Warum posttraumatische Belastung übersehen wird

Ein Trauma ist ein Ereignis, das das Leben eines Menschen von einem Moment auf den anderen zutiefst erschüttert. Trauma bedeutet "Erschütterung" oder auch "belastendes Erlebnis".

Ein Trauma ist eine Situation, in der ein Mensch von Ereignissen überrascht wird, das durch sein plötzliches Auftreten und seine Heftigkeit und Bedrohlichkeit die Betroffene in einen Angst-Schock-Zustand versetzt, aus dem diese sich nicht mit Flucht oder Aktion retten kann.

Nicht alle traumatischen Erlebnisse müssen zu Belastungen führen. Viele Menschen können hoch belastende Ereignisse gut verdauen, aber ca. 1/3 der Betroffenen entwickelt eine Posttraumatische Belastungsstörung (PTBS), welche zu einer chronischen Über-Aktivierung des Autonomen Nervensystems führt (Huber, 2008).

Wie äußert sich eine posttraumatische Belastungsstörung?

Die posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) tritt als eine körperliche Reaktion nach einem traumatischen Erlebnis wie einem Gewaltverbrechen, einem schweren Unfall oder einer Kriegshandlung auf.

Die Symptome einer posttraumatischen Belastungsstörung treten in der Regel nicht sofort auf. Während der erlebten Notsituation entwickeln sich in der Regel erst einmal Schocksymptome: Die Betroffenen sind wie betäubt, viele berichten von dem Gefühl des "Neben sich stehens" (Depersonalisationsgefühl).

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Die Situation kommt ihnen dann irreal vor. Dabei handelt es sich um einen Schutzmechanismus des Körpers, der dem eigenen Überleben dient. Diese Reaktion auf den massiven Stress nennt man eine akute Belastungsreaktion.

Wenn sich diese Symptome weiterentwickeln und manifestieren, bezeichnen Experten dies als posttraumatische Belastungsstörung. Symptome treten dann oft erst Monate bis Jahre später auf. Sie variieren sehr, sind jedoch stets ernst zu nehmen.

Da die Symptome denen anderer Erkrankungen (wie Depression, Borderline-Persönlichkeitsstörung) ähneln, werden diese zunächst ausgeschlossen, was nicht immer leicht ist. Wichtiges Unterscheidungskriterium ist, dass die Symptome einer PTBS zeitlich verspätet nach einem erlebten Trauma auftreten.

Um eine posttraumatische Belastungsstörung zu diagnostizieren, hält sich der behandelnde Arzt an die Kriterien und Symptome, die in der internationalen statistischen Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme (ICD-10) aufgelistet sind.

Symptome im Detail

Die Hauptsymptome einer posttraumatischen Belastungsstörung sind:

  • Unwillkürliches Erinnern und Wiedererleben des Traumas (Intrusionen und Flashbacks)
  • Vermeidung, Verdrängung und Vergessen des Geschehens
  • Nervosität, Angst und Reizbarkeit
  • Verflachung der Gefühle und Interessen

Unwillkürliches Wiedererleben des Traumas (Flashbacks)

Menschen mit PTBS werden spontan von aufkommenden Erinnerungen an das traumatische Erlebnis überwältigt und sind nicht fähig, dies willkürlich zu kontrollieren oder zu unterdrücken.

Bei manchen Betroffenen kommen nur Bruchteile der Erinnerung hoch, während andere unter sogenannten Flashbacks leiden. Flashbacks beschreiben das halluzinationsartige Zurückversetzen in das Geschehen. Die Betroffenen haben das Gefühl, die Situation noch einmal zu durchleben.

Auslöser sind oftmals sogenannte Schlüsselreize, also wenn beispielsweise ein Kriegsopfer Schreie hört oder ein Brandopfer Rauch riecht. Auch das Wiederkehren der traumatischen Erinnerungen in Form von Albträumen ist typisch für die posttraumatische Belastungsstörung.

Symptome auf körperlicher Ebene wie Atemnot, Zittern, Schwindel, Herzrasen und Schweißausbrüche treten mitunter zusätzlich auf.

Vermeidung, Verdrängen und Vergessen

Zum eigenen Schutz vermeiden viele Menschen mit PTBS jene Gedanken, Situationen und Aktivitäten, welche die Erinnerung an das Geschehen möglicherweise wecken. Wer beispielsweise einen traumatischen Verkehrsunfall miterlebt hat, meidet öffentliche Verkehrsmittel und Autofahren. Brandopfer meiden eventuell das Anzünden von Kerzen oder Kaminfeuer.

