Wenn eine erwachsene Person aufgrund einer psychischen Erkrankung oder einer vergleichbaren Beeinträchtigung ihre Angelegenheiten nicht mehr ohne Gefahr, sich selbst zu schaden, alleine besorgen kann, kommt eine gesetzliche Erwachsenenvertretung in Betracht.
In Deutschland ersetzte im Jahr 1992 die Betreuung als Rechtsfürsorge zum Wohl der betroffenen Person die bis dahin gültige Vormundschaft und Gebrechlichkeitspflegschaft. Der Vorteil der Betreuung ist, dass der Betreute mehr Rechte hat und der Betreuer stärker kontrolliert wird. Außerdem muss eine Betreuungsverfügung nicht umfassend sein, sondern kann auch nur für bestimmte Teilbereiche gelten.
Voraussetzungen für eine Betreuung
Die Voraussetzung für eine Betreuung ist ein objektiver Bedarf an Hilfe und Unterstützung. Sie kann nur errichtet werden, wenn der Betroffene seine Angelegenheiten nicht mehr ohne Beistand regeln kann. Die Gründe können psychische Krankheiten, angeborene geistige sowie körperliche und seelische Behinderungen sein. Ein Beispiel für eine seelische Behinderung ist der geistige Abbau bei Demenzpatienten.
Abweichende Regelungen in Österreich und der Schweiz
Wenn in Österreich ein Volljähriger aufgrund einer psychischen Erkrankung oder anderen Beeinträchtigung nicht mehr (alle) Entscheidungen selbstständig treffen kann, wird unter Umständen eine Erwachsenenvertretung eingerichtet - aber nur als letzter Ausweg. Also dann, wenn der Betreffende etwa von Familienangehörigen, anderen nahestehenden Personen, einer Pflegeeinrichtung oder einem Sozialdienst keine ausreichende Unterstützung beim Regeln seiner Angelegenheiten bekommt oder durch diese "Unterstützung" möglicherweise einen Nachteil erleiden könnte.
Die Erwachsenentretetung soll nur für jene Bereiche gelten, in denen sie unbedingt notwendig ist. Um dies zu gewährleisten, gibt es seit dem 1. Juli 2018 vier Formen (oder Stufen) von Erwachsenenvertretung:
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- Vorsorgevollmacht: Mit einer Vorsorgevollmacht kann jeder, der voll entscheidungsfähig ist, genau festlegen, wer später einmal im eigenen Auftrag handeln darf, wenn man selber dazu nicht mehr in der Lage ist. Dabei kann man auch für verschiedene Lebensbereiche verschiedene Bevollmächtigte ernennen. Mit einer Vorsorgevollmacht kann man sich also die größtmögliche Selbstbestimmung bewahren in Phasen, in denen man nicht mehr allein entscheiden kann.
- Gewählte Erwachsenenvertretung: Hat jemand nicht mittels Vorsorgevollmacht vorgesorgt, besteht manchmal auch für nicht mehr voll handlungsfähige Personen noch die Möglichkeit, eine gewählte Erwachsenenvertretung für sich selbst zu bestimmen.
- Gesetzliche Erwachsenenvertretung: Sie ersetzt seit Juli 2018 die "Vertretungsbefugnis nächster Angehöriger" und kommt infrage, wenn keine Vorsorgevollmacht erstellt wurde und keine "gewählte Erwachsenenvertretung" möglich ist.
- Gerichtliche Erwachsenenvertretung: Sie ersetzt die frühere "Sachwalterschaft" und kommt in Betracht, wenn eine Vorsorgevollmacht fehlt und keine andere Erwachsenenvertetung (gewählt oder gesetzlich) möglich ist.
In der Schweiz wird die Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde (KESB) aktiv, wenn ein Erwachsener nicht mehr zu 100 Prozent die Verantwortung für sich selber tragen kann - außer der Betroffene kann sich ausreichend Unterstützung auf eigene Faust organisieren, etwa durch Familienangehörige. Anderenfalls wird die KESB - eine gerichtsähnliche Behörde - notwendige Maßnahmen anordnen und überwachen.
