Verlauf adäquate Fertigkeiten zu deren Bewältigung erlernen.
Die Therapie wird auf die Patientin bzw. den Patienten abgestimmt. Besonders bewährt bei der Behandlung einer Binge-Eating-Störung hat sich dabei Psychotherapie (vor allem Verhaltenstherapie). Liegt Übergewicht bzw. Adipositas vor, berät die Ärztin oder der Arzt zudem zu Möglichkeiten, das Körpergewicht zu reduzieren.
Ambulante oder stationäre Behandlung?
„Ein Weg dazu stellt zum Beispiel die stationäre Behandlung mit dem Schwerpunkt Burn-Out an unserem Department für Psychosomatik dar. Ziel des mehrwöchigen Aufenthaltes ist es, wieder zu neuer Energie zu kommen durch die Aktivierung verlorengegangener oder neu gewonnener Ressourcen“, beschreibt Mag.a Schöny. Burn-Out stoppt die Zeit für die Betroffenen abrupt und ist zugleich auch die Chance, mit professioneller Hilfe wieder zu einem Gleichgewicht zwischen Beruf und Privatleben zu finden.
Auch für Angehörige bzw. Eltern ist es schwierig, mit der Situation rund um eine Essstörung zurechtzukommen. Nahestehende Menschen oder Lehrkräfte sind jedoch oft die ersten Menschen, denen eine Essstörung auffällt. Zum Beispiel, weil Betroffene niedergeschlagen sind, sich ihr Gewicht ändert oder sie sich zurückziehen.
Als Elternteil bzw. als nahestehende Person können Sie beispielsweise dazu beitragen, dass Betroffene ärztliche Hilfe in Anspruch nehmen. Beratungsstellen bieten Information, Unterstützung und Kontaktadressen. Ein erster Schritt ist es, das Gespräch zu suchen. Zudem können sie für Betroffene da sein und sie motivieren, Hilfe anzunehmen. Es ist auch wichtig, dass Betroffene emotionale Zuwendung erfahren und auch kleine Erfolge gesehen werden. In Hinblick auf die Symptome der Essstörung ist es hilfreich, einen gewissen Abstand zu entwickeln. Wenn dies zu wenig gelingt, kann professionelle Hilfe sinnvoll sein. Zum Beispiel eine Psychotherapie. Auch ein Austausch in einer Selbsthilfegruppe für Angehörige kann hilfreich sein.
Wo kann man Hilfe finden?
Niedergelassene Fachärztin bzw. Psychotherapeutin bzw. Ärztinnen bzw. Sie können zudem zuerst Ihre Ärztin oder Ihren Arzt für Allgemeinmedizin kontaktieren und über diese/diesen gezielte Ansprechstellen finden. Auch klinische Psychologinnen bzw. klinische Psychologen können in die Diagnose und Behandlung mit einbezogen sein. Beratungs- und Anlaufstellen für Essstörungen finden Sie zudem unter Essstörungen: Beratung & Hilfe. Personen mit Essstörungen haben ein erhöhtes Risiko, sich das Leben zu nehmen (Suizidrisiko). Sie denken an Suizid, machen sich um jemanden Sorgen oder haben einen Menschen aufgrund eines Suizidtodesfalls verloren?
tags: #essstörung #oder #gestörtes #essverhalten #definition #ursachen