Bipolare Störung und Suizidrate: Eine umfassende Betrachtung

Eine bipolare Störung, früher oder umgangssprachlich auch manisch-depressive Erkrankung genannt, ist eine psychische Erkrankung, die durch Episoden von starken Stimmungsschwankungen gekennzeichnet ist. Die beschriebenen Phasen der (Hypo)Manie wechseln mit Perioden von Depressionen ab. In denen können sich Betroffene u.A. befinden. Bipolare Störungen können schwerwiegende Auswirkungen auf das tägliche Leben haben, aber eine frühzeitige Diagnose und Behandlung kann dazu beitragen, die Symptome zu lindern und ein stabileres Leben zu führen.

Ursachen und Häufigkeit

Es ist wichtig zu betonen, dass die Ursachen der bipolaren Störung komplex und multifaktoriell sind, und es nicht nur eine einzelne Ursache gibt. Mögliche Gründe für die Entstehung einer bipolaren Störung sind auf multifaktorielle Aspekte zurückzuführen. Eine wichtige Rolle spielen hierbei biologisch-genetische Faktoren sowie zusätzlich soziale und psychische Faktoren. Außerdem können Umwelteinflüsse und bestimmte Persönlichkeitseigenschaften die Entwicklung einer bipolaren Störung beeinflussen.

Genetische und biologische Faktoren

Es gibt starke Hinweise darauf, dass die bipolare Störung eine genetische Komponente hat, da sie in einigen Familien gehäuft auftritt. Studien haben gezeigt, dass Veränderungen in bestimmten Genen, die mit der Funktion von Neurotransmittern im Gehirn zusammenhängen, mit einem erhöhten Risiko für eine bipolare Störung verbunden sein können. Untersuchungen haben gezeigt, dass bei Menschen mit bipolarer Störung bestimmte Bereiche des Gehirns anders funktionieren als bei Menschen ohne dieser Erkrankung.

Prävalenz in Deutschland und Österreich

Laut Schätzungen des Robert Koch-Instituts (RKI) in Deutschland gibt es etwa 1,2 bis 1,5 Millionen Menschen mit bipolarer Störung im Land. Diese Schätzung basiert auf Studien und statistischen Modellierungen, da keine landesweiten Daten zu bipolarer Störung vorliegen. Laut Schätzungen des Gesundheitsministeriums in Österreich gibt es etwa 200.000 Menschen mit bipolarer Störung im Land. Diese Zahl basiert auf epidemiologischen Studien und Schätzungen, da keine landesweiten Daten zu bipolarer Störung vorliegen. Schätzungen zufolge leiden etwa 400.000 bis 800.000 Österreicher:innen an moderaten Formen dieser Erkrankung. In Österreich leiden zwischen 85.000 und 170.000 Personen (1 bis 2 Prozent der Allgemeinbevölkerung) an schweren Verlaufsformen der bipolaren Störung. Menschen mit schweren Krankheitsverläufen haben meist ein erhöhtes Suizidrisiko.

Symptome und Diagnose

Bei der bipolaren Störung können verschiedene Episoden auftreten wie depressive, manische, hypomanische und gemischte Phasen. Es besteht auch die Möglichkeit, dass zwischen Episoden auch eine beschwerdefreie Phase liegt. Die depressive Episode einer bipolaren Störung unterscheidet sich nicht von schweren Stadien einer unipolaren Depression. In exzessiven Hochstimmungsphasen (Manie) haben Betroffene große Probleme mit der eigenen Wahrnehmung. Sie zeigen oft ein rücksichtsloses Verhalten zu ihrer Umwelt. Während manischer Episoden kann die Stimmung der Betroffenen von sorgloser Heiterkeit bis hin zu unkontrollierbarer Erregung gekennzeichnet sein. Die Vorstufe zur Manie wird - mit abgeschwächten Beschwerden - auch als Hypomanie bezeichnet. Bei einer gemischten Episode treten manische und depressive Symptome gleichzeitig auf. Dies zeigt sich z.B. in gesteigertem Antrieb trotz depressiver Stimmung.

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Zu Beginn wird eine ausführliche Krankengeschichte (Anamnese) und Probleme der Patient:in erhoben. Es erfolgen genaue klinische Unterscheidungen zur Abklärung der Beschwerden (z.B. Klinisch-psychologische Diagnostik, CT/MRT, EEG). Die Zyklothymie zeigt anhaltende Stimmungsschwankungen zwischen leichter Depression und leichter Euphorie. Zudem können bestimmte Medikamente, insbesondere Antidepressiva, ähnliche Symptome wie Manie oder Hypomanie auslösen.

