Secondhand, Vintage oder einfach nur gebraucht - viele Namen für alte Dinge, die immer beliebter werden. Das Revival der Schallplatte ist kein Nischenphänomen der NostalgikerInnen. Es ist Teil eines Lifestyles, der Haptisches als etwas Exotisches in einer schon stark digital geprägten Umgebung schätzt.
Der Charme des Vergangenen
Während der Vintage-Kleidung vor allem das Aussehen den Charme verleiht, kommt es bei der analogen Fotografie und den Schallplatten vielmehr auf ein bestimmtes Gefühl an: das Gefühl der Entschleunigung. Schon aus rein praktischem Grund: dem Plattenspieler als Ort des Geschehens. Musikhören zwischen Bäcker und U-Bahn-Station oder ein schneller Wechsel zwischen Alben und Interpreten ist nicht möglich.
Bei der analogen Fotografie führt die Limitation der Bilder durch den Film zu einer - in der Regel - sorgfältigen Auswahl der Motive und verleiht ihnen Besonderheit.
Nostalgie: Mehr als nur eine Emotion
Das Wort »Nostalgie« setzt sich aus den griechischen Wörtern »nostos« (Heimkehr) und »algos« (Schmerz) zusammen, früher wurde sie als Nervenkrankheit behandelt. Heute wird sie als »sehnsuchtsvolle Hinwendung zu vergangenen Gegenständen oder Praktiken« bezeichnet und eher als positive statt negative Emotion wahrgenommen. Einem Beitrag in der britischen Fachzeitschrift »Review of General Psychology« zufolge soll sie sogar das Gefühl der sozialen Verbundenheit stärken und wie eine Art Schutz vor dem Gefühl existenzieller Bedrohungen wirken.
Der wirtschaftliche Aspekt
Und es ist ein Milliardengeschäft: Während in Deutschland vor neun Jahren rund 700.000 neue und gebrauchte Exemplare verkauft wurden, stieg die Zahl mittlerweile auf 3,4 Millionen. Auch in Österreich hat sich in derselben Zeit der Umsatz durch Schallplatten verfünffacht.
Mittlerweile setzten viele moderne KünstlerInnen wie beispielsweise Hozier, Kanye West und Billie Eilish wieder auf Vinyl.
Secondhand-Kleidung im Aufwind
Ähnlich wächst auch das Geschäft mit Secondhandtextilien: Laut der Clean Clothes Kampagne, einem weltweit agierenden Netzwerk für eine faire Bekleidungsindustrie, wächst der Markt für Secondhandkleidung über 20 Mal schneller als der für neu produzierte Kleidung.
Laut einer Studie des Analyseunternehmens Global Data soll der Markt mit gebrauchter Kleidung bis 2029 erstmals das Geschäft mit neuwertiger Kleidung überholen.
Die Clean Clothes Kampagne ist ein weltweites Netzwerk, das sich für faire Arbeitsbedingungen in der Bekleidungs- und Schuhproduktion einsetzt.
Die Schattenseiten der Nostalgie
Einmal vom Charme der Vintage-Welt in den Bann gezogen besteht die Gefahr, alles Alte durch die rosarote Brille zu betrachten. Nicht alles, was alt anmutet ist auch Secondhand. Dinge im »Retrolook« boomen. Doch auch gebraucht bedeutet nicht automatisch nachhaltig.
Einerseits landet immer häufiger Ware auf den Plattformen wie Vinted, die allem Anschein nach neu ist, auf der sogar noch das Etikett angebracht ist.
Umweltauswirkungen
Bei Textilien hat vor allem die Herstellung große ökologische und soziale Auswirkungen. Der Einsatz von Pestiziden beim Anbau der global produzierten Baumwolle ist für rund 20 Prozent des weltweiten Insektizid- und Pestizidmarktes verantwortlich, in der Weiterverarbeitung der Baumwolle werden häufig schädliche Chemikalien verwendet, pro Kilogramm Textilien sind das bis zu einem Kilogramm Chemikalien, informiert das deutsche Umweltbundesamt.
