Angehöriger depressiv: Was tun? Tipps für den Umgang mit Depressionen

Wer kennt sie nicht, die Tage, an denen uns das Leben mut- und antriebslos zurück lässt. Meist gibt es dafür einen triftigen Grund und so eine depressive Verstimmung geht vorüber. Eine Depression hingegen legt sich schwer auf die Seele, die Betroffenen sind andauernd innerlich leer, kraftlos und ohne Perspektive.

Jeder fünfte Österreicher erleidet in seinem Leben eine Depression, ein Drittel davon erkranken an einer saisonal abhängigen Depression (SAD). Für das Jahr 2030 setzt die WHO die Depression auf Platz zwei der größten Gesundheitsprobleme.

Eine Depression bringt oft nicht nur den Betroffenen selbst, sondern auch Angehörige oder Nahestehende an ihre Grenzen. Wie soll man mit dem Erkrankten umgehen? Wie kann man helfen? Und mit welchen Maßnahmen macht man alles nur noch schlimmer? Die Psychotherapeutin MMag. Nicole Trummer steht Rede und Antwort.

Wie können Angehörige und Freunde helfen?

Partner und Freunde können Depressiven keine Therapie ersparen, aber sie können diese durch richtiges Verhalten unterstützen:

1. Die Krankheit anerkennen

Die Depression weder als Spleen abtun noch durch gutgemeinte Tipps selbst therapieren wollen. Psychische Erkrankungen brauchen professionelle ärztliche und psychotherapeutische Hilfe. Ermutigen Sie den Angehörigen/Freund zum ersten Schritt, sich professionelle Hilfe zu holen. Wenn er mag, begleiten Sie ihn dorthin.

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2. Sich selbst informieren

Holen Sie sich selbst Information und reden Sie mit dem Arzt, welche Wesensveränderungen und Symptome zum Krankheitsbild des Angehörigen gehören. Zurückweisung und/oder Aggression können Ausdruck der Depression sein und sind nicht persönlich zu nehmen. Nehmen Sie die Einladung des Therapeuten zu gemeinsamen Gesprächen mit dem Betroffenen und Ihnen als Angehörigen an, fragen Sie, welches Verhalten hilfreich ist und welches die Heilung erschwert.

Wer vermutet, dass eine Person aus der Familie oder dem nahen Umfeld an einer Depression leidet, sollte sich in einem ersten Schritt über die Erkrankung, deren Symptome und Ausprägungsformen informieren: "Das ist das Allerwichtigste", betont Trummer. "Denn erst, wenn man über die Krankheit Bescheid weiß, kann man sie auch verstehen." Erst durch das Wissen über die Krankheit könne man das Verhalten der Person richtig deuten.

Ganz wichtig ist, dass man, auch als Angehöriger oder Freund einer depressiven Person, sich selber über diese Krankheit informiert. Informationen über die Symptome, Ursachen und über den Verlauf der Erkrankung. Zusätzlich erfährt man näheres zu möglichen Behandlungsoptionen und Selbsthilfemöglichkeiten.

3. Sanfte Motivation

Den Depressiven beim Erledigen der Aufgaben des Alltags unterstützen, wenn er selbst dazu nicht mehr alleine fähig ist. Die Aktivierung ist Teil der Behandlung. Ihm nicht dauerhaft alles abnehmen. Behutsam zu kleinen Aktivitäten ermuntern. Das kann helfen von dunklen Gedanken und ewiger Grübelei wegzukommen. Wenn möglich, sich über den Grad der Motivation mit dem Therapeuten/Arzt besprechen. Das richtige Maß zwischen Aktivierung und Überforderung ist eine Gratwanderung. Partner dürfen vom Depressiven auch nicht erwarten, dass er ihre Bedürfnisse erkennt und erfüllt, auch im Bereich des Intimlebens.

Übernimmt der Betroffene im Alltag anfallende Aufgaben, sollte man ihm dafür Anerkennung zollen. Zudem empfiehlt es sich, ihn zu kleineren Unternehmungen, beispielsweise zu einem Spaziergang, zu motivieren. Besonders profitiert der Betroffene von jenen Tätigkeiten, die ihm eine Richtung geben, ihm dabei helfen, seinen Tagesablauf zu strukturieren. Motivierend einwirken kann man auf den Erkrankten auch dann, wenn es um Arztbesuche oder die Umsetzung einer Psychotherapie geht.

