Traumatische Ereignisse können vielfältige psychische und somatische Reaktionen auslösen, die in der Fachliteratur als Traumafolgestörungen bezeichnet werden. Eine dieser Störungen ist die posttraumatische Belastungsstörung (PTBS), die sich durch Symptome wie Intrusionen, Vermeidungsverhalten und Hyperarousal äußert.
Klassifikation und Definition von Traumafolgestörungen
Im Jahr 2019 verabschiedete die WHO mit dem ICD-11 (International Classification of Diseases 11th Revision) eine Reihe signifikanter Modifikationen im Bereich der Traumafolgestörungen, was in der Behandlung von Trauma und Dissoziation zu substanziellen Verbesserungen führte: Das Kapitel „Spezifisch belastungsbezogene Störungen (Kap. 6B4)“ wurde neu eingeführt. Patient:innen mit kPTBS zeigen zusätzlich zu den PTBS-Symptomen signifikante Affektregulationsstörungen, Veränderungen in der Selbstwahrnehmung und Schwierigkeiten im Aufbau tragfähiger sozialer Beziehungen (Gysi 2025). Darüber hinaus weisen die Patient:innen häufig dissoziative Symptome und ein breites Spektrum an Komorbiditäten und Störungen wie Depressionen, Ängste, Substanzabhängigkeiten und somatoforme Störungen sowie chronische Suizidalität oder selbstverletzendes Verhalten auf (Sack et al. 2022).
In der wissenschaftlichen Literatur werden lang andauernde und wiederholte Ereignisse, wie häusliche Gewalt, schwere emotionale Vernachlässigung sowie wiederholter sexueller, emotionaler und/oder körperlicher Missbrauch von Kindern, als Auslöser für kPTBS genannt (vgl. Gysi 2025; Sack et al. 2022; Steele et al.
Behandlungsansätze in der Tagesklinik für Traumafolgestörungen
Im September 2023 wurde die störungsspezifisch ausgerichtete Tagesklinik im Krankenhaus der Elisabethinen eröffnet. Gegenwärtig werden in der Tagesklinik Frauen im Alter zwischen 18 und 70 Jahren behandelt, die entweder an einer Traumafolgestörung nach ICD-11 (PTBS, kPTBS, verlängerte Trauerreaktionen) oder an einer traumabedingten dissoziativen Störung (somatoforme dissoziative Störung, Depersonalisations- und Derealisationsstörung) leiden. Darüber hinaus werden auch Patientinnen mit einer Dissoziativen Identitätsstörung (DIS) oder einer partiellen Dissoziativen Identitätsstörung (pDIS) behandelt, sowie mit anderen psychiatrischen Störungsbildern, die zeitlich in Zusammenhang mit potenziell traumatisierenden Erfahrungen stehen, jedoch die Kriterien der spezifisch stressassoziierten Störungen nicht erfüllen.
Von der Aufnahme sind Personen mit akuter Eigen- oder Fremdgefährdung, primärer Suchterkrankung mit fehlender Abstinenzfähigkeit, schwerer Persönlichkeitsstörung, akuter Psychose, schwerer somatischer Erkrankung sowie Personen mit schwerer kognitiver Einschränkung ausgeschlossen. Derzeit (März 2025) sind sechs Plätze verfügbar, wobei langfristig eine Aufstockung auf acht Plätze vorgesehen ist. Die Dauer des Aufenthalts beträgt für Patient:innen sechs bis acht Wochen, an denen sie jeweils sechs bis acht Stunden an fünf Tagen pro Woche anwesend sind. Im Anschluss an den stationären Aufenthalt werden ambulante Nachsorgegespräche angeboten.
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Das tagesklinische Setting bietet Patient:innen die Möglichkeit, an einem intensiven Therapieangebot teilzunehmen, während sie in ihrer gewohnten Umgebung wohnen. Das therapeutische Angebot ist darauf ausgerichtet, Patient:innen einen sicheren Rahmen zu bieten, in dem sie neue Beziehungserfahrungen machen und dadurch ihre gegenwärtigen Beziehungsmuster neu bewerten und sich aus schädlichen Beziehungen lösen können. Darüber hinaus zielt die Therapie darauf ab, eine Reduktion störungsspezifischer Symptome wie Flashbacks, Intrusionen, Vermeidung und Hyperarousal zu erreichen. Die Patient:innen entwickeln idealerweise eine Gegenwartsorientierung und die Fähigkeit, Perspektiven für die Zukunft zu finden, was zu einer Reduktion der Wiedererlebens-Mechanismen führt. Zudem wird die Empathie für sich selbst geschult, was die Fähigkeit zur Selbstfürsorge fördert.
