In unseren Zellen gibt es so etwas wie eine Müllabfuhr und ein Recycling-System. Bei gesunden Menschen funktionieren diese wie in einer gut verwalteten Stadt: Immer wieder wird sauber gemacht. Welche molekularen Mechanismen dafür verantwortlich sind, hat der Japaner Yoshinori Ohsumi entschlüsselt. Das hat ihm 2016 den Nobelpreis für Medizin eingebracht. Der Zellbiologe am "Tokyo Institute of Technology" beschrieb, wie dabei geschädigte Proteine gefiltert, abgebaut und wiederverwertet werden. Diese zelluläre Verdauung wird mit dem Begriff der Autophagie (gr. "Selbstfressen") bezeichnet.
Die Autophagie ist ein natürlicher Regulationsmechanismus der Zellen, mit dem defekte oder nicht mehr relevante Komponenten zerlegt werden. Die Bestandteile werden gleichsam recycelt. Die entsprechenden zytoplasmatischen Komponenten sind von einer wachsenden Doppelmembran umgeben (Phagophor). Beim Schließen isoliert die Struktur (Autophagosom genannt) den Inhalt innerhalb eines Vesikels mit Doppelmembran vom Rest der Zelle. Es kommt zur Verschmelzung mit dem Lysosom, womit auch der Prozess der „Entsorgung“ des Zellabfalls beginnt. Der Inhalt des Vesikels wird abgebaut und recycelt. Forschungsarbeiten haben gezeigt, dass die Autophagie als Effektor des Immunsystems fungiert und die pathogene Clearance mediiert.
Die Rolle der Autophagie für das Immunsystem
Sie bildet eine Brücke zwischen dem angeborenen und dem adaptiven Immunsystem und schließt folgende Funktionen ein: Regulation der Zytokinproduktion, Antigen-Präsentation, Lymphozyten-Homöostase und Sicherung des Überlebens der Lymphozyten sowie Selektion im Thymus.
Wie Autophagie funktioniert
Die Autophagie beschreibt die Ausscheidung von Giftstoffen und die Umwandlung von funktionsunfähigen in funktionsfähige chemische Verbindungen. Die Apoptose ist der programmierte Zelltod: Sobald eine Zelle nicht mehr richtig funktioniert, zum Beispiel weil Entzündungen entstehen, wird die Apoptose eingeleitet. Die Zelle stirbt ab und eine neue, gesunde Zelle bildet sich.
Fasten und Autophagie
Dem Fasten wird ein immunstimulierender Effekt nachgesagt. Dieser wurde in Studien bereits bestätigt. Der Grund dafür könnte in der durch Fasten ausgelösten Autophagie liegen.
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In gewisser Weise könnte man Nobelpreisträger Yoshinori Ohsumi zum modernen Schutzpatron der Fastenzeit erheben. Denn der von ihm enthüllte Mechanismus spielt beim Fasten eine wichtige Rolle. Jüngere Forschung hat gezeigt, dass Fasten tatsächlich "entschlackt" und verjüngt - unter anderem, indem der Körper den Prozess der Autophagie ankurbelt.
Ohne Nahrungsnachschub versucht die Zelle, altes Material wiederzuverwenden: Die Eiweißteile werden klein gehackt und können danach zum Aufbau neuer Proteine verwendet werden, so der Professor für Klinische Naturheilkunde der Charité Berlin. Durch ständiges Essen wird die Autophagie gebremst, durch Fasten und sportliche Betätigung hingegen gefördert.
Fastenzeiten sind für den Körper generell Phasen, in denen er sich verstärkt der Reparatur von Genen, Proteinen und Zellbestandteilen widmen kann. Buchautor Andreas Michalsen beschreibt aber auch weitere günstige Wirkungen des Fastens: zum Beispiel Fettabbau und Entzündungshemmung, Stärkung der Immunabwehr, Regeneration der Darmbakterien und Aktivierung der Selbstheilung. Im Gehirn werden dabei Botenstoffe wie Serotonin oder Endorphine ausgeschüttet. Das erklärt die beim Fasten häufig zu beobachtende gute Stimmung bis hin zur Euphorie.Viele Menschen berichten in dieser Zeit auch von geschärften Sinnen und einem wachen, klaren Geist.
