Vulnerabler Narzissmus und seine Unterschiede

Die kategoriale Diagnosestellung der Persönlichkeitsstörungen (PS) in den aktuell gültigen Diagnosesystemen ist uns über die vergangenen bald drei Jahrzehnte schon sehr vertraut geworden. Die aktuell noch gültige ICD-10 der Weltgesundheitsorganisation (World Health Organization 1992) und das DSM-IV bzw. DSM‑5 der amerikanischen Psychiatrie (American Psychiatric Association 1994, 2013) beschreiben neun bzw. zehn spezifische PS-Diagnosen.

Die jahrzehntelange und zunehmende Unzufriedenheit mit der bisherigen kategorialen Klassifikation der Persönlichkeitsstörungen (PS) im amerikanischen DSM-IV und in der ICD-10 der Weltgesundheitsorganisation hat u. a. mit fehlender empirischer Unterstützung vieler Kategorien, der sehr hohen Komorbidität der PS untereinander oder der großen Heterogenität von Symptomen innerhalb einer Diagnose zu tun. Sie hat in den letzten Revisionen der beiden Diagnosesysteme einen radikalen Wandel hin zu einem dimensionalen Klassifikationssystem unterstützt, das um vieles stärker in der empirischen psychologischen Forschung abgesichert ist.

Im DSM‑5 ist die Revolution ausgeblieben, weil das dimensionale Modell im Anhang verblieben ist, während die alte DSM-IV-Klassifikation unverändert übernommen wurde. Allerdings hat dieses „Alternative Modell der Persönlichkeitsstörungen“ (AMPD) seit seiner Publikation erhebliches Forschungsinteresse erfahren. In der ICD-11 ist eine dimensionale Einschätzung der Persönlichkeit auf den 5 Domänen „Negative Affectivity“, „Detachment“, „Dissociality“, „Disinhibition“ und „Anankastia“ als radikale Alternative zu den 10 bisherigen Kategorien bereits abgesegnet und wird ab 2022 weltweit die Diagnosestellung verändern. Während hier zunächst alle bisherigen Kategorien eliminiert wurden, erreichten kritische Stimmen am Ende, dass die Borderline-Störung als einziger Qualifier in der ICD-11 erhalten bleibt.

Die beiden Systeme werden in ihren zentralen Annahmen und im praktischen Vorgehen beleuchtet.

Problematik der kategorialen Diagnostik

Wie unterschiedlich Personen mit der gleichen PS-Diagnose sein können, ihre Heterogenität, wurde vielfach kritisch angemerkt (Ofrat et al. 2018; Widiger und Trull 2007). Für die BPS ergeben sich 256 verschiedene Symptomkonstellationen im DSM und bei fünf von neun Kriterien können zwei Patient*innen u. U. nur ein einziges Symptom überlappend präsentieren. Für die zwanghafte PS mit vier von acht Kriterien ist es sogar möglich, überhaupt keine Überlappung mit einer anderen Person zu haben, und dennoch die gleiche Diagnose zu bekommen (Samuel und Griffin 2015). Das ist nicht nur rechnerisch möglich, sondern zeigt sich auch in der klinischen Realität. In einer Stichprobe von 252 Patient*innen, die die Kriterien einer BPS erfüllten, waren 136 verschiedene Kombinationen einer BPS präsent (Johansen et al.

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Dabei ist im kategorialen System die Grenze zwischen normaler und pathologischer Persönlichkeit eine willkürliche (Ofrat et al. 2018). Im „revolutionären“ DSM-III (APA 1980), das diese Art der Diagnosestellung erstmals umsetzte, wurde bei den meisten Persönlichkeitsstörungen keinerlei Begründung für die Schwelle zwischen normal und krank angegeben (Demazeux 2015). Außerdem wurde von der letztlich nicht haltbaren Position ausgegangen, dass alle Kriterien in gleichem Maße wichtig für die Diagnosestellung seien (Balsis et al. 2011).