In der Einstiegsphase wird mit jeder Patientin ein traumaspezifisches Eingangsscreening durchgeführt. Dieses dient der Diagnosestellung und der leitliniengerechten Therapieplanung. So werden beispielsweise traumakonfrontative Methoden (Eye Movement Desensitization and Reprocessing [EMDR]) nur bei ausreichender Stabilität eingeplant. Ein besonderes Augenmerk liegt auf den Fähigkeiten zur Selbstfürsorge. Zudem werden emotions- und beziehungsregulative Fähigkeiten und Defizite erfasst, um im späteren Einzel- und Gruppenprozess daran arbeiten zu können (z. B. Abgrenzung, Selbstwertstabilisierung). Schließlich werden auch dissoziative Symptome erhoben, um die Therapieplanung erfolgsversprechend gestalten zu können.
Die Tagesklinik bietet störungsspezifische psychotherapeutische Einzel- und Gruppentherapie, psychiatrisch fachärztliche Versorgung, Betreuung durch psychiatrisch geschulte Pflegefachpersonen, physio- und ergotherapeutische Maßnahmen, sowie Kunst‑, Musik‑, Tanz- und Körpertherapie. Die Grundlage der psychotherapeutischen Interventionen in der tagesklinischen Versorgung bildet die Anwendung traumaspezifischer Psychotherapie gemäß dem Standard der Deutschsprachigen Gesellschaft für Psychotraumatologie (DeGPT). Der Behandlungsansatz der Tagesklinik erweitert die klassische Traumabehandlung entlang der drei Phasen Stabilisierung - Konfrontation - Integration auf Basis der Theorie der strukturellen Dissoziation.
Die Theorie der strukturellen Dissoziation
Die derzeit als Behandlungsmethode der Wahl bei PTBS und kPTBS sowie dissoziativen Störungen geltende, phasenorientierte, traumaspezifische Psychotherapie (Keller et al. 2023; Sack et al. Die Theorie der strukturellen Dissoziation stellt einen klinisch hoch relevanten Bezugsrahmen dar, um die fragmentierte Ich-Struktur bei komplex traumatisierten Patient:innen differenziert zu beschreiben. Sie ermöglicht die Sichtbarmachung und therapeutische Bearbeitung innerer Konflikte zwischen alltagsfunktionalen und traumaassoziierten Persönlichkeitszuständen. Die Integration dieses Modells in das therapeutische Vorgehen ermöglicht die Abgrenzung dissoziativer Symptome, die durch Persönlichkeitszustände hervorgerufen werden, von primär psychoformen dissoziativen Symptomen im Rahmen anderer psychiatrischer Störungen (z. B. Panikstörungen, depressive Störungen).
Für die therapeutische Arbeit ergibt sich daraus eine Erweiterung der Beziehungsgestaltung und der therapeutischen Intervention, die der Dynamik komplexer Traumafolgestörungen gerecht wird. Das Modell ist eine unverzichtbare Ergänzung zur phasenorientierten Traumatherapie (Nijenhuis 2018; van der Hart et al. 2008). Ziel dieser Theorie ist es, die Konzepte bereits bestehender Dissoziationstheorien zu vereinheitlichen und dissoziative Störungen in das Spektrum traumabezogener Störungen einzuordnen (Gast und Wabnitz 2023). Gemäß dieser Theorie wird die Dissoziation der Persönlichkeit als zentrales Merkmal eines Traumas definiert (vgl. ebd.). Van der Hart et al.
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Prototypische ANPs („anscheinend normale Persönlichkeit“) verfolgen das Ziel, das Leben im Alltag zu meistern und im Hier und Jetzt zu leben. Sie ignorieren, vermeiden und verdrängen traumatische Erinnerungen und dazugehörige Emotionen. Die posttraumatische Vermeidung, ein Symptom der PTBS, ist beim ANP-Anteil signifikant ausgeprägt (Nijenhuis 2018; van der Hart et al. Prototypische EPs („emotionale Persönlichkeiten“) sind während der Traumatisierung entstanden und in den traumatischen Erinnerungen gefangen. Die daraus resultierenden Handlungssysteme sind Bindung und Abwehr von Gefahr und Bedrohung.