Andere Betroffene sind nicht in der Lage, sich an alle Aspekte des traumatischen Erlebnisses zu erinnern. Experten sprechen von vollständiger oder teilweiser Amnesie.

Das bewusste Vermeiden ist auf lange Sicht kontraproduktiv für eine Genesung. Es verstärkt die Angst und die Symptome einer posttraumatischen Belastungsstörung.

Nervosität, Angst und Reizbarkeit (Hyperarousal)

Viele Traumaopfer sind sehr empfänglich für Reize, und ihre Nerven liegen sprichwörtlich blank. Die Betroffenen sind überaus wachsam (hypervigilant), da sie sich unterbewusst stets in Gefahr wähnen. Zudem sind sie sehr schreckhaft und ängstlich.

Auf Dauer ist dieser Zustand sehr anstrengend für den Körper. Es kommt zu Konzentrationsschwierigkeiten, die Aufmerksamkeitsspanne verkürzt sich mit der Zeit immer mehr. Ein Buch zu lesen oder einen Film anzuschauen, wird für die Traumaopfer dann manchmal unmöglich.

Diese generalisierte Anspannung führt zu leichter Reizbarkeit und unverhältnismäßigen Wutausbrüchen. Angehörige von Betroffenen berichten oftmals von einer plötzlichen Wesensveränderung von früher ausgeglichenen und entspannten Menschen.

Hält die Daueranspannung auch nachts an, entwickeln sich Ein- und Durchschlafstörungen. Zusätzlich leiden einige Betroffene unter Albträumen. Diese fehlende Nachtruhe ist auf Dauer sehr schädlich.

Die Betroffenen entspannen sich nicht mehr richtig, und Körper und Geist bekommen keine Möglichkeit, sich zu erholen. Folglich sinkt meistens die Belastbarkeit im Alltag.

Die anhaltende Angst und Anspannung lassen sich mit Sport und Bewegung häufig ein wenig lösen. Die Überwindung zu körperlicher Aktivität ist für viele Betroffene jedoch sehr groß.

Verflachung der Interessen und der Gefühle (Numbing)

Die Lebensfreude ist eventuell durch eine posttraumatische Belastungsstörung nachhaltig beeinträchtigt. Oft verlieren die Betroffenen jegliche Interessen und ziehen sich aus dem sozialen Leben zurück. Sie verlieren die Lust am Leben und planen ihre Zukunft nicht mehr.

Manche sind auch nicht mehr in der Lage, etwas zu fühlen - sei es etwa Freude, Liebe oder Traurigkeit. Es kommt zu einer Abstumpfung der Gefühle (Numbing = Taubheitsgefühl).

Die Traumaopfer fühlen sich häufig entfremdet und haben das Gefühl, das Erlebte trennt sie von ihren Mitmenschen und Angehörigen. Diese Veränderung des Gefühlslebens endet dann oft in einer Depression.

Schmerz und Trauma

Mitunter treten Schmerzen im Zusammenhang mit Traumatisierung auf. Zum einen lösen manchmal traumatische Erfahrungen wie Unfall oder Terror unmittelbar körperliche Schmerzen aus. Zum anderen tragen frühere Traumatisierungen möglicherweise dazu bei, dass Schmerzsyndrome aufrechterhalten bleiben oder sogar chronifizieren.

Ein möglicher Zusammenhang zwischen (chronischen) Schmerzen und PTBS ist bisher aber noch nicht genau geklärt.

Dissoziative Störungen

Besonders schwere oder wiederholte bzw. langanhaltende Traumatisierungen, zum Beispiel infolge psychischer, körperlicher oder sexueller Gewalterfahrungen oder auch Erfahrungen körperlicher bzw. emotionaler Vernachlässigung in der Kindheit, können erhebliche Beeinträchtigungen des Erlebens, Denkens, Fühlens und auch der Interaktion mit der Umwelt nach sich ziehen.

Bei vielen Betroffenen prägt sich ein vielfältiges Beschwerdebild aus, das ein Muster typischer Veränderungen beinhaltet und als komplexe posttraumatische Belastungsstörung (kPTBS) bezeichnet wird: Veränderungen der Emotionsregulation und Impulskontrolle, Veränderungen in Aufmerksamkeit und Bewusstsein, Veränderungen der Selbstwahrnehmung, Veränderungen in Beziehungen zu anderen, Somatisierung, Veränderungen von Lebenseinstellungen.