So kann die KESB eine Beistandschaft anordnen, wenn sich jemand um wichtige Angelegenheiten nicht mehr selber kümmern kann. Es wird also ein Beistand ernannt und genau festgelegt, für welchen Aufgabenbereich (z.B. Wohnen, Geld, Gesundheit) im Leben des Betroffenen dieser zuständig ist und welche Handlungsmöglichkeiten er hat. Dementsprechend gibt es verschiedene Arten von Beistandschaften.
- Bei einer Begleitbeistandschaft bietet der Beistand dem Betroffenen nur niederschwelligen Rat und Unterstützung - der Betroffene selbst bleibt aber für alle Belange selbst zuständig.
- Bei einer Vertretungsbeistandschaft darf der Beistand für den Betroffenen Verträge abschließen und Geschäfte tätigen.
- Bei einer Mitwirkungsbeistandschaft dürfen der Betroffene und der Beistand Entscheidungen (etwa Vertragsabschluss) nur mit Zustimmung des jeweils anderen treffen.
Bei Bedarf können für unterschiedliche Aufgabenbereiche verschiedene Beistandschaften angeordnet werden. Die Kombination soll eine maßgeschneiderte Beistandschaft und somit eine individuell passende Betreuung der betroffenen Person ermöglichen. Reicht das nicht aus, um den Interessen des Betroffenen gerecht zu werden, kann eine umfassende Beistandschaft angeordnet werden. Der Beistand kümmert sich dann um fast alle Angelegenheiten des Betroffenen (notfalls auch gegen dessen Willen). Es gibt aber nur wenige Fälle, wo eine solche umfassende Beistandschaft erforderlich ist.
Anregung einer Betreuung in Deutschland
In Deutschland kann jeder Mensch beim zuständigen Amtsgericht (Vormundschaftsgericht) eine Betreuung anregen, wenn der begründete Verdacht besteht, dass ein anderer oder er selbst ohne rechtlichen und organisatorischen Beistand nicht mehr im Alltag zurecht kommt.
Das Vormundschaftsgericht muss diesen Antrag prüfen und einen Gutachter bestellen. Dies sind Mitarbeiter des Gerichts, die den Betroffenen in seinem Wohnumfeld besuchen, sowie Ärzte, die seinen Gesundheitszustand dokumentieren.
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Besteht der Eindruck, dass der Betroffene seine Interessen nicht ausreichend vertreten kann, wird ihm für die Dauer des Gerichtsverfahrens ein Verfahrenspfleger zur Seite gestellt. Das kann eine Vertrauensperson des Betroffenen, ein Rechtsanwalt oder ein Mitarbeiter von Behörden und Betreuungsvereinen sein.
Richterliche Anhörung
Ein Richter entscheidet über den Betreuungsbedarf und die Bestellung eines Betreuers. Er erhält alle Gutachten und muss sich ein persönliches Bild vom Betroffenen machen. Dazu besucht er den Betroffenen persönlich im Krankenhaus, Heim oder in seiner Wohnung. Einen Anhörungstermin in seinem privaten Umfeld darf der Betroffene aber auch ablehnen. Dann findet die Anhörung im Gericht statt.
In einem Schlussgespräch erklärt der Richter dem Betreuten, wie er entscheiden wird.
Wer wird Betreuer?
Wer ahnt, dass er in den kommenden Jahren eine Betreuung braucht, kann in einer Betreuungsverfügung schriftlich festhalten, wer sein Betreuer werden soll. Auch ohne ein derartiges Dokument versuchen die Vormundschaftsgerichte, zuerst nahe Verwandte oder gute Bekannte anzusprechen, ob sie diese Aufgabe übernehmen wollen. Auch ärztliche Gutachter können eine Person vorschlagen, wenn sie im Rahmen ihrer Untersuchungen und Gespräche festgestellt haben, dass zwischen dem Betroffenen und einer Bezugsperson ein besonderes Vertrauensverhältnis besteht.
Kennt das Gericht keine Vertrauensperson, welche die Betreuung übernehmen will, wird ein Berufsbetreuer bestellt. Das können Sozialarbeiter oder Rechtsanwälte sein, die davon leben, dass sie eine größere Gruppe von Betreuten vertreten und versorgen. Berufsbetreuer erhalten meist eine Pauschalvergütung. Nur, wenn eine einzelne Person die Betreuung nicht leisten kann, kann auch ein Betreuungsverein oder eine Behörde zum Betreuer bestellt werden.