Bei der BPS begründete man im DSM-III die fünf von damals acht Kriterien zumindest als eine versuchte Maximierung der Übereinstimmung unter Kliniker*innen. Diese Form der Entscheidungsfindung wurde humoristisch als BOGSAT-Methode bezeichnet („bunch of guys sitting around a table“; H. Pincus, zit. n. Demazeux 2015, S. 9). Damit ist die zentrale (willkürliche) Schwelle, ob jemand an einer krankheitswertigen BPS leidet, die von 4 (gesund) auf 5 (krank) erfüllte Kriterien (Samuel und Griffin 2015). Manche Autor*innen argumentieren, dass die Problematik zumindest verringert werden könnte, wenn die Anzahl der zu erfüllenden Kriterien auf mind. 7 erhöht würde (Paris 2020).

Ebenfalls sehr problematisch ist das Ergebnis von Längsschnittstudien, dass diese Kriterien in recht unterschiedlichem Maß zeitlich stabil sind und damit ein postuliertes zentrales Charakteristikum einer Persönlichkeitsstörung deutlich in Frage gestellt ist. Grilo et al. (2004, 2014) haben dargestellt, dass fast 30 % einer nur über 24 Monate verfolgten Stichprobe von BPS-Patient*innen in diesem Zeitraum über 12 Monate und mehr nur 2 oder weniger der Kriterien erfüllten. Sie waren also über ein Jahr in diesen beiden Jahren sehr weit von einer BPS-Diagnose entfernt! So sind etwa Selbstverletzungen wesentlich weniger zeitlich stabil als die emotionale Instabilität.

Tyrer et al. (2019) fassen zusammen, dass die allgemeinen Kriterien einer Persönlichkeitsstörung (als Voraussetzung für die Diagnose einer spezifischen Kategorie) schlicht ignoriert worden seien (vgl. auch First et al. 2014). Wenn Kliniker*innen Diagnosen stellten, dann reduzierte sich das verwendete Spektrum auf die drei Kategorien BPS, Antisoziale PS und kombinierte PS/Nicht Näher Bezeichnete PS.

Diese und weitere Kritikpunkte an der kategorialen Diagnostik von Persönlichkeitsstörungen haben die Aufmerksamkeit zunehmend auf dimensionale Modelle als angemessenere Alternative gerichtet (Hopwood et al. 2018; Smith et al. 2020). Hier werden Merkmale nicht dichotom als „vorhanden“ oder „nicht vorhanden“ betrachtet. Stattdessen werden kontinuierliche Dimensionen (Traits) von leicht bis extrem identifiziert, die bei Patient*innen unterschiedlich stark ausgeprägt sind (Krueger et al. 2014).

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Dieser Zugang entspricht einerseits den Ergebnissen der Neurobiologie, die mit dimensionalen Modellen deutlich besser vereinbar sind als mit kategorialen (Caspi et al. 2014). Er entspricht auch den dominierenden Modellen in der Normalpsychologie der Persönlichkeit.

Eine umfangreiche Integration der Persönlichkeitsstörungen mit dem führenden, empirisch sehr gut abgesicherten „Big Five“-Modell der Normalpersönlichkeit (mit den Traits „Neurotizismus“, „Extraversion“, „Offenheit“, „Verträglichkeit“ und „Gewissenhaftigkeit“) wurde erstmals bereits 1994 publiziert (Costa und Widiger 1994; Widiger und Costa 2013; Miller und Widiger 2020). Dabei wurde ein Trait definiert als eine „Variable, die einer relativ stabilen Disposition für bestimmte Verhaltensmuster zugrunde liegt“ (Markon und Jonas 2015, S. 64, dt. Übers.