Dissoziative Störungen sind Störung der Integrationsfähigkeit: Die Funktionen der Wahrnehmung, des Bewusstseins, des Gedächtnisses, der Identität und der Motorik, die normalerweise zusammenhängen, fallen auseinander. Während ein bestimmter Teil die Erfahrungen bewusst wahrnimmt, weist ein anderer Teil sie ab. Die Menschen fühlen sich fragmentiert.

Dissoziation ist primär ein Schutzmechanismus, wenn dieser aber gut gelernt ist, dann tritt die Abspaltung später immer wieder bei den traumatischen Ereignissen ähnelnden Auslösern als Symptom auf.

Dissoziation finden wir auf einem Kontinuum zwischen der ganz normalen Alltagsamnesie auf der einen Seite und der Dissoziativen Identitätsstörung auf der anderen Seite.

Dissoziaton wurde lange rein psychisch betrachtet und werden unter den Diagnosen dissoziative Amnesie, Depersonalisation, Derealisation, dissoziative Bewegungsstörungen, dissoziative Fuge, dissoziative Sensibilitäts- und Empfindungsstörungen sowie dissoziative Anfälle beschrieben.

Somatische Beschwerden können auch als dissoziative Störung begriffen werden - somatoforme Dissoziation.

Viele Patienten mit eigentlich dissoziativen Störungen suchen oft zunächst Hilfe wegen somatischer Erkrankungen und berichten, dass sie oder ihre Ärzte die vielfältigen und merkwürdigen Symptome nicht zuordnen können, die aus scheinbar unerklärlichen Gründen kommen und gehen.

Es zeigte sich in Untersuchungen von Nijenhuis und van der Kolk, dass nicht nur die psychologischen, sondern auch die somatischen Komponenten der Dissoziation bei der langfristigen Anpassung an traumatische Erlebnisse eine wichtige Rolle spielen.

So sind diese Körpersymptome als somatische Dissoziation zu begreifen und als Ausdruck einer Desintegration der gesamten Persönlichkeit zu betrachten.

Behandlungsmöglichkeiten

Wie so oft hängt der Erfolg einer Therapie maßgeblich davon ab, dass die Erkrankung schnell erkannt und die Behandlung begonnen wird. Je früher sich Patienten dazu entschließen, umso besser sind die Heilungschancen.

Wenn sie keine familiäre Anbindung haben und mit ihren Sorgen allein dastehen, passiert das oft nicht.

Ist eine PTBS diagnostiziert, gilt es, zügig einen Platz für eine Einzel- oder Gruppentherapie zu bekommen. Das kann schwierig werden, denn Psychotherapeuten haben oft monatelange Wartezeiten.

Und die Zahl der Psychotherapien, die durch die Krankenkasse finanziert werden, ist in Österreich durch Kontingente gedeckelt. Opfer eines unverschuldeten Verkehrsunfalls stehen vor eine weiteren Herausforderung: von der Kfz-Versicherung des Unfallverursachers die Übernahme der Kosten für eine Psychotherapie zu erreichen.

Dafür muss die medizinische Notwendigkeit nachgewiesen werden.

In einer Therapie werden Betroffene dazu ermutigt, über das traumatische Ereignis zu sprechen. Eine etablierte Behandlungsmethode ist die „Exposition”. Das heißt, die Betroffenen stellen sich ihrem Trauma. Dies geschieht zunächst nur in ihrer Vorstellung.

In einem weiteren Schritt suchen sie mit ihrem Therapeuten Orte oder Situationen auf, die sie an den Unfall erinnern. Beispielsweise setzen sie sich wieder in ein Auto und fahren.

Bei der Behandlung einer posttraumatischen Belastungsstörung steht die Psychotherapie im Mittelpunkt. Spezielle traumatherapeutische Methoden kommen dabei zum Einsatz (Traumatherapie/Traumapsychotherapie). Begleitend können weitere Maßnahmen sinnvoll sein. Etwa die Einnahme von Medikamenten. Gute soziale Unterstützung ist ebenso wichtig.