Die größte Problematik der Diagnostik stellt seit Langem das Faktum dar, dass die hypomanen und manischen Episoden nicht befragt (Arzt:Ärztin, Therapeut:in) bzw. Differenzialdiagnostisch sind ADHS im Erwachsenenalter und vor allem Borderline-Persönlichkeitsstörungen bei gemischten Episoden und „rapid cycling“ zu bedenken, wobei Überlappungen nicht selten sind. Falls zusätzlich schizophrene Symptome auftreten, ist die Diagnose schizoaffektive Störung in Erwägung zu ziehen.

Behandlungsmethoden

Insgesamt braucht es für die Behandlung der bipolaren Störungen ein breites Therapiepaket, bei dem nicht nur Medikation, sondern auch Psychoedukation, Veränderung der Lebensgewohnheiten, regelmäßige Bewegung und Entspannungsübungen, die Einbindung der Angehörigen oder Partner:innen in den therapeutischen Prozess einen Stellenwert haben.

  1. Bei der Akuttherapie geht es vordergründig darum, die depressiven bzw. (hypo-) manischen Symptome zu lindern. Die Akuttherapie erfolgt in der Regel in einem Krankenhaus oder in einer Tagesklinik.
  2. Ziel ist es den erreichten Zustand zu stabilisieren und für circa 6 Monate rückfallsfrei zu bleiben. Betroffene können im Rahmen einer Psychotherapie neben der medikamentösen Behandlung Unterstützung bekommen. Gemeinsam mit der Patient:in werden Therapieziele festgelegt, wie zum Beispiel das Verständnis und Milderung der Symptome oder ein besserer Umgang mit Gefühlen und Alltagsprobleme.
  3. Die Rückfallprophylaxe beschreibt die letzte Phase der Behandlung und dient dazu, den Patient:innen mithilfe präventiver Strategien mit ihrer Erkrankung besser umzugehen. Es geht um eine vorbeugende Behandlung von (hypo-)manischen und depressiven Episoden. Wichtig ist es, die verordneten Medikamente regelmäßig einzunehmen, auch wenn der Zustand stabil ist.

Medikamentöse Behandlung

Lithiumsalz: Seit über 70 Jahren steht das Lithiumsalz trotz vieler Kritik uneingeschränkt als Mittel der Wahl zur Verfügung. Es ist vor allem bei den klassischen Verläufen mit freiem Intervall - und wenn Suizidalität, Suizidversuche des:der Betroffenen oder auch in der Familie eine Rolle spielen - zu empfehlen. Spiegel von 0,6-0,8 mmol/l sind ausreichend für eine den Rückfall verhütende Wirkung.

Antiepileptika: Valproinsäure, Carbamazepin und Lamotrigin haben einen fixen Stellenwert in der Behandlung zur Rückfallverhütung der bipolaren Störung.

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Atypische Antipsychotika: Diese Medikamentengruppe ist in den letzten beiden Jahrzehnten dazugekommen. Beginnend mit der Akutbehandlung der Manie (Olanzapin, Ziprasidon, Risperidon, Aripiprazol und Quetiapin) wurden sie erfolgreich in der Verlängerung bis zu einem Wiederauftreten einer Episode verabreicht.

Antidepressiva: Bei der Behandlung von Depressionen im Verlauf bipolarer Störungen sollte sparsamer und vorsichtiger mit Antidepressiva umgegangen werden. Einige Antidepressiva zeigen ein so genanntes „Switch-Risiko“, das heißt, dass die Behandlung mit diesem Antidepressivum zur Auslösung einer hypomanen oder manischen Phase führen kann. Ob das von den Medikamenten oder vom Risiko der einzelnen Person abhängt, konnte bislang nicht geklärt werden.

