Die Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung (ADHS) ist eine neurobiologische Entwicklungsstörung, die sich meist bereits im Kindesalter manifestiert und oft ins Erwachsenenalter fortbesteht.
Was ist ADHS?
Definition: ADHS (Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung) ist eine neurobiologische Entwicklungsstörung, die durch Unaufmerksamkeit, Impulsivität und Hyperaktivität gekennzeichnet ist. Die Ursachen sind multifaktoriell und umfassen genetische, neurobiologische und umweltbedingte Faktoren, während die Diagnose anhand standardisierter Kriterien wie DSM-5 oder ICD-10 erfolgt.
Verschiedene Typen von ADHS
Nach der DSM-5-Klassifikation und der ICD-11-Klassifikation werden nach den Hauptsymptomen drei Typen unterschieden:
- Ein unaufmerksamer Typ
- Ein hyperaktiv-impulsiver Typ
- Ein kombinierter Typ, der die Symptome beider Typen beinhaltet.
Dabei wird der hyperaktiv-impulsive als Vorstufe des kombinierten Typs gesehen. Diese Unterscheidung ist klinisch relevant, da sie es ermöglicht, die Therapie an die individuellen Symptome des Betroffenen anzupassen.
- Der vorwiegend unaufmerksame Typ zeigt vor allem Konzentrationsprobleme.
- Der hyperaktiv-impulsive Typ ist durch motorische Unruhe und impulsives Verhalten gekennzeichnet.
- Der kombinierte Typ umfasst beide Symptomgruppen.
ADHS im Schulalter (9 Jahre)
ADHS betrifft wenigstens 3-6 % aller Schulkinder und bedingt auch im Erwachsenenalter schwerwiegende psychische und soziale Konsequenzen. Es bestehen phänotypische Geschlechtsunterschiede: Bei Buben, die eher den impulsiv-hyperaktiven bzw. kombinierten Typ aufweisen, wird ADHS etwa 3‑mal häufiger diagnostiziert als bei Mädchen, die eher den unaufmerksamen Typ zeigen.
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ADHS beeinträchtigt das Familien- und das soziale Leben, Schulerfolg, Freundschaften, Berufsaussichten und das subjektive Wohlbefinden, erhöht die Wahrscheinlichkeit des Auftretens von Essstörungen (Adipositas und Anorexia nervosa) und verursacht intrafamiliär und volkswirtschaftlich erhebliche Kosten.
Symptome von ADHS
Die drei Kernsymptome des ADHS sind Aufmerksamkeitsdefizit, motorische Hyperaktivität und mangelnde Impulskontrolle. Die Symptome von ADHS treten mit lebensalter- und geschlechtstypischer Ausprägung vom Säuglings- bis ins Erwachsenenalter auf.
1) Unaufmerksamkeit und Konzentrationsschwäche
Kinder mit einer Aufmerksamkeitsstörung haben Schwierigkeiten, eine Aufgabe in Wachsamkeit und konzentriert zu erledigen. Sie lassen sich schnell ablenken und schaffen es oft nicht lange, sich mit einer Sache zu beschäftigen.
Detaillierte Symptome:
- ADHS Kinder richten ihre Aufmerksamkeit nicht auf Details, machen oft Flüchtigkeitsfehler bei Schulaufgaben oder diversen anderen Aktivitäten.
- Kinder mit ADHS Symptomen haben Schwierigkeiten sich längere Zeit einer bestimmten Sache zu widmen. Im schulischen Kontext sind diese Kinder sehr auffällig und kommen ihren Arbeiten nicht nach.
- Vielfach folgen diese Kinder den Anweisungen nicht oder bringen auch Aufgaben nicht zu Ende. Zudem haben sie Probleme damit Aufgaben und Tätigkeiten zu organisieren.
- Wenn Kinder mit einer Aufmerksamkeitsstörung Aufgaben erhalten, die über einen längeren Zeitraum eine höhere geistige Anstrengung erfordern, dann vermeiden oder verweigern sie diese gerne.
- ADHS Kinder zeichnen sich auch oft durch Schusseligkeit und Vergesslichkeit aus, was ihnen den Alltag, vor allem den Schulalltag oft erheblich erschwert.
2) Hyperaktivität & Impulsivität
Kinder, deren Aufmerksamkeitsstörung mit einer Hyperaktivität gekoppelt ist, sind motorisch überdurchschnittlich aktiv. Sie haben oft Probleme damit, still zu sitzen, sind zappelig und unruhig. Kinder mit der Eigenschaft der ausgeprägten Impulsivität Handeln oft, bevor sie denken und führen eilige Aktionen durch.
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Detaillierte Symptome:
- Hyperaktive Kinder zappeln oft mit ihren Füßen und Händen herum oder winden sich hin und her.
- Sie schaffen es nicht für längere Zeit ruhig am Sessel zu sitzen.
- Kinder mit einer Aufmerksamkeitsstörung in Kombination mit Hyperaktivität zeigen oft unangepasstes Verhalten, wie extremes Herumrennen, obwohl es z.B.
