Die soziale Phobie, auch Soziophobie genannt, ist eine psychische Erkrankung, die das alltägliche Leben der Betroffenen stark einschränken kann. Menschen mit einer sozialen Phobie haben große Angst davor, unangenehm aufzufallen, sei es durch ihr Verhalten oder durch Angstsymptome. Sie befürchten, dass andere sie beobachten, abwerten oder auslachen. Der Kontakt mit anderen Menschen ist für sie eine Qual, besonders ausgeprägt ist diese Angst im Kontakt mit dem anderen Geschlecht.
Was ist soziale Phobie?
Menschen mit einer sozialen Phobie haben häufig einen enormen Leidensdruck und sind im Alltag teilweise stark durch ihre Ängste eingeschränkt. Betroffene haben große Angst davor, im Zentrum der Aufmerksamkeit zu stehen oder sich peinlich zu verhalten, sich zu blamieren. Sie wissen zwar, dass ihre Ängste übertrieben und unbegründet sind, können diese aber nicht kontrollieren.
Symptome der sozialen Phobie
Folgende Symptome liegen nach der ICD-10 Klassifikation psychischer Störungen bei einer sozialen Phobie vor:
- Die Betroffenen haben starke Furcht, im Zentrum der Aufmerksamkeit zu stehen oder sich zu blamieren.
- Daher vermeiden sie Situationen, in denen sich die Befürchtungen möglicherweise verwirklichen.
- Die Ängste beziehen sich auf soziale Situationen, wie zum Beispiel Essengehen oder Sprechen in der Öffentlichkeit.
- Sie fürchten sich davor, sich kleinen Gruppen anzuschließen, zum Beispiel auf Partys oder in Klassenräumen, aber auch Bekannten in der Öffentlichkeit zu begegnen.
Körperliche Symptome
Körperliche Symptome bei einer sozialen Angst sind: Erröten oder Zittern, die Angst zu erbrechen sowie starker Harn- oder Stuhl-Drang. Menschen mit sozialer Phobie haben große Sorge, dass andere diese Anzeichen bemerken. Da sie sich stark auf die körperlichen Symptome konzentrieren, verstärken sich diese.
Die Betroffenen leiden sehr unter den Angst-Symptomen und den Folgen des Vermeidungsverhaltens. Obwohl sie wissen, dass die Angst übertrieben ist, sind sie nicht in der Lage, ihr Verhalten alleine zu ändern.
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Formen der sozialen Phobie
Bei manchen Betroffenen treten die sozialen Ängste nur in Leistungssituationen auf (in der Öffentlichkeit reden, ein Referat halten, eine mündliche Prüfung ablegen, sportliche Leistungen erbringen uvm.). In der Vergangenheit haben diese Personen meist wiederholt negative Erfahrungen gemacht wie beispielsweise Ausgelacht werden beim Stottern während eines Referates. Diese spezifische Sozialphobie (Leistungstyp) beginnt häufig ab dem 17. Lebensjahr.
Treten die Ängste nicht nur in Leistungssituationen auf, sondern in vielen verschiedenen sozialen Situationen (z.B. Kontaktaufnahme mit fremden Personen), so spricht man von einer generalisierten sozialen Phobie (generalisierter Typ). Die Ängste lassen sich auf eine allgemeine Selbstunsicherheit und/oder einen Mangel an sozialen Fertigkeiten zurückführen. Beginn der Symptomatik ist meist schon vor dem 15. Lebensjahr.
Ursachen und Risikofaktoren
Wie eine soziale Phobie entsteht, dazu gibt es verschiedene Erklärungsansätze. Letztlich ist davon auszugehen, dass viele Faktoren zusammenwirken. Ein Teil tragen vermutlich die Erbanlagen bei. Den größeren Einfluss auf die Entstehung einer sozialen Phobie hat jedoch die Umwelt.
Es ist zu beobachten, dass die Eltern mancher Betroffener oft selbst unter sozialer Ängstlichkeit leiden bzw. einen Mangel an sozialer Kompetenz aufweisen. In diesen Fällen hatten die Kinder nicht die Möglichkeit, am Vorbild der Eltern zu lernen und konnten viele Fertigkeiten nicht entwickeln. Auch zeigen sich in der Vorgeschichte sozialphobischer Menschen häufig negative zwischenmenschliche Erfahrungen wie beispielsweise von Gleichaltrigen verspottet zu werden oder bei Fehlern in Leistungssituationen ausgelacht zu werden.