Besonderheiten bei der Behandlung mit Lithium

Lithium kann Auswirkungen auf die Schilddrüsenfunktion haben, da es die Schilddrüsenhormonproduktion und -ausschüttung beeinflussen kann. In einigen Fällen kann eine Ergänzungstherapie mit Schilddrüsenhormonen erforderlich sein, um die Hormonproduktion wieder auszugleichen. Es besteht ein bekannter Zusammenhang zwischen Lithium-Spiegel und TSH-Wert. TSH (Thyreoidea-stimulierendes Hormon) ist ein Hormon, das von der Hirnanhangsdrüse produziert wird und die Schilddrüse dazu anregt, Schilddrüsenhormone zu produzieren. Lithium kann die Schilddrüsenfunktion beeinträchtigen und den TSH-Spiegel erhöhen, indem es die Freisetzung von Schilddrüsenhormonen unterdrückt.

Suizidrisiko und Prävention

Menschen mit schweren Formen der bipolaren Erkrankung sind oft akut suizidgefährdet, daher ist eine fachärztliche Behandlung dringlich empfohlen. Studien zeigen, dass Patient:innen unmittelbar und bis zu einem Jahr nach der Entlassung aus einer stationären psychiatrischen Behandlung ein erhöhtes Suizidrisiko aufweisen.

Ein Forschungsteam der MedUni Wien hat nun die Daten von 18.425 Patient:innen analysiert, die über einen Zeitraum von 15 Jahren an der Universitätsklinik für Psychiatrie und Psychotherapie von MedUni Wien und AKH Wien behandelt wurden. Die Studie bestätigt, dass männliche Patienten nach der Entlassung aus der stationären psychiatrischen Versorgung ein signifikant höheres Suizidrisiko aufweisen. „Ein Grund dafür könnte in der bei Männern verminderten Bereitschaft Hilfe in Anspruch zu nehmen liegen“, sagt Erstautor Daniel König-Castillo.

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Bei der Analyse der Daten konnte keine Korrelation zwischen dem Alter der Patienten und dem Suizidrisiko festgestellt werden, was darauf hindeutet, dass dieses erhöhte Risiko für Männer altersunabhängig besteht. Als besonders auffällig erwies sich in der Studie das deutlich und signifikant erhöhte Suizidrisiko bei Patient:innen mit affektiven Störungen wie z.B. Depressionen und Bipolar Affektiven Störungen (vormals bekannt als „manisch-depressiv“) oder neurotischen und somatoformen Störungen (Angst- und Zwangserkrankungen sowie z.B.: Schmerzstörungen).

Die Ergebnisse zeigen außerdem, dass die Suizidrate bei Patient:innen nach der Entlassung aus der stationären Behandlung an der Universitätsklinik für Psychiatrie und Psychotherapie der MedUni Wien in der untersuchten Periode von Jahr zu Jahr zurückging. „Das lässt darauf schließen, dass die Versorgungsstrukturen in den letzten Jahren zunehmend effizienter darin geworden sind, Suizidgefährdung zu erkennen und Suizide durch umfangreiche Nachbetreuung zu verhindern“, so Daniel König-Castillo. Trotz dieses Rückgangs bleibt das Risiko für Suizid in dieser Gruppe signifikant höher als in der Allgemeinbevölkerung.

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Bekannte Persönlichkeiten mit bipolarer Störung

Das Klischee vom in Manien und Melancholien zerrissenen Künstler hat durchaus seine Berechtigung. Die Liste der Schriftsteller, Maler und Schauspieler, die ganz klar die diagnostischen Kriterien einer bipolaren Psyche erfüllen, ist lang: Sting singt vom "Lithium Sunset" und sprach in Interviews von Selbstmordgedanken während seiner "Police-Tage", die Schauspielerin Catherine Zeta-Jones bekannte sich zu ihren bipolaren Störungen, Britney Spears lebte sie öffentlich, in den Biografien von Robert Schumann, Sylvia Plath, Isaac Newton, Hermann Hesse, Janis Joplin oder Kurt Cobain finden sich klare Anzeichen für die entsprechende Diagnose.

Die Ikone aller bipolaren Genies ist jedoch bis heute Vincent van Gogh, der sich in der Manie das Ohr abschnitt und seine Seele in einem Gedicht so beschrieb: "Mein Herz ist wie das Meer /Hat Sturm und Ebb und Fluth ". Obwohl er sich im Briefwechsel mit seinem Bruder häufig über seine "grässlichen" Stimmungsschwankungen beschwerte, wusste er auch, dass er ihnen immense Schaffensexplosionen verdankte: "Die Normalität ist eine gepflasterte Straße - man kann gut darauf gehen.

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