ADHS und soziale Interaktion: Herausforderungen und Lösungsansätze

Ähnlich verhält es sich mit der Annahme, dass Menschen mit ADHS keine sozialen Fähigkeiten besitzen. Auch hier besteht ein starkes Bedürfnis nach zwischenmenschlichen Beziehungen. Allerdings werden die Kontakte oft über Verhaltensweisen gesucht, die als unpassend und negativ wahrgenommen werden, so dass sich die Ausgrenzung noch verstärkt. Dies ist umso schlimmer, da Kinder mit dieser Störung meist sehr kontaktfreudig sind und aktiv nach Beziehungen suchen.

Ich habe immer wieder erlebt, wie meine Impulsivität dazu führt, dass ich unüberlegt reagiere oder Gespräche unterbreche - Verhaltensweisen, die leicht missverstanden werden können. Diese Herausforderungen erschweren es uns oft, stabile Verbindungen aufzubauen. Mit meiner Diagnose begann ich zu begreifen, dass meine Erfahrungen Teil eines größeren Spektrums sind. Dieses neu gewonnene Bewusstsein hat mir geholfen, meine Situation besser zu verstehen und dazuzulernen.

Das Problem der Impulsivität

Als Ursache für die ADS/ADHS wird heute eine genetisch bedingte neurobiologische Funktionsstörung im Bereich derjenigen Hirnabschnitte angenommen, welche übergeordnete Steuerungs- und Koordinationsaufgaben in der lnformationsverarbeitung des Gehirns übernehmen. Das bewirkt, dass das Gehirn unwichtige innere und äußere Reize und Impulse schlecht hemmen und ausfiltern kann (chronische Reizüberflutung) und führt schließlich zu den bekannten Symptomen wie u. a. Ablenkbarkeit und Zappeligkeit.

Umweltfaktoren sind insofern von Belang, als Stress die Symptome verstärkt. Das heißt, Konfliktbeladene, disharmonische Familienbeziehungen und permanente Spannungen innerhalb der Familie wirken sich negativ auf hyperaktive Kinder aus. Deswegen ist die soziale Umgebung betroffener Kinder für den Verlauf, die Behandlung und die Ausformung der Störung natürlich sehr wichtig. Auch können Eltern und Geschwister als Modell dienen, an denen das betroffene Kind hyperaktive Verhaltensweisen "lernt". Außerdem wird durch das auffällige, aktive Auftreten der betroffenen Kinder fast immer Beachtung hervorgerufen, die zur Verstärkung des Verhaltens führen kann.

Die Bedeutung der Langsamkeit

Ein überaus wichtiges Tool zur Entspannung vieler Situationen mit eventuellem Potenzial zur Eskalation, aber auch ganz allgemein ein Tool für den entspannten Umgang mit ohnehin schon belasteten, respektive »schwierigen« Kindern, wie solchen mit ADHS, ist der Mut zur Langsamkeit. Wenn wir eine Interaktion, zum Beispiel ein Gespräch mit einem Menschen beginnen, verspüren wir ganz unbewusst ein Grundbedürfnis, das mit unserem eigenen Bedürfnis nach Sicherheit zu tun hat. Es ist der allzu verständliche Wunsch nach Selbstkontrolle.

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Kinder und Jugendliche, wahrscheinlich aber ungleich stärker Kinder und Jugendliche mit ADHS, hegen diesen Wunsch natürlich ungleich intensiver als Erwachsene! Die bestehende Selbstkontrolle zu transportieren gelingt jedoch einzig durch Anwendung betonter Langsamkeit. Wenden Sie doch einmal in einer »Notsituation« während des Unterrichts, anstatt heftigem Schimpfen, vielleicht unter leichtem »Augenzwinkern«, vor allem aber authentisch, das Stilmittel der Langsamkeit an!

Bringen Sie dabei eine eventuelle Ermahnung, Aufforderung, Anordnung oder was immer Ihr Anliegen ist, betont »getragen« vor, anstatt hektisch oder vielleicht sogar gereizt. Bei dieser Art von Langsamkeit jedoch sollten Sie mit Worten sparen! Stichwort: »Wortkarg«. Was Sie also zuvor eventuell wortreich bekundet haben, sollte jetzt mit maximal 2- 3 Worten als »pädagogisches Stilmittel transportiert werden.

Wenn das dosiert als Stilmittel angewendet wird, vermittelt es positive Stärke und die Gewissheit, dass Sie die momentane Lage ganz und gar unter Kontrolle haben! Vor allem aber, wie schon erwähnt, sich selbst! So generieren Sie den vor allem für ADHS-betroffene Kinder und Jugendliche so notwendigen, maximalen »Entspannungswert« aus Ihrer pädagogischen Interaktion.