Intervallfasten ist nichts, was wir unserem Körper zumuten müssen, es ist die natürlichste Ernährungsform. Quasi eine Rückbesinnung auf unser urmenschliches Erbe. In allen Weltreligionen gibt es Fastenzeiten. Im Christentum ist es die Zeit von Aschermittwoch bis Ostern; zudem spricht das Lukas-Evangelium von zwei Fastentagen pro Woche. Im Judentum wird u. a. vor den Feiertagen Purim und Pessach sowie an Jom Kippur gefastet. Muslime wiederum verzichten im Fastenmonat Ramadan von Sonnenauf- bis Sonnenuntergang auf Essen und Trinken. Das Intervallfasten, wie es heute in Mode gekommen ist, wird somit schon in religiösen Schriften beschrieben.
Die steigende Lebenserwartung in den westlichen Industrieländern rückt das Thema Alterung immer mehr in den Fokus der Forschung. Ein wichtiges Ziel von Wissenschaftern ist es, Strategien gegen die altersbedingte Abnahme der Regenerationsfähigkeit zu finden, wie Univ.-Prof. Dr. rer. nat. Madeo: Bereits etwa ab dem Alter von 19 Jahren lässt die Regenerationsfähigkeit nach. Man spürt das zum Beispiel an der Zeitdauer, die benötigt wird, um sich von einer schlaflosen Nacht zu regenerieren. Der Schlüssel, um die Zellalterung zu verlangsamen, liegt in der Fähigkeit der Zellen, ihre alten Zellbestandteile aufzuarbeiten und wiederzuverwerten und damit jung und gesund zu bleiben - ein Vorgang der als Autophagie bezeichnet wird. Das Fasten gilt als effizienteste Methode, diese Autophagie im Körper zu initiieren. Fasten wirkt diesbezüglich über das Bremsen der Insulinausschüttung.
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Autophagie und Sport
Auch durch Sport wird die Immunantwort akut und dauerhaft beeinflusst. Moderate, regelmäßige Bewegung verbessert nachweislich die Immunabwehr und schützt vor oberen Atemwegserkrankungen.
Durch ständiges Essen wird die Autophagie gebremst, durch Fasten und sportliche Betätigung hingegen gefördert. Sport bewirkt eine Aktivierung des Energiesensors AMP-Kinase. Durch die körperliche Aktivität sinkt der ATP-Spiegel, und der AMP-Spiegel steigt an.
Was viele Menschen oft hemmt, ist der Irrglaube, Bewegung und Sport müssten 'institutionalisiert' und stets 'leistungsorientiert' sein. Dadurch entkoppeln wir diese Dinge vom Alltag (S. Macek)
Weitere Faktoren, die den Alterungsprozess beeinflussen
Ja, ein anderer wichtiger Faktor ist die Stressresistenz - auch wenn diese zum Teil mit der Autophagie zusammenhängt. Auch die Muskelmasse und Kraft sowie soziale Faktoren wie Wohlstand spielen eine wichtige Rolle. Schließlich gibt es psychische Faktoren, die aber schwer quantifizierbar sind. So ist in verschiedenen Studien herausgekommen, dass soziale Bindungen und eine positive Lebenseinstellung protektiv wirken.
Im Hinblick auf Stress ist vor allem die Chronizität dafür verantwortlich, das Immunsystem zu beeinträchtigen. Dazu gibt es bereits zahlreiche wissenschaftliche Publikationen.1 Studien zufolge unterdrückt chronischer Stress sowohl die angeborene als auch die adaptive Immunantwort, indem die Typ-1/Typ-2-Zytokin-Balance beeinträchtigt wird. Es kommt zu niedriggradiger Inflammation und einer Suppression der immunprotektiven Zellen.2 Auch eine schlechte psychische Verfassung wirkt sich negativ aus.
