Menschen, die an psychogenen Essstörungen leiden, zeigen Störungen der Nahrungsaufnahme (Dysorexie), -Verarbeitung und häufig auch des Körpergewichts (Dysponderosis) ohne erkennbare organische Ursachen. Die unterschiedlichen Manifestationen der Essstörungen können dabei durchaus auch ineinander übergehen ("Dysorexie-Dysponderosis-Kontinuum"). Essstörungen gehören zu den psychischen Störungsbildern mit der stärksten Zunahme der letzten Jahrzehnte. So stellen sich schwierige "Herausforderungen" für unsere westliche Überflussgesellschaft mit ihrer Nahrungsmittelindustrie.
Verschiedene Formen von Essstörungen
Es gibt verschiedene Formen von Essstörungen, wie zum Beispiel:
- Anorexia nervosa
- Bulimia nervosa
- Adipositas
- EDNOS (Eating Disorder Not Otherwise Specified)
- Binge Eating
- Anorexia athletica
- PICA-Syndrom
- Orthorexia nervosa
- Vermeidende / Restriktive Essstörung ("ARFID")
- Ruminationsstörung
- Diabulimie
Anorexia Nervosa
Extreme Magerkeit durch Fasten. Die betroffenen Menschen haben starke Furcht vor Gewichtszunahme, das Fasten kann im Extremfall lebensgefährliche Ausmaße annehmen: eine im Juli 2000 fertiggestellte Langzeituntersuchung der Universitätsklinik Heidelberg etwa ergab, dass jede zehnte Frau mit Magersucht noch Jahrzehnte später am Vollbild der Erkrankung leidet, über 15% der Erkrankten sterben an direkten Folgen. "Betroffen" von Anorexia nervosa sind hauptsächlich junge Frauen (ca. 0,5-1%) zwischen ca. 12 und 25 Jahren - und zwar immer mehr von ihnen.
Therapeutisch haben sich vor allem systemische (familientherapeutische), hypnotherapeutische, verhaltenstherapeutische und psychoanalytische Verfahren bewährt, und zwar in Form von Gruppen- oder Einzeltherapien.
Bulimia Nervosa
Die betroffenen Frauen und (seltener) Männer (ca. 4-6% der weiblichen Bevölkerung zwischen 15 und 35 Jahren, Tendenz steigend, besonders im Jugendalter) haben meist Normalgewicht (-> keine Auffälligkeit beim BMI-Test), allerdings haben sie mehr oder weniger oft regelrechte "Ess-Anfälle" (->Binge eating), bei denen exzessiv (schnell und große Mengen) meist hochkalorischer Nahrungsmittel gegessen und danach Kompensationsmaßnahmen ergriffen werden, um das Körpergewicht zu halten (z.B. selbst herbeigeführtes Erbrechen, Missbrauch von Abführmitteln oder anderen Medikamenten, Fasten oder exzessive Ausübung von Sport).
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Das extreme Ess-Verhalten wird gut verborgen - es gibt Betroffene, die vor ihren Partnern jahrelang verheimlichen, dass sie sich teils mehrmals pro Woche übergeben. Das angepeilte Körpergewicht kann bei der Bulimie durchaus auch untergewichtig sein. Die Prävalenz wird auf etwa 2% aller Frauen ab der Spätpubertät bis ca. dem 35. Lebensjahr geschätzt, wobei extremes Übergewicht oder auch eine Anorexia nervosa sehr häufig einer Bulimie vorausgehen.
Therapeutisch haben sich vor allem systemische (familientherapeutische), verhaltenstherapeutische und psychoanalytische Verfahren bewährt, und zwar in Form von Gruppen- oder Einzeltherapien.