Das dimensionale Modell im DSM-5

In der Vorbereitung des DSM‑5 arbeitete die Personality & Personality Disorder Work Group (PPDWG) unter der Leitung von Andrew Skodol klar auf die Ablöse der kategorialen Diagnostik durch ein dimensionales Modell der PS hin. Die erste konkrete Ausgestaltung (Skodol et al. 2011) sah die Streichung von fünf empirisch am schlechtesten abgesicherten Kategorien vor (paranoide, schizoide, histrionische, narzisstische und dependente PS) und beschrieb die verbleibenden PS als Prototypen auf einem Raster von Dimensionen (Krueger et al. 2014). Die Persönlichkeit von Patient*innen sollte dimensional auf 37 Facetten (z. B. emotionale Labilität, Trennungsangst, Rückzug, Feindseligkeit etc.; Skodol et al. 2011) eingeschätzt werden und diese Einschätzung sollte unabhängig von den bisherigen „Schubladen“ (antisozial, Borderline etc.) ein differenziertes Profil der Person liefern, mit dem die Behandlung geplant werden kann. Die Lösung war damit ein „Hybrid-Modell“ aus Prototypen auf Persönlichkeitsdimensionen, das dimensionale und kategoriale Diagnosestellung verbinden sollte und so alle, d. h.

Das Modell löste sehr viele kritische bis negative Reaktionen aus. Sogar Widiger (2011) als langjähriger ausgewiesener Vertreter eines dimensionalen Zugangs kritisierte die PPDWG, nicht das abgesicherte Big-Five-Modell als Grundlage für das DSM‑5 heranzuziehen (Huprich 2015). Folge dieser heftigen Kritik war u. a. die Wiederaufnahme bzw. Beibehaltung der narzisstischen PS (ein weiteres Beispiel der BOGSAT-Methode?) und neuerliche Studien, die in einem System von 5 Trait-Domänen mit insgesamt 25 Facetten mündeten.

Erfassungsinstrumente für diese Facetten existieren mittlerweile sowohl als Selbstbeurteilung, Fremdbeurteilung durch Angehörige sowie als klinische Einschätzung (PID‑5; Personality Inventory für DSM‑5; First et al. 2018, Krueger et al. 2012; Somma et al. 2019). Die PPDWG folgte nun weitgehend dem Big Five-Modell. Nicht vertreten ist die „Offenheit“, während stattdessen eine Domäne „Psychotizismus“ eingeführt wurde, um u. a. die Symptome einer Schizotypischen Persönlichkeitsstörung abbilden zu können (die im ICD-10 als Schizotypie keine PS ist; Abb. 1). Psychotizismus wurde allerdings immer wieder als mögliche Extremvariante des Traits „Offenheit“ diskutiert (vgl. Chmielewski et al. 2014).

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Deutlich prominenter als im DSM‑5 die Beurteilung des Kriteriums A, die Einschätzung des Schweregrads der Beeinträchtigung der Persönlichkeit (Morey und Bender 2014). Störungen der Selbst-Funktionen (Identität und Selbststeuerung) und der zwischenmenschlichen Funktionen (Empathie und Nähe) werden differenziert und auf einem Kontinuum eingeschätzt (Tab. 1; vgl. Widiger et al. 2019 und Kommentare für eine interessante Diskussion). Erstmals wird auch die Operationalisierung der „gesunden“ Persönlichkeit inkludiert.

In einer „Skala zur Erfassung des Funktionsniveaus der Persönlichkeit“ (SEFP) schätzen Kliniker*innen den Schweregrad der Beeinträchtigung von „0 = keine oder geringfügige Beeinträchtigung“ bis „4 = extreme Beeinträchtigung“ für die vier genannten Bereiche ein. Für die Diagnose einer Persönlichkeitsstörung müssen mindestens zwei von vier Bereichen als mindestens „2 = mittelgradig“ beurteilt werden. Zur Illustration ist in Tab. 1 die „mittelgradige Beeinträchtigung“ für die vier Bereiche dargestellt (Falkai et al. 2015).

Tabelle 1: Beispiel der „mittelgradigen Beeinträchtigung“ in der Skala zur Erfassung des Funktionsniveaus der Persönlichkeit (SEFP) im AMPD des DSM‑5

SEFP „2 = mittelgradige Beeinträchtigung“ (in zwei Bereichen notwendig für die Diagnose einer PS)
Identität Übermäßige Abhängigkeit von anderen bei der Definition der eigenen Identität; beeinträchtigte Wahrnehmung von Grenzen
Selbstwert Vulnerabler Selbstwert, Sorge um Bewertung durch andere, Wunsch nach Anerkennung, Gefühl von Unzulänglichkeit, kompensatorisch überhöhte oder verringerte Selbsteinschätzung
Selbststeuerung Ziele meistens nicht selbstbestimmt, sondern Mittel, Bestätigung von anderen zu erhalten, daher ev. mangelnde Stabilität von Zielen
Eigene Maßstäbe Eigene Maßstäbe unangemessen hoch (z. B. gefallen wollen) oder niedrig (z. B.