Einerseits handelt es sich dabei um angeborenes Temperament, andererseits aber auch um Prägungen durch den elterlichen Erziehungsstil. Ausgelöst wird die Sozialphobie häufig durch belastende Ereignisse oder Lebensveränderungen allgemein, die vermehrt Ansprüche an die Sozialkompetenz eines Menschen stellen.
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Personen mit einer sozialen Phobie beschäftigen sich ständig mit ihren Ängsten. Sie fühlen sich schnell beobachtet und vermuten hinter den Reaktionen anderer Menschen oft eine Abwertung ihrer Person. Sich selbst sehen sie überkritisch. Sie stellen oft hohe Anforderungen an sich selbst und sind nicht in der Lage, diesen gerecht zu werden. Ein häufiger Gedanke von Menschen mit sozialer Phobie ist: "Die anderen Menschen sehen, dass ich ungeschickt/dumm/schlecht bin."
Um soziale Situationen besser ertragen oder meistern zu können, greifen manche Betroffene zu Beruhigungstabletten oder Alkohol. Kurzfristig erfahren sie dadurch eine Erleichterung, langfristig bleibt die Sozialphobie aber aufrecht bzw. verschlechtert sich sogar. Zudem besteht die Gefahr einer Suchtentwicklung.
Abgesehen vom Substanzmissbrauch neigen viele Betroffene zu folgenden Sicherheitsverhaltensweisen: Vermeiden von Fragen, schnelles, leises oder nuschelndes Sprechen, Hand über dem Mund, gesenkter Blick, Gesagtes nachher überprüfen, nichts essen oder trinken, vorher innerlich alles durchdenken u.v.m..
Betroffene neigen dazu, im Anschluss an eine zwischenmenschliche Interaktion darüber nachzudenken, was sie alles schlecht und falsch gemacht haben. Angstauslösende Situationen werden zunehmend gemieden, wodurch Betroffene nicht die Erfahrung machen können, dass ihre Ängste unbegründet sind und die Symptomatik bleibt weiterhin bestehen oder verschlechtert sich.
Um in sozialen Interaktionen Fehler zu vermeiden, neigen Betroffene auch zur vermehrten Selbstbeobachtung. Diese beeinträchtigt die Spontanität und die Zuwendung zum Interaktionspartner, was subjektiv als Konzentrationsstörung wahrgenommen wird.
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Diagnose
Um eine soziale Phobie zu diagnostizieren, geht der Arzt oder Therapeut mit dem Patienten spezielle Fragebögen durch. Für die Fremdbeurteilung stellt er dem Patienten einige Fragen. Fragebögen zur Selbstbeurteilung füllt der Patient alleine aus. Sie geben ein umfassendes Bild über die Beschwerden des Patienten und helfen dem Therapeuten, eine genaue Diagnose zu stellen.
Folgende Fragen stellt der Arzt oder Therapeut möglicherweise:
- Haben Sie Angst davor, in der Öffentlichkeit zu sprechen?
- Haben Sie Angst davor, im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit zu stehen?
- Haben Sie Angst davor, sich kleinen Gruppen anzuschließen?
- Haben Sie Angst davor, vor anderen Menschen zu erröten?
Nach der Diagnose informiert der Arzt oder Therapeut den Patienten über die möglichen Behandlungsmethoden mithilfe einer Psychotherapie und Medikamenten.
Jeder Behandlung geht eine genaue Diagnostik voraus. Es wird ein individuelles Erklärungsmodell erstellt, welches Einsicht in die Entwicklung der Störung bietet. Dieses berücksichtigt vorexistierende Risikofaktoren (z.B. elterliches Erziehungsverhalten) ebenso wie Auslöser (z.B. Schulwechsel) und aufrechterhaltende Faktoren (Sicherheitsverhaltensweisen) der Krankheit. Die Patientin erhält Informationen über den Angstverlauf, die Bedeutung von Erwartungsängsten und Sicherheitsverhaltensweisen etc. Außerdem wird mit der Patientin ein individueller Teufelskreis der Angst erstellt.
Für viele Patientinnen ist die erste Kontaktaufnahme zum Therapeuten bereits eine große Herausforderung und Konfrontation.
Behandlungsmethoden
Eine soziale Phobie behandelt man mit Hilfe einer Psychotherapie und mit Medikamenten. Experten empfehlen vor allem die kognitive Verhaltenstherapie, um eine soziale Angst zu überwinden. Eine psychodynamische Psychotherapie kommt möglicherweise zum Einsatz, wenn die kognitive Verhaltenstherapie nicht erfolgreich war.
