Künstliche Intelligenz im Überblick: Neue Wege in der Depressionsforschung

Die Anwendung künstlicher Intelligenz (KI) birgt ein vielversprechendes Potenzial, im Bereich der Psychotherapie Eingang zu finden.

Die Rolle der KI in der Depressionsforschung

Was unterscheidet Menschen, die anfällig für eine Depression sind, von anderen? Und warum sprechen manche besser auf Therapien an als andere? Eine internationale Datenplattform soll mithilfe künstlicher Intelligenz ein neues Verständnis von Depression ermöglichen.

Die Amygdala, auch Mandelkern genannt, liegt tief im Inneren des Gehirns und ist für die Regulation von Emotionen verantwortlich. Eine bekannte Hypothese zur Depression besagt, dass dieses Hirnareal bei Menschen mit einer Anfälligkeit für die Erkrankung hyperreaktiv ist. Betroffene reagieren besonders stark auf emotionale Reize aus der Umwelt.

„Das Problem ist, dass man nicht anhand dieses einen Faktors zwischen Menschen mit unterschiedlicher Krankheitsanfälligkeit unterscheiden kann. Das Wissen hat bisher keine praktische Konsequenz“, erklärt Roberto Viviani, Professor für klinische Psychologie an der Universität Innsbruck.

Er ist Experte für Gehirnscans aus der funktionellen Magnetresonanztomografie (fMRT). Gemeinsam mit einem internationalen Team von Forschenden aus Deutschland, Italien, Kroatien, Norwegen und Israel hat Viviani eine umfassende Datenbank zur Depression zusammengestellt, die von genetischen Informationen bis hin zu Bildgebungsdaten reicht.

Der Wissenschaftsfonds FWF fördert die österreichische Beteiligung an dem Großprojekt „Artificial intelligence for personalised medicine in depression (ArtiPro)“ von ERA PerMed, einer europäischen Partnerschaft zur Förderung personalisierter Medizin.

Obwohl die fMRT-Technologie seit über 30 Jahren etabliert ist, kennt man die Bedeutung der Fülle an Signalen für medizinische Fragestellungen kaum, wie Viviani betont. „Für mich stellt sich die Frage, ob wir in der Vergangenheit bei der Auswertung oder Verwendung dieser Daten zu vereinfachend vorgegangen sind. Deshalb untersuche ich, welche Arten von Signalen oder Informationen in der Bildgebung zu finden sind“, sagt der Psychiater.

Die Analyse der fMRT-Aufnahmen durch Vivianis Team hat Faktoren in den Fokus gerückt, die traditionell als „physiologisches Rauschen“ oder Störfaktoren galten. Die Forschenden untersuchten, welche nützlichen Informationen aus den als Gehirnaktivität dokumentierten Signalen zu gewinnen sind.

Sie verglichen Aufnahmen aus dem gesamten Gehirn mit dem dünnen Bereich des Schädelknochens, in dem es keine Neuronen, wohl aber Gefäße gibt. „Die Ergebnisse deuten darauf hin, dass wir neben dem Cortex auch andere wichtige Signale haben, die nicht von Neuronen stammen“, erklärt Viviani.

Er vermutet dahinter einen Mechanismus des unwillkürlichen Nervensystems, der gleichzeitig auf die Durchblutung des Gehirns und des Schädelknochens wirkt. Wie sich diese Unterschiede auf die Verarbeitung emotionaler Reize auswirken, die auch in der Depression anders wahrgenommen werden, soll in weiteren Studien untersucht werden.

Darüber hinaus beteiligt sich Viviani im Rahmen der Kooperation an Studien zum individuell unterschiedlichen Ansprechen auf Psychopharmaka, insbesondere Antidepressiva. Die internationale Zusammenarbeit sieht er als entscheidend an, um solche umfassenden Datenplattformen zusammenstellen zu können.

„Wir brauchen die Daten aus der Gesundheitsversorgung, vor allem in der Ära der KI“, ist Viviani überzeugt, auch wenn nationale Datenschutzvorgaben den Austausch von sensiblen Informationen teilweise stark einschränken.

KI-basierte Therapie-Bots als Ergänzung zur Therapie

Die KI bringt viele Möglichkeiten, den Bereich psychischen Gesundheit zu verbessern. Das erklärt Juliane von Hagen. Von Hagen ist eine Expertin zum Thema Psychotherapie. Ein großes Problem ist, dass es oft lange Warte-Zeiten für einen Therapie-Platz gibt. Hier kann KI in Form von einem Chat-Bot helfen.

Ein Chat-Bot ist eine KI, mit der man über Text-Nachrichten sprechen kann. Es gibt spezielle Chat-Bots, die Menschen mit psychischen Erkrankungen helfen sollen. Sie sprechen so ähnlich, wie es ein Therapeut machen würde. Durch die Therapie-Bots können Menschen Hilfe bekommen, wenn eine Therapie gerade nicht möglich ist.