Ist die Diagnose einer Persönlichkeitsstörung vom Schweregrad der Beeinträchtigung gerechtfertigt, folgt in Kriterium B die inhaltliche Beschreibung der vorherrschenden Traits. Beschrieben sind die Domänen „Negative Affektivität“, „Verschlossenheit“, „Antagonismus“, „Enthemmtheit“ und „Psychotizismus“, die nochmals in 25 Facetten differenziert werden (um Redundanzen zu vermeiden, werden in Tab. 3 nur die Domänen des für Europa wichtigeren ICD-11 genauer dargestellt, s. unten). So kann etwa Negative Affektivität in die teilweise heterogenen Facetten „Emotionale Labilität“, „Ängstlichkeit“, „Trennungsangst“, „Unterwürfigkeit“, „Feindseligkeit“, „Perseveration“, „Depressivität“, „Misstrauen“ und (Fehlen von) „Affektarmut“ differenziert werden (Falkai et al.

Hybrid-Modell der Beurteilung einer Borderline-Störung im DSM-5

Das Hybrid-Modell (dimensional und kategorial) im DSM‑5 wird deutlich, wenn die Kriterien für das Vorliegen einer BPS als einer von sechs möglichen Prototypen beurteilt werden sollen. Diese Form der Beurteilung ist uns wieder sehr vertraut (Tab. 2):

Tabelle 2: Hybrid-Modell der Beurteilung einer Borderline-Störung im alternativen Modell der Persönlichkeitsstörungen des DSM‑5

A. Mittelgradige oder stärkere Beeinträchtigung im Funktionsniveau der Persönlichkeit, Schwierigkeiten in mind. 2 der folgenden Bereiche:
1. Identität: verarmtes, instabiles Selbstbild, exzessive Selbstkritik, chronische Gefühle innerer Leere, bei Belastung Dissoziation
2. Selbststeuerung: Instabilität in Zielsetzungen, Vorlieben, Wertvorstellungen und beruflichen Plänen
3. Empathie: Eingeschränkte Fähigkeit, die Gefühle und Bedürfnisse anderer Personen zu erkennen, verbunden mit zwischenmenschlicher Überempfindlichkeit
4. Nähe: Intensive, aber instabile und konfliktreiche enge zwischenmenschliche Beziehungen, die durch Misstrauen und ängstliche Beschäftigung mit Verlassenwerden gekennzeichnet sind
B. Die BPS wird also beschrieben auf den neuen Dimensionen, die einerseits den Schweregrad der Beeinträchtigung der Persönlichkeit abbilden (Selbst und interpersonelle Beziehungen), andererseits werden jene Facetten genannt, die in den jeweiligen Trait-Domänen für die Diagnose relevant sind.

Sechs der bisherigen 10 Typen wurden in das Hybrid-Modell aufgenommen (antisozial, vermeidend-selbstunsicher, Borderline, narzisstisch, zwanghaft, schizotyp). Sollte keiner dieser Prototypen angemessen sein, ist die Diagnose einer Persönlichkeitsstörung, Merkmalsspezifiziert (PS-MS) möglich. Sie entspricht am ehesten einem rein dimensionalen Modell: (1) allgemeine Einschätzung der Schwere der Persönlichkeitsstörung (Kriterium A; mind. zwei von vier Bereichen mind. mittelgradig) und (2) spezifische Einschätzung der fünf Traits (Kriterium B; Negativität, Verschlossenheit, Antagonismus, Enthemmtheit und Psychotizismus; Falkai et al.

Der Schweregrad (Kriterium A) und Traits (Kriterium B) sollten damit am besten unabhängig voneinander sein, was sich empirisch wahrscheinlich nicht halten lässt (Bastiaansen et al. 2016; Berghuis et al. 2014; Zimmermann et al. 2015). Im Gegenteil bildet die Gesamtanzahl der erfüllten PS-Kriterien (A und B zusammen im...