Fragile emotionale Persönlichkeitszustände tragen schmerzhafte und verletzte Emotionen, sind auf Bindungssuche ausgerichtet und möchten erlebte traumatische Erfahrungen aus der Vergangenheit mitteilen. Kontrollierende EPs werden auch als täter:innenloyale oder täter:innenimitierende Anteile bezeichnet. Meist ist das Ziel dieser Anteile, Bedrohung und Gefahr durch Kampf, Flucht, Unterwerfung und Erstarrung abzuwehren, um einen Zustand der Kontrolle und Ruhe zu erzeugen (Gysi 2025; van der Hart et al.
Phobien im Kontext der strukturellen Dissoziation
Zusätzlich zum beschriebenen phasenorientierten traumaspezifischen Vorgehen in der Psychotherapie und der Arbeit mit den unterschiedlichen Persönlichkeitszuständen weisen Steele et al. Im Rahmen der Theorie der strukturellen Dissoziation wird der Begriff Phobie differenziert verwendet, um tiefgreifende, häufig unbewusste Vermeidungshaltungen gegenüber traumabezogenen Inhalten und dissoziierten Persönlichkeitszuständen zu beschreiben (Steele et al. 2005). Diese Haltung steht im Gegensatz zur allgemeineren, affektiven Angstreaktion. Diese Vermeidungshaltungen verhindern Integrationsprozesse und tragen zur Aufrechterhaltung der Dissoziation bei (Eine bloße Exposition oder kognitive Einsicht reicht in der Regel nicht aus, um diese aufzulösen).
Vielmehr erfordert ihre Bearbeitung eine phasenorientierte therapeutische Vorgehensweise und eine tragfähige Beziehungsgestaltung (Nijenhuis 2018). Im Therapieverlauf zeigen sich unterschiedliche Ebenen solcher Phobien, etwa die Phobie vor der Anerkennung der Erkrankung, vor der therapeutischen Beziehung, vor Bindung und Bindungsverlust sowie Phobien zwischen den Persönlichkeitszuständen (Steele et al. 2021). Ein primäres Ziel in der Behandlung besteht darin, die Patient:innen dabei zu unterstützen, die Kommunikation und Kooperation der verschiedenen dissoziativen Persönlichkeitszustände zu bewerkstelligen. Dies setzt voraus, dass sich die verschiedenen dissoziativen Anteile zunächst gegenseitig erkennen, anerkennen und akzeptieren (Gast und Wabnitz 2023; Nijenhuis 2016). Eine weitere Aufgabe ist die Unterstützung der Patient:innen bei der Überwindung von Phobien hinsichtlich Bindung und Bindungsverlust (Steele et al.
Phasen der Traumabehandlung
In dieser ersten Phase geht es um die Überwindung der Phobie vor dem Aufbau einer tragfähigen therapeutischen Arbeitsbeziehung. Traumatisierte Patient:innen haben oft schwere Beziehungstraumata erlebt. Es fällt ihnen oft schwer, sich auf eine Beziehung einzulassen. Sie sind oftmals in Systemen aufgewachsen, wo Selbstbestimmung und Selbstkompetenz aufgrund der Willkür der Täter:innen nicht entwickelt werden konnten. Respekt vor Bedürfnissen und Grenzen konnten diese Patient:innen nicht lernen, sie haben das Gegenteil erfahren. Häufig zeigen die Patient:innen aus dieser Erfahrung heraus Strategien, ihr Gegenüber zu regulieren (Fawning-Reaktion), mit dem Ziel, Beziehung und Sicherheit durch Anpassung zu erhalten (Steele et al. 2021).
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Im Vordergrund der therapeutischen Intervention stehen Psychoedukation, Stabilisierung im Alltag, Symptomreduktion im Alltag, dosierte Bindungsangebote. Ziel ist es, dass sich die Patient:innen in dieser Phase verstanden fühlen und Sicherheit in der therapeutischen Begegnung erleben. Patient:innen brauchen die Sicherheit, dass sie nicht bewertet und/oder verurteilt werden (Gysi 2025; Steele et al. Patient:innen erleben in dieser Phase der Behandlung durch den intensiven therapeutischen Prozess im Einzelgespräch, aber auch durch die Interaktionen in der Gruppe die Konfrontation mit Bindungsängsten und Ängsten vor Veränderung. Diese Phase ist häufig durch Instabilität gekennzeichnet, Patient:innen reagieren auf Belastungen mit Rückzug, schweren Krisen mit suizidalen Krisen und/oder selbstverletzendem Verhalten (Gysi 2025; Steele et al.