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Spermidin und Autophagie
Die Autophagie wird nicht nur durch Fasten angeregt, sondern auch durch Sport und ausgewählte Nahrungsbestandteile wie Spermidin, das sich unter anderem im Extrakt von Weizenkeimen befindet. In langjährigen Studien haben wir auch herausgefunden, dass der Effekt der Autophagie durch die Substanz Spermidin ausgelöst werden kann. Wir konnten nachweisen, dass Spermidin beim Menschen einen Anti-Aging-Effekt auslöst. Eine Studie der Medizinischen Universität Innsbruck zeigte, dass Menschen, die über einen Zeitraum von 20 Jahren viel Spermidin zu sich nahmen, sich über eine bessere Herzgesundheit und eine um fünf Jahre längere Lebenserwartung freuen konnten. Die Ermittlung erfolgte durch von uns erstellte Nahrungsdatenbanken. Die Quantität und Qualität der Nahrung wurde in Bruneck über 20 Jahre detailliert ermittelt. Das macht diese Kohorte einzigartig.
Mechanistisch gesehen beruht die lebensverlängernde Wirkung von Spermidin vor allem auf seiner Fähigkeit, Autophagie anzuregen. Bei diesem, auch durch mehrstündiges Fasten ausgelösten Selbstreinigungsprozess der Zelle werden fehlerhafte oder nicht mehr benötigte Zellbestandteile abgebaut und verwertet. Weil die Autophagie im Alter an Effizienz verliert, kommt es zu krankheitsrelevanten Ablagerungen in den Zellen, die wiederum zu Demenz, Diabetes, Tumoren und Atherosklerose führen können. „Die vermehrte Aufnahme von Spermidin signalisiert der Zelle, den Selbstreinigungsprozess zu starten und schützt damit vor Ablagerungen und vorzeitiger Alterung“, sagt Kiechl.
Weitere Faktoren für ein starkes Immunsystem
Gute Nährstoffversorgung und gesunde Kost, ausreichend Schlaf, Bewegung, nicht Rauchen, Alkohol nur in Maßen, normales Körpergewicht, Stress minimieren, Hygienemaßnahmen - das sind die Tipps der Harvard Medical School, wie man das Immunsystem im Alltag unterstützen kann. Hinzu kommt eine gute Balance der Darmmikrobiota und die Autophagie, die einen wesentlichen Beitrag leistet.
Harvard-Wissenschafter beschreiben die perfekte Immunstrategie in Form von zwei Wegen: Infektionen durch geeignete Maßnahmen vermeiden und tägliche Verhaltensmuster, um die Abwehrkräfte aktiv zu fördern. Die Ernährung ist eine wesentliche Säule des täglichen „Pushens“ des Immunsystems. Ideal ist eine Mischkost reich an Ballaststoffen, Obst und Gemüse. Die Immunantwort nimmt mit steigendem Alter ab. Dies zeigt sich anhand höherer Infektanfälligkeit und auch an Fakten wie einer niedrigeren Response auf Impfungen ab 65 Jahren. Ein häufiges Phänomen ist auch die Mikronährstoff-Malnutrition. Bei manchen älteren Personen wird zwar ausreichend gegessen, aber die Einseitigkeit der Kost führt zu ungenügender Versorgung bestimmter Vitamine und Mineralstoffe. Andere Menschen essen wiederum mit fortschreitendem Alter immer weniger und haben deshalb ein Risiko für Mangelzustände. Wichtige Mikronährstoffe für das Immunsystem sind Vitamin C, Vitamin E, Vitamin A, Vitamin D, Vitamin B6, Eisen, Selen, Zink und Kupfer.
Ein bidirektionales Verhältnis besteht zwischen Immunsystem und Schlaf. Konsistent guter Schlaf unterstützt die Effektivität des Immunsystems. Einige Komponenten des Immunsystems werden durch den Schlaf unterstützt und wieder gestärkt. Erstens kommt es zu einer Stärkung der adaptiven Immunität, zweitens wirkt das schlaffördernde Hormon Melatonin dem zu Inflammation führenden Stress nächtens entgegen. Das gesamte System kann sich somit erholen.
Eine wesentliche Rolle für ein funktionierendes Immunsystem spielt auch die Darmmikrobiota.
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