Adipositas
Im Volksmund oft "Ess-Sucht" oder "Fress-Sucht" genannt. Die betroffenen Menschen haben die Kontrolle über ihr Ess-Verhalten verloren und sind durch die sie überkommenden Ess-Anfälle sowie den Jojo-Effekt von Schnell-Diäten meist leicht bis stark übergewichtig - ein Zustand, unter dem sie stark leiden. Therapeutisch haben sich vor allem systemische (familientherapeutische), verhaltenstherapeutische, gestalttherapeutische und psychoanalytische Verfahren bewährt, und zwar in Form von Gruppen- oder Einzeltherapien.
Adipositas ("Fettsucht", "Dickleibigkeit") ist ein Krankheitsbild, zu dem die Forschung derzeit fast im Monatsrhythmus neue Krankheitsrisiken feststellt. Jedes im Vergleich zum Normalgewicht bestehende zusätzliche Zentimeter Bauchumfang wirkt nach aktuellen Erkenntnissen lebensverkürzend, erhöht drastisch das Risiko für Diabetes (ihrerseits ein Krankheitsbild, das mit einer massiven Einschränkung von Lebensqualität verbunden ist), und fettleibige Menschen mit einem BMI von über 30 verfügen über ein doppelt so hohes Risiko an der am stärksten verbreiteten Form der so genannten trockenen AMD (die zu Blindheit führt), sowie an Grauem Star zu erkranken.
Laut Adipositasbericht 06 stieg die Prävalenz in Österreich in nur acht Jahren von 8,5 Prozent auf 9,1 Prozent, zwischen 23% und 24% der ÖsterreicherInnen sind übergewichtig.
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Adipositas, durch eine übermäßige Ansammlung an Fettgewebe im Körper erkennbar, wird als chronische Gesundheitsstörung verstanden. Für die Entwicklung von Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Schlaganfall, Diabetes sowie zahlreiche andere Krankheiten stellen Übergewicht und Adipositas einen hohen Risikofaktor dar. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) verwendet eine internationale Klassifikation für Übergewicht und Adipositas. Geschlechtsunabhängig gilt für Übergewicht ein Body Mass Index (BMI) von 25,0 Kilogramm pro Quadratmeter, für Adipositas 30,0 Kilogramm pro Quadratmeter. Der Bauchumfang bei abdomineller Adipositas ist bei Männern 102 Zentimeter und bei Frauen 88 Zentimeter.
Häufigkeit von Adipositas nach Krankenhausstatistik: knapp 6.000 Fälle wurden mit der Hauptentlassungsdiagnose "Adipositas" oder "Lokalisierte Adipositas" dokumentiert, die Aufenthaltsdauer lag bei durchschnittlich 12,6 Tagen pro Fall. 64 Prozent, also fast zwei Drittel davon, betrifft Frauen. In den Altersgruppen der 45- bis 60-Jährigen und der 30- bis 44-Jährigen wurde die höchste Zahl mit Diagnose Adipositas erfasst.
Begleit- und Folgeerkrankungen: Wissenschaftlichen Schätzungen zufolge liegt der Anteil der Fettsucht allein an der Krebsentstehung hierzulande bei 3,7 Prozent bei Männern bzw. 6,0 Prozent bei Frauen. Bei österreichischen Männern werden 10,5 Prozent aller Dickdarm-, 4,2 Prozent aller Prostata-, 23,9 Prozent aller Nieren- und 2,6 Prozent aller Gallenblasenkrebsfälle auf bestehendes Übergewicht zurückgeführt. Bei den Frauen verursachte Übergewicht bei 7,4 Prozent die Entstehung von Brustkrebs, bei 9,5 Prozent Darmkrebs und 35,1 Prozent Nierenkrebs.
Adipositas bei Schwangeren: bereits mehr als 30 Prozent der Frauen im gebärfähigen Alter sind übergewichtig. In der Geburtshilfe gilt dies als einer der wichtigsten Risikofaktoren. Übergewichtige Frauen haben häufiger Schwangerschaftskomplikationen und operative Entbindungen als normalgewichtige. Mütterliches Übergewicht kann zu Missbildungen des Fötus oder Früh- und Totgeburten führen.