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4. Medikamente regelmäßig einnehmen lassen

Darauf achten, dass der Patient seine Medikamente regelmäßig einnimmt.

Hat die:der Betroffene bereits ein Medikament zur Behandlung der Depression verschrieben bekommen, bestärken Sie sie:ihn darin, es regelmäßig einzunehmen. Eine kontinuierliche Behandlung - Medikamenteneinnahme und Psychotherapie - gewährleistet eine Verbesserung der depressiven Symptome und hilft auch maßgeblich dabei, dass Betroffene ihren Alltag wieder meistern können.

5. Die Macht der Worte

Aus Unwissen, Ungeduld und Gutmeinen wählen Angehörige oder Freunde oft falsche Worte und geben mitunter schädliche Tipps. Floskeln wie „Kopf hoch, das wird schon wieder“, „Stell dich nicht so an“ oder „Lach doch mal“ sein lassen. Versuchen, konstruktiv zu reagieren, statt vorwurfsvoll. Dem Betroffen immer wieder auch klar machen, dass die Depression keine Schwäche ist, sondern eben eine Krankheit, die man gut behandeln kann und dass sie zu ihm stehen und ihn unterstützen wollen.

6. Das Umfeld aufklären

Der Depressive zieht sich oft zurück und die Erkrankung beeinträchtigt den Kontakt zur Umwelt. Mit dem Betroffenen besprechen, wer über die Depression bescheid wissen soll. Auch Kindern kann man erklären, dass ein Elternteil krank ist und sich deshalb anders verhält.

7. Selbstmordgedanken ernst nehmen

Äußert der Kranke Selbstmordabsichten, sind diese immer ein Zeichen dafür, dass der Schwermütige in arger Not ist. Ihm zuhören und ermuntern, diese Gedanken mit dem Arzt/Therapeuten zu besprechen. Wenn man mit der Situation nicht zurechtkommt, selbst beim Arzt/Therapeuten anrufen und sich Hilfe holen.

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Spricht die:der Betroffene über das Thema Suizid oder vermehrt über den Tod, so nehmen Sie ihre:seine Worte ernst und suchen Sie unverzüglich gemeinsam die Ärztin bzw. den Arzt auf oder verständigen Sie bitte die Rettung!

8. Die eigenen Gefühle erlauben

Wenn ein Angehöriger depressiv ist, kann man auch selbst eine Gefühlsachterbahn von Traurigkeit, Wut, Frustration, Verzweiflung etc. durchlaufen. All das darf sein. Seien Sie nicht zu streng mit sich, wenn sie nicht immer perfekt reagieren. Geben Sie dem Kranken aber nicht die Schuld an ihren Gefühlen. Teilen Sie ihre Sorgen mit Freunden, überlegen Sie, ob Sie sich selbst therapeutisch begleiten lassen wollen.

9. Sich selbst Gutes tun

Das Zusammenleben mit einem depressiven Menschen kann viel Kraft kosten und die Niedergeschlagenheit auf die eigene Lebensfreude und Stimmung drücken. Bis zur Heilung der Depression können Monate, ja Jahre vergehen. Die Grenzen der eigenen Belastbarkeit erkennen und ernst nehmen. So gut es geht Unterstützung annehmen und sich Freiräume schaffen für eigene Hobbies, das Treffen mit Freunden und unbeschwerte Aktivitäten.

Weitere Tipps für Angehörige:

