Otto F. Kernberg, ein US-amerikanischer Psychoanalytiker österreichischer Herkunft, gilt weltweit als Kapazität für Persönlichkeitsstörungen. Er definierte Phänomene wie den pathologischen Narzissmus und die Borderline-Störung neu für die Psychiatrie. Kernberg, der Wien im Alter von zehn Jahren verlassen musste, hat sich intensiv mit diesen Störungen auseinandergesetzt.
Borderline-Persönlichkeitsstörung
Als Borderline-Persönlichkeitsstörung bezeichnete Otto F. Kernberg jenes Krankheitsbild, das Menschen zeigen, die in ihren zwischenmenschlichen Beziehungen, ihren Stimmungen und in ihrem Selbstbild instabil sind. Menschen mit einer Borderline-Persönlichkeitsstörung fallen durch ihr aggressives und oft auch selbst verletzendes Verhalten auf. In ihrer Wahrnehmung gibt es nur gut oder böse. Doch was heute Schwarz ist, kann morgen Weiß sein. Die Patienten sind nicht in der Lage, soziale Kontexte auszudifferenzieren und Ambivalenzen zu ertragen. Auf die Konflikte, die dadurch entstehen, reagieren sie mit Aggression.
Ursachen und Auslöser
Traumatische Erlebnisse aber auch Bindungsstörungen in den ersten Lebensmonaten können Ursache dafür sein. Borderline-Störungen können aber auch nur temporär auftreten und die Reaktion auf eine Krisensituation oder ein traumatisches Erlebnis sein.
Therapie
Wie lässt sich dieses Krankheitsbild therapieren? Psychotherapie ist bei der Behandlung von Persönlichkeitsstörungen die erste Wahl. Medikamente haben da nur unterstützende Wirkung. Allerdings helfen da keine Techniken, die nur an der Oberfläche ansetzen.
Otto F. Kernberg gibt eine umfassende systematische Übersicht über die symptomatologischen, ich-strukturellen und dynamisch-genetischen Merkmale der Borderline-Persönlichkeitsstörungen. Danach geht er auf typische Übertragungs-Gegenübertragungs-Konstellationen bei Borderline-Patienten ein und stellt eine besondere modifizierte Form analytischer Psychotherapie als Behandlungsmethode der Wahl vor.
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Pathologischer Narzissmus
Kernberg entwickelte ein eigenes Konzept narzisstischer Persönlichkeitsstörungen, deren Ursache er in einer pathologischen Abwehrorganisation sieht, die tiefliegende archaische Trieb- und Beziehungskonflikte verdeckt.
Merkmale
Wer an einer narzisstischen Persönlichkeitsstörung leidet, hat ein verzerrtes Selbstkonzept und Selbstgefühl. Er hat idealisierte Vorstellungen von sich selbst. Der Kern und das Zentrum seines Seins ist die eigene Großartigkeit.
Zu einem normalen Narzissmus gehören Ehrgeiz, Selbstsicherheit und die Unabhängigkeit von der Meinung anderer.
Beziehungen
Menschen mit einer solchen Störung enden oft in Einsamkeit und Isolation. Partner haben für sie vorrangig die Funktion, sie zu bewundern und ihr Selbstgefühl zu stärken. Diese Patienten verlieben sich sehr schnell und idealisieren den Partner ebenso rasch, aber sie ernüchtern nach ein paar Monaten oder sogar Wochen schnell wieder. Dann kommt es zur Abwertung und Abwendung. In schweren Fällen gehen solche Menschen von einer Beziehung in die nächste.
Neid ist ein wichtiger Faktor in der pathologischen Struktur des Narzissmus. Manchmal wählen solche Patienten auch entsetzlich unscheinbare Partner, damit sie einerseits noch mehr strahlen können, und sich aber auch davor schützen, den anderen wegen seines guten Aussehens beneiden zu müssen.
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Neid und Masochismus
Ich hatte einmal einen Patienten, der konnte es einfach nicht ertragen, dass seine Partnerin beim Geschlechtsverkehr mehr Lust als er selbst empfand. Es ist wissenschaftlich belegt, dass sexueller Masochismus von fünf Mal so vielen Männern wie Frauen praktiziert wird. Generell haben Männer genauso starke oder schwache sadomasochistische Tendenzen wie Frauen.
Bei Frauen dominiert der Masochismus in Liebesdingen; Männer tendieren zu chronischem Leiden in der Arbeitswelt. Sie lassen sich erstaunlich lange von ihren vielleicht auch narzisstisch veranlagten Chefs quälen.
Narzissmus und antisoziales Verhalten
Dann haben wir es mit einer narzisstischen Persönlichkeitsstörung mit antisozialem Verhalten zu tun. In ganz schweren Fällen wird das Über-Ich komplett ausgehebelt, es existieren keinerlei Schuldgefühle bei Gewalttätigkeit und anderen sadistischen Grausamkeiten.
Alter und Therapie
Mit zunehmendem Alter greifen Therapien besser, denn da wächst auch der Leidensdruck. Im Alter von 20,30, vielleicht auch noch 40 Jahren funktioniert diese Art von Leben mit dem Glauben an ein grandioses Selbst und dem schnellen Wechsel von Beziehungen und vorübergehenden Idealisierungen irgendwie noch. Doch dann - mit dem langsamen Schwinden der Schönheit, der Macht und der beginnenden Konfrontation mit Krankheiten - kann es auch zu einer entsetzlichen Einsamkeit kommen. Für solche Menschen sind Alterungsprozesse besonders schwer zu verkraften.
Kernbergs Leben und Werk
Otto F. Kernberg wurde am 10. September 1928 in Wien geboren. Die Familie floh nach dem "Anschluss" aus Österreich über Italien nach Chile, wo Kernberg Biologie, Medizin und anschließend Psychiatrie und Psychoanalyse studierte. 1961 emigrierte Kernberg in die USA, wo er sich intensiv mit Persönlichkeitsstörungen auseinanderzusetzen begann. Er ist Professor für Psychiatrie an der Cornell University und Direktor des Personality Disorders Institute am New Yorker Presbyterian Hospital. Kernberg leitete jahrelang die Internationale Psychoanalytische Vereinigung.
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In seinem neuesten Buch kehrt er wieder zu den unmittelbaren Problemen therapeutischer Praxis zurück, nachdem er in "Ideologie, Konflikt und Führung" erfolgreich die Anwendung der Psychoanalyse für Unternehmensberatung und Institutionsanalyse darstellen konnte.
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