Therapiebegleitend oder zur Überbrückung bis zum Therapiebeginn, bietet der Therapeut im Falle einer sozialen Phobie manchmal eine Internet-Intervention in Form einer Anleitung zur Selbsthilfe an. Der Therapeut informiert den Patienten und gegebenenfalls dessen Angehörige zudem über Selbsthilfe- und Angehörigen-Gruppen.
Kognitive Verhaltenstherapie
Zu Beginn der Therapie informiert der Therapeut den Patienten ausführlich über die soziale Phobie (Psycho-Edukation). Der Therapeut erklärt dem Betroffenen, welche Faktoren zur Entstehung und zur Aufrechterhaltung der Störung beitragen und welche Rolle unrealistische Ansprüche und Gedanken, sowie das Vermeidungsverhalten spielen.
Der nächste Schritt der Therapie einer sozialen Phobie besteht aus der Überprüfung und Veränderung von ungünstigen Gedanken (kognitive Umstrukturierung). Der Therapeut hinterfragt zum Beispiel die Gedanken des Patienten, die sich auf die Bewertung durch andere beziehen. Weiß der Betroffenen wirklich, wie andere Menschen über ihn denken? Weshalb ist er sich sicher, dass andere sein Verhalten als peinlich empfinden?
Bei vielen Patienten laufen solche Gedankengänge automatisch ab, sodass sie ihnen nicht bewusst sind. Der Therapeut schult den Patienten darin, unrealistische und angstmachende Gedanken zu erkennen. Denn erst dann ist es möglich, die Gedanken zu verändern. Daraufhin motiviert der Therapeut den Patienten, realistische Denkmuster zu finden, die weniger bedrohlich sind.
Rollenspiele
Im weiteren Therapieverlauf liegt der Fokus auf Rollenspielen, die der Konfrontation mit Ängsten dienen. Viele Betroffene haben den Umgang mit anderen mit der Zeit verlernt, weil sie soziale Situationen vermieden haben.
In Rollenspielen lassen sich reale Situationen nachstellen. Eine häufige Übung ist, dass der Patient vor den anderen Teilnehmern eine Rede hält. Auf diese Weise entwickelt der Patient Kompetenzen, die ihn im sozialen Umgang sicherer machen.
Stehen bei einem Patienten soziale Kompetenzdefizite im Vordergrund, so liegt der Behandlungsschwerpunkt bei der Verbesserung sozialer Fertigkeiten. Im Rahmen der Psychotherapie soll der Patient lernen, Forderungen zu stellen (z.B.: sich beschweren, gegen Unrecht protestieren), Bitten anderer abzuschlagen bzw. „Nein“ zu sagen, auf eigene Bedürfnisse zu achten, diese offen auszudrücken und angemessen durchzusetzen, Kritik zu äußern und anzunehmen, Gespräche zu beginnen, aufrechtzuerhalten und wieder zu beenden, Lob auszusprechen, sich Fehler zu erlauben usw. Die verschiedenen Bereiche werden gemeinsam erarbeitet und z.B. in Form von Rollenspielen geübt. PatientInnen werden aufgefordert diese Fertigkeiten auch im Alltag zu üben und ihre Erfahrungen in der Therapie zu besprechen.
Konfrontation mit Ängsten
Die nächste Stufe der Konfrontation mit den Ängsten des Patienten findet außerhalb einer Klink oder Praxis statt (Expositionstherapie). In der Öffentlichkeit begeben sich die Betroffenen in für sie unangenehme und peinliche Situationen. Die Herausforderungen steigert man dabei langsam.
In der Exposition erleben die Patienten häufig, dass die befürchteten Reaktionen nicht eintreten. Die anderen Menschen reagieren entweder neutral oder sogar positiv auf sie. Wie auch bei anderen Angststörungen sind die Vorstellungen und Angstgedanken deutlich schlimmer als die Realität. Mit dieser Erkenntnis ist es den Betroffenen möglich die soziale Phobie zu überwinden.
Andere PatientInnen verfügen über gute soziale Kompetenzen, zeigen jedoch (phobische) Angst vor Kontakt, Beurteilungen oder Aufmerksamkeit durch andere Menschen. In diesem Fall ist Konfrontation die Methode der Wahl. Das heißt der Patient ist aufgefordert, sich zunehmend den angstbesetzten Situationen zu stellen, um so die Erfahrung zu machen, dass die gefürchtete Konsequenz nicht eintritt („ich werde nicht ausgelacht“, „die anderen tun mir nichts“). Zu Beginn der Therapie wählt man eine Situation, die relativ wenig Angst auslöst. Die Situationen werden mit dem Patienten ausführlich vor- und nachbesprochen.