Unter den österreichischen Kindern und Jugendlichen sind zehn bis 29 Prozent der Burschen und sechs bis 42 Prozent der Mädchen übergewichtig; fünf bis elf Prozent der Burschen und drei bis vier Prozent der Mädchen gelten als adipös. Bei Familien mit geringem sozioökonomischem Status tritt Adipositas gehäuft auf. Gerade Kinder und Jugendliche leiden beispielsweise aufgrund des sozialen Ausschlusses, der verbalen und psychischen Attacken usw. sehr unter ihrem Übergewicht.
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Die Prävalenz der Adipositas nach Bundesländern betrachtet, lässt ein deutliches Ost-West-Gefälle feststellen. Das Burgenland verzeichnet mit 13,1 Prozent die höchste Adipositasprävalenz, in Salzburg ist mit 6,2 Prozent die niedrigste Prävalenz festzustellen.
EDNOS (Eating Disorder Not Otherwise Specified)
EDNOS ist eine Abkürzung für "Eating Disorder Not Otherwise Specified". Unter diesem Krankheitsbild (spezifiziert unter dem Diagnoseschlüssel 307.50 des DSM IV und dem Schlüssel F50.9 des ICD-10) werden jene Essstörungen zusammengefasst, die entweder eine Mischform aus Anorexie, Bulimie und Adipositas darstellen oder nicht eindeutig einer dieser Störungen zuzuordnen sind.
Binge Eating
Auch dies ist ein relativ neuer Begriff in der Reihe der Essstörungen, der aus den USA kommt. "Binge" heißt übersetzt "Gelage" und wird in den USA üblicherweise im Zusammenhang mit Alkohol-Missbrauch verwendet. Von "Binge Eating" wird dann gesprochen, wenn mindestens 6 Monate hindurch an zumindest 2 Tagen pro Woche eine Anfall von Heißhunger auftritt, bei dem in kürzester Zeit ungewöhnlich große Mengen an Nahrungsmitteln aufgenommen werden. Eine Kontrolle über die gegessene Menge gibt es nicht.
Die auf recht kurze Zeitspannen beschränkten Essattacken unterscheiden BED (Binge Eating Disorder) von Adipositas, und die ausbleibenden Maßnahmen, eine Gewichtszunahme durch Erbrechen, Intensivsport oder Fasten zu verhindern von der Bulimie.
Anorexia Athletica
Hierbei handelt es sich aus therapeutischer Sicht um einen diagnostisch nicht relevanten Medien- bzw. Modebegriff, der eine Kombination von zwanghafter Diäternährung und übermäßigen Sport ("Sport-Sucht") beschreibt.
Vermeidende/Restriktive Essstörung (ARFID)
ARFID ist ein Akronym und steht für Avoidant Restrictive Food Intake Disorder, zu deutsch vermeidende/restriktive Nahrungsaufnahmestörung. Es handelt sich um eine Essstörung, die durch ein stark eingeschränktes Essverhalten gekennzeichnet ist. Im Gegensatz zu anderen Essstörungen wie Anorexie oder Bulimie stehen hier aber weder schlankes Aussehen noch ein verzerrtes Körperbild im Vordergrund. Viele Kinder durchleben eine Phase des wählerischen Essverhaltens. Im Gegensatz zur vorübergehenden Picky Eating Phase im Alter von 2 - 6 Jahren verursacht ARFID jedoch ein eingeschränktes Essverhalten, das die sichere Nahrungsversorgung gefährden kann.
Ursachen von ARFID
- Sensorische Wahrnehmung: Einige Menschen mit ARFID finden, dass (neue) Lebensmittel seltsame oder starke Geschmäcker, Texturen oder Gerüche haben.
