Introjektion in der Psychologie: Definition und Beispiele

Begegnungen in unserem Leben hinterlassen etwas in uns. Diese Hinterlassenschaften werden im Normalfall in unserer Psyche verarbeitet und integriert. Bleiben sie als ‚eigenständige‘ Fremdkörper in uns bestehen, so spricht man von Introjektion.

Was ist Introjektion?

Introjektion (von lateinisch intro = „hinein“, „herein“ und iacere = „werfen“) ist ein Begriff aus der Psychoanalyse, der einen Vorgang beschreiben soll, bei dem eine äußere Realität (Ablaufszenen (Geschehnisse), Projektionen (eigene Mängel werden auf das Gegenüber projiziert), Traumageschehen - also Objekte, Objektqualitäten) nach dem Vorbild körperlicher Einverleibung in das seelische Innere hineingelangt. Das betreffende Objekt bzw. die betreffenden Objektqualitäten werden auch als Introjekt bezeichnet.

Unter Introjektion wird allgemein der Prozess des In-Sich-Aufnehmens von Werten und Normen verstanden, die jemand im Rahmen der Persönlichkeitsentwicklung während seiner Sozialisation (Anpassung) verinnerlicht. Werden diese verinnerlichten Pflichten vernachlässigt, empfindet der Mensch ein Schuld- oder Schamgefühl, hat ein schlechtes Gewissen.

Introjizierte Normen und Werte werden im Laufe der Entwicklung passiv und ohne eigene freie Entscheidung des Kindes von außen eingegeben, können daher mehr oder weniger von seiner eigenen Persönlichkeit abweichen und im Extremfall konträr dazu stehen. Die Introjektion kann so von der Internalisierung unterschieden werden, bei der Normen und Werte aktiv aufgenommen und durch Assimilation in das Gesamt der Persönlichkeit integriert werden. Der Unterschied also: bei der Introjektion bleibt das Interesse des Kindes außen vor. Bei der Internalisierung kann man mit hohem Prozentsatz davon ausgehen, dass das Kind selbst an der “Einverleibung” interessiert ist!

Introjektion und Elternbotschaften

Besonders stark sind im Normalfall die Introjekte der Eltern. In der Transaktionsanalyse werden sie „Eltern-Botschaften“ genannt. Sie sind das, was uns die Eltern innerlich ‚mitgegeben‘ haben, die Botschaften, die sie an uns für unser Leben gesendet haben.

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Eric Berne, der Begründer der TA und seine Nachfolger*innen, vor allem Taibi Kahler, haben diese Eltern-Botschaften erforscht und ‚aufgelistet‘. Die Eltern-Introjekte können positiv, negativ oder ambivalent für uns sein.

Die Transaktionsanlayse (TA) hat typische Eltern-Botschaften aufgelistet, die negativ für unsere Entwicklung sind, die Entwicklung verhindern. Sei (anderen) gefällig! Diese Botschaften enthalten auch positive Elemente. Negativ wirken sie dadurch, dass die inneren elterlichen Stimmen keine Wahl lassen, solange sie nicht in Selbst-Botschaften transformiert wurden.

Noch schädlicher sind Bann-Botschaften (Bremser), die die betroffene Person nicht nur antreiben, sondern völlig abwerten, z. Sei nicht da!

Das positive Gegenstück zu den Antreibern sind in der TA die Erlauber-Botschaften (oder kurz „Erlauber“ genannt). Sie bringen Wertschätzung zum Ausdruck und ermutigen, die Kontrolle über das eigene Leben selbst zu übernehmen.

Viele therapeutische Ansätze enthalten positive Eltern-Botschaften, mit deren Hilfe negative Eltern-Botschaften überwunden werden können. Ich liebe dich. Ich will dich, ich sage „Ja“ zu Dir.

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Beispiele für Introjektionen

  • "Übernimm das Geschäft.": Positiv ist, dass mir der Vater das zutraut. Weniger positiv, dass ich eigentlich keine Wahl hatte. Es stand immer schon fest, dass ich einmal das Geschäft übernehmen werde. Alternativen kamen nicht in Frage.
  • "Verwalte es gut.": Das passt nicht mehr in unsere Zeit. Wenn ich das Geschäft nur verwalte geht es unter. Verwalten genügt in unserer sich schnelllebig wandelnden Welt nicht mehr.
  • "Übergib es später in gutem Zustand an deine Kinder.": Ich sehe das als Hypothek für mich und für meine Kinder. Ich will etwas Gutes aus meinem Geschäft machen, klar. Aber ich bin mir nicht so sicher, dass das derzeitige Geschäftsmodell auch Zukunfts-Chancen hat. Vielleicht will ich ganz etwas Neues draus machen. Und ich will auch meine Kinder nicht zwingen oder überreden, das Geschäft später zu übernehmen.

Introjektion und Komplexe

Es handelt sich offensichtlich bei Guido um komplexhafte Reaktionen, Reaktionen, in denen psychische Komplexe aktiviert werden („sich konstellieren“). Psychische Komplexe sind -vereinfacht gesagt - Hotspots der Psyche, in der unverarbeitete Erfahrungen aus der Vergangenheit gesammelt werden. Werden solche Hotspots durch ein aktuelles Ereignis aktiviert, dann werden nicht nur die Gefühle der aktuellen Situation, sondern auch jene der Vergangenheit, die in diesem Komplex gesammelt sind, aktiviert. Die emotionale Reaktion kann so stark sein, dass man die Kontrolle über sich verliert.