In der Behandlung aller sozialen Ängste spielt die kognitive Therapie eine wichtige Rolle. Ungünstige gedankliche Muster werden identifiziert, hinterfragt und verändert. Wichtig ist zudem die Bearbeitung individueller Hintergrundprobleme, wie beispielsweise eine ausgeprägte Selbstwertproblematik.
Psychodynamische Psychotherapie
Die Psychodynamische Psychotherapie konzentriert sich auf ungelöste Konflikte, die die soziale Phobie mitverursachen. Vor allem Beziehungskonflikte sind mögliche Auslöser.
Die Betroffenen suchen zwar nach Anerkennung, allerdings haben sie so große Angst vor Zurückweisung und einer Demütigung, dass ein normaler Kontakt unmöglich ist. Die Angst, ihre Unsicherheit durch Erröten oder Zittern zu offenbaren, führt häufig zum Beziehungsabbruch.
Im Rahmen einer psychodynamischen Psychotherapie erforschen Therapeut und Patient, wie dieses ungünstige Beziehungsmuster entstanden ist und welchen Zweck es erfüllt hat. Bei manchen Patienten zeigt sich beispielsweise, dass der Ursprung in überhöhten Ansprüchen der eigenen Familie liegt. Diesen Ansprüchen nicht zu genügen, wird unter Umständen zu einer lebenslangen Bürde und überträgt sich auf andere Menschen und Situationen.
Medikamente
Eine soziale Phobie behandeln Ärzte in der Regel mit selektiven Serotonin- oder Noradrenalin-Wiederaufnahme-Hemmern (SSRIs/SNRIs), wie zum Beispiel Paroxetin oder Venlafaxin. Sie verhindern, dass die Botenstoffe Serotonin oder Noradrenalin schnell wieder von ihrem Wirkungsort abgezogen werden.
Es dauert jedoch etwa zwei bis vier Wochen bis sich ein Effekt zeigt. Nach einer Verbesserung der Symptome einer sozialen Angststörung verschreibt der Arzt die Medikamente noch einige weitere Wochen, um einen Rückfall zu verhindern. Zu den unerwünschten Nebenwirkungen gehören Unruhe, Übelkeit und sexuelle Funktionsstörungen.
Sonstige Behandlungsmethoden
Entspannungstechniken helfen den Betroffenen, ihre ständige Anspannung zu reduzieren. Meistens empfehlen Therapeuten die progressive Muskel-Entspannung nach Jacobson. Bei dieser Methode entspannt man aktiv den gesamten Körper durch Atem-Übungen und das An- und Entspannen von Muskeln.
Wenn die Patienten neben der sozialen Phobie noch unter weiteren psychischen Erkrankungen wie Depressionen leiden, gilt es, diese ebenfalls zu behandeln.
Was können Freunde und Angehörige tun?
Bei einem Verdacht, dass ein Bekannter unter einer Angsterkrankung leidet, sollte dieser auf jeden Fall ermutigt werden, einen Arzt aufzusuchen. Oft ist der Weg zur Erkenntnis, dass Hilfe benötigt wird, schwer. Nicht selten schämen sich Betroffene für ihre Ängste und fühlen sich machtlos. Angehörige sollten dem Betroffenen unterstützend und verständnisvoll zur Seite stehen, und offen mit ihm über die Erkrankung sprechen. Die Befürchtungen sollten ernstgenommen werden.
Prognose
Unbehandelt verläuft die soziale Phobie in vielen Fällen chronisch. Je früher die soziale Phobie sich entwickelt hat, desto schlechter ist die Prognose. Sozialphobiker entwickeln dann häufiger weitere psychische Störungen, vor allem Depressionen und Sucht-Erkrankungen.
Sowohl beruflich als auch im privaten Bereich schränkt eine soziale Phobie die Betroffenen stark ein. Ist der Leidensdruck zu hoch, besteht die Gefahr, dass sich die Betroffenen das Leben nehmen.
Mit einer professionellen Behandlung haben die Betroffenen bei einer sozialen Phobie aber gute Chancen auf einen positiven Verlauf. Vor allem für die kognitive Verhaltenstherapie gibt es gute Wirksamkeitsbelege, selbst dann, wenn die soziale Phobie schon seit einiger Zeit besteht.
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