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Umfang der Betreuung
Die Betreuung wird nur für die Aufgabengebiete eingerichtet, die der Betroffene nicht eigenständig erledigen kann. Je nach seinen Fähigkeiten wird entweder eine umfassende Betreuung oder eine Betreuung für folgende Teilgebiete eingerichtet:
- Heilbehandlung und Sorge für die Gesundheit
- Vermögenssorge
- Aufenthaltsbestimmungsrecht
- Wohnungsangelegenheiten
- Post- und Telefonkontrolle
Aufgaben des Betreuers
Der Betreuer ist vor allem seinem Schützling verpflichtet. Er darf sich nicht einfach an seinen eigenen Anschauungen und Überzeugungen orientieren, sondern muss sich nach den Wünschen des Betreuten richten, soweit sich dieser nicht damit schadet. Denn nach § 1901, Absatz 2 des BGB, gehört "zum Wohl des Betreuten auch die Möglichkeit, im Rahmen seiner Fähigkeiten sein Leben nach seinen eigenen Wünschen und Vorstellungen zu gestalten." Der Betreuer hat den Lebensentwurf des Betreuten zu achten und darf dem nur dann zuwider handeln, wenn das Leben oder die Gesundheit des Betreuten durch dessen Verhalten konkret bedroht ist.
Je nach ausgewiesenem Betreuungsfeld erledigt der Betreuer für seinen Schützling Bankgeschäfte, teilt ihm das Geld für bestimmte Zeiträume ein, schließt Verträge mit Vermietern und Heimleitungen und begleitet den Betreuten zum Arzt. Selbstverständlich sind die Ärzte gegenüber dem jeweiligen Betreuer von der Schweigepflicht entbunden. Gemeinsam entscheiden Betreuter und Betreuer, welcher ärztliche Therapievorschlag der Beste ist.
Entscheidend ist der persönliche Kontakt zwischen dem Betreuer und seinem Schützling. Keinesfalls genügt es, wenn der Betreuer nur den Schrift- und Rechtsverkehr erledigt und sich nicht regelmäßig bei dem Betreuten blicken lässt. In der Praxis ist das jedoch oft anders. Deshalb überprüft die Politik derzeit das Betreuungsrecht und wird es möglicherweise reformieren.
Grenzen der Entscheidungsgewalt
Im Betreuungsrecht sind Situationen definiert, in denen der Betreuer nicht alleine entscheiden darf, sondern die Zustimmung des zuständigen Gerichts einholen muss. Dazu gehören vor allem:
- medizinische Behandlungen oder Eingriffe, die mit einer hohen Lebensgefahr oder einem hohen Risiko für bleibende Gesundheitsschäden verbunden sind (außer in Notfällen)
- Sterilisation
- Unterbringung in der geschlossenen Abteilung eines Krankenhauses oder Pflegeheims
- unterbringungsähnliche ("freiheitsentziehende") Maßnahmen wie Bettgitter, Leibgurte, Festbinden der Arme und Beine, Abschließen des Zimmers oder Medikamente zur Ruhigstellung. Diese müssen auch bei bestehender Unterbringung extra beantragt werden.
- Auflösung bestehender Mietverhältnisse
Ende einer Betreuung
Spätestens nach sieben Jahren muss das Vormundschaftsgericht über die Aufhebung oder Verlängerung einer Betreuung entscheiden. Zumeist gibt das zuständige Gericht bei der Bestellung des Betreuers schon ein früheres Datum an, bis zu dem der Betreuungsbedarf überprüft sein muss.
Unabhängig davon kann der Betreute oder sein Betreuer jederzeit das Gericht darüber informieren, dass sich die Voraussetzungen für die Betreuung mittlerweile geändert haben oder sogar entfallen sind. Dann muss das Gericht über die Aufhebung der Betreuung entscheiden.
Ist der Betreute mit seinem Betreuer unzufrieden, kann er dem Gericht einen anderen Betreuer vorschlagen. Dieser muss gleich gut geeignet und zur Übernahme der Betreuung bereit sein. Erfüllt ein Betreuer seine Aufgaben nicht, wird er vom Gericht entlassen.