In Guidos Vater ist das wahrscheinlich sein Vater-Komplex, der sich konstelliert, d. h. Erleichterung kann aber schon bringen, wenn es Guido gelingt, seine Stiefvater-Rolle neu zu definieren. Die Erziehung des Stiefsohnes ist nicht seine Angelegenheit, nicht seine Aufgabe. Man könnte sagen, es geht ihn nichts an. Das ist, wenn überhaupt, Aufgabe der Mutter (und des Vaters, wenn er anwesend ist). Im äußersten Falle kann er die Mutter dabei unterstützen. Das auch nur, wenn sie das will und ihn dazu ersucht.

Wenn er sich mehr als neutrales Familienmitglied sehen kann, das eher beobachtet als bewertet und und das sich nicht aktiv einmischt, kann das zu seiner emotionalen Entlastung beitragen und der Komplex wird nicht aktiviert.

Der Weg zu Selbst-Botschaften

Guido lebt noch nach seinen Eltern-Botschaften und das sind Introjektionen, von außen hineingelegten Botschaften, nicht seine eigenen, nicht seine Selbst-Botschaft. Selbst-Botschaften sind die um Introjekte gereinigten Botschaften, nach denen ich leben will, die meinem authentischen Leben Orientierung geben. Sie sind das Ergebnis meiner Lebens-Erfahrung, meiner Werte, meiner Einstellungen, meiner Lebensziele usw. Sie können Eltern-Botschaften beinhalten, wenn ich sie zu meinen eigenen gemacht habe.

Überlege: Was war die Botschaft Deiner Mutter? Was wollte sie? Mach das Gleiche mit deinem Vater (bzw. Geh die oben formulierten positiven Eltern-Botschaften durch. Was sind deine Selbst-Botschaften? Wie willst du leben? Was willst du tun? Wie willst du sein?

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Glaubenssätze und Introjektion

In vielen Therapie- und Coaching-Traditionen spielen Glaubenssätzen eine wichtige Rolle - nicht nur in Form von Eltern-Botschaften, sondern ganz allgemein. „Glaubenssätze sind fest einprogrammierte Überzeugungen, die wir uns im Laufe unseres Lebens aneignen, weil wir sie z. B. Ursachen und Zusammenhänge (z. B. Warum verhält sich mein Partner so? Bedeutungen und Bewertungen (z. B. der eigenen Ressourcen (Fähigkeiten, Stärken, Identität, …, z. B. Es gibt zahlreiche Interventions-Möglichkeiten zur Veränderung unserer negativen Glaubenssätze. Eine Interventions-Möglichkeit sind Affirmationen.

Introjektion und Authentizität

Viele Menschen berichten (z. B. im Coaching), dass sie nicht so leben, wie sie eigentlich leben möchten. Sie leben nicht das Leben, das auf einer tiefen Ebene (tiefe Werte, Tiefenpersönlichkeit, …) zu ihnen passt. Irgendetwas hindert sie daran, ihr „authentisches Leben“ zu leben. Sie fühlen sich ‚irgendwie außer sich‚ oder neben sich oder sagen, sie können nicht ‚bei sich sein‘. Als Konsequenz sorgen sie wenig für sich (mangelnde „Selbstfürsorge“), und mangelnde positive Selbstzuwendung ), haben leicht Schuldgefühle, sind irgendwie unzufrieden oder zumindest unerfüllt.

Abgrenzung zu anderen psychischen Prozessen

Nicht zu verwechseln mit Inrojekten sind andere psychische Einschlüsse, nämlich Intrusionen. Das sind unkontrollierbare psychische Impulse, die meist nach Traumatas ins Bewusstsein dringen und die Person völlig handlungsunfähig machen können. Sie belasten die Person dramatisch oft nicht nur psychisch sondern auch körperlich, z. B.

Die polare, antagonistishe Entsprechung zur Introjektion ist die Projektion. Projektionen sind in der Öffentlichkeit bekannter als Introjekte. „Du projizierst das ja bloß auf mich“ heißt es dann in Auseinandersetzungen, oft als Vorwurf gemeint. Und „proiacere“ heißt ja auch vor-werfen, herauswerfen. Hier werfe ich etwas, was in mir ist, Teil meines Selbst ist, hinaus auf Andere oder Anderes, Ich sehe etwas, meist ein Schattenelement von mir, das ich verdrängt habe oder nicht in mir akzeptieren kann, in anderen Personen oder Situationen. Bei der Projektion werfe ich (psychisch) etwas von mir in Andere.

Ein ähnlicher und mit ihr oft verwechselter Vorgang zur Projektion ist die Übertragung. Ich übertrage etwas aus meiner Vergangenheit, oft meiner Kindheit in die Gegenwart. Beispiel: Ich treffe eine Autoritätsperson, z. B. meine Chefin. Meine zentrale Autoritätsperson in der Kindheit war meine ‚verschlingende Mutter‘, jetzt erinnert mich jede weibliche Autoriätsperson an meine Mutter und übertrage Gefühle, Einstellungen usw. an sie.

Ein weiterer Abwehr-Mechanismus, der Abwertungen begünstigt, ist die Kollusion. Kollusionen sind psychodynamische Prozesse, bei denen sich Paare unbewusst auf unterschiedliche, meist gegensätzlich Rollen und Verhaltensmuster einigen, die bei einer oberflächlichen Betrachtung und kurzfristige für beide nützlich sind. Genauer betrachtet und in der langfristigen Perspektive sind sie jedoch schädlich, weil neurotische Muster zugrunde liegen, die die Entwicklung beider Teile verhindern.

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