Allein der Kauf von Textilien und Bekleidung ist in Deutschland für knapp drei Prozent des durchschnittlichen Ausstoßes an Treibhausgasemissionen pro Person und Jahr verantwortlich.
Laut Schätzungen des Umweltbundesamts werden in Deutschland durch Kleidung jährlich insgesamt 80 bis 400 Tonnen Mikropartikel freigesetzt. Durch den Abrieb von Kunststofffasern wie Polyester gelangt auch von gebrauchter Kleidung ständig Mikroplastik in die Umwelt.
Weltweit wird jede Sekunde ein Müllwagen vollgepackt mit Textilien entweder deponiert oder verbrannt, so die Clean Clothes Kampagne.
Für die Produktion von Filmen werden Rohstoffe wie Cellulose und Polyester benötigt, für die Entwicklung der Negative sind Chemikalien notwendig. Ein sparsamer Umgang ist also nicht nur aus finanziellen, sondern auch aus umweltschonenden Gründen wichtig.
Andererseits benötigt die Herstellung von Digitalkameras und SD-Karten Konfliktrohstoffe, deren Abbau und Handel nicht nur ökologische, sondern auch soziale, wirtschaftliche und politische Konflikte schürt.
Gar nicht so leicht, umweltfreundlich Musik zu hören: sowohl die Produktion von Schallplatten, als auch das Musikstreaming hat Auswirkungen auf den CO2-Fußabdruck.
Die Digitalisierung schont hier zwar auf den ersten Blick Ressourcen, führt aber gleichzeitig zu immer schnellerem und größerem Konsum.
CO2-Emissionen im Vergleich
Die Universität Glasgow hat in einer Untersuchung am Beispiel der USA berechnet, dass die Produktion von Vinyls und CDs dort vor zwanzig Jahren fast 160 Millionen Kilogramm an Treibhausgasemissionen verursachte. Zum Vergleich: Das Musikstreaming im Jahr 2016 führte einen CO2-Ausstoß zwischen 200 Millionen und 350 Millionen Kilogramm herbei.
Der Energieverbrauch im Internet für übertragene und gespeicherte Daten beträgt etwa 46 Kilogramm. Eine lange Nutzung der Geräte sowie der Kauf von gebrauchten Geräten und die Reparatur von Defekten sind wichtige Schritte, um den Konsum von Elektrogeräten so umweltfreundlich wie möglich zu gestalten.
Laut einer Erhebung des Bundes für Umwelt und Naturschutz Deutschland e.V. (BUND) aus dem Sommer 2020 liegt die Summe aller CO2-Emissionen für Herstellung und Nutzung digitaler Geräte und Dienstleistungen in Deutschland bei 739 Kilogramm pro Jahr und Person, den größten Anteil hat dabei die Herstellung der Geräte mit 447 Kilogramm, der Energieverbrauch in der Nutzung macht 292 Kilogramm aus.
Was tun?
Statt aussortierte Klamotten in den Müll zu werfen, sollte man diese wieder in den Umlauf bringen, zum Beispiel über Onlineplattformen - oder noch besser: auf dem Flohmarkt oder über Kleidertauschbörsen, das reduziere den CO2-Fußabdruck des Kleidungsstücks, so Green Story, um 79 Prozent.
Eine Studie des Forschungsunternehmens Green Story zeigt, würde weltweit jedeR anstatt eines Neukaufs ein gebrauchtes Kleidungsstück kaufen, entspräche das einer Reduzierung des weltweiten CO2-Fußabdrucks um zweieinhalb Milliarden Kilogramm.
Nur wer das Smartphone und die Digitalkamera zur Seite legt und auf Spotify und Co. verzichtet, kann wirklich einen Unterschied machen.
Doch setzt man die rosarote Brille einmal ab und ist gnadenlos ehrlich, werden die nostalgischen Geräte, selbst wenn alles gebraucht gekauft wird, nicht statt moderner Technologie, sondern als Ergänzung genutzt.