  • Sprechen Sie offen: Trummer plädiert für einen ehrlichen Umgang mit dem Betroffenen. Oft klagt der Erkrankte auch über Schmerzen oder Schlafstörungen. Lust- und, Antriebslosigkeit zeigen sich. "Depression ist die Krankheit der Losigkeiten", erklärt die Expertin, der zufolge man die Vermutung, dass das Gegenüber an einer Depression leidet, offen ansprechen sollte. Und zwar auf motivierende, feinfühlige Art und Weise.
  • Machen Sie keinen Druck: Auf keinen Fall sollte man eine Depression bagatellisieren. Aussagen wie "Jetzt reiß dich einmal zusammen" oder "Du bist ja gar nicht wirklich krank" sind hier fehl am Platz.
  • Unterstützen Sie: Die Expertin rät: "Seien Sie für den Betroffenen da". Für den anderen da zu sein bedeutet nicht, ihm die Verantwortung abzunehmen und Entscheidungen für ihn zu treffen. Vielmehr ginge es darum, ihm jene Unterstützung zukommen zu lassen, die er tatsächlich benötigt - und um die er fragt.
  • Motivieren Sie: Übernimmt der Betroffene im Alltag anfallende Aufgaben, sollte man ihm dafür Anerkennung zollen. Zudem empfiehlt es sich, ihn zu kleineren Unternehmungen, beispielsweise zu einem Spaziergang, zu motivieren.
  • Haben Sie keine Erwartungen: Wer helfen will, macht Angebote. Wer allerdings erwartet, dass die Angebote auch tatsächlich angenommen werden, "hat schon verloren", so Trummer. Man könne eine Stütze sein, nicht mehr und nicht weniger. "Als Angehöriger ist man nicht der Therapeut. Das muss man sich klarmachen."
  • Verantwortung übernehmen, wenn nötig: Bloßes Motivieren reicht in diesem Fall nicht mehr aus. Hier muss der Angehörige tätig werden. Dazu Trummer: "Bei einer schweren Depression ist es üblich, dass man für den Betroffenen viel übernimmt." So zum Beispiel die Organisation von Arztterminen.
  • Machen Sie keine Vorwürfe: "Lassen Sie die eigenen Emotionen bei sich. Machen Sie dem Erkrankten keine Vorwürfe! Dadurch erzeugen Sie bloß Schuldgefühle. Und die haben depressive Menschen für gewöhnlich ohnehin schon", mahnt die Expertin.
  • Lassen Sie Ihre Gefühle zu: "Als Angehöriger darf man sich hilflos oder überfordert fühlen. Man darf wütend oder verärgert sein. Das ist okay", beruhigt Trummer.
  • Sorgen Sie für sich: Psychotherapeutin rät daher: "Sorgen Sie gut für sich! Verlieren Sie Ihre eigenen Grenzen, Wünsche und Ziele nicht aus den Augen. Gehen Sie Ihren Hobbys nach und treffen Sie sich mit Freunden."
  • Holen Sie sich Hilfe: Trummer empfiehlt den Besuch einer Selbsthilfegruppe für Angehörige von psychisch Erkrankten.
  • Umgeben Sie sich mit gesunden Menschen: Wer ständig mit jemanden zusammen ist, der sich in einer Negativspirale befindet, läuft Gefahr, früher oder später selbst in diese hineingezogen zu werden.
  • Handeln Sie: Um Arzttermine wahrzunehmen, braucht er jemanden, der ihn begleitet. Für den Angehörigen bedeutet das mitunter einen enormen Zeitaufwand. Lässt sich dieser nicht mehr mit dem eigenen Alltag vereinbaren, sollte ein stationärer Klinikaufenthalt angedacht werden.

Weitere wichtige Punkte:

  • Tipps für Ihre Partnerschaft: Aufmerksam sein,die Depression akzeptieren,keine Ratschläge geben,Schuldzuweisungen vermeiden,Entscheidungen erleichtern,Die:Den Partner:in nicht bevormunden,Gefühle nicht unterdrücken,Auf sich achten.
  • Tipps für Angehörige: Seien Sie achtsam und akzeptieren Sie die Depression als Krankheit. Fördern Sie die Therapietreue der:des Patient:in! Bieten Sie der:m Betroffenen an, über Ängste und Sorgen zu reden, und hören Sie aufmerksam zu. Appellieren Sie nicht an den Willen der:des Betroffenen! Menschen, die an einer Depression leiden, können nicht „wollen“! Unterstützen Sie die:den Betroffene:n! Suizidgedanken sind ein Hilfeschrei! Auf sich selbst achten!
  • Hilfe suchen: Auch für Angehörige kann es sehr schwer sein, wenn ein nahestehender Mensch an einer Depression erkrankt. Depressionen eines Elternteils können etwa Auswirkungen auf die Entwicklung von Kindern haben.

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