Methoden der Psychotherapie

  • EMDR (Eye Movement Desensitization und Reprocessing): Mithilfe von gezielten Augenbewegungen soll eine Verarbeitung des Traumas angeregt werden. Zugleich wird das Trauma erinnert. Die Maßnahmen schließen mit positiven Gedanken für die Zukunft ab.
  • Begleitend findet Psychoedukation (Verständnis für die Störung fördern, Umgang damit schulen etc.), statt.
  • Dazu zählen z.B. psychoanalytische Psychotherapie oder KIP: Bei diesen Behandlungsformen spielt das Unbewusste eine große Rolle sowie das Verstehen von Zusammenhängen zwischen emotionalem Erleben, Erfahrungen und aktuellem Verhalten und Symptomen.
  • Zu diesen Verfahren gehören auch die MPTT (mehrdimensionale psychodynamische Traumatherapie) und die PITT (psychodynamisch imaginative Traumatherapie). Bei der MPTT wird die Patientin/der Patient angeregt, das Schema der eigenen Verarbeitung zu verstehen und neue Bewältigungsmechanismen aufzubauen. Die PITT arbeitet mit inneren Vorstellungen (Imaginationen), die einen Gegenpol zu den bedrohlichen immer wieder auftauchenden Bildern des Erlebten bilden sollen.
  • Mittels Gesprächen mit der Therapeutin/dem Therapeuten bzw. der Ärztin/dem Arzt finden Betroffene wieder Vertrauen in das Leben und sich selbst. Gesprächspsychotherapie ist Baustein mehrerer Methoden der Psychotherapie. Gefühle werden ausgedrückt, das Geschehene wird verarbeitet.
  • Auch Hypnosepsychotherapie wird eingesetzt.
  • Es gibt zudem Gruppentherapien. Hier können sich Gruppenmitglieder austauschen, miteinander fühlen und sich gegenseitig unterstützen. Soziale Kompetenzen werden gefördert und das Gefühl, „allein“ zu sein, wird abgeschwächt bzw. schwindet. Während dieser Gruppensitzungen kommen je nach psychotherapeutischer Methode unterschiedliche Techniken zur Anwendung.
  • Weitere Therapieansätze beschäftigen sich mit körpertherapeutischen Aspekten sowie kreativen Ausdrucksmöglichkeiten (z.B.

Drei-Phasen-Modell der Behandlung

  1. Stabilisierung: Herstellung innerer und äußerer Sicherheit. Körperliche und seelische Kräfte werden mobilisiert und gestärkt.
  2. Traumabearbeitung: Wenn die Symptome über einen Zeitraum von sechs bis acht Wochen unvermindert anhalten, können spezielle traumatherapeutische Interventionen (z.B. EMDR) sinnvoll sein. Es geht um das Erinnern und Rekonstruieren des Traumas. In bestimmten Fällen ist eine direkte Auseinandersetzung mit dem Trauma nicht angezeigt (z.B. bei akuter Suizidalität oder einer Psychose, bei fortgesetztem Kontakt mit der Täterin/dem Täter).
  3. Integration: Die Erlebnisse sollen in die Lebensgeschichte integriert werden - als Teil der eigenen Biografie. Neue Wege zur Bewältigung bzw.

Die sogenannte Psychoedukation kann begleitend einen wesentlichen Beitrag zum Gelingen der Therapie leisten. Dabei erhalten Betroffene detaillierte Informationen rund um das Krankheitsgeschehen und die Behandlung. Sie lernen, wie sie sich selbst helfen können. Auch der Umgang mit belastenden Wiedererinnerungen an das Trauma oder Suizidgedanken kann hier thematisiert werden.

Bezüglich dem Einsatz von Medikamenten zur frühen Behandlung eines Traumas gibt es zum jetzigen Zeitpunkt keine wissenschaftlich eindeutigen Empfehlungen. Ist bereits eine PTBS eingetreten, können Medikamente die Behandlung unterstützen. Sie sollten jedoch nicht alleine - ohne begleitende Therapiemaßnahmen (vor allem Psychotherapie) - zur Anwendung kommen.

Infrage kommende Medikamente sind dabei Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (SSRIs), in Ausnahmefällen Trizyklische Antidepressiva und sogenannte Stimmungsstabilisatoren. Diese Gruppen von Medikamenten finden auch bei anderen psychischen Erkrankungen Anwendung - besonders bei der Depression. Vor allem SSRIs haben sich dabei bei der PTBS-Behandlung als wirksam erwiesen. Begleitende Ängste, Depressionen oder Zwänge werden dabei mitbehandelt.

Früher wurden auch Beruhigungsmittel (Benzodiazepine) verabreicht.

Neben diesen Behandlungsmöglichkeiten können als ergänzende Maßnahmen hilfreich sein: wohltuende Bewegung, Achtsamkeitstraining, Pflege des sozialen Umfelds und Erfüllung im Beruf, soziale Maßnahmen und Unterstützung durch Sozialarbeiterinnen/Sozialarbeiter in sozialrechtlichen Fragen. Ebenso Physiotherapie oder Ergotherapie.

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