In den letzten Jahren ist immer mehr Bewusstsein für psychische Erkrankungen wie ADHS (Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung), Depressionen oder Borderline-Persönlichkeitsstörungen gewachsen. Diese Diagnosen werden oft als Erklärung für bestimmte Verhaltensweisen herangezogen - etwa, wenn jemand Schwierigkeiten hat, sich zu konzentrieren, emotionale Ausbrüche hat oder soziale Situationen vermeidet.
ADHS ist ein Begriff, der stets mit dem Bild des zappeligen Kindes assoziiert wird. Dabei ist ADHS ein Syndrom, das bei weitem nicht nur Kinder betrifft. Doch wie äußert sich das umgangssprachliche "Zappelphilipp-Syndrom" bei Erwachsenen? Wie verhalten sich diese, was können Menschen mit ADHS auch besonders gut - und kann ADHS "geheilt" werden?
ADHS-Erwachsene: Ein Kurzüberblick
Symptome:
- Schwierigkeiten mit Organisation und Planung
- Konzentrationsschwierigkeiten, Aufmerksamkeitsstörungen und Impulsivität
- Ungeduld
- Schwierigkeiten bei der Aufrechterhaltung von Beziehungen
Laut MSD Manual manifestiert sich Hyperaktivität bei Erwachsenen in der Regel eher in Form von Rastlosigkeit und Unruhe als in Form von offenkundiger motorischer Überaktivität, wie sie bei Kleinkindern auftritt.
Diagnose: Ein umfassendes Gespräch und Ausschluss anderer organischer oder psychischer Erkrankungen.
Lesen Sie auch: Wirkung von Medikamenten auf oppositionelles Verhalten bei ADHS
Therapie: Diese richtet sich nach der bestehenden Problematik. Zum Einsatz kommen Psychotherapie, Entspannungstechniken und Medikamente.
Die drei Kernthemen von ADHS
Die drei Kernbereiche von ADHS - die Konzentrationsproblematik, die Impulsivität und die Hyperaktivität, wie Mag. Dr. Robert Wechsberg, Facharzt für Psychiatrie erklärt - werden klassischerweise mit unruhigen Kindern, die etwa dem Schulunterricht kaum folgen können, weil sie nicht still sitzen können, in Verbindung gebracht.
ADHS bei Erwachsenen wird oft spät erkannt
Einerseits ist es eine Voraussetzung für die ADHS-Diagnose, dass die Krankheit schon in der Kindheit (vor dem siebten Lebensjahr) vorhanden war. "Das ist nichts, was kommt und geht", so Wechsberg. Andererseits wurde ADHS im Erwachsenenalter überhaupt erst Mitte der 90er-Jahre einer breiten Öffentlichkeit bekannt und erst nach 2003 in Österreich wissenschaftlich anerkannt.
Die Aufmerksamkeitsdefizitstörung ist bei Erwachsenen weniger offensichtlich
Psychische Erkrankungen seien jedoch generell von der Akzeptanz her schwierig, erklärt er. Zudem sei das Syndrom bei Kindern einfach so offensichtlich - im Gegensatz zu Erwachsenen. Gerade die Konzentrationsthematik führe in der Schule oft zum Problem und dadurch entstünde in Folge ein Bewusstsein für ADHS.
Erwachsene hingegen können ihr Leben führen, ohne dass es groß auffalle. Allerdings nur dem Umfeld nicht, denn "die Betroffenen leiden selbst und denken etwa, sie sind dumm und schaffen nichts", so Wechsberg.
Lesen Sie auch: Mehr über die ADHS-Trainer Ausbildung
Die Schwierigkeiten im Alltag bei Erwachsenen mit ADHS
Es falle ihr schwer, sich kurz zu fassen aufgrund der vielen Impulse im Kopf sowie gezielt Dingen zu erledigen - und sei es nur etwas so Simples wie Geschirr abzuwaschen. "Währenddessen fällt mir ein, dass dies und jenes noch zu machen ist und ich eigentlich auch Gitarre üben sollte", erzählt sie. "Die Gedanken schwimmen dahin und sind fast nicht zu stoppen." Sich auf ein Gespräch zu konzentrieren, wenn die Umgebung unruhig ist, empfinde sie ebenfalls oft als schwierig: "Wenn ich mit jemandem in einem Lokal spreche, mache ich immer gleichzeitig einen Rundumblick und sehe, dass der Gast am rechten Nebentisch ein rotes T-Shirt trägt und der links eine Extrawurstsemmel isst. Die Konzentration auf den Gesprächspartner und zugleich das, was nicht relevant ist, wegzufiltern, ist für mich eine Zusatzleistung."