Zusätzliche Symptome
- Konzentrationsstörungen, die sich vor allem im Schulleben bemerkbar machen.
- Konzentrationsschwäche.
- Verhaltensstörungen, die oft schon im Kindergarten auffallen.
- Wahrnehmungsstörungen in den Bereichen der Tiefenwahrnehmung, des Gleichgewichts und des Tastsinns.
- Probleme mit der Grobmotorik sowie der Feinmotorik: sehr gut sichtbar beim Schreibverhalten in der Schule oder bei einfachen grobmotorischen Bewegungen wie das Erlenen von Rad fahren, Schwimmen, Hampelmann machen, o.ä.
- Fehlende Impulskontrolle, wie bereits beschrieben.
- Schlechte Körperkoordination bzw.
Die Regelschulen mit ihren Unterrichtsformen verstärken meist die Probleme von Kindern mit einer Aufmerksamkeitsstörung, denn wer nicht still sitzen kann, keine ausreichende Konzentration für die Erledigung von Aufgaben zeigt und sich schwer integriert, wird bald zu einem Außenseiter.
Diagnose von ADHS
Grundsätzlich ist ADHS eine klinische Diagnose, die fachärztlich, auf Basis von Psychopathologie und Anamnese, gestellt wird. Unterstützend und ergänzend werden dafür validierte diagnostische Instrumente, psychologische Befundung und funktionelle Diagnostik angewandt. Somatische Untersuchungen dienen lediglich der Differenzialdiagnostik.
Nach der Leitlinie der Arbeitsgemeinschaft ADHS der Kinder- und Jugendärzte e.V. (2007) lässt sich die Diagnose wie folgt überblicksmäßig darstellen:
- Anamnese: Die Einbeziehung anderer Kinder und Jugendlicher, der Eltern, der Erzieher und Lehrer ist demnach eine wichtige diagnostische Maßnahme. Sie ist unverzichtbar, um die Kernsymptome der ADHS, assoziierte Störungen und deren Entwicklung und Auswirkungen in der Biografie sowie wichtige Differenzialdiagnosen zu erkennen.
- Klinische Untersuchung: Der klinische Untersuchungsbefund und Verhaltensbeobachtungen sind ebenfalls von wesentlicher Bedeutung für ein umfassendes Bild der Betroffenen. Aktuelle Psychopathologie sowie soziales Funktionieren im Einzel- und Gruppensetting können dabei beurteilt werden. Hyperaktivität auf Basis von z.B. Deprivation, Depression, Bindungsstörungen oder Minderbegabung kann dann differenziert beurteilt werden. Auch physische Beeinträchtigungen wie Hör- oder Sehschwächen können verhaltensbeeinflussend sein. Auf neurologischer Ebene können sensomotorische Störungen (z.B. auf Basis von perinatalen Komplikationen) relevant sein.
- Diagnostische Instrumente: ADHS-spezifische Fragebögen fokussieren auf bestimmte diagnosetypische Verhaltensweisen und ermöglichen damit bis zu einem Grad eine standardisierte Diagnostik und eine Abgrenzung der Erscheinungsformen.
- Testpsychologische Untersuchungen: Diese werden ergänzend zur klinischen Diagnostik eingesetzt. Die standardisierte Beurteilung des Verhaltens, der Entwicklung, Intelligenz, Aufmerksamkeitsspanne und Impulsivität kann wichtige Hinweise auf das Vorliegen von ADHS geben.
- Videoaufzeichnungen: Sowohl für Diagnostik und Therapie als auch für die Verlaufskontrolle können optionale Videoaufzeichnungen von Nutzen sein. Eltern und je nach Alter auch Patienten können Auffälligkeiten in Mimik, Gestik und Körpersprache sowie unangepasstes Verhalten - inklusive der Reaktion der Eltern - demonstriert werden.
- Laboruntersuchungen, EEG, Gehörprüfung, Visusüberprüfung, MRT: Diese Untersuchungen dienen ausschließlich zur Differenzialdiagnostik (z.B.
Therapeutische Optionen
Aufgrund der unterschiedlichen Ausprägungen von ADHS erfordert das therapeutische so wie das diagnostische Vorgehen ein multimodales und multidisziplinäres Vorgehen. In einem Konsensus-Statement wurde dazu ein Algorithmus nach den Deutschen AWMF-Leitlinien zusammengefasst. Das Behandlungssetting ist üblicherweise ein ambulantes.
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Generell wird immer die Etablierung einer ADHS-Elternberatung (mit vielen psychoedukativen Elementen) und eine strukturierende Therapie mit dem Ziel des Erwerbs von Selbstkontrolle und Selbststrukturierung für die Betroffenen empfohlen. Diese Empfehlung gilt bei leichter bis milder Ausprägung der Symptomatik, leichten bis mittleren Einschränkungen und (noch) belastbarem Umfeld (Eltern, Schule).