Was ist Narzissmus?

Narzissmus an sich ist noch keine psychische Erkrankung, sondern beschreibt lediglich eine selbstbezogene und selbstüberschätzende Persönlichkeitseigenschaft. Auch gesunde Menschen können narzisstische Persönlichkeitsmerkmale haben, erklärt die Psychotherapeutin MMag. Nicole Trummer. Von einer psychischen Erkrankung spricht man dagegen erst dann, wenn eine narzisstische Persönlichkeitsstörung vorliegt. Von einer solchen sind - soweit bekannt - mehr Männer als Frauen betroffen.

Welche Formen von Narzissmus gibt es?

Wie eingangs erläutert, unterscheidet man zwischen gesunden Menschen mit leichten narzisstischen Persönlichkeitsmerkmalen und solchen, die an einer narzisstischen Persönlichkeitsstörung leiden. Erstere stellen sich gerne in den Mittelpunkt und scheuen sich nicht davor, berufliche Herausforderungen anzunehmen, durch deren Bewältigung sie sich Anerkennung versprechen. "Das sind die sogenannten erfolgreichen Narzissten", erläutert Trummer. Bei Zweiteren wiederum wird eine Unterteilung in verschiedene Subtypen vorgenommen.

"Die auffälligste Form ist jener Narzisst, der sich unbeirrt, eigenwillig, exhibitionistisch und dickhäutig gibt." Hierbei handelt es sich um den offenen oder auch grandiosen Narzissten. Er tritt selbstbewusst und extravertiert auf und besticht nicht zuletzt durch seinen Charme. Der grandiose Narzisst erbringt hohe Leistungen, sofern ihm diese Ruhm in Aussicht stellen.

"Es gibt aber auch jenen Narzissten, der sehr verletzlich, überempfindlich, verschlossen und dünnhäutig ist." In diesem Zusammenhang spricht Trummer vom verdeckten oder vulnerablen Typ.

Auch der verdeckte Narzisst braucht Bewunderung. Im Gegensatz zum grandiosen Narzissten fordert er diese aber nicht direkt ein. Vielmehr zeigt er sich bescheiden, freundlich, großzügig und altruistisch. Beruflich nimmt er oft eine führende Position in karitativen Einrichtungen, mitunter auch in Sekten, ein. "Der vulnerable Typ hat eine ausgeprägte Opfermentalität", so Trummer. Nichtsdestotrotz ist er ständig damit beschäftigt, sich ins beste Licht zu rücken. Er neigt zu Manipulation und weiß, wie man im Gegenüber Schuldgefühle auslöst.

Er hat sehr hohe Erwartungen und Ansprüche an sich und das Leben, denen er allerdings nicht gewachsen ist. Sein Leistungseinsatz ist eher gering. Dementsprechend wenig Erfolg erntet er in den meisten Bereichen seines Lebens. Beim erfolglosen Narzissten handelt es sich oftmals um Studienabbrecher. Nicht selten lehnt er eine Arbeitsstelle ab, weil sie ihm zu minder scheint. Stattdessen gibt er sich der Illusion hin, dass sein Potenzial früher oder später entdeckt werden und sich damit auch Erfolg und Reichtum einstellen würden. "Er lebt in einer Fantasiewelt, die mit der Realität in Widerspruch steht", so Trummer.

Woran erkenne ich einen Narzissten?

Wenn wir von Narzissten sprechen, so haben wir meist den grandiosen Narzissten vor unserem inneren Auge. Der grandiose Narzisst zeichnet sich vor allem durch eine hohe Selbstidealisierung und das starke Bedürfnis danach aus, bewundert zu werden. Seine berufliche Karriere ist meist von Erfolg gekrönt. Nicht selten bekleidet er eine Führungsposition. Was die persönliche Ebene betrifft, wirkt er oft arrogant und überheblich. Es mangelt ihm an Einfühlungsvermögen und auf Kritik reagiert er für gewöhnlich überempfindlich.

Wie erfolgt die Diagnose?