Ein Therapie-Bot ersetzt jedoch keine Therapie bei einem Therapeuten.

Möglichkeiten bei Diagnosen psychischer Erkrankungen

KI kann auch dabei helfen, psychische Erkrankungen zu erkennen. Das erklärt Melanie Hasenbein. Sie ist eine Expertin zum Thema Wirtschafts-Psychologie. Es gibt zum Beispiel eine KI, die ADHS an der Stimme erkennen kann. ADHS ist eine psychische Störung.

Menschen mit ADHS haben zum Beispiel Probleme mit Unaufmerksamkeit. KI kann auch an Daten erkennen, wenn jemand eine Depression oder eine Angst-Erkrankung hat. Bei einigen sozialen Netzwerken wie zum Beispiel Instagram wird KI auch eingesetzt. Die KI kann erkennen, wenn sich jemand verletzen möchte. Dieser Person wird dann eine Nachricht geschickt, mit Informationen, wo sie Hilfe bekommen kann.

Probleme und Gefahren von der KI

KI bringt jedoch auch Probleme und sogar Gefahren mit sich, warnt etwa Joachim Bauer. Bauer ist ein Experte zum Thema Psychologie und Medizin. Eine Gefahr ist, dass KI Sprache, Bilder und Videos erstellen kann, die echt aussehen.

Solche gefälschten Aufnahmen können dazu benutzt werden, um zum Beispiel einen Politiker etwas sagen zu lassen, was er oder sie in echt gar nicht gesagt hat. So kann man zum Beispiel Wahlen beeinflussen. Im Bereich der psychischen Gesundheit ist es ein Problem, dass KI oft Fehler macht. Ein Therapie-Bot darf aber keine Fehler machen. Deswegen muss KI in der Therapie immer von einem Menschen überwacht werden. Bald wird es in der EU eigene Gesetzte für die Verwendung von KI geben.

KI-gestützter Avatar "Therabot"

Der Mangel an Therapeuten für psychisch Kranke lässt sich mit dem KI-gestützten Avatar "Therabot" von Michael Hein und Nicholas Jacobson von der Dartmouth College's Geisel School of Medicine womöglich bald beheben. Die Patienten interagieren per App, in der sie auf Aufforderungen reagieren oder Gespräche initiieren, wenn sie sich mitteilen wollen.

Laut den Probanden hat Therabot Vertrauen erzeugt. Man habe ähnlich gut wie mit einem menschlichen Psychologen kommunizieren können. An der Studie haben 106 Personen aus den USA teilgenommen, bei denen eine schwere Depression, eine generalisierte Angststörung oder eine Essstörung vorlag.

Depressive erleben durch die Avatar-Sitzungen eine durchschnittliche Reduzierung der Symptome um 51 Prozent, was zu klinisch signifikanten Verbesserungen der Stimmung und des allgemeinen Wohlbefindens führt, berichten die Forscher. Bei Teilnehmern mit generalisierter Angst ließen die Symptome um 31 Prozent nach, wobei viele von mäßiger zu leichter Angst oder von leichter Angst unter den klinischen Schwellenwert für eine Diagnose sanken.

Bei denjenigen mit Essstörungen, die traditionell besonders schwer zu behandeln sind, verringerte sich die Unzufriedenheit mit Körperbild und Gewicht den Wissenschaftlern zufolge um immerhin 19 Prozent, was selbst menschlichen Therapeuten nicht immer gelingt.

Die Forscher kommen zu dem Schluss, dass die KI-gestützte Therapie zwar nach wie vor dringend der Aufsicht von Klinikern bedarf, aber das Potenzial hat, den vielen Menschen, die keinen regelmäßigen oder sofortigen Zugang zu einem Psychologen haben, Unterstützung in Echtzeit bietet.

"Die beobachteten Verbesserungen der Symptome waren vergleichbar mit den Ergebnissen der herkömmlichen ambulanten Therapie, was darauf hindeutet, dass dieser KI-gestützte Ansatz klinisch bedeutsame Vorteile bieten könnte", sagt Jacobson.

Es gebe keinen Ersatz für die persönliche Betreuung, aber es stünden bei weitem nicht genug Anbieter zur Verfügung, um alle zu versorgen. Auf jeden Therapeuten in den USA kommen durchschnittlich 1.600 Patienten mit Depressionen oder Angstzuständen. In anderen Industriestaaten ist es ähnlich.

Analyse von Social-Media-Daten durch KI

Das Verhalten in sozialen Medien könnte mehr über die Psyche der Nutzer*innen verraten. Ein Forscher*innen-Team des Dartmouth College hat eine künstliche Intelligenz trainiert, Postings zu lesen und zu analysieren. Dafür wurden Unterhaltungen auf Reddit gescannt. Gesucht wurde nach Anzeichen auf "emotionale Störungen", wie Depressionen, Angstzustände und bipolare Störungen.