Krankheit oder Wesenszug? Eine hitzige Debatte
"Es wird zwar als Krankheit diagnostiziert, aber es ist keine Krankheit in dem Sinne, die man heilen kann", so Wechsberg. Für ihn persönlich ist ADHS eher eine "biologische Eigenheit", die Definition hänge aber dennoch von der Gesellschaft ab: "Was abnormal ist, wird natürlich durch den Standard der Gesellschaft definiert." Und gerade im Kinderbereich, wo die Debatte mitunter hitzig ausfällt, sei das Problem natürlich zu einem gewissen Teil das Schulsystem und nicht das Kind, so der Experte.
Für Agnes K. ist ADHS "definitiv eine Art von Persönlichkeit" mit der man umgehen könne, wie mit einem gebrochenem Bein. "Das gehört zu mir, das bin ich", sagt sie und fügt nach kurzer Pause hinzu: "Mittlerweile."
Was hilft bei Erwachsenen-ADHS
So helfen ihr inzwischen ein sehr durchstrukturierter Tagesablauf sowie Listen zum Abhaken dabei, den Alltag besser zu bewältigen. Ebenso stehen Meditations- und Entspannungsübungen in der Früh auf dem Plan, um den Tag in Ruhe zu beginnen - und dieses ruhige Tempo auch zu halten. Gelernt hat sie auch, sich Spielräume im eigenen Zeitmanagement einzuräumen, denn sie wisse inzwischen einfach, dass sie durch das ständige Abdriften für eine Zwei-Stunden-Tätigkeit in der Regel drei Stunden brauche.
Wie das Umfeld helfen kann
"Durch Verständnis in erster Linie", erklärt der Arzt. Agnes K. konkretisiert dies auf das Verständnis für Ruhe. Wenn die Reize überhand nehmen, sei der Rückzug in einen ruhigen Raum die einzige Option für sie. Und dieses Anliegen sei nicht immer so einfach zu formulieren, Mitmenschen fühlen sich dadurch leicht gekränkt.
Lesen Sie auch: Unruhige Beine bei ADHS?
Medikamente bei Erwachsenen mit ADHS einsetzen?
Hier kommen Medikamente zum Einsatz. Ich muss an mir arbeiten", erklärt sie. Ihre Medikation soll nur dabei helfen, etwas aufzubauen, um die Konzentrationsfähigkeit an sich zu stärken. Auch Psychiater Wechsberg erklärt: "Wir können hier nicht heilen, sondern nur die Symptome reduzieren." Was aber gerade bei ADHS sehr gut sei, da es hier sehr wirksame und verträgliche Medikamente gäbe.
"ADHS ist nicht heilbar"
Es könne zwar im Laufe der Pubertät besser werden, was bei einem Drittel etwa passiert. In den meisten Fällen bliebe die Diagnose aber ein Leben lang bestehen.
Positive Seiten des Syndroms
Denn die "Erkrankung" bringe auch positive Seiten mit sich: "Ich bin sehr begeisterungsfähig und glaube, mir durch das Sprunghafte, die Fantasie und das Kindliche ein bisschen mehr bewahrt zu haben als andere." Außerdem empfinde sie es als schön, sehr viel wahrzunehmen.
ADHS in der Arbeitswelt: Das können Menschen mit ADHS besonders gut
Dieser Drang sei sogar ein großer Vorteil etwa bei der Gründung eines Start-Ups, erklärt Wechsberg nach den optimalen Berufen gefragt. "Man muss dafür die Energie haben, über den Tellerrand hinauszuschauen und im Chaos gut zurechtkommen." Diese Anforderungen seien bei Menschen mit ADHS oft gegeben. Neben Start-Up-Gründer eignen sich laut Wechsberg auch Berufe, die mit körperlicher Betätigung zu tun haben, gut für Betroffene, wie etwa Gärtner.
Mit ADHS lässt es sich für sie mittlerweile gut leben.
Aspekt | Beschreibung |
---|---|
Symptome | Schwierigkeiten mit Organisation, Konzentration, Impulsivität, Ungeduld, Beziehungsprobleme |
Hyperaktivität | Eher Rastlosigkeit und Unruhe als motorische Überaktivität |
Diagnose | Umfassendes Gespräch, Ausschluss anderer Erkrankungen |
Therapie | Psychotherapie, Entspannungstechniken, Medikamente |