Das W.E.S.P.E.-Modell

Das W.E.S.P.E.-Modell ist eine mittelfristige Methode, um Fehlverhalten, besonders in der Gedankenwelt des ADHS Betroffenen, zu eliminieren. Die wiederholte Erinnerung zur Sekundär-Prävention in der Entspannung garantiert eine Festigung des Wohlverhaltens und ermöglicht eine klare Struktur als Reaktion auf ein mögliches Fehlverhalten.

Warten Sie mit Ihrer Reaktion nach einem gezeigten Fehlverhalten oder einer Verhaltensoriginalität auf ein weitgehend entspanntes Setting! Keine Sorge: Auch im täglichen Schulbetrieb stellen sich entspannte Momente bald ganz von alleine wieder ein! Erst in diesem Moment erinnern Sie das Kind betont ruhig, langsam und entspannt, vor allem aber wortkarg an das Ihnen »im Gedächtnis gebliebene« Fehlverhalten!

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Sie erzeugen damit mehrere Reaktionen in der Denkweise des Kindes:

  • Ich bin meiner Bezugsperson wichtig genug, dass dieser meine Handlungen im Gedächtnis bleiben
  • Meine Bezugsperson nimmt mich wahr (immer noch)
  • Meiner Bezugsperson ist es offenbar wichtig, dass sich etwas ändert
  • Mein Handeln war einprägsam genug, aber wird hinterfragt
  • Man bemüht sich fortgesetzt um mich
  • Ich werde an etwas erinnert, das ich vielleicht lieber nicht getan hätte (ist eigentlich keinem Menschen angenehm)
  • Nachdenken ist jetzt auf einmal möglich.

ADHS im Überblick

Die Verhaltensauffälligkeit ist unter den Namen "Aufmerksamkeits-Defizit-Syndrom" (ADS), sowie " Aufmerksamkeits-Defizit-Syndrom mit Hyperaktivität" (ADHS) geläufig, im Englischen spricht man von ADD (Attention Deficit Disorder) und ADHD (Attention Deficit Hyperactivity Disorder). All diese Namen meinen aber ein ähnliches Störungsbild. Sie bezeichnen einen Komplex von Verhaltensauffälligkeiten, die sich meist in der frühen Kindheit das erste Mal zeigen und zu einer großen Belastung für die Umwelt sowie das Kind selbst werden können. Zentrale Symptome dieser Störung sind Konzentrations- u. Aufmerksamkeitsschwächen. Die Kinder brechen eine Arbeit vorzeitig ab, wechseln häufig die Aktivitäten.

Die Häufigkeit von ADS/ADHS liegen bei vier bis zehn Prozent aller Kinder und Jugendlichen. Es gibt aber auch Schätzungen, wonach die Verbreitung weit höher ist. Meist tritt die Störung im Grundschulalter auf. Zum Teil ist schon der Säugling leicht irritierbar und erregbar. Die motorische Entwicklung beginnt eher früh, die Sauberkeits- und Sprachentwicklung setzt dagegen oft verzögert ein. Im Kindergarten sind die Betroffenen "umtriebig", verfügen über eine mangelnde Verhaltenssteuerung und können ihre Impulse kaum kontrollieren.

Die Kinder können kaum strukturiert Aufgaben bewältigen, sie Trommeln mit den Fingern, Klopfen mit den Füßen, Schaukeln auf dem Stuhl, Singen, Nörgeln, Necken die anderen Kinder, werfen Dinge umher, kommen in wahre Redeschwalle, haben mit der Feinmotorik Probleme und einen oft ungelenkigen Bewegungsablauf. Einige von ihnen sind auch ausgesprochene Tagträumer. Zusammen mit Wutanfällen und einem geringen Einfühlungsvermögen geraten hyperaktive Kinder zudem leicht in Isolation, werden von der Gruppe ausgegrenzt.

Lange wurde die ADHS als eine auf das Kindesalter beschränkte Entwicklungsstörung höherer Hirnfunktionen betrachtet. Es zeigt sich aber, dass auch Erwachsene in ca. 50% aller Fälle unter den Folgen dieser Störung weiter leiden. Die hyperkinetische Symptomatik verschwindet zwar häufig, die Aufmerksamkeitsprobleme (Zerstreutheit, Planungsprobleme, schlechtes Zeitgefühl), die emotionalen Störungen (Stimmungsschwankungen, innere Unruhe) und die Impulsivität halten hingegen an. Die ADHS-Symptome können andere psychische Erkrankungen wie Depressionen, Sucht- und Angsterkrankungen hervorrufen oder mit ihren einhergehen.

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Die Diagnose wird durch die Erhebung der persönlichen und familiären Lebensgeschichte und die Verwendung strukturierter (Eltern- und Lehrer-) Fragebögen gestellt. Eine ärztliche Untersuchung muss das Vorliegen von anderen Erkrankungen, welche für das Störungsbild verantwortlich sein könnten (z.B. Epilepsie, Funktionsstörungen der Schilddrüse), ausschließen.

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