Gesetzliche Erwachsenenvertretung in Österreich
Diese Vertretungsart kommt nur dann in Frage, wenn die erwachsene Person ihre Vertreterin/ihren Vertreter nicht mehr selbst wählen kann oder will.
Es gibt die Möglichkeit, der gesetzlichen Erwachsenenvertretung oder der Vertretung durch bestimmte Angehörige vorab zu widersprechen. Dieser Widerspruch muss im Österreichischen Zentralen Vertretungsverzeichnis (ÖZVV) registriert werden, um wirksam zu sein.
Für die gesetzliche Erwachsenenvertretung kommen nur nächste Angehörige der betroffenen Person in Frage. Dazu gehören Eltern, Großeltern, volljährige Kinder, volljährige Enkelkinder, Geschwister, Nichten/Neffen, Ehegatten, die eingetragene Parterin/der eingetragene Partner, Lebensgefährten, die seit drei Jahren im gemeinsamen Haushalt leben und Personen, die in einer Erwachsenenvertreter-Verfügung genannt sind. Die Familie soll sich untereinander einig werden, wer die Person in welchen Angelegenheiten vertreten soll. Auch mehrere Angehörige nebeneinander können gesetzliche Erwachsenenvertreter sein, deren Wirkungsbereiche dürfen sich aber nicht überschneiden. Kann sich die Familie nicht einigen, so kommt statt der gesetzlichen Erwachsenenvertretung eine gerichtliche Erwachsenenvertretung in Frage.
Die/der nächste Angehörige und deren Wirkungsbereich muss bei einer Notarin/einem Notar, einer Rechtsanwältin/einem Rechtsanwalt oder einem Erwachsenenschutzverein im ÖZVV eingetragen werden.
Zuständigkeitsbereich des gesetzlichen Erwachsenenvertreters
Die möglichen Wirkungsbereiche des gesetzlichen Erwachsenenvertreters sind im Gesetz genau vorgegeben. Die Vertretung kann folgende Bereiche betreffen:
- Vertretung in Verwaltungsverfahren/Verfahren vor Verwaltungsgerichten (z.B. Antrag auf Pflegegeld)
- Vertretung in gerichtlichen Verfahren
- Verwaltung von Einkünften, Vermögen, Verbindlichkeiten
- Abschluss von Rechtsgeschäften zur Deckung des Pflege- und Betreuungsbedarfs
- Entscheidung über medizinische Behandlungen und Abschluss von damit im Zusammenhang stehenden Verträgen
- Änderung des Wohnorts und Abschluss eines Heimvertrags
- Vertretung in anderen personenrechtlichen Angelegenheiten (z.B. Scheidung)
- Abschluss von nicht bereits genannten Rechtsgeschäften (z.B. Verkauf eines Autos)
Widerspricht die zu vertretende Person der Vertretung, dann darf die gesetzliche Erwachsenenvertretung nicht eingetragen werden! Der Widerspruch kann einzelne Bereiche oder auch die gesamte Vertretung betreffen. Die vertretene Person wird in ihrer Geschäftsfähigkeit nicht automatisch eingeschränkt, auch wenn sie eine Vertretungsperson hat. Wenn die vertretene Person entscheidungsfähig ist, kann sie auch weiter gültig Geschäfte abschließen.
Die gesetzliche Erwachsenenvertretung wird mit der Eintragung in das Österreichische Zentrale Vertretungsverzeichnis (ÖZVV) wirksam. Die Eintragung wird von der Notarin/dem Notar, der Rechtsanwältin/dem Rechtsanwalt bzw. wenn ein Gericht die gesetzliche Erwachsenenvertretung mit Beschluss beendet, z.B.
Die Kosten für die Errichtung gesetzlichen Erwachsenenvertretung unterscheiden sich je nach Errichtungsstelle (Erwachsenenschutzverein, Notarin/Notar, Rechtsanwältin/Rechtsanwalt). Der Erwachsenenvertreterin/dem Erwachsenenvertreter steht grundsätzlich ein Aufwandsersatz zu.
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