- Negative Erfahrungen: Aufgrund von zum Beispiel allergischen Reaktionen, Verschlucken, Erbrechen oder Manipulationen im Mund-Rachen-Bereich (wie Intubation) kommt es zu essensbezogenen Ängsten. Die Folge ist Vermeidung von Nahrungsmitteln, die mit dem negativen Ereignis in Verbindung stehen.
- Ausgeprägtes Desinteresse: Manche Kinder und Erwachsene nehmen Essen als lästige und unangenehme Pflicht wahr oder fühlen sich schnell satt.
Es ist wichtig zu verstehen, dass bei Kindern mit ARFID das „Essen wollen“ nicht das Problem ist. Sie sind weder picky, noch heikel oder stur. Kinder mit ARFID befinden sich in einer besonderen Situation, die ihre Art des ausgeprägten selektiven Essens als logische Folge nach sich zieht. Natürlich hat das Folgen. Kindliche Nahrungsverweigerung ist eine Situation, die die gesamte Familie belastet. Eltern fühlen sich angesichts der kritischen Nährstoffversorgung hilflos. Häufig reagiert auch das Umfeld mit Unverständnis. Schließlich steht das Gedeihen des Kindes auf dem Spiel.
Gesundheitliche Konsequenzen von ARFID
- Qualitative Fehlernährung
- Eisenmangelanämie
- Stagnation von Gewichts- und Wachstumsentwicklung
- Reduzierte Stimmung
- Hormonstörungen
Im Schnitt nehmen Kinder mit ARFID 65 % ihrer benötigten Nahrungsenergie auf. In der Regel beginnt ARFID im Kindesalter, kann jedoch während der gesamten Lebensspanne auftreten. Die ersten Anzeichen sind oft bereits im frühen Kindesalter erkennbar. In der Adoleszenz und im Erwachsenenalter tritt ARFID häufiger mit negativen ernährungsbedingten Erlebnissen (zB Erstickungserlebnis oder Erbrechen) auf. Beide Geschlechter sind gleichermaßen betroffen.
Diagnose von ARFID
Die Diagnose erfolgt nach Kriterien in den Bereichen Gewichts-/Wachstumsentwicklung, Abhängigkeit von Ernährungsunterstützung und Störungen der psychosozialen Funktion. Zusätzlich sind andere psychiatrische oder organische Erkrankungen und kulturelle Gründe (zB religiöses Fasten) als Ursache für die vermeidende Nahrungsaufnahme auszuschließen. Die Diagnose ist im neuen ICD-11 als eingenständige Erkrankung angeführt.
Die Diagnostik sollte von Fachärzten für Kinder- und Jugendpsychiatrie erfolgen. Eine psychologische Abklärung ist ebenfalls sinnvoll. Ergänzend ist eine Begutachtung durch Ergo- und Logopädie sinnvoll, um mögliche Störungen der Wahrnehmungsverarbeitung beim Kind zu bemerken.
Behandlung von ARFID
ARFID ist eine komplexe Erkrankung und benötigt eine multiprofessionelle Behandlung, im Idealfall aus den Bereichen Medizin, Psychologie, Ergo-, Logo- und Diättherapie. Es ist wichtig, dass Bezugspersonen und betroffene Kinder ein tiefes Verständnis für ARFID entwickeln. Im Zentrum stehen zum einen die Sicherstellung der Nahrungsversorgung und zum Anderen die Flexibilisierung der Ernährung und die Reduktion von nahrungsmittelbezogenen Ängsten.
Unterstützt werden sollten betroffene Kinder zusätzlich durch spezialisierte Psychotherapie, Ergo- und Logopäd*innen.
Prävalenz von Übergewicht und Adipositas in Österreich (2006)
Die folgende Tabelle zeigt die Prävalenz von Übergewicht und Adipositas in Österreich im Jahr 2006:
| Bundesland | Adipositasprävalenz |
|---|---|
| Burgenland | 13,1% |
| Niederösterreich | 10,4% |
| Oberösterreich | 9,7% |
| Steiermark | 10,2% |
| Salzburg | 6,2% |
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