Steele et al. (2021) weisen darauf hin, dass der Fokus auf den Prozess und nicht auf den Inhalt für die Behandlung wesentlich ist. So empfehlen sie, die Patient:innen darin zu unterstützen, im gegenwärtigen Moment zu bleiben und sich auf das zu konzentrieren, „was in ihrem Inneren und in der Beziehung im Hier und Jetzt geschieht“. Als wesentliche Behandlungsprinzipien beschreiben sie weiterhin, dass die Behandlung innerhalb des Toleranzfensters der Patient:innen, aber auch der Therapeut:innen bleiben soll, die Mentalisierungsfähigkeit der Patient:innen gestärkt werden soll und alle dissoziierten Anteile als Aspekte der einen Person gesehen und behandelt werden sollen (Steele et al.
Patient:innen beschreiben oft widersprüchliche innere Erfahrungen. Wenn sie diese Erfahrungen selbst als Persönlichkeitszustände bezeichnen, können wir ihnen mit diagnostischen Fragen helfen, die Dynamik zwischen diesen Anteilen zu erforschen. Die Antworten geben Aufschluss über die Anzahl der Anteile und die vorhandene Kommunikation und Kooperation zwischen den verschiedenen Persönlichkeitszuständen. Weiters werden Fragen wie „Welche Ressourcen habe ich heute?“ oder „Wo sind die Täter:innen heute?“ gestellt, die helfen, den bereits vorhandenen Gegenwartsbezug zu erkunden und Auskunft darüber zu geben, welche Anteile in dieser Phase der Therapie welchen Gegenwartsbezug haben bzw. in welcher Zeit die Anteile leben (Präsentifikation). Zusätzlich werden in dieser Phase Fragen zur Personifizierung gestellt, wie z. B. „Was braucht mein Körper?“ oder „Was brauche ich?“, um die Ich-Wahrnehmung einzelner Persönlichkeitszustände zu erkennen (vgl. Anschließend geht es um die Realisierung traumatischer Erinnerungen und die Bearbeitung von Phobien zwischen den verschiedenen dissozi...
Weitere Therapieansätze und Behandlungsmethoden
- EMDR (Eye Movement Desensitization und Reprocessing): Mithilfe von gezielten Augenbewegungen soll eine Verarbeitung des Traumas angeregt werden. Zugleich wird das Trauma erinnert. Die Maßnahmen schließen mit positiven Gedanken für die Zukunft ab.
- Psychodynamische imaginative Traumatherapie (PITT): Bei dieser imaginativen Therapie werden im Allgemeinen verschiedene Behandlungstechniken kombiniert.
- Prolonged Exposure Therapy (PE): Bei der der Patient sich in die traumatische Situation zurückversetzt und das Trauma nochmals erlebt.
- Cognitive Processing Therapie (CPT): Hierbei soll der Patient schriftlich seine Erlebnisse aufarbeiten und "Denkfehler" wie Schuld- oder Schamgefühle umstrukturieren.
- Narrative Exposure Therapy (NET): Dabei wird der gesamte Lebenslauf des Patienten mit unbewältigten Traumata verarbeitet.
Medikamentöse Unterstützung
Ist bereits eine PTBS eingetreten, können Medikamente die Behandlung unterstützen. Sie sollten jedoch nicht alleine - ohne begleitende Therapiemaßnahmen (vor allem Psychotherapie) - zur Anwendung kommen. Infrage kommende Medikamente sind dabei Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (SSRIs), in Ausnahmefällen Trizyklische Antidepressiva und sogenannte Stimmungsstabilisatoren.
Ergänzende Maßnahmen
Neben diesen Behandlungsmöglichkeiten können als ergänzende Maßnahmen hilfreich sein: wohltuende Bewegung, Achtsamkeitstraining, Pflege des sozialen Umfelds und Erfüllung im Beruf, soziale Maßnahmen und Unterstützung durch Sozialarbeiterinnen/Sozialarbeiter in sozialrechtlichen Fragen. Ebenso Physiotherapie oder Ergotherapie.
Verlauf und Prognose
Eine Milderung der Symptome und eine Besserung der Lebensqualität sind unter Therapie möglich. Eine vollständige Heilung ist jedoch nicht immer erreichbar. Aus diesem Grund ist es oft hilfreich möglichst frühzeitig Hilfe zu suchen.
Ansprechstellen
Wenn Sie den Verdacht haben, an den Folgen eines psychischen Traumas zu leiden, können Sie sich vor allem an folgende Ansprechstellen wenden: Ärztinnen/Ärzte für Psychiatrie (und psychotherapeutische Medizin) bzw. Kriseninterventionseinrichtungen (z.B. Ambulanzen für Psychiatrie, Psychosomatik bzw. Es gibt auch sogenannte Trauma-Kompetenzzentren: Beispielsweise ESRA oder Hemayat.
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