Eine narzisstische Persönlichkeitsstörung kann anhand des amerikanischen Klassifikationssystemens DSM-V diagnostiziert werden. Um von einer solchen sprechen zu können, müssen mindestens fünf der folgenden neun Kriterien erfüllt sein. Die Person ...

  • hat ein grandioses Gefühl der eigenen Wichtigkeit.
  • gibt sich Fantasien grenzenlosen Erfolgs, Macht, Glanz und der idealen Liebe hin.
  • sieht sich als besonders und einzigartig und will auch nur mit anderen besonderen oder angesehenen Menschen oder Institutionen verkehren, da sie sich ausschließlich von ihnen verstanden glaubt.
  • verlangt nach übermäßiger Bewunderung.
  • legt ein Anspruchsdenken an den Tag, erwartet sich also beispielsweise eine bevorzugte Behandlung.
  • verhält sich in zwischenmenschlichen Beziehungen ausbeuterisch.
  • weist einen Mangel an Empathie auf.
  • ist oft neidisch auf andere oder glaubt, andere wären neidisch auf sie.
  • zeigt arrogante, überhebliche Verhaltensweisen oder Haltungen.

Diese Kriterien beschreiben in erster Linie den grandiosen Narzissten. Auf den vulnerablen treffen sie weniger zu, zeigt sich dieser doch sehr anpassungsfreudig und empfindsam. In seinen sozialen Beziehungen gibt Ängstlichkeit den Ton an. Scham ist sein ständiger Begleiter. Ebenso wie ein Gefühl der inneren Leere. "Es ist, als würden sie eine Maske aufsetzen, je nachdem, in welchem der beiden Zustände sie sich gerade befinden", veranschaulicht die Psychologin, wobei eine der beiden Facetten dominant sei, sprich häufiger zum Vorschein käme als die andere.

Wie entsteht die narzisstische Persönlichkeitsstörung?

Man geht zwar davon aus, dass die Wurzel der Erkrankung in der elterlichen Erziehung liegt. Welche Art der Erziehung die Entstehung einer narzisstischen Persönlichkeitsstörung fördert, darüber herrscht aber noch weitgehend Uneinigkeit. So nehmen die einen an, dass ein extrem verwöhnender Erziehungsstil Schuld an der Entstehung der Störung trägt. Um sich vor diesem zu schützen, entwickelt das Kind ein narzisstisches Verhalten, das es im Laufe der Zeit aber nicht mehr abzulegen schafft. Dann wiederum gibt es die Theorie, dass manche Eltern das selbstbezogene Verhalten ihres Kindes bewusst fördern. Dementsprechend selbstverständlich sei es für den Heranwachsenden im späteren Leben, andere Menschen auszubeuten, um an das eigene Ziel zu gelangen.

Ist Narzissmus genetisch bedingt?

Es besteht auch eine genetische Komponente. "Diverse Studien zeigen, dass sich Personen, die später an einer narzisstischen Persönlichkeitsstörung leiden, bereits im Alter von drei Jahren aggressiv und oppositionell verhielten und eine reduzierte Impulskontrolle aufwiesen", so die Psychologin. Kommt nun ein extrem autoritärer Erziehungsstil - in erster Linie vonseiten der Mutter - in der frühen Kindheit und ein stark nachsichtiger im Jugendalter hinzu, so steigt die Wahrscheinlichkeit, dass sich beim Betroffenen eine narzisstische Persönlichkeitsstörung entwickelt.

Wie funktioniert Narzissmus und Beziehung?

"Narzissten geben in Liebesbeziehungen zu Beginn alles", sagt Trummer. Sobald sie sich aber ihres Partners sicher fühlen, kommt ihre dominante, mitunter sogar feindselige Art zum Vorschein. Oft ist auch Eifersucht im Spiel. Nicht zuletzt deshalb, weil der Betroffene den Partner zu kontrollieren versucht. "Er will ihm vorschreiben, was er anzuziehen, wie er seine Haare zu tragen hat", erläutert die Psychologin. Auf Kritik reagiert der Erkrankte gekränkt. In seinen eigenen Augen hat er keine Schwächen. Fehler machen nur die anderen. Dieses Bild versucht er mit aller Kraft aufrecht zu erhalten - weil das seine Strategie ist, sich zu schützen.