Bei unzureichendem Ergebnis, bei mittlerer bis schwerer Symptomatik mit massiven Einschränkungen und hochbelasteten Systemen wird dann eine zusätzliche medikamentöse Therapie etabliert. Bei der psychotherapeutischen Behandlung von ADHS stehen v.a. strukturierende, symptomorientierte psychotherapeutische Ansätze im Vordergrund.
Der Entscheidung für eine Pharmakotherapie der ADHS sollen mehrere Entscheidungskriterien zugrunde gelegt werden: Intensität der Störung, Akuität der Situation, Beeinträchtigung von Patient und Umfeld, Alter des Kindes/ Jugendlichen (für Vorschulalterkinder sind derzeit keine ADHS-Medikamente zugelassen), Verfügbarkeit der Pharmakotherapie, psychosoziales Umfeld und Compliance.
Medikamentöse Therapie
Bei den in Österreich zur Behandlung der ADHS zugelassenen Medikamenten handelt es sich um diverse Präparate aus der Gruppe der Stimulanzien (Amphetamin, Methylphenitat, Lisdexamphetamin), einen Noradrenalin- Wiederaufnahmehemmer (Atomoxetin) und ein zentral wirksames Sympathotonikum (Guanfacin).
- Stimulanzien: Die Wirksamkeit von Stimulanzien fußt auf der Katecholamin-Hypothese, die von einer Verminderung von Noradrenalin und Dopamin im synaptischen Spalt ausgeht, wobei auch das serotonerge System mitbetroffen sein dürfte. Für den Einsatz von Stimulanzien sprechen die lange Erfahrung mit diesen Medikamenten, die große Anzahl von mehr als 300 Studien und die gute Wirksamkeit. Etwa 80 Prozent der mit Stimulanzien behandelten Patienten sind Responder. Stimulanzien gelten als Standardtherapie der ADHS. Es stehen kurz- und langwirksame Präparate zur Verfügung, wobei auch Kombinationen je nach Anforderungen im Tagesverlauf angewandt werden.
- Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer: In Österreich ist aus dieser Wirkstoffgruppe Atomoxetin auf dem Markt. Das Medikament hemmt hochselektiv den präsynaptischen Noradrenalin-Rezeptor, erhöht die Wirkung von Noradrenalin im präfrontalen Kortex und wirkt indirekt auf den Dopaminspiegel. Etwa 50 bis 70 Prozent der mit Atomoxetin behandelten Patienten sind Responder. Die Wirksamkeit gilt allgemein als etwas geringer, hält allerdings - nach Einmalgabe - 24 Stunden an.
- Zentrale alpha-Sympathomimetika: Es handelt sich um eine Substanzgruppe, die bereits 1979 als zentrale Antihypertonika eingesetzt wurden. Es zeigte sich eine zusätzliche Wirksamkeit bei ADHS, und die Substanz wurde in Fachkreisen als „Off-Label-Behandlung“ von ADHS bei mangelnder Wirksamkeit von oder Kontraindikation gegen Stimulanzien eingesetzt. In den USA wird seit 2011 nunmehr eine verbesserte Substanz mit Retard-Wirkung (Guanfacin) als ADHS-Medikament zur Anwendung gebracht und darf auch seit 2017 in Österreich (nach chefärztlicher Bewilligung) im Kindes- und Jugendalter eingesetzt werden. Vorteile sind u.a. eine 24-Stunden-Wirkung und fehlendes Missbrauchspotenzial.
Alternative und zusätzliche Therapien
Als nicht medikamentöse Therapie zeigt das allerdings aufwendige „Neurofeedback“ in einigen kleinen Studien erste positive Ergebnisse, die Effektivität muss aber erst bestätigt werden.
Als eine sinnvolle Nahrungsergänzung zur Verbesserung der Hirnleistung scheinen sich ungesättigte Fettsäuren zu erweisen. Sie sollen „neuroprotektiv“ in den Nervenzellmembranen wirken. Bei Kindern mit ADHS wurden auch niedrigere Spiegel von Omega-3- und Omega-6-Fettsäuren im Plasma und in der Phospholipidmembran der Erythrozyten festgestellt, und so wurde auf Defizite im Bereich der Nervenzellen geschlossen.
Tabellenübersicht
Die folgenden Tabellen geben einen Überblick über wichtige Aspekte von ADHS, wie Symptome, Diagnosekriterien und Behandlungsmöglichkeiten.
Tabelle 1: Übersicht der ADHS-Typen
| ADHS-Typ | Hauptmerkmale |
|---|---|
| Vorwiegend unaufmerksamer Typ (ADHS-I) | Konzentrationsprobleme, leichte Ablenkbarkeit, Vergesslichkeit |
| Vorwiegend hyperaktiv-impulsiver Typ (ADHS-H) | Starker Bewegungsdrang, Schwierigkeiten stillzusitzen, spontanes Handeln |
| Kombinierter Typ (ADHS-C) | Schwierigkeiten mit Aufmerksamkeit und Konzentration, impulsives Verhalten, ausgeprägte Unruhe |