Zusammenhang zwischen Kortisolspiegel und Depression

In einer neuen Studie haben Wissenschaftler*innen um Alexander Karabatsiakis vom Institut für Psychologie der Universität Innsbruck einen starken Zusammenhang zwischen der Schwere einer Depression und dem Gehalt des Stresshormons Kortisol in Haaren beobachtet. Das Stresshormon Kortisol ist im menschlichen Körper an lebenswichtigen Vorgängen beteiligt. Bei psychischer Belastung, aber auch bei psychiatrischen Erkrankungen, wird es verstärkt ausgeschüttet und dabei unter anderem in den Haaren gespeichert.

Studien haben bereits gezeigt, dass Menschen, die an einer Depression erkrankt sind, einen erhöhten Kortisolspiegel im Haar aufweisen können.

Die Forschungsgruppe um Alexander Karabatsiakis vom Institut für Psychologie der Universität Innsbruck verglich die Daten dieser Studien nun auch mit Haarproben von Personen, die durch Suizid gestorben sind. Hierbei wurden stark erhöhte Kortisolspiegel im Vergleich zu Personen mit und ohne Depressionen nachgewiesen.

Diese erste Beobachtung könnte neue Impulse im Bereich der Depressionsforschung, aber auch der Suizidprävention setzen, da Suizidalität besonders bei Menschen mit Depressionen eine sehr ernstzunehmende Komplikation darstellen kann.

„Unsere Biomarker-Forschung untersucht, wie psychische Belastungen und psychiatrische Erkrankungen an körperliche und psychosomatische Komplikationen gekoppelt sind“, sagt Karabatsiakis.

Diese interdisziplinäre Forschung wird auch mit Wissenschaftler*innen aus unterschiedlichen Fachbereichen am Wissenschaftsstandort Innsbruck intensiv betrieben. „Einer der aktuellen Ansatzpunkte ist die Bestimmung von Haarkortisol, das sich über längere Zeit nachweisen lässt.

Gesundheitliches Monitoring über eine Haarprobe ist ein nicht-invasiver und kaum belastender Vorgang, der auch in Ordinationen oder in anderen Betreuungsmodellen durchgeführt werden könnte.

„Wenn zum Beispiel Hausärzt*innen messen könnten, dass sich ein hormonelles Stresspotential im Körper abzeichnet, könnte man eventuell auch bei psychisch stark belasteten Personen ein potentielles Suizidrisiko erkennen und den medizinischen Fokus auf die Person entsprechend intensivieren, auch wenn Patient*Innen selbst keine Beschwerden berichten.

Die Studie erweitert damit die biologische Perspektive auf psychische Erkrankungen. „Der Kortisolspiegel im Haar steigt mit der subjektiv empfundenen Schwere der depressiven Symptome“, erklärt Karabatsiakis. „Je länger man sich zudem depressiv fühlt, desto aktiver ist wohl also auch die Stressantwort unseres Körpers.

Zur Durchführung der Studie wurden, nach Genehmigung durch die zuständige Ethikkommission, auch Haarproben aus der Rechtsmedizin der Medizinischen Hochschule Hannover genutzt.

Über Roberto Viviani

Roberto Viviani ist assoziierter Professor im Bereich Klinische Psychologie an der Universität Innsbruck und Leiter einer Forschungsgruppe an der Universität Ulm, Deutschland. Er studierte Psychiatrie und Neurologie an der University of Cambridge, UK. Sein Forschungsinteresse gilt der Bildgebung in den Neurowissenschaften und der statistischen Analyse von Bilddaten.

Tabelle: KI-Anwendungen in der Psychotherapie

KI-Anwendung Beschreibung Vorteile Herausforderungen
Therapie-Bots Chat-basierte Unterstützung für Menschen mit psychischen Erkrankungen. Sofortiger Zugang, Überbrückung von Wartezeiten. Ersetzt keine Therapie, Fehlerrisiko.
Diagnoseunterstützung KI-basierte Erkennung psychischer Erkrankungen anhand von Daten (z.B. Stimme, Social-Media-Aktivitäten). Frühere Erkennung, personalisierte Behandlung. Fehlerrisiko, Datenschutzbedenken.
Gehirnscan-Analyse Analyse von fMRT-Aufnahmen zur Erforschung von Depression und personalisierter Medizin. Tieferes Verständnis der Erkrankung, Entwicklung gezielter Therapien. Komplexe Daten, hoher Forschungsaufwand.
KI-gestützte Avatare (z.B. Therabot) Interaktive Therapie-Programme mit KI-gesteuerten Avataren. Vertrauensaufbau, Reduktion von Symptomen. Aufsicht durch Kliniker erforderlich, kein Ersatz für persönliche Betreuung.

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