Aufgrund der unrealistischen Selbsteinschätzung kommt es immer wieder zu Konflikten. Die fehlende Einsicht in die eigene Unvollkommenheit erschwert deren Lösung. Stattdessen klagt der Betroffene den Partner an, wertet ihn ab, straft ihn mit Liebesentzug oder reagiert schlicht und einfach mit Flucht, die nicht zuletzt in einen Beziehungsabbruch münden kann. Die fehlende Empathiefähigkeit tut ihr Übriges. Gelingen kann eine Beziehung dann, wenn der Erkrankte einen Partner findet, der sich aus freien Stücken unterordnet, es quasi als seine Aufgabe sieht, ihm zu dienen. Dabei handelt es sich oft um ängstliche Personen, die selbst an einem geringen Selbstwertgefühl leiden und folglich glauben, sie müssten sich die Liebe des Partners erst verdienen. "Narzissten wollen keine Partnerschaft auf Augenhöhe. Sie wollen sich überlegen, mächtiger, größer fühlen."

Wie äußert sich Narzissmus im Berufsalltag?

Einer im "Manager Magazin" erschienenen Untersuchung zufolge tummeln sich auf der Führungsebene besonders viele Narzissten. Kein Wunder, zeichnen sich grandiose Narzissten doch durch ihre Bereitschaft aus, anzupacken und vorauszugehen. Ihr Mut und ihre Visionen sind besonders dann gefragt, wenn im Unternehmen etwas vorangebracht werden soll. Obgleich Abwertung ein probates Werkzeug narzisstischer Persönlichkeiten ist, kann es durchaus sein, dass sie einen Mitarbeiter in den Himmel loben - um ihn im nächsten Moment fallen zu lassen. Allzu gerne schmücken sie sich mit fremden Federn, von der Gruppe erzielte Erfolge verbuchen sie für sich. Abgesehen davon ziehen sie ihr Ding durch - ob es dem Unternehmen nun nützt oder nicht. Mitunter können sie auf diese Weise ganze Institutionen ruinieren.

Für den einzelnen Mitarbeiter wiederum wird es dann gefährlich, wenn er es wagt, die Grandiosität eines narzisstischen Chefs infrage zu stellen. Letzterer versammelt am liebsten Ja-Sager um sich. Kritik wird nicht geduldet. Wer an seiner Fassade kratzt, wird degradiert, beschimpft, gemobbt oder sogar rausgeschmissen. Umgekehrt sparen Narzissten nicht an Kritik, die sie auch gerne öffentlich kundtun, wobei sie keinerlei Rücksicht darauf nehmen, wie sich das Gegenüber dabei fühlt.

Wie kann man die Krankheit behandeln?

Ein guter Schritt wäre, therapeutische Hilfe in Anspruch zu nehmen. Das tun aber die wenigsten Betroffenen - zumindest, was die grandiosen Narzissten anbelangt. Der Grund ist einfach: Ihnen ist nicht bewusst, dass sie krank sind. Sie meinen, mit ihnen wäre alles in Ordnung. "Wenn es zu Problemen kommt, dann sind die anderen daran schuld. Der grandiose Narzisst macht keine Fehler", veranschaulicht Trummer dessen Selbstwahrnehmung. Sucht er schließlich doch einen Therapeuten auf, so sind meist akute Krisen, wie etwa eine Scheidung oder ein Jobverlust, der Grund für diese Entscheidung.

"Grundsätzlich will sich der grandiose Narzisst nicht verändern, weil er dann seine Schutzstrategien aufgeben müsste. Der Wille zur Veränderung ist aber eine Grundvoraussetzung für eine Psychotherapie", so die Therapeutin. Anders beim vulnerablen Typ, der sich seines niedrigen Selbstwertgefühls bewusst ist. Ziel der Therapie ist es, das Selbstwertgefühl des Betroffenen aufzubauen. Das gilt sowohl für den vulnerablen als auch